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Full text of "Serbien. Geographisch, statistisch und Kulturgeschichtlich dargestellt"

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Serbien. 



Geographisch, statistisch und kulturgeschichtlich 



dargestellt 



von 



Anton Tuma von Waldkampf 

k. u. k. Feldmarschall -Lieutenant d. R,, Ritter des Franz -Josefs -Ordens etc. 



Zweite Ausgabe^. 




. LEIPZIG 
Verlag von Zuckschwerdt & Co. 

1897. 



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Vorwort 

Es ist unzweifelhaft, dass die politischen Ereignisse, 
welche sich in den denkwürdigen Tagen von 21. bis 24. 
Jänner 1894 in Belgrad mit überstürzter Hast abspielten 
und die sofortige Demission des radikalen Ministeriums 
Sava Gruitsch, — nebst der Vertagung der Skuptschina 
auf unbestimmte Zeit herbeigeführt haben, einen Staats- 
streich von grosser Tragweite bedeuten, dessen Oonse- 
quenzen nicht nur in Serbien selbst, sondern auch im 
übrigen Europa fühlbar werden dürften. 

Gewiss war die unerwartete Rückkehr des freiwillig 
exilirten früheren Königs Milan und dessen überraschendes 
Erfassen der Zügel der Regierung, welche seinem könig- 
lichen Sohne zu entschlüpfen drohten, kein verfassungs- 
mässiger Akt, was die diplomatischen Vertreter Busslands 
und Frankreichs durch die Nichtabgabe ihrer Karten beim 
Vater des Königs auch deutlich manifastirten; während die 
Gesandten der anderen Mächte und voran jener Oesterreich- 
üngams, diesem Akte diplomatischer Höflichkeit sofort 
entsprochen hatten. 

Unzweifelhaft wird dieses Benehmen des russischen 
und französischen Gesandten zur Ermuthigung der radi- 
kalen Partei dienen und sie in ihrem Widerstände gegen 
die nun wiederhergestellte königliche Gewalt bestärken. 

Zahlreich und von eminentester Wichtigkeit waren 



— IV - 

die Gründe, welche dieses rasche und entschiedene Ein- 
treten Milan^s, sowohl für die Sache seines königlichen 
Sohnes, als für das Wohl seines Vaterlandes und für das 
Sein oder Nichtsein der Dynastie Obrenowitsch, nothwendig 
machten. 

Die radikale Herrschaft, welche die konstitutionelle 
Freiheit zu niedriger Parteisucht und zu eigener Be- 
reicherung missbrauchte, konnte nicht anders, als durch 
ein Gewaltmittel aus der politischen Arena gedrängt 
werden. Hiezu war aber der jugendliche König, welcher 
zwar vor kaum einem Jahre den Muth gefunden hatte, 
die Vormundschaft der Regenten von sich abzuschütteln, 
doch nicht stark genug. Er berief daher seinen Vater 
zu sich, damit er ihn aus den Händen der radikalen Partei 
befreie, welche dem König nicht einmal mehr die Freiheit 
des Verkehrs mit allen Bürgern des Staates lassen wollten ; 
sich selbst aber das B>echt anmassten, die radikalen Wähler 
durch Steuernachlässe bei guter Laune zu erhalten. 

Das vom Könige Alexander und seinem Vater Milan 
gebildete neue Ministerium, an dessen Spitze der bisherige 
Gesandte am Wiener Hofe Simitsch berufen wurde, steht 
ausserhalb der Parteien und hat einzig die Aufgabe, den 
inneren und äusseren Frieden zu erb alten. 

Zur Erreichung dieses Zweckes appellirte Simitsch in 
der am 24. Jänner 1894 Nachmittags abgehaltenen Skupt- 
schina-Sitzung an alle Patrioten, sie mögen ihn an diesem 
Unternehmen unterstützen. 

Aber die Abgeordneten hörten nicht und wollten 
nicht hören; die massvolle Rede des Minister-Präsidenten 
wurde übertobt durch einen Tumult, welcher selbst in den 
parlamentarischen Annalen des Königreichs Serbien einzig 
dasteht, welchen aber der Vorsitzende selbst ruhig duldete, 
ohne einzuschreiten. 






- V - 

Hierauf folgte die Vertagung der Skuptschina und 
noch am selben Abende sollen die bäuerlichen Deputirten 
vom Stadtpräfekten die "Weisung erhalten haben, binnen 
24 Stunden Belgrad zu verlassen. — 

Es ist nicht zu leugnen, dass die königliche Gewalt 
mit sehr energischen Mitteln arbeitet, um ihr Prestige zu 
bewahren und den inneren Frieden zu erhalten. 

Ob dies aber gelingen und ob der jüngste Staats- 
streich ohne bedenkliche Wirren im Innern des Landes 
bleiben wird, das ist die Frage, welche bezüglich eines 
Landes, wo jeder Bürger, jeder Bauer, ja sogar jeder 
Soldat politisirt und wo Jedermann stolz auf seine parla- 
mentarische Freiheit ist, so ohne weiteres im günstigen 
Sinne nicht beantwortet werden kann. 

Vielmehr dürften uns schon die nächsten Wochen 
Nachrichten bringen über geheime Versammlungen, über 
Zusammenrottungen von bewaffneten Banden und endlich 
von blutigen Zusammenstössen mit den Tlegierungs-Truppen. 
Diese sind aber verhältnismässig sehr schwach , weil 
momentan doch nur die 15 Bataillone des stehenden Heeres 
thatsächlich der Regierungsgewalt zur Verfügung stehen, 
während die grosse Masse des Milizheeres in die Heimat 
beurlaubt ist und überdies grösstentheils ihre Waffen und 
Kriegsausrüstung bei sich zu Hause hat. 

Unter solchen Umständen ist es klar, dass eine Volks- 
erhebung in Serbien zu grossen Calamitäten führen könnte, 
welche von den übrigen Staaten und insbesondere in den 
angrenzenden Ländern eine empfindliche Beunruhigung 
hervorrufen müssten. 

Nachdem die obgeschilderten Vorgänge in Belgrad 
und die noch zu erwartenden Ereignisse die vollste Auf- 
merksamkeit aller Politiker und aller friedliebenden Völker 
Europa's auf sich zu lenken geeignet sind; so möge fol- 



- VI — 

gende, — vielfach auf persönliche Anschauung gegründete, 
— Beschreibung des jüngsten Königsreiches denjenigen 
Lesern zur Orientirung dienen, welche sich in diesem 
kritischen Momente über die Hilfsquellen des Landes und 
über die ziemlich klar zu Tage liegenden Bestrebungen 
des Volkes von Serbien Klarheit verschaffen wollen. 

Das von der Natur reich bedachte Serbien ist über- 
haupt ein ganz merkwürdiges und hochinteressantes Land! 

Zahlreich waren die von mir erlebten üeberraschungen, 
als ich mich vor zwanzig Jahren im Innern des damals 
noch der Pforte tributpflichtigen Fürstentums Serbien, 
während eines Zeitraumes von mehreren Monaten, aufhielt. 

Das Erstaunen über das dort Erlebte, war ebenso gross, 
als die Verwunderung darüber, dass man in West-Europa 
die riesigen zivilisatorischen Fortschritte dieses an der 
Schwelle des apathischen Orientes gelegenen Ländchens 
damals gar so wenig kannte. 

Ist es etwa nicht staunenswerth, dass in diesem jungen 
Staate die Volks-Schuliehrer nicht Angestellte der Dort- 
gemeinden, sondern thatsächliche Beamte des Staates mit 
sehr ansehnlichem, fixen Gehalte und mit dem Ansprüche 
auf eine gesetzlich festgesetzte Alters- Versorgung sind? 
dass femer die Schulen auf dem Lande insgesamt vom 
Staate erbaut sind, sowie dass dieselben, nebst den Lehr- 
zimmern und der geräumigen Lehrers-Wohnung, in vielen 
Fällen auch noch Räumlichkeiten enthalten, für eine Art 
von Pensionat, welches für jene Schulkinder bestimmt ist, 
die wegen zu grosser Entfernung ihrer elterlichen Woh- 
nungen, oder wegen der dahin führenden schwierigen 
Wege, wie dies bei den aus einzelnen Gehöften bestehenden 
Dorfgemeinden im Gebirge sehr häufig der Fall ist, — 
nicht täglich zur Schule kommen könnten?! — 

Dass hiedurch das Budget für Volks- Aufklärung ein 



- vn - 

so hohes geworden ist, dass es nun schon nahezu den 
zehnten Theil der gesamten Ausgaben das Staates beträgt, 
kann nach dem Vorangeführten wohl Niemanden wundern. 

Einzig ist im Lande auch der absolute Mangel von 
grossen Grundbesitzern und Adeligen, wesshalb Serbien that- 
sächlich ein vollkommen ^demokratischer Staat^ ist. 

Ist es ferner nicht höchst interessant, zu hören, dass 
man schon vor zwanzig Jahren wohlhabende Bauern in 
der „Schupa", einem furchtbaren Landstrich südlich von 
Kruschewatz, antreffen konnte, welche zwei Belgrader 
Tageblätter abonnirten? 

Die vollste Bewunderung verdient jedoch die That- 
sache , dass der Wirth des Strassen - Wirthshauses in 
Arilje, bei m'einer Ankunft in seiner Veranda bei der 
Lektüre einer serbischen Ueber Setzung der „Taktik von 
Perizonius" überrascht wurde! Allerdings stellte sich 
dieser Mann alsbald als Hauptmann und Batterie-Comman- 
dant der Miliz- Artillerie vor. 

Ausser diesen Erlebnissen, muss noch manches Andere 
in diesem äusserst interessanten Lande unser vollstes Er- 
staunen hervorrufen. 

Es scheint fast unglaublich, aber dennoch ist es nur 
zu gewiss, dass all' diese Thatsachen selbst den gebildeten 
Kreisen unserer westeuropäischen Gesellschafb nur zum 
allergeringsten Theile bekannt sind. 

Darum muss noch einmal wiederholt werden, dass es 
nicht nur für Staatsmänner, Militärs und Gelehrte ; sondern 
für jeden Gebildeten überhaupt, der sich um die euro- 
päische Staaten-Politik nur einigermassen interessirt, ge- 
radezu ein Gebot der Nothwendigkeit ist, sich über die 
Verhältnisse des fortgeschrittensten der jungen Balkan- 
Staaten eingehender zu orientiren. 



Einleitung. 



Es wäre ungereclit ein Land darum ungünstig zu be- 
urtheilen und zum mindesten sehr voreilig, über dessen 
Zukunft deshalb den Stab zu brechen, weil es durch innere 
Parteikämpfe zeitweilig beunruhigt wird oder weil einige 
ehrgeizige Streber die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt 
auf sich lenken wollen. 

Derlei innere Krisen sind gewissermassen nur die 
Kinderkrankheiten, welche jeder junge Staat ausnahmslos 
durchmachen muss. Wenn nur das Lebensmark des Staats- 
körpers, nämlich der Kern des Volkes gesund ist, dann 
werden diese Krisen gewiss, ohne bleibende Schädigung 
des Organismus, vorübergehen und ebenso heilsam, kräf- 
tigend und reinigend wirken, wie die Gewitter die von 
Miasmen geschwängerte atmosphärische Luft reinigen. 

Das Land Serbien ist reich, — sehr reich an Natur- 
schätzen aller Art und die grosse Masse der Bevölkerung 
ist physisch, geistig und moralisch gesund, — ja kern- 
gesund und lebt in ausgezeichneten materiellen Verhält- 
nissen. 

Somit sind alle Gnmdbedingungen vorhanden für ein 
solid basirtes und glückliches Staatsleben. 

Die Summe der geistigen, moralischen und materiellen 
Reichthümer, des durch den Einfluss westeuropäischer 
Sitten noch wenig veränderten serbischen Volkes garantirt 
dem jungen Königreiche eine gesicherte Zukunft. 

Anton Tnma, Serbien. 1 



— 2 — 

In seiner vollsten EigenthümliclLkeit lernen wir den 
Serben, trotz der sichtlicli fortschreitenden allgemeinen 
Bildung, in den inneren Theilen des Landes zwischen den 
Bergen nnd Wäldern kennen. 

Die Bewohner der Städte haben sich, durch den 
doppelten Einfluss, ehemals der türkischen Sitten und jetzt 
des westeuropäischen Luxus, sichtbar verändert. Nur die 
Bewohner des Linem und insbesondere jene der von der 
Donau und der Eisenbahn entfernteren Gebirgsthäler haben 
den Typus der serbischen Nationalität in vollster Beinheit 
erhalten. 

Der Grundzug des serbischen Volkes ist eine geradezu 
exaltirte Liebe zur Unabhängigkeit, weshalb die Serben 
des Königreiches, welche keinen Adel und keine Grund- 
herrschaft kennen, mit gutem Grund die demokratischeste 
Nation des Orients und vielleicht ganz Europa's genannt 
werden können. Jeder Beisende, der die politischen Ver- 
hältnisse und das soziale Leben in Serbien aufmerksam 
betrachtet, bekommt unwillkürlich den Eindruck, dass 
dieser Staat eine rein demokratische Bepublik sei, an 
dessen Spitze sich jedoch statt eines Präsidenten, ein König 
befindet. 

Diese Eepublik unterscheidet sich jedoch von der 
europäischen Demokratie wesentlich dadurch, dass sich der 
Serbe freiwillig dem Oberhaupte jener Familie unterordnet 
welcher er angehört, ein Umstand, welcher die Organisation 
von grösseren Gemeinden wesentlich erleichtert und solid 
begründet. 

Die so eifersüchtig gehütete Gleichheit aller Bürger 
des Staates manifestirt sich aber nicht darin, dass sich die 
Serben alle färifgeringwerthig oder unedel halten ; sondern 
sie glauben vielmehr, dass sie alle Edelleute in gewissem 
Sinne sind. Deshalb lehnten sich auch die Serben gegen 
jedes Joch, das ihnen je aufgezwungen wurde, stets auf 
und wurden Rebellen. 



— s — 

Die Energie des Serben erwacht nicht plötzlich; viel- 
mehr vollführt er die schwierigsten üntemehmnngen ohne 
änsserlich besonders wahrnehmbare Gemüthsbewegang und 
scheinbar mit dem grössten Gleichmuthe. 

Die Serben sind eher gross als klein, breitschultrig, 
selten beleibt, deren Augen zumeist ausdrucksvoll, die 
Nase und überhaupt das Gesichtsprofil scharf geschnitten, 
die Haare sind meist braun, oft auch blond, aber nur 
selten vollkommen schwarz. Die serbischen Land- und 
Gebirgsbewohner tragen nur Schnurrbarte, wogegen die 
griechisch-orientalische Geistlichkeit nur Vollbarte trägt. 

Sowohl Männer als Frauen tragen als Kopfbedeckung 
den rothen Fez, wovon natürlich die Bewohner der Städte 
eine Ausnahme machen, weil dort schon die europäischen 
Trachten nach und nach Eingang finden. 

Auf dem Lande würde vor zwanzig Jahren ein Jeder 
ausgelacht und verspottet worden sein, wenn er es gewagt 
hätte einen „Scheschir^ (Hut) aufzusetzen. 

Die Serben sind ein sehr aufgewecktes und intelligentes 
Yolk von rascher Auffassung, weshalb auch die Hebung 
der allgemeinen Bildung im Lande rasche Fortschritte 
macht. 

Die kriegerischen Tugenden der Serben, insbesondere 
der Gebirgsbewohner sind bekannt und wurden selbst von 
den Byzantinern gerühmt, welche die Slaven immer sehr 
strenge beurtheilten. Bei den Bewohnern der Städte und 
bei den besonders gutsituirten Landleuten in den frucht- 
baren Ebenen macht sich allerdings eine gewisse Ver- 
weichlichung bemerkbar; auch kann von einer strammen 
Disziplin im Heere im westeuropäischen Sinne wohl nicht 
die Rede sein, bei einem Volke von Demokraten, wo sich 
alle Staatsbürger für absolut gleich halten. 

Die grosse Masse der noch unverfälschten Serben ist 
aber im weitesten Sinne des Wortes vollkommen kriegs- 
tüchtig. 

Der Serbe ist massig, ausdauernd in Ertragung von 

1* 



— 4 — 

Strapazen jeglicher Art, mnthig und unersohrooken ; dabei 
beseelt von einer schwärmerischen Liebe zu seinem Vater- 
lande und erfüllt vom glühendsten Hasse gegen die Türken, 
die grausamen Bedrücker seiner Voreltern. Der Ausdruck 
„Turek" (Türke) gilt als ein stärkeres Schimpfwort als das 
Wort „Haiduk" (BÄuber) ; während der Ausdruck „Schwaba** 
(Deutscher) nur eine gewisse Missachtung, vereint mit 
geringschätzendem Bedauern für die damit bezeichnete 
Person bedeutet. 

Der Krieg bringt dem unverfälschten Serben des Ge- 
birges in seiner gewohnten Lebensweise fast gar keine 
Veränderung, denn sein Alltagsleben gleicht ohnehin schon 
jenem eines Kriegers im Felde. Er trägt stets seine kurzen 
Waffen (Handschar und Pistolen) im GHirtel; hingegen auf 
längeren Beisen — und in den an die Türkei grenzenden 
Landstrichen nimmt er selbst bei EIrchengängen sein ge- 
ladenes Gewehr zu sich. Er lebt von der einfachsten Kost 
und schläft im Sommer und im Winter auf der Erde oder 
am Fussboden seiner „Kutscha^ (Behausung), den er mit 
einer Strohmatte, oder im besten Falle mit einem Teppiche 
belegt. 

Aus solchem Materiale lassen sich leicht gute Soldaten 
machen ; nur muss die Disziplin mit ganz anderen Mitteln 
gehandhabt werden, als dies in den grossen europäischen 
Heeren der Fall ist. Aus diesem Grunde verstehen sich 
auch fremdländische Offiziere und Truppenführer nur in 
den seltensten Fällen die nöthige Autorität, am aller- 
wenigsten aber Beliebtheit zu verschaffen. 

Der demokratische Sinn ist selbst im Milizheere 
Serbiens so stark ausgebildet, dass der gemeine Soldat sich 
von seinem Offizier nur sehr ungern als Bursche verwenden 
lässt. Vor zwanzig Jahren war es den Offizieren der 
stehenden Armee, geradezu verboten, sich von einem ihrer 
Soldaten bedienen zu lassen; sie mussten sich vielmehr 
von dem hiefur eigens zugewiesenen Geldbetrage, — einen 



— 5 — 

Civil-Diener halten, was dann in der Begel zwei bis drei 
Offiziere gemeinsam thaten. 

Es ist leicht begreiflich, dass in einem so veranlagten 
Yolke der Radikalismus wohl tiefe Wurzeln fassen konnte. 

Obwohl, nach alter orientalischer Sitte sehr gast- 
freundlich, ist der Serbe doch sehr sparsam und auf seinen 
Vortheil immer bedacht. 

Dass der serbische Bauer jenem Skupschtina-Candidaten 
lieber seine Stimme giebt, der ihm eine grössere Gemeinde- 
Autonomie und insbesondere eine bedeutende Verminderung 
der Steuern verspricht, als einem anderen, ist wohl selbst- 
verständlich. Mit diesen Mitteln arbeitete aber bisher und 
zwar mit recht gutem Erfolge, die, nunmehr vom Staats- 
ruder entfernte, radikale Partei. 

Nachdem aber der Radikalismus, welcher solche Vor- 
theile in Aussicht stellte, bei dem seine Paras (Heller) 
sorgsam zusammenhaltenden Landvolke Serbien's begreif- 
licher Weise sehr viel Anklang gefunden haben dürfte ; so 
ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich der grösste Theil 
desselben nach dem jetzigen Staatsstreiche, in dem der 
königlichen Regierung feindlichen Lager der Radikalen be- 
finden dürfte. 

Dagegen könnte nur eine Aufklärung der Massen und 
eine weise Mässigung seitens der Regierung helfen, um 
dem sonst drohenden Ausbruche blutiger Wirren im Inneren 
des Landes vorzubeugen. 

Sollten aber die Letzteren nicht vermieden werden 
können, dann würde dies für die Dynastie Obrenovich 
leicht eine Existenzfrage bedeuten. 

Die Sitten und Gebräuche der Serben erinnern in 
vielen Punkten an das, was uns über das häusliche und 
gesellschaftliche Leben im klassischen Griechenland über- 
liefert worden ist. 

Auch diese findet man in den Gebirgsthälem, weit ab 
von den grossen Pulsadern des Verkehres, primitiver und 



- 6 — 

reiner erhalten, als in den Städten längs der Eisenbahn 
und an der Donau. 

Wir sagten schon, dass eine der schönsten Sitten 
aller Südslaven die im ganzen Oriente geübte Gastfreund- 
schaft ist. 

In Serbien bietet der Hausherr dem Fremden den 
Ehrenplatz an seinem Heerde an, er fragt ihn über Dieses 
und Jenes um Eath und bleibt seinem Q-aste vollkommen 
zur Verfügung. 

Alsbald nach der ersten Bewillkommnung wird dem 
Gaste in einem mehr oder weniger werthvollen Kristall- 
Gefässe das „Slatko" (eingekochte Früchte) und ein Glas 
"Wasser zur Erfrischung gereicht; kurze Zeit später folgt 
schwarzer, auf orientalische Art bereiteter, Kaffee und ein 
Gläschen „Slivowitza*^ (Pflaumen-Branntwein). In der 
Begel reicht diese Erfrischungen die Hausfrau persönlich 
herum und will häufig genug, — nach hergebrachter morgen- 
ländischer Sitte, — dem Gaste ihres Gatten bei der ersten 
Begrüssung die Hand küssen. 

Diese Volkssitte und der weitere Umstand, dass die 
Frau an dem Gespräche der Männer nicht theilnehmen 
darf, sondern sich nach der erwähnten ersten Bewirthung 
des Gastes wieder aus dem Gemache entfernen muss ; dies 
Alles berührt den Westeuropäer sehr peinlich. 

Die Kinder hingegen dürfen sich dem Fremden nähern 
und sind sehr zutraulich. 

Im scharfen Gegensatze zu dieser Behandlung der 
Frauen steht das Benehmen des Serben gegenüber den- 
jenigen Personen, die bei ihm Dienste leisten; wobei aber 
wie schon früher erwähnt, — bemerkt werden muss, dass 
die einheimischen Serben sich in der B»egel nie als Knechte 
oder sonstige Diener verdingen. 

Beinahe alle Dienstleute der Städtebewohner, Hotels 
u. dgl. sind ungarische oder auch österreichische Staats- 
angehörige. 

Der Orientale — und die Masse des serbischen Volkes 



— 7 — 

ist nocli stark orientalisch — nennt unsere Art die Dienst- 
leute zu behandeln, Tyrannei und kann absolut unsere 
Theilung in G-esellschafbsklassen nicht begreifen. 

Thatsächlich ist in diesem Lande, wo jeder Bauer mit 
dem Minister auf dem Fusse voller Gleichheit verkehrt, 
diese patriarchalische Einrichtung ganz am Platze. 

Die Mahlzeiten werden dem G-aste in der Begel auch 
nur in Gegenwart der männlichen Mitglieder der Familie 
(Zadruga) aufgetragen; wobei noch häufig die Schüsseln 
auf einer etwa fünfzehn Centimeter hohen Tischplatte auf 
den Fussboden gestellt werden, worauf sich die Tischge- 
nossen rings um dieselbe mit unterschlagenen Beinen 
niederlassen. 

Getrunken wird nur vor der „Kissela tschorba** (Eine 
stark mit rothem Pfeffer versetzte dicke Kahm -Suppe, 
welche Stücke von Schaf- und Ziegenfleisch enthält) und 
zwar ein Gläschen Sliwowitza und sodann am Schluss der 
Mahlzeit, wo meist feuriger serbischer Wein (rother aus 
der Gegend von Njegotin oder aus der Zuppa, südlich 
Kruschewatz) kredenzt wird. — Während des Essens trinkt 
der Serbe nicht. 

Betten findet der Fremde beim Landbewohner nicht; 
dagegen haben aber die Meisten eine Art Prunkgemach 
mit einem längs den Wänden fortlaufenden Divan, auf 
welchem sich der Gast zur Buhe niederlegt. 

Wenn man auf seiner Beise die vom Staate erhaltenen 
Chausseen nicht verlässt, so findet man in den auf je 
6 bis 8 Kilometer von einander entfernten „Mehanen^ 
(Strassen- Wirthshäusem), welche bezüglich ihrer Reinlich- 
keit und der behördlich festgesetzten Tarife streng über- 
wacht sind, ein reinliches Bett nach abendländischer Art 
und eine Table d'hote, bei welcher in der ßegel der Wirth 
selbst den Vorsitz führt. 

Man kann in solchen Mehanen nach drei Klassen 
wohnen und sich verpflegen. Vor zwanzig Jahren kostete 
eine solche Pension per Tag und Nacht etwa 10 bis 12 



— 8 — 

^Grusohi" (türkisolie Piaster zu 10 Kreuzer Oe. WOi somit 
beiläufig 1 bis 1^/^ Gulden oder rund 2 Mark, beziehungs- 
weise 3 Franken. 

Damals waren wohl noch sehr billige Zeiten; aber 
selbst wenn sich die Preise seither verdoppelt haben sollten, 
so wäre das Beisen im Innern des Landes noch immer aus« 
nehmend billig zu nennen. 

Die Sitten und G-ebräuche sind in der Ilegel im 
innigsten Zusammenhange mit der Beligion des Volkes; 
häufig aber — und dies gilt insbesondere von den so lange 
von der civiKsirten Welt abgeschlossenen Südslaven — 
findet man noch zahlreiche TTeberreste altslavischer und 
altgriechischer G-ebräuche bei denselben. 

Im Allgemeinen haben die dem Naturzustande des 
Menschen noch viel näher als andere europäische Völker 
gebliebenen Gräko-Slaven in ihren Sitten noch viele Spuren 
des antiken Lebens behalten; desgleichen besitzen sie viel 
primitive Poesie und huldigen sehr dem Aberglauben. 

Der Glaube an den Talisman ist ein fast allgemeiner. 

Die Slaven tragen häufig in ihren Taschen rothen 
Pfeffer, um sich vor dem „bösen BUck« zu bewahren. Aus 
diesem Grunde soll es ehemals den Gyaurs (Christen) in 
den türkischen Provinzen auch verboten gewesen sein, die 
ottomanischen Fahnen und Standarten zu betrachten. 

Es ist selbstverständlich, dafs im theokratischen Oriente, 
wo die Beligion noch immer die Basis der Sitten geblieben 
ist, alle Nationalfeste zugleich kirchliche Feste sind. Die 
grössten dieser Festtage sind das Weihnachts-, das "Wasser- 
weihe- oder Jordans- und das Oster- oder Auferstehungs- 
Fest. 

Während der sogenannten heiligen Woche hören aUe 
Feindseligkeiten auf. 

Am Dienstag nach Ostern begeben sich alle Gläubigen 
auf die Begräbnissstätten. Man beleuchtet die Gräber mit 
Kerzen und Lämpchen und der Tag vergeht mit Trauer- 
gebeten, welche mit laut klagender Stimme gesprochen 




— 9 — 

werden. — Abwechselnd mit den Gebeten werden den 
Verstorbenen oft sehr ezaltirte Lobreden gehalten; indem 
man Alles, was sie bei Lebzeiten gethan haben, laut an- 
preist — und um ihr edles Blut fortzupflanzen, sucht man 
dementsprechende eheliche Verbindungen anzuknüpfen. 
Zum Schlüsse werden thatsächKch zahlreiche Heirathen 
und sogenannte „Probratstwo's (Brüderlichkeiten) be- 
schlossen. 

Diese letztere Grepflogenheit, welche in ganz Europa 
nur die christlichen Slaven und Griechen der Balkanhalb- 
insel beibehalten haben, beateht darin, dass man jene 
Person, für die man eine besondere freundschaftliche Zu- 
neigung fühlt, bei solch' feierlichem Anlasse vor Zeugen 
als Bruder oder Schwester gewissermassen adoptirt. Während 
der hierbei stattfindenden Ceremonie, bei welcher der Priester 
ähnlich wie bei einem Ehebündnisse den Segen spendet, 
reichen sich die beiden Freunde, über dem Grabe des Vaters 
eines der Beiden, die Hände und schmücken sich das ent- 
blöfste Haupt mit einem Kranz aus frischen Blättern. 
Nach beendeter Ceremonie besiegeln Beide das freiwillig 
geschlossene Bündniss mit einem Kusse ; wodurch nun der 
Eine dem Andern: „Pobratim** — etwa Adoptiv- oder 
Wahl-Bruder wird, während die Eltern des anderen Theiles : 
„Pootschim" und '„Pomaika" — Adoptiv-Vater und -Mutter 
werden. 

Die so vor Gott und den Menschen verbundenen 
„Pobrati" sind verpflichtet, sich mit all' ihren Mitteln und 
Kräften bei jeder Gelegenheit zu helfen und beizustehen, 
und zwar für die Dauer eines Jahres; wonach dasselbe 
Freundschafbsband erneuert wird; falls man es dann nicht 
vorzieht, der Adoptiv-Bruder eines Anderen zu werden. 

Dieses freiwillig geknüpfte Freundschafbsband ist dem 
Serben so geheiligt, dass er beispielsweise zur Bekräftigung 
irgend einer Aussage nicht höher zu schwören weiss, als 
auf seinen Adoptiv-Bruder und auf die Freundschaft und 
Liebe, die er für ihn hegt. 



— 10 — 

In yerschiedenen Gegenden Grieclienlands hat diese 
Institution der Adoptiv-Bruderscliafb (Syn-adelphotis) einen 
noch viel ritterlicheren Charakter und verbindet die Beiden 
auf Leben und Tod. Sie garantiren einer dem Anderen 
unter allen Umständen Gut und Leben und werden unzer* 
trennlich, wie einst Orestes und Pylades. 

Der Aberglaube ist im serbischen Volke noch sehr 
stark verbreitet. Zahlreiche Legenden existiren von Seelen, 
welche verdammt sein sollen nach dem Tode noch auf der 
Erde umher zu irren, um ihre Sünden abzubüssen und dass 
sich diese irrenden Seelen zeitweise wieder begraben 
lassen, um dann als „Yukodlak^ (eine Art Vampir) im 
Grabe weiter zu leben. — Der „Vukodlak" soll in seinem 
Grabe mit offenen Augen schlafen, den Blick nach einem 
Punkte fixiert; wobei ihm die Nägel und die Haare wachsen 
und heisses Blut seine Adern durchströmt. 

Während der Vollmondsnächte verläfst der Vukodlak 
sein Grab und saugt den Lebenden das Blut aus. 

Sobald ein Verstorbener im Verdachte steht, in dieser 
Weise sein Grab zu verlassen, so wird er feierUch exhumirt. 
Wenn an dem Leichname die Fäulniss sichtbar ist, so 
begnügt sich der Pope, ihn mit Weihwasser zu bespritzen, 
wenn er dagegen roth oder gar blutig ist, wird er be- 
schworen und abermals begraben. Damit er seinen Sarg 
aber nicht wieder verlassen könne, wird ihm ein Pfiebhl 
oder grofser Nagel durch die Brust geschlagen. 

In älteren Zeiten durchlöcherten die Serben einem 
solchen Todten den Schädel mit Flintenkugeln und ver- 
brannten häufig auch noch Jessen Leichnam. Heutzutage 
hat man im Allgemeinen auf diese grausame Bache ver- 
zichtet; auch ist sie vom Gesetze streng untersagt. Nichts- 
destoweniger lebt aber der Glaube — oder vielmehr Aber- 
glaube — vom Vukodrak nicht nur im Landvolke, sondern 
auch in manchen Städten fort. 

So sahen wir in der Stadt Valjevo an einem schönen 
Maitage des Jahres 1874 das Leichenbegängniss eines er- 



— 11 — 

wachsenen, hübschen Mädchens an unseren Fenstern vor- 
beiziehen. Voran schritten vier Leidtragende, welche den 
abgehobenen Sargdeckel tragen, während weiter rückwärts 
im Zuge die Leiche im offenen Sarge, und zwar derart 
tief gesenkt getragen wurde, dafs deren wachsbleiche 
regelmässigen Gesichtszüge von Jedermann gesehen werden 
konnten. Auf unsere Frage, warum man den Sarg nicht 
verschlossen zum Friedhof trage, antwortete uns ein 
hochgestellter Würdenträger, dass dies zur Beruhigung der 
Bevölkerung geschehe ; damit sie sehe, dass die Verstorbene 
thatsächlich todt sei und nicht mehr auferstehen könne. 
— Es seien zwar die Begräbnisse bei offenem Sarge schon 
gesetzlich untersagt ; man dulde aber diese althergebrachte 
Sitte noch in manchen Gegenden, um das Volk nicht zu 
irritiren, welches noch immer an die Existenz des „Viüko- 
drak" (Vampyr) glaubt. 

Ein sehr populäres Fest ist jenes des heiligen Georg, 
gegen Ende April. Dieser Heilige gilt als der Schutzpatron 
aller slavischen Stämme und als Beschützer der Boden- 
kultur. 

Am Vorabende des Georgfestes pflücken die verhei« 
ratheten Frauen Frühlingskräuter und werfen sie in das 
Wasser, welches sie unter dem Eade einer Mühle geschöpft 
haben, weU sie das Bad als Symbol des vollendeten 
Glückes betrachten. 

Am nächsten Tage waschen sie sich bei Anbruch der 
Morgenröthe mit diesem Wasser, dann befestigen sie sich 
frische Bouquets im Gürtel und einzelne Blüthen hinter 
den Ohren. So geziert begeben sie sich in die Kirche. 

Am Morgen des Georgfestes läfst auch jeder Familien- 
vater vor seiner Hausthüre das Blut eines frischgeschlach- 
teten Lammes fliessen, worauf das im Ganzen am Spiesse 
gebratene Lamm beim feierlichen Mittagsmahle gemeinsam 
verzehrt wird. 

Von diesem Tage an^ pflegt der serbische Landmann 
in der Begel nur mehr vor seinem Hause, entweder unter 



— 12 — 

seiner Veranda (Tschardak) oder auch ganz nnter freiem 
Himmel zu schlafen. 

In seinen Angen i8t|'|der vom heiligen Bitter G-eorg 
getödtete Drache thatsächlich der nunmehr überwundene 
düstere und eisige Winter. 

Auch finden am Georgsfeste Volksfeste im Freien statt 
und in früherer Zeit wurden an diesem Tage bei den freien 
slavischen Stämmen der Türkei die grossen Nationalver- 
sammlungen abgehalten. 

Man versammelt sich in der B.egel bei einem besonders 
berühmten Kloster oder auch nur bei einer Kirche. Oft 
strömt das Volk, insbesondere die Händler, aus einer Ent- 
fernung von 50 bis 60 Wegstunden herbei. 

Der erste Tag ist .dem Festgottesdienste gewidmet; 
der Anfang und das Ende der feierlichen Handlung wird 
durch Gewehrsalven verkündet. Man bringt die Nacht im 
Freien rings um das Kloster zu; man betet, beratschlagt 
sich mit den „Komschia's" (Nachbarn) aus der Feme, die 
Jugend tanzt und ausserdem besingt das Volk zwei Dinge, 
welche sich der Orientale nicht von einander getrennt zu 
denken vermag, nämlich: „Gott und das Vaterland." 

Allerdings geht auch die Sliwowitz-Flasche fleissig 
von Hand zu Hand ; auch werden ganze 3chafe oder Ziegen 
im Freien am Spiesse gebraten und von der auf dem Basen 
sitzenden Gesellschaft verzehrt. Die meist in der Nahe 
befindlichen Friedhöfe werden stellenweise mit kleinen 
Fähnchen oder auch nur mit farbigen Tüchern geschmückt; 
und um gleichsam die trauernden Manen zu erfreuen, 
fuhrt man über ihren Gräbern verschiedene Spiele auf. 

Unterdessen diskutieren die Greise über Politik und 
verschiedene andere Dinge. Das Tanzvergnügen besteht 
hauptsächlich in der Aufführung des „Kolo^-Tanzes (Ejreis- 
Tanz), wobei die Tänzer ihren Nachbarn vorne beim Gürtel 
halten und bei der Fortbewegung des Kreises immer mehr 
Tänzer und Tänzerinnen mit sich fortreissen. Der Kolo- 



— 13 — 

Tanz soll ein nur wenig veränderter National-Tanz der 
alten Athener sein. 

An einer anderen Stelle sitzt in irgend einer Mauer- 
Ecke oder an einem Baume ein alter Sänger von Helden- 
Liedern, welcher seinen Gesang durch die monotonen 
Erlange seiner ^G-usla^ (eine Art Geige mit meist nur einer 
Saite) begleitet. 

Diese Gesänge verherrlichen am häufigsten die Helden- 
thaten des Kraljewitsch Marko (Königssohn Markus) oder 
sie handeln von den Erlebnissen irgend eines Haiduken. 

Die Haiduken sind dasselbe, was die Ellephten in 
Griechenland sind. Eigentlich !Räuber, sind sie aber doch 
bei ihren eigenen Landsleuten sehr populär, weil sie zur 
Zeit der Türkenherrschaft die Bedrückten gegen ihre oft 
sehr grausamen Zwingherren in Schutz nahmen und zum 
Zweck ihres Lebensunterhaltes meist nur die Türken oder 
fremde Beisende ausplünderten. 

Aus diesem Grunde war es der osmanischen Polizei 
selten möglich, der Haiduken habhaft zu werden, weil diese 
im eigenen Landvolke stets Helfershelfer und Kund- 
schafter fanden, die sie rechtzeitig vor der Gefahr warnten. 

Noch heutzutage finden sich in den felsigen Schlupf- 
winkeln des südwestlichen Grenzgebietes, wo sich das viel- 
besungene, herrliche Alpen-Plateau des „Zlatibor" aus- 
dehnt, einzelne Haiduken vor, welche — auf ihre Popu- 
larität beim Landvolke bauend — mitunter sich direkt an 
den König wenden, um in den Kreis ihrer Mitbürger 
wieder frei und ungehindert zurückkehren zu dürfen. Ein 
ähnlicher Fall widerfuhr vor nicht langer Zeit dem jungen 
Könige Alexander, als er die Gegenden des „Zlatibor" 
bereiste; indem ein bis an die Zähne bewaffneter Mann 
plötzlich an seinen Wagen trat, sich als „Haiduk" zu er- 
kennen gab und um die königliche Bewilligung zur freien 
Eückkehr in sein Heimathsdorf bat. 



P?^^:^'" 







I. Kapitel. 

Knrzgefasste, geschiclitliclie üebersichi, — Befreiung yom 
Tfirkeigoehe, — Fürst Milosch, — Earagjorgjerics, — 

Kihail^ — Milan nnd Alexander. 



Zu Anfang unserer Zeitrechnung bildete das heutige 
Serbien die kurz vor Christi Geburt unterworfene Provinz 
Moesia superior. Es entstanden schon damals mehrere 
Städte längs dem Donaustrome und dem Morawaflus&e, 
welche bald zu Wohlstand gelangten. 

Während der Völkerwanderung überzogen nacheinander 
die Hunnen, Ostgoten und Longobarden das Land. 

Im Jahre 550 gelangte es unter die Herrschaft des 
byzantinischen Kaisers Justinian; worauf bald die Avaren 
das Land verwüstend durchzogen und es zu einer Einöde 
machten. 

Die heutigen Serben wanderten in diesen ganz ver- 
wüsteten Landstrich erst um das Jahr 638 ein und von 
ihnen erhielt dieses Gebiet den Namen Serbien, welches 
damals auch Bosnien, Hercegovina, Montenegro und Alt- 
serbien in sich begriff. 

Die Serben erkannten die Oberhoheit der oströmischen 
Kaiser an und bekehrten sich schon im achten Jahrhunderte 
zum Christenthum. Ihr Oberhaupt hiess Ober- oder Gross- 
Zupan, später Zar und längere Zeit auch Kral (König) 

Gegen Ende des neunten Jahrhunderts bemächtigten 



— 16 — 

sioh mehrere Male die Bulgaren der Herrschaft in Serbien, 
wurden aber stets wieder vertrieben. 

Die zeitweise errungene Selbständigkeit Serbiens wurde 
im Jahre 934 durch die Oströmer wieder gebröchen, worauf 
das Land abermals den byzantinischen Elaisem gehorchte; 
bis „Stephan Dobroslaw" im Jahre 1043 die Unabhängig- 
keit des Landes errang und auch die anderen Zupane 
unterwarf. 

Sein Sohn Michael (regierte von 1050 bis 1080) nahm 
den Titel eines Krals (Königs) von Serbien an und liess 
sich denselben vom Papste Gregor VII. bestätigen. 

Kriege mit Byzanz und innere Streitigkeiten ver- 
nichteten darauf das blühende Land bis sich im Jahre 1165 
„Stephan Nemanja/ nach abermaliger Befreiung vom 
byzantinischen Joche, zum Fürsten der Serben aufschwang. 
Derselbe begründete die Dynastie der „Njmaniden,** welche 
das damals G-ross-Zupanie „Bascia^ und erst später „Ser- 
bien^ genannte Beich durch zwei Jahrhunderte zu grosser 
Macht und Ansehen brachte. 

„Stephan Duschan" (1331 — 1335) war nicht nur der 
grösste Herrscher .dieser Dynastie, sondern der berühmteste 
aller serbischen Herrscher überhaupt. Ihm gehorchten 
auch Makedonien, Albanien, Thessalien, Nordgriechenland 
und Bulgarien. 

„Stephan Duschan^ nahm 1346 den Titel eines „Zar^ 
(Kaiser) an, liess sich als solcher krönen und gab seinem 
Beich eine vortreffliche Organisation. Er sicherte in seinem 
1349 erlassenen Gesetzbuche Freiheit, Leben und Eigen- 
thum der Einwohner und begünstigte die Wissenschafb 
und den Handel. 

Während er sein grosses Beich in Statthalterschaften 
abtheilte, die er den Mächtigsten unter seinem Volke an- 
vertraute , vertheilte sein schwächerer Sohn Urosch V 
förmlich das Land unter diei Fürsten, welche sich bald 
ganz unabhängig machten ; wodurch die Macht des Serben- 



— 17 — 

Beiches gebrochen wurde. Auf diese Art verlor Serbien 
die Herzegowina im Jahre 1362. — 

In Serbien hört man sehr viel von dem grossen Kaiser 
„Duschan^ sprechen. Ueber diesen wichtigen Abschnitt 
der serbischen Geschichte hat Borchgrave vor Kurzem 
eine Studie geschrieben, der wir folgendes entnehmen. 

„Stephan Duschan," der neunte Herrscher aus der 
Dynastie der Niemaniden, wurde 1308 in Skutari ge- 
boren. Sein Vater war der König Stephan Detschanski 
und seine Mutter Smilia die Tochter des Königs von 
Bulgarien. Noch als Prinz im Alter von 22 Jahren griflf 
Stephan Duschan im Jahre 1330 seinen nahen Verwandten, 
den König Michael von Bulgarien an und besiegte ihn 
vollständig ; weil dieser seine Frau Anna, Duschan's Tante, 
Verstössen hatte, um die Schwester des byzantinischen 
Kaisers Andronikus III. Paläologus heirathen zu können. 

Seinem eigenen Vater Stephan Detschanski warf er 
vor, dass er sich zu sehr um die Gunst des byzantinischen 
Hofes bewerbe; weshalb ihn Duschan entthronte. 

Bald darauf wurde der in einem festen Platze ge- 
fangen gehaltene Vater meuchlings ermordet , jedoch 
soll dies ohne Wissen seines Sohnes Duschan geschehen 
sein, während eine andere Partei wieder behauptete, dieser 
habe den Befehl hierzu gegeben. 

Am 8. September 1331 wurde Stephan Duschan ge- 
krönt und nun begann er das von seinem Grossvater Militun 
Nemanja geträumte Ideal zu verwirklichen, nämlich die 
verschiedenen Völkerschaften der Balkanhalbinsel unter 
seinem Scepter zu vereinigen, um hierauf die griechischen 
Kaiser zu verjagen und sich sodann selbst die Krone des 
neuen morgenländischen Bleiches in Byzanz aufzusetzen. 

Er hatte schon alle von Serben bewohnten Gebiete, — 
mit Ausnahme von Bosnien, — in seinem Besitze. 

Er bildete die Centralgewalt, die Ordnung und Sicher- 
heit ermöglichten in seinem Staate eine Entwicklung, die 
der gleichzeitigen des Abendlandes kaum nachstand. 

Anton Tuma, Serbien* 2 



— 18 — 

Die Schwester des neuen Königs von Bulgarien Helene, 
wurde die Frau Duschan's und mit ihr erwarb er sich die 
bulgarische Bundesgenossenschaft, welche während seiner 
25 jährigen Regierung nur einmal getrübt wurde. 

Nun wendete er sich mit bewafineter Hand gegen 
das byzantinische Reich, welches zu jener Zeit ungetähr 
nur das umfasste, was der heutigen Türkei seit dem Berliner 
Frieden (1878) auf dem Festlande Europa's verblieben ist. 

Er besiegte die griechischen Heere und zwang 1334 
im Frieden von Saloniki den Kaiser Andronikos, die ganze 
Westhälfte von Makedonien mit den Städten Ochrida, Prilep, 
Kastoria, Strumnitza, Zelesnitsa, (Domihissar), Wodena und 
Tschemren abzutreten. 

Im Jahre 1336 bemächtigte sich Duschan Albaniens 
bis Durazzo, 1337 eroberte er die Stadt Avlona, schliess- 
lich erwarb er 1340 fast das ganze unabhängige Albanien 
bis nach Janina; so dass er nun auch einen Theil des 
adriatischen Küstengebietes besass. 

Im Besitze der Meeresküste ging sein Streben dahin, 
freundschaftliche Beziehungen mit Venedig zu unterhalten, 
da dieses die wichtigsten Städte und Inseln Dalmatiens 
besass und trachtete womöglich mit demselben ein Bünd- 
niss abzuschliessen. 

Begünstigt durch die Wirren zwischen dem byzanti- 
nischen Eeichsverweser Oantacuzenius und dem jungen 
Kaiser Johann Palaeologus erlangte Duschan auch bald das 
östliche Makedonien, jedoch mit Ausnahme der beiden 
wichtigsten Städte Seres und Saloniki. 

Die türkischen Schaaren unter Omur, welche Oaai- 
tacuzenius gegen ihn ins I'eld geschickt hatte, besiegte er 
aber dennoch und konnte hierauf, nach einer 18 monat- 
lichen Belagerung, — im Jahre 1345 als Sieger in Seres 
einziehen. Hier liess er sich zum Kaiser ausrufen und 
sandte alsbald seine Vertreter nach Venedig, um daselbst 
ein Bündniss gegen Konstantinopel anzubahnen. Die klug 
berechnende Republik fürchtete jedoch die wachsende Macht 



— 19 — 

eines solchen Bundesgenossen und lehnte den Antrag vor- 
sichtiger Weise ab. 

Am 13. April 1346 liess sich Duschan zu IJesküb, 
seiner gewöhnlichen Residenzstadt, feierlich zum Kaiser 
krönen und ernannte gleichzeitig den Erzbischof zu Ypek, 
Johann, zum ersten serbischen Patriarchen, das heisst 
zum Haupte der unabhängigen serbischen Kirche. Zur 
Krönungsfeierlichkeit waren, ausser den Statthaltern und 
Heerführern auch der bulgarische Patriarch von Timowo, 
die hohe Geistlichkeit aus den eroberten Provinzen und 
jene vom Berge Athos erschienen. 

In Byzanz fühlte man sich nun zu schwach, um den 
Serben allein Widerstand zu leisten; deshalb verheirathete 
der im Jahre 1347 zum Kaiser ausgerufene Cantacuzenius 
seine Tochter an den Emir Urkhan, welcher ihm ein Hilfs- 
heer von 10.000 Türken zuführte. 

Duschan wagte sich noch nicht an Konstantinopel selbst 
heran und eroberte zunächst ganz Thessalien und den süd- 
lichen Theil des Epirus. Nur Saloniki widerstand ihm, obwohl 
er sich doch selbst den Titel gegeben hatte : „Stephanus, 
von Gottes Gnaden griechischer Kaiser." 

Da trat ganz unverhofft ein neuer Gegner Duschan^s 
auf. Stephan Krotomantitsch, der Banus von Bosnien liess 
sich durch den König von Ungarn dazu bestimmen, den 
Kaiser Duschan anzugreifen; wurde jedoch von diesem be- 
siegt. Duschan verwüstete nun Bosnien, verleibte es theil- 
Tveise seinem Reiche ein und die schöne Residenz des 
Banus (Statthalters) ging in Flammen auf. 

Um mit Hilfe der Türken Konstantinopel erobern zu 
können, bot Duschan im Jahre 1351 seine Tochter dem 
Emir Urkhan als Gemahlin für einen seiner Söhne an. — 
Allein Kaiser Cantacuzenius von Byzanz wusste dieses 
Bündniss zu hintertreiben und Duschans Heer wurde von 
den türkischen Hilfstruppen der Griechen nächst Demotika 
vollständig geschlagen. 

Diesen Zeitpunkt benutzte der König von Ungarn 



X) 



— 20 — 

Ludwig, um seinen Schwiegervater, den Banus von Bosnien 
an Duschan zu rächen und fiel verwüstend in Serbien ein. 

Aber Duschan kam bald aus den Wäldern, in die er 
sich zurückgezogen hatte, hervor und trieb die Ungarn 
wieder über die Donau zurück. 

Nun sandte er eine Gesandtschaft zu dem in der Ver- 
bannung lebenden Pabste Innocenz VI. nach Avignon, um 
ihm zu erklären, dass er, — das Haupt der morgen- 
ländischen Christenheit, — sich dem Pabste, als dem 
Haupte der abendländischen Kirche, freiwillig unterwerfe. 
Innocenz YI. verlieh Duschan dafür den Titel eines „Be- 
kämpfers der Türken zum Schutze der ganzen 
Christenheit." 

Venedig hatte ihm schliesslich, gegen üeberlassung 
einiger Küstenstädte am adriatischen Meere auch ein festes 
Bündniss angeboten. 

Als er nun an dem lange und sehnlichst ersehnten 
Ziele, nach 25jährigem Bingen, angelangt war, ra£%e ihn 
der Tod hinweg. 

Duschan starb am 20. December 1355 an einem bös- 
artigen Fieber zu Jamboli in Thrakien, als er an der 
Spitze eines mächtigen Heeres sich gerade auf Konstanti- 
nopel werfen wollte. 

Es ist zweiielhaft, ob ihm dies gelungen wäre; weil 
die mit den Byzantinern verbündeten Türken die Halb- 
insel Gallipoli besetzt hielten, somit in seiner rechten 
Flanke gestanden hätten. 

Welche Aehnlichkeit mit der strategischen Situation 
während des letzten russisch-türkischen Krieges im Januar 
1878; wo die Türken Konstantinopel und G-allipoli besetzt 
hielten, die englische Panzerflotte im Marmara-Meer ankerte 
und ein englisch-indisches Contingent auf Gallipoli landen 
sollte. 

Um die verschiedenartigen Bestandtheile seines grossen 
Beiches zusammenzuhalten, hätte es entweder einer klug 
durchdachten und noch bei Lebzeiten Duschan's durchge- 



— 21 — 

führten, Centralisation bedurft, oder einer nachfolgenden 
Eeihe kraftvoller und begabter Herrscher. 

Der Sohn Duschan's, Urosch V. war aber, wie schon 
erwähnt wurde, ein Schwächling unter welchem das mächtige 
Seich zerfiel. Er wurde nach 14jähriger Regierung im 
Jahre 1369 ermordet und mit ihm erlosch die Dynastie 
der Njemaniden. 

. Innere Wirren und Bürgerkrieg nagten nun an dem 
Marke der Serben, bis sie nach weiteren zwanzig Jahren 
am 15. Juni 1889 in der Schlacht am Kossowo-Polje 
(Amselfeld), nach heldenmüthigem Kampfe gegen die Türken^ 
erlagen. 

Nach der Ermordung Urosch' V. bestieg vorerst der 
Wojwode Vukaschin den serbischen Thron; er kämpfte als 
Verbündeter der Griechen gegen die Türken und eroberte 
Saloniki, verlor aber 1374 gegen den türkischen Sultan 
Murad L an der Maritza nahe bei Adrianopel Schlabht und 
Leben. Sein Sohn Marko Kraljevic unterwarf sich den 
Siegern. 

Nun bestieg der Ejiez (Fürst) Lazar den Thron. Ein- 
sehend, dass er allein mit den Türken nicht fertig werden 
könne, beeilte er sich möglichst schnell mit Ungarn und 
mit Bulgarien ein Bündniss abzuschliessen. Sultan Murad I. 
bekam jedoch durch Yerrath hievon Kenntniss und liess 
den Serben kerae Zeit hiezu. 

Er brach sofort mit einem starken Heere gegen sie 
auf, eroberte gleichsam im Fluge Philippopel, Sophia und 
Nisch*); wendete sich hierauf südlich gegen Alt-Serbien, 
dem Mittelpunkte des alten serbischen Kaiserreiches, wo- 
selbst Lazar thatsächlich seine Streitkräfte sammelte. 



*) Emil von Laveleye behauptet in seinem Werke „Die Bal- 
kanländer, Leipzig 1888", dass Murad aach Kruschewatz vorher ein- 
genommen hätte; dagegen aber sprechen wichtige strategische 
Gründe, die man mit einem Blicke auf die Karte erkennt, und 
weiters versichern andere Historiker, dass Lazar vor der Schlacht 
am Amselfelde, seine Heerführer in Kruschevatz versammelt hatte. 



— 22 — 

Auf der weiten Ebene des Eossowo polje (Amselfeld) 
standen sich die beiden gewaltigen Heere gegenüber. Zu 
den Serben waren nur 20.000 Bosnier unter Vlatko Hranitsch 
gestossen; während auf türkischer Seite auch verschiedene 
christliche Heerführer — theils Serben, theils Bulgaren — 
als Vasallen des Sultans, sodann auch die Söhne des vorigen 
Beherrschers von Serbien Vukaschin selbst, nebst mehreren 
Anderen für die Sache des Halbmondes fochten. 

Leider haben sowohl die Kaiser von Byzanz, als auch 
die serbischen Herrscher in ihren gegenseitigen Kriegen 
niemals gezögert, abwechselnd mit den Türken Beziehungen 
zu unterhalten; wodurch ein folgenschweres Beispiel ge- 
geben wurde. 

Selbst in diesem Augenblicke, der die Zukunft Serbiens 
entscheiden sollte, gab es im serbischen Lager Yerräther 
und Lazar wusste nur nicht sicher, welcher von seinen 
beiden Schwiegersöhnen — ob Milosch Obilitsch oder Vuk 
Brankowitsch — der Verräther und Abtrünnige sei. 

Die Türken verbrachten betend die dem Schlachttage 
vorhiergehende Nacht. — Ein mohammedanischer Geschichts- 
schreiber berichtet, dass der Sultan lange und inbrünstig 
gebetet habe, Allah möge ihn der Gnade würdigen, für den 
Islam sterben zu dürfen. 

Die christlichen Gegner dagegen sollen die ganze 
Nacht getrunken und Stricke gedreht haben für ihre 
künftigen Gefangenen. 

Während am frühen Morgen des 15. Juni 1389 die 
beiderseitigen Heere gegeneinander zum Kampfe vorrückten, 
verlangten drei der vornehmsten Serben (drei Pobratim's 
oder Adoptivbrüder), — unter ihnen Milosch Obilitsch, 
Lazars Schwiegersohn, — vor den Sultan geführt zu 
werden. 

Dieser empfing sie, trotz der schon begonnenen Schlacht, 
mit besonderer Auszeichnung, weil er vielleicht meinte, sie 
wollten zu ihm übertreten. Milosch that, als ob er dem 
Sultan den Fuss küssen wollte und als sich Murad über 



— 23 — 

ihn beugte, stiess er ihm einen Dolch in den Leib. Als 
sich nun die Begleiter des Grossherm auf ihn warfen und 
ihn fesseln wollten, setzte ihnen Milosch einen verzweifelten 
Widerstand entgegen und wurde erst, nachdem er Wunder 
der Tapferkeit vollführt hatte, zum Gefangenen gemacht. 
— Murad I. lebte noch bis zum Abende dieses Tages. 

Der Sieg schien während der ersten Hälfte des Tages 
den Serben zufallen zu wollen; gegen Mittag jedoch ver- 
liess der zweite Schwiegersohn Lazar's der verrätherische 
Tuk Brankovics mit seinen 12000 Elriegem das Schlacht- 
feld ; wodurch die Türken Herren desselben wurden. Lazar 
liielt mit den ihm treu gebliebenen Kriegern noch bis 
zum letzten Augenblicke mit unbeugsamem Muthe und 
unerschütterlicher Tapferkeit aus. Da stürzte Lazar im 
Kampfgewühle sammt seinem Pferde unversehens in eine 
Grube und wurde gefangen genommen. 

Noch am Abende wurden im Angesichte des sterben- 
denSultans, sowohl Lazar, als sein heldenmfithiger Schwieger- 
sohn Milosch und die angesehensten der gefangenen Serben, 
enthauptet. 

Auf dem Amselfelde wurde die serbische Unabhängig- 
keit für vier lange Jahrhunderte vernichtet; denn der 
Nachfolger Murad's I., Sultan Bajesid theilte das I^and 
zwischen Lazar's Sohn Stephan und dem Verräther Vuk 
Brankovics, welche beide den Türken Tribut zahlen und 
Heeresfolge leisten mussten. Letzterem folgte 1425 sein 
Neffe Georg Brankovics in der Herrschaft, welcher mit 
den Ungarn ein Bündnis schloss, um das türkische Joch 
abzuschütteln. Vom folgenden Sultan Murad H. besiegt 
und vertrieben , erhielt er jedoch durch die Siege Johann 
Hunyadi's (bei den Serben noch jetzt „Janko" genannt), in 
dem zu Szegedin 1444 geschlossenen Frieden, sein Land 
wieder zurück. 

Im Jahre 1458 überschwemmte Sultan Mohammed H. 
das Serbenland neuerdings und machte der Herrschaft der 
serbischen Fürsten ein grausames Ende. £ine Menge der 



— 24 — 

angesehensten Familien wurde völlig ausgerottet, andere 
flüchteten nach Ungarn und gegen 200 000 Menschen wurden 
in die Sklaverei geschleppt und das Land in eine „türkische 
Provinz" verwandelt. 

Da jedoch die Türken das Land hauptsächlich nur 
militärisch besetzt hielten, hingegen aber kein Landbesitz- 
thum in Anspruch nahmen ; so vermochten die Serben die 
Eigenthümlichkeiten ihres National-Charakters, ihre Sprache 
und Sitten zu retten und bewahrten auch ihre Religion 
sowie die stets frisch erhaltene Erinnerung an ihre 
Heldenzeit. 

Erst 260 Jahre später geschieht der Serben in der 
Weltgeschichte wieder Erwähnung. Durch den Frieden 
von Poscharewatz (21. Juli 1718) kam nämlich Serbien, 
mit dem Banat und dem grössten Theile von Bosnien, an 
Oesterreich. Jedoch vermochte sich das österreichische 
Regime bei den Serben keine Sympathien zu erringen und 
in dem für Kaiser Karl VI. so unglücklichen Kriege 1738 
bis 1739 trugen sogar die Serben selbst wesentlich zur 
Wiederherstellung der türkischen Herrschaft bei. 

Diese lohnte aber die serbische Anhänglichkeit durch 
die Grausamkeiten aufrührerischer Janitscharen so sohlecht, 
dass sich die Serben zur Zeit des von Joseph IL und 
Katharina H. (1788 — 1790) unternommenen Türkenkrieges 
wieder zu Gunsten Oesterreichs erhoben. 

Im Jahre 1801 bemächtigten sich die Dahis, — An- 
führer der Janitscharen, — der Regierung und liessen die 
Gemeindeoberhäupter, sowie die angesehensten Bewohner 
Serbien's ermorden. 

In Folge dessen brach 1804 ein allgemeiner Aufstand 
aus, der seinen Hauptherd in dem Waldgebiete um 
Krgujevatz, in der sogenannten „Schumadia/^ hatte. 

An die Spitze der Bewegung stellte sich Georg Petro- 
vitsch, auch der „Schwarze" Georg (türkisch: „Kara Djordje") 
genannt. 

Eine Reihe glücklicher Gefechte befreite das Land von 



— 25 — 

den Janitscharen, so unter anderen der Sieg bei Tschupria 
im September 1804, und am 23. Februar 1807 wurde sogar 
Seigrad erstürmt. 

Nun wurde der erste Senat zusammenberufen; aber 
schon beginnt der Parteihader das Land zu durchwühlen. 
Insbesondere sind die Zwistigkeiten zwischen Kara Djordje 
und dem Senatspräsidenten Mladen für das Wohl des 
Landes äusserst schädlich geworden. 

Die Partei des Letzteren will sich unter den Schutz 
Husslands stellen, die anderen wollen dies jedoch nicht, 
um in kein neues Abhängigkeits-Yerhältniss zu gerathen 
In Folge dessen tritt auch Bussland im Friedensschlüsse 
mit der Türkei (1806) für die Sicherheit des jungen Staates 
nicht genügend in die Schranken. Es schürt vielmehr 
zwischen den beiden Parteien, um [sich unentbehrlich zu 
machen. 

Die von Seite B>usslands unter der Bedingung ange- 
botene militärische und diplomatische Hilfe, dass Serbien 
dessen Oberhoheit anerkennen solle, verweigerte das 
freiheitsliebende Volk und schlug in den Feldzügen 1809 
und 1810 die neuerdings in das Land eingerückten otto- 
manischen Truppen, — fast ohne russische Unterstützung, 
— zurück. 

Li dem am 28. Mai 1812 zu Bukarest abgeschlossenen 
Frieden ist es hauptsächUch dem russischen Einflüsse zu- 
zuschreiben, dass den Serben nur nichtssagende Begünsti- 
gungen gewährt wurden ; als : allgemeine Amnestie, eigene 
innere Verwaltung, dagegen sollte das Land tributpflichtig 
bleiben und die Festungen wieder an die ottomanischen 
Truppen übergeben werden. 

Thatsächlich gewährten jedoch die Türken, statt der 
Amnestie nur die Auswanderung aller Missvergnügten und 
forderten mit der Ilückgabe der Festungen gleichzeitig 
auch die Ausfolgung aller Waffen und Kriegsvorräthe. 
XJeberdies verlangten die Türken die Aufiiahme der ver- 



- 26 — 

triebenen Osmanen und Wiedereinsetzung derselben in ihre 
alten Besitzthümer. 

Um diesen Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, 
rückten die Türken im Jahre 1813 unter Churschid Pascha 
von drei Seiten in das Land ein, nämlich über die Donau 
(von der Wallache! aus), längs der Morawa und über die 
Drina (aus Bosnien). Eara Djordje Hess sieh verleiten, seine 
Kräfte zu theilen und so wurden sie dann nacheinander 
von den Türken aufgerieben. 

Der Uebertritt Kara Djordje's auf österreichisches 
Gebiet (15. Oktober 1813) hatte die völlige Auflösung 
der serbischen Streitmacht zur Folge. 

Nun sammelte Milosch Obrenovitsch einige Tausend 
Streiter um sich und erfocht im Jahre 1815 mit seiner 
kleinen Schaar auf der Ebene der „Matschwa" (östlich der 
Mündung der Drina in die Save) über den aus Bosnien 
eingedrungenen Reschid Pascha einen blutigen Sieg und 
verjagte den von Süden anrückenden Ali Pascha, wodurch 
das Land vom Türkenjoche abermals erlöst wurde. 

Kara Djordje kehrte nun wieder in sein Heimathland 
zurück, büsste aber bald sein Leben durch Meuchelmord im 
Hause des Wuitza, Bürgermeisters von Smederwo, ein. Auf 
wessen Veranlassung dies geschehen ist, darüber lässt die 
Geschichte Serbiens höchstens Vermuthungen zu. Milosch 
soll daran unschuldig sein. 

Nun wurde „Milosch Obrenovitsch" am 6. November 
1817 zu Belgrad in einer Versammlung von Vertrauens- 
männern aus dem Volke und den vornehmsten kirchlichen 
Würdenträgem zum „Fürsten von Serbien" ausgerufen 
und von der hohen Pforte als solcher anerkannt. Dies ge- 
schah durch den Ferman vom Jahre 1820 und wurde noch 
weiters durch den Frieden von Adrianopel vom 14. Sep- 
tember 1829 bestätigt. 

Hiedurch wurde den Serben das Eecht zugestanden, 
ihren Fürsten selbst zu wählen, ihr Land frei zu verwalten, 
die Gerechtigkeitspflege auszuüben und eigene Steuern zu 



— 27 — 

erheben. Dafür musste sich aber Serbien verpflichten an 
die Pforte einen fest bestimmten Jahres-Tribut zu ent- 
richten. 

Nun wurden Dankschreiben an den Zar, — den „gross- 
herzigen Beschützer Serbiens'^ und an den Sultan abge- 
sandt. — Jedoch die Machenschaften russischer Sendlinge 
arbeiteten den friedlichen Bestrebungen des Volkes ent- 
gegen und wiegelten den Senat gegen Milosch auf. Mittler- 
Tveile hatte sich Milosch am 31. August 1830 (Manche 
sagen : durch Bestechung ?) einen Berat (Lehnsbrief) in 
Konstantinopel verschafft, welcher ihn als „erbliche n" 
Fürsten von Serbien bestätigte. 

Die letzten mit der Pforte noch obschwebenden Diffe- 
renzen wurden durch die Hattischerife vom 6. Juni und 
4. Dezember 1834 erledigt; womit die Türken die sechs 
von Serbien losgerissenen Distrikte zurückgaben, den Auf ent- 
lialt der Türken auf Belgrad beschränkten und den an die 
Pforte zu zahlenden jährlichen Tribut endgiltig festsetzten. 

Fürst Milosch regierte nun mit Hilfe seiner Anhänger, 
•wie die Einen sagten: mit heilsamer Strenge; — während 
seine Q-egner behaupteten: mit grausamer Willkür. 

Durch fremde Agenten aufgestachelt, dringt die gegne- 
rische Partei darauf, dass über eine konstitutionelle Ver- 
fassung abgestimmt werden möge; worauf Milosch einzu- 
gehen nicht gesonnen war. 

In Folge dessen brach Anfangs 1835 unter der Führung 
zweier angesehener Serben, Avram Petroniewitsch und 
Thomas Wuitschitsch ein Aufstand aus, bei welcher Ge- 
legenheit sich auf der einen Seite russische und auf der 
anderen englische Einflüsse geltend gemacht haben sollen. 
("Wie immer die beiden Hauptinteressenten in orientalischen 
Angelegenheiten !) 

Milosch sah sich schliesslich gezwungen am 8. Fe- 
bruar 1885 die ihm vom Senate vorgelegte Verfassung 
anzuerkennen. 

Der Divan ersetzte dieselbe jedoch durch das söge- 



— 28 — 

nannte „organische Statut" (Ustav) vom Jahre 1838, 
welches weder die Wünsche des Volkes, noch den Fürsten 
befriedigte. An Stelle der Volksversammlung (Skuptsohina) 
trat jetzt ein Senat mit ausgedehnten Bechten. 

Milosch beschwor zwar diese Ver&ssung, jedoch hielt 
er sie nicht in allen Theilen ein und als der Senat von 
ihm die Rechnungslegung über die von ihm verwendeten 
Landesgelder verlangte, schickte er seine G-arde nach 
Belgrad in den Sitzungssaal (er residirte in seinem be- 
scheidenen Konak, oder Wohnhause, zu Topschider). Seine 
Getreuen mussten jedoch beim Erlöster Eakowitsch nächst 
Belgrad vor den Anhängern des Wuitschitsch die Waffen 
strecken. 

Nun dankte nothgedrungen Fürst Milosch am 13. Juni 
1839 zu Gunsten seines Sohnes Milan ab und verliess am 
15. Juni mit seinem zweiten Sohne Michael seine Heimath. 

Da Milan schon nach etwa drei Wochen am 8. Juli 
1839 starb, so ernannte die Pforte seinen jüngeren Bruder 
Michael zu dessen Nachfolger und setzte ihm eine Begent- 
schafb zur Seite. 

Aber auch dieser Fürst war der Partei der Wuitschitsch 
und Petronijewitsch nicht recht; nach Andern soll er 
sich auch unfähig und tyrannisch gezeigt haben. An- 
lässlich der Einführung einer Steuer auf die Eichelmast, 
welche der hauptsächlich Schweinezucht treibenden Be- 
völkerung höchst ungelegen kam, brach eine Volkserhebung 
aus, worauf Fürst Michael am 7. September 1842 nach 
Oesterreich flüchtete. 

Eine am 11. September 1842 einberufene grosse Volks- 
versammlung wählte hierauf den Sohn des Kara Djordje's, 
„Alexander Kar adjordje witsch" einstimmig zum 
Fürsten von Serbien, welche Wahl am 14. November 1842 
von der hohen Pforte bestätigt wurde. Bei dieser Ge- 
legenheit gab ihm die Pforte aber nur den Titel eines 
Basch-Beg, d. h. Oberherm und legte ihm mehrere mit 
den früheren Verträgen im Widerspruche stehende Be- 



— 29 — 

schränkongen auf. Unter der Begienmg Alexanders 
wnrde eine Beihe von Beformen eingeführt; jedoch 
machte sich der Fürst bei seinem Volke und bei Russland 
nach und nach dadurch unbeliebt, dass er zu Oesterreich 
hinneigte. 

Dessen Feinde stellten in der Skuptschina-Sitzung 
vom 21. Dezember 1858 geradezu das Verlangen, er solle 
abdanken und der Senat drang am 22. Dezember 1858 
ebenfalls in ihn, er möge dem Wunsche des Volkes nach- 
geben. Als sich nun Fürst Alexander in die von den 
Türken besetzte Festung Belgrad begab und sich hier 
unter den Schutz der Pforte stellte, erklärte ihn die Skupt- 
schina als Flüchtling für abgesetzt und berief den schon 
80jährigen „Milosch Obrenowitsch" auf den ser- 
bischen Thron. Auch der Senat, welcher zwar anfanglich 
protestirte, stimmte schliesslich diesem Schritte bei. 

Alexander erklärte sich hierauf am 2. Jänner 1859 
zur Abdankung bereit. 

Müosch ergriff von der Herrschaft Besitz und wurde 
hierin von der Pforte am 12. Jänner 1859 bestätigt. Er 
starb jedoch schon am 26. September 1860 und sein Sohn 
folgte ihm als Michael III. , welcher den Wahlspruch 
hatte: „In Serbien entscheidet das Q-esetz.** — 

Die im August 1861 nach Krujagewatz einberufene 
National- Versammlung nahm ein ihr vorgelegtes neues 
Skuptschina-aesetz, dann eine Reorganisation des Senates 
und des Heeres, femer eine Steuerregulierung an, zu 
welchen G-esetzvorlagen auch der Senat seine Zustimmung 
ertheilte. 

Die Organisation des Volksheeres wurde trotz des 
Einspruches, welchen ausser der Türkei noch mehrere 
Grossmächte erhoben hatten, im Jahre 1862 durchgeführt. 
Auch traten jetzt die Bestrebungen der Serben nach voller 
Unabhängigkeit von Konstantinopel immer offener hervor 
und wurde das Verhältniss zwischen den noch im Lande 
lebenden Türken und den Serben immer gespannter. 



— 30 — 

Am 15. Juni 1862 gab ein bei einem öffentlichen Bronnen 
in Belgrad stattgehabten Zwist zwischen einem türkischen 
Soldaten und einem serbischen £naben zn einem blutigen 
Auflauf Anlass. — In Folge dessen wurden die türkischen 
Thorwachen in die Festung zurückgedrängt, worauf deren 
Gommandant am 17. Juni die Stadt bombardirte, ohne 
jedoch dieselbe namhaft zu beschädigen. — Am 18. Juni 
wurde durch Vermittelung der fremden Oonsuln, — welche 
gegen die Beschiefsung Verwahrung eingelegt hatten, — 
ein Waffenstillstand geschlossen. — Nun wurde die Be- 
waffnung und Ausrüstung des schon in Organisation 
begriffenen Nationalheeres noch rascher betrieben, als 
bisher. 

Der Streit wurde jedoch von den europäischen Mächten 
durch das Protokoll vom 4. September 1862 so geschlichtet, 
dass die Türken alle Festungen, mit Ausnahme von Belgrad, 
Schabatz und Smederevo, räumten. 

Damit waren die Serben bei ihrem glühenden Türken- 
hasse und infolge ihrer grossserbischen Bestrebungen nicht 
zufrieden. 

Am 5. Oktober 1866 richtete Fürst Michael nach Kon- 
stantinopel das Ansuchen, um [Räumung sämmtlicher 
Festungen in Serbien, indem er diese Massregel als das 
einzige Mittel bezeichnete, wodurch das Misstrauen und 
die Aufregung im Lande gebannt werden könne. 

Die türkische Begierung zögerte lange in ihrem Ent- 
schlüsse und wollte Belgrad nicht aufgeben. Erst am 
S.März 1867 verstand sie sich, auf Anrathen Oessterreichs 
zur Bäumung der serbischen Festungen und machte nur 
den einzigen Vorbehalt, dass auch in Zukunft auf der 
Citadelle in Belgrad die ottomanische Fahne neben der 
serbischen wehen sollte. Ende März 1867 begab sich nun 
der Fürst Michael nach Konstantinopel, um die Frage der 
Festungs-Uebergabe endgiltig zu erwirken. Am 1 8. April 
1867 erfolgte die feierliche Uebergabe der vollständig 
armirten Festung Belgrad an Serbien und bis 6. Mai 1867 



— 31 — 

hatten die letzten türkisclien Truppen den serbischen 
Boden verlassen. 

Trotz dieser Erfolge bildete sich gegen die Herrschaft 
der Dynastie Obrenovitsch eine Verschwörung, welche von 
der Familie Karadjordjewitsch angezettelt wurde und der 
sich einige heissblütige, für ein grosses serbisches Beich 
schwärmende Patrioten anschlössen. 

Am 28. Mai 1867 a. St. (10. Juni neuer Zeitrechnung) 
ging Fürst Michael in Begleitung seiner Tante Frau Anka 
Konstantinovitsch und deren Tochter Katharina (die nach- 
herige Frau Michael Bogitschevitsoh) im Park seiner 
Sommer-Residenz Topschider bei prachtvollem Wetter 

spaziren. 

Plötzlich drangen aus einem Dickicht mit Pistolen be- 

wafinete Männer hervor und zielten aus nächster Nähe auf 

die kleine G-esellschaft. 

Der Fürst und seine Tante Anka Konstantinovitsch 
wurden sofort getödtet, während des Fürsten Cousine 
Katharina erst beim zweiten auf sie abgegebenen Schusse 
in das Schulterblatt getroffen wurde, von wo die Kugel in 
den Hals eindrang und dort stecken blieb.*) 

Den Besuchern von Topschider zeigt man die Stelle, 
wo das Mordattentat stattgefunden hatte, die fürstliche Ge- 
sellschaft promenirte auf einer Waldwiese längs des Randes 
eines mit Gestrüpp und Unterholz dicht verwachsenen Ge- 
hölzes, wodurch es möglich war, dass die Mörder ganz 
plötzlich erscheinen und ihre Schüsse aus der allernächsten 
Nähe abfeuern konnten. An der Unglücksstelle im Top- 
schider-Parke soll ein Denkmal errichtet werden. Vor- 
läufig haben die Serben dem Fürsten Michael ein Reiter- 
standbild auf dem Belgrader Theaterplatze gesetzt. 



*) Nach der seitens Frau Katharina Bogitschevitsoh dem Herrn 
Emil von Laveleye gemachten persönlichen Schilderung, welche 
die einzige überlebende Zeugin jenes Fürstenmordes ist. — Siehe 
„Die Balkanländer von Emil von Laveleye'S deutsch von E. Jacobi- 
Leipzig bei Carl Beissner 1888. 



i 



— 32 - 

Nach der Ermordung des kinderlosen Fürsten Micliael, 
welcher eine Gräfin Hunyadi zur Frau gehabt hatte, war 
es nothwendig vor allem die grosse Nationalversammlung, 
bezüglich der Wahl eines Nachfolgers zu hören. Minister 
Bistitsch, welcher den geschickten und fähigen Garashanin 
zur Seite hatte, bewirkte sofort die Einsetzung einer pro- 
visorischen Regierung, liess in Serbien den Kriegszustand 
proklamiren und die Armee mobilisiren. 

Das Volk war von der höchsten Erbitterung gegen die 
Mörder und deren Anstifter erfüllt; die an diesem Morde 
Verdächtigen konnten bei ihrer Verhaftung nur mit grosser 
Mühe vor der Lynchjustiz des Volkes geschützt werden. 

Gerade dieser gewaltsame Versuch die Dynastie 
Obrenowitsch, zu Gunsten der Familie Karadjordjewitsch, 
zu verdrängen, steigerte die Anhänglichkeit des serbischen 
Volkes für dieses Haus in hohem Grade; so dass die grosse 
Skuptschina den einzigen noch lebenden Obrenowitsch, 
den 14jährigen Milan (Neffen des ermordeten Michael) als 
Milan IV. zum Nachfolger des Fürsten Michael ausrief. 

Die Pforte sowohl als auch die übrigen Grossmächte 
stimmten dieser "Wahl bei. 

Der Minister des Innern Miloikowitsch übernahm mit 
dem Justizminister die Vormundschaft über den jungen 
Fürsten, der sich zu seiner Ausbildung in Paris befand. 

Die Begentschaft bestand aus Blaznavatz, Bistitsch 
und dem Senator Gawilowitsch. Doch war die Macht der 
Regierung gering, die Parteien bekämpften sich hartnäckig 
in der Skuptschina und in der Presse; auch wechselten 
fortwährend die Ministerien, selbst dann noch als Fürst 
Milan IV. im Jahre 1871 die Regierung übernahm. 

Nachdem die Fortsetzung der Heeresorganisation, die 
Gewährung einer freisinnigen Verfassung, sowie die Ge- 
setze über die Pressfreiheit und den öffentlichen Unter- 
richt, den Beifall Eusslands nicht geAinden hatten ; so be- 
gab sich Milan in die Krim zum russischen Kaiser, um 
die guten Beziehungen zu erneuern. 



— 38 — 

Im Jahre 1874 untemalun Fürst Milan auch eine 
!Beise nach Konstantinopel um vom Sultan die Abtretung 
der auf serbischem Gebiete liegenden Feste Klein Zwornik 
zu erlangen, damit künftighin nur das Flussbett der Drina 
die Grenze zwischen der türkischen Provinz Bosnien und 
dem serbischen Fürstenthume bilden solle. Milan konnte 
jedoch kein Zugeständniss erhalten. — 

Als im Spätherbste 1874 die christlichen Bewohner 
der Herzegowina sich erhoben und die Insurrektion im 
Jahre 1875 immer mehr Terrain gewann, da glaubte Fürst 
Milan die Gelegenheit gekommen, um das seinem Volke 
gelegentlich seiner Thronbesteigung gegebene Versprechen: 
^Bosnien, die Herzegowina und Alt-Serbien 
müssen wir bekommen!^ — realisiren zu können. 

Gleichzeitig mit dem Aufstande in der Herzegowina 
begann auch die Omladina wieder ihre Agitationen, zu 
Gunsten eines grossserbisohen Reiches, mit durolisohlagen- 
dem Erfolge; gewann auch den Minister Bistitsch für ihre 
Sache und erlangte schliesslich die Zusicherung russischer 
Hilfe. 

Daraufhin eröflFnete Serbien am 1. Juli 1876 den Krieg 
gegen die Türkei, welcher ihm Bosnien mit der Herzego- 
wina und Alt-Serbien (Paschalik Novibazar tmd das Kossowo 
polje oder Amselfeld) einbringen und Milan die Königs- 
krone verschaffen sollte. 

Die Operationen sollten im Einklänge stehen mit jenen 
der Montenegriner gegen die Herzegowina und gegen 
Novibazar; ausserdem sollten auch die Bulgaren insurgirt 
werden. 

Fürst Milan übertrug dem verabschiedeten russischen 
Generale Tschernajeff das Commando über die mobilisirte 
Armee und liess die aus Eussland angekommenen zahl- 
reichen Freiwilligen, deren höchste Ziffer bis Anfangs 
Oktober auf rund 5000 Mann angewachsen sein soll, in 
die verschiedenen Truppenkörper vertheilen. 

Anfangs Juli stand das serbische Heer in der Gesammt- 

Anton Tuma, Serbien. O 



— 34 — 

stärke von circa 95,000 Mann an folgenden Grenzpunkten 
operationsbereit : 

An der Drina bei Loznitza unter General Alimpitsch 
18,000 Mann, zur Yertheidigung der Westgrenze. 

Am Javor unter General Zach (einem gebürtigen 
Oesterreicher) 12,000 Mann, zunächst zur Yertheidigung 
der Südwestgrenze und womöglich zur Herstellung der 
Verbindung mit Montenegro über das Gebiet von Novi- 
bazar. 

An der Südostgrenze unter General Tschernajeff im 
Ganzen etwa 48,000 Mann, wovon circa 30,000 Mann bei 
Alexinatz-Deligrad und 18,000 Mann unter General Horva- 
tovitsch (ehemaliger österreichischer Offizier) bei Knjazevatz. 

Am Timok standen unter Oberst Ljeschanin 15,000 
Mann an der Ostgrenze. Montenegro hatte 24,000 Mann 
an seiner Nord- und Süd-Grenze aufgestellt. Die „Türkei** 
hatte in Bosnien unter Sulejmann Pascha 25,000 Mann, 
sodann unter Mukhtar Pascha 18,000 Mann in der Her- 
zegowina, sowie bei Sjenica und Novavarosch im Paschalik 
Novibazar, weiter noch bei der Stadt Novibazar unter 
Mehmed Ali Pascha, 18,000 Mann; ferner unter dem 71 
Jahre alten Muschir Achmed Eyub Pascha 35,000 Mann 
um Nisch und Pirot an der serbischen Südgrenze ; daselbst 
wurden noch 25,000 Mann Verstärkungen erwartet. End- 
lich waren noch um Widdin 15,000 Mann unter Osman 
Pascha (dem späteren Vertheidiger von Plewna) Operations - 
bereit. 

Die türkische Operationsarmee hatte somit, gegenüber 
den etwa 118,000 Mann Serben und Montenegriner, im 
Ganzen: 101,000 Mann, zu welchen binnen Kurzem noch 
25,000 Mann Verstärkungen stossen sollten, welche that^ 
sächlich auch eingetrofien sind. 

Der von Tschernajeff von Kjnazewatz gegen Ak- 
Palanka und Pirot unternommene Offensivstoss kam schon 
am 8. und 9. Juli zum Stehen. Als sich die Türken ver- 
stärkten imd der erwartete Bulgaren-Aufstand ausblieb^ 



-1 

-I 



— 35 — 

trat Tschemajeff am 18. Juli den Bäckzug in die Linie 
Banja-Alexinatz an. Nur die Division Horvatowitsch blieb 
bei Enjazevatz stehen. 

Die Türken überschritten am 29. Juli bei Gramada 
und Pandiralo die Grenze und griffen am 3. und 4. August 
die Schanzen bei Knjazevatz vergeblich an. 

Die Türken zogen sich nun über das Gebirge in west- 
licher Eichtimg gegen Alexinatz heran, wohin auch Hör- 
vatovitsch abmarschierte um sich mit Tschemajeff zu ver- 
einigen. 

Am 20. August war der taktische Aufmarsch der 
Türken gegenüber der mit 19 Schanzen befestigten ser- 
bischen Stellung vorwärts von Alexinatz vollzogen. 

Ein Angriff der Türken gegen die drei Hauptwerke 
wurde am 23. August unter grossen Verlusten zurück- 
geschlagen und nachdem auch der rechte türkische Flügel 
durch die bei Banja stehende Division Horvatovitsch be- 
droht war; so entschloss sich Achmed Eyub Pascha auf 
das linke Morawa-Ufer übergehen. Bei diesem am 27. und 
28. August vorgenommenen Uferwechsel erlitt die tür- 
kische Arrieregarde durch Horvatovitsch bedeutende Ver- 
luste. 

Mit den nun am linken Morawa-Ufer vereinigten 
fünf türkischen Divisionen wurde am 1. und 2. September 
die serbische Hauptmacht in die Linie Deligrad-Djunis 
zurückgedrängt, wo sie sich neuerdings festsetzte. 

Während sich die Türken zum neuen AngriflFe gegen 
die serbischen Positionen vorbereiteten, gelang es dem 
Oberstlieutenant Tscholak-Antitsch durch den Grenzpass 
Jankova-Klissura mit etwa 5000 Serben in das Paschalik 
Novibazar vorzudringen und sich bei Vukanja im Bücken 
der Türken festzusetzen. 

Hierauf wurde am 16. September ein 14tägiger Waffen- 
stillstand abgeschlossen, der dann bis zum 2. Oktober ver- 
längert wurde. 

Mittlerweile hatten am Timok zwischen den Truppen 

3* 



— 36 — 

Ljeschanin^s und Osman Pasclia's verschiedene Kämpfe 
stattgefunden, bei welchen auf beiden Seiten tapfer ge- 
stritten wurde; die jedoch auf das Endresultat des Krieges 
keinen Einfluss auszuüben vermochten. 

Während der bis zum 2. Oktober dauernden "WaflFen- 
ruhe waren die bei Deligrad-Djunis stehenden serbischen 
Streitkräfte, durch Zuzüge aus dem eigenen Lande und 
von Kussland, auf 60000 Mann gebracht worden. 

Gegenüber standen 65000 Türken und hatten noch 
eine Reserve von 24000 Mann bei Nisch. 

Trotzdem die Serben schon am 28. und 29. September 
die "Waffenruhe gebrochen hatten, griff Abdul Kerim Pascha 
dennoch erst am 19. Oktober, und zwar in Folge Drängens 
von Konstantinopel, an. 

Die Kämpfe dauerten ununterbrochen am 19., 20. xmd 
21. Oktober und nach einem verhältnissmässig ruhigen 
Tage entbrannten sie am 23. Oktober von Neuem, welcher 
Tag der blutigste des ganzen Krieges war. 

Die ununterbrochenen heftigen Kämpfe, der einge- 
tretene Landregen und das im höchsten Grade gespannte 
Verhältniss zwischen den serbischen und russischen Offi- 
zieren, sowie schliesslich der bedeutend niedergedrückte 
Muth der serbischen Milizen ; all dieses machte den Serben 
eine Fortsetzung des nunmehr aussichtslos gewordenen 
Kampfes unmöglich. 

In diesem Momente forderte Eussland die Türkei auf, 
die Feindseligkeiten einzustellen, was am 31. Oktober 1876 
geschah. 

In dem hierauf am 1. März 1877 abgeschlossenen 
Frieden wurde den Serben von der Türkei der status quo 
ante zugestanden. 

Zu einer thätigen Cooperation der serbischen und 
montenegrinischen Streitkräfte war es nicht gekommen. 

Beim Ausbruche des russisch-türkischen Krieges im 
April 1877 traf Serbien sofort wieder Anstalten zum neuer- 
lichen Beginn des Krieges. Mit der Kriegserklärung 



— 37 — 

wartete Serbien jedoch kluger Weise so lange, bis der 
minder günstige Verlauf der russischen Operationen im 
Sommer durch den Fall von Plewna (10. December 1877) 
in ein besseres Geleise gebracht war. 

Als nun die Küssen mitten im strengen Winter mit 
ganzer Macht den Balkan zu überschreiten begannen, da 
erklärte auch Serbien der Türkei den Krieg. 

Die serbische Armee fiel in Bulgarien ein, eroberte 
im Januar 1878 Nisch, Ak-Palanka und Pirot, nebst einigen 
anderen Örtlichkeiten, welche von regulären ottomanischen 
Truppen nahezu ganz entblösst waren; worauf der Prä- 
liminar-Friede von San Stefano abgeschlossen wurde. 

Im Frieden von San Stefano erlangte Serbien nicht 
blos die Anerkennung seiner Unabhängigkeit, sondern auch 
eine beträchtliche Gebietserweiterung, welche durch den 
Berliner Oongress, auf dem Serbien durch Ristitsch ver- 
treten war, noch vergrössert wurde. Es erhielt die Ge- 
biete von Nisch, Pirot und Leskowatz. Dafür musste es 
allen Konfessionen unbedingte Gleichheit zugestehen, ferner 
einen Theil der türkischen Staatsschuld übernehmen und 
dieselben Verpflichtungen auf sich nehmen, welche die 
Pforte bezüglich des Baues der Orientbahnen gegenüber 
Oesterreich eingegangen war. 

Am 1. August 1878 wurde die serbische Unabhängigkeit 
proklamirt und Milan nahm als souveräner Fürst den Titel 
„H o h e i t" an. 

Dieser glänzende — mit den militärischen Leistungen 
Serbien's nicht ganz im Einklänge stehende — Erfolg, 
steigerte das Ansehen und den Einfluss der von B>istitsch 
geleiteten russenfreundlichen Partei. Dass Oesterreich- 
Ungarn Bosnien besetzte und sogar in Novibazar einrücken 
durfte, dies reizte die Partei nur zu grösserer Feindseligkeit 
gegen den nachbarlichen Grossstaat auf. 

B.istitsch verschleppte die Ausführung des mit Oester- 
reich-Ungam in Berlin im Jahre 1878 abgeschlossenen 
Vertrages, bezüglich des zugesagten Baues der Eisenbahnen 



— 38 — 

in Serbien und weigerte sich, bei den Verhandlungen über 
einen neuen Handelsvertrag, Oesterreich-TJngam das Recht 
einer meistbegünstigten Nation zuzuerkennen. 

Dagegen wurde in aller Eile eine Armee-Reorganisation 
durchgeführt, welche Serbiens Heer im Kriegsfalle auf vier 
Armee -Corps erhöhte, und Ristitsch mit seiner Partei 
zeigten die Absicht, unter dem Schutze Russland's und 
England's, im Bund mit Bulgarien und Montenegro gegen 
die Stellung Oesterreioh-Ungams auf der Balkanhalbinsel 
agressiv vorzugehen. 

Auf eine am 17. Oktober 1880 von Oesterreich-Ungam 
nach Belgrad gerichtete energische Note sah sich jedoch 
Ristitsch bewogen, seine Entlassung zu nehmen. 

Das neue fortschrittliche Ministerium Pirotschanatz, 
das auch durch Neuwahlen in der Skuptschina die Majorität 
erlangt hatte, brachte im Jahre 1881 den Handelsvertrag 
mit Oesterreich-Ungam zum Abschluss und traf mit einer 
französischen Bank ein Abkommen, wegen der Lieferung 
des Geldes für die serbischen Eisenbahnbauten. 

Dafür gab Oesterreich-Ungam seine Zustimmung dazu, 
dass Fürst Milan am 6. März 1882 als „Milan I." den 
Königstitel annahm und Serbien zum „Königreich" 
proklamirt wurde. 

Eine Erhebung der Radikalen (sog. Topola-Aufstand) 
wurde im Oktober 1883 mit blutiger Strenge unterdrückt; 
einer der Hauptfuhrer der radikalen Empörer Paschitsch 
entkam jedoch über die Q-renze und durfte später unbe- 
helligt heimkehren. 

Als im Februar 1884 Pirotschanaz zurücktrat, folgte 
ihm der ebenfalls fortschrittlich gesinnte öaraschanin. 

Dieser glaubte einen grossen Erfolg zu erzielen, indem 
er die Verlegenheit Bulgarien's benützte, welches nach 
seiner Vereinigung mit Ostrumelien durch die Türken be- 
droht und von Russland im Stiche gelassen war, und dem- 
selben den Kriege erklärte. Serbien berief sich dabei auf 



— 39 — 

den Berliner Vertrag und hauptsächlich auf das gestörte 
Gleichgewicht unter den Balkanstaaten. 

Dieser für das Ansehen Serbiens bei den Balkanstaaten 
sehr nachtheilige Krieg wurde seitens der serbischen BrC- 
gierung am 13. November 1885 erklärt und dauerte nur 
vierzehn Tage. 

Serbien konnte wegen fühlbarem Mangel an Munition 
fdr das seit 1882 in der Einfiihrung begriffene ganz vor- 
zügliche Koka-Mauser-Gewehr nur etwa zwei Drittel seiner 
Infanterie des I. Aufgebotes mobilisiren, während das 
II. Aufgebot nur theilweise in den an Bulgarien grenzenden 
Distrikten aufgeboten wurde und das III. Aufgebot vollends 
zu Hause blieb. 

So kam es, dass schliesslich die unter König Milan's 
Commando operirende Haupt -oder Nischava- Armee nur einen 
Gefechtstand von etwa 34,000 Mann (Verpflegsstand bei 
40,000 Mann) und das gegen "Widdin vorrückende Timok- 
Corps unter General Ljeschanin einen Gefechtsstand von 
rund 11,000 Mann bei einem Verpflegsstande von etwas 
über 13,000 Mann, aufwies. 

Die Bulgaren hatten sich durch Zuzüge nach und nach 
soweit verstärkt, dass sie in den, am 17., 18. und 19. No- 
vember bei Slivnitza stattgehabten Entscheidungs-Kämpfen 
der kaum noch 25,000 thatsächliche Kämpfer zählenden 
serbischen Hauptarmee eine ziemlich dicht massirte und 
für ihren Fürsten begeisterte Armee von über 30,000 Streit- 
baren entgegenstellen konnten. 

Der Sieg, welchen Fürst Alexander bei Slivnitza über 
die Serben errang, war ein entscheidender und kam es 
auch noch auf dem Bückzuge der von den Bulgaren 
auf dem Fusse verfolgten Serben zu mehreren blutigen 
Kämpfen, so bei Dragoila (Aragoilj) am 22., bei Caribrod 
am 23., 24. und 25. und bei Pirot am 26. und 27. No- 
vember 1885. 

Fürst Alexander hätte mit seiner Armee unbedingt 
die serbische Grenze überschritten und wäre gegebenen 



— 40 — 

Falls bis Belgrad vorgedrungen, wenn ihm nicht Oester- 
reioh-Ungam, durch den schleunigst in das bulgarische 
Hauptquartier entsendeten Belgrader Gesandten Grat 
Khevenhüller, ein gebieterisches „Halt** zugerufen hätte. 

Nun wurde am 21. Dezember 1885 ein Waflfenstillstand 
geschlossen und am 3. März 1886 der Friede zu Bukarest, 
welcher den Status quo ante wiederherstellte. 

Sowohl dieser militärische Misserfolg, als auch die 
unter dem Ministerium Garaschanin immer drückender ge- 
wordene Finanzlage Serbiens, war die Ursache des am 
13. Juni 1887 erfolgten Sturzes Garaschanins. 

Hierauf bildete Eistitsch ein liberal-radikales Ministe- 
rium und als dieses sich mit der radikalen Mehrheit der 
der Skuptschina absolut nicht verständigen konnte, so trat 
schon nach wenigen Monaten ein rein radikales Kabinet 
unter dem General Sava Gruitsch, Ende 1887, an dessen 
Stelle. 

Da aber dieses neue Kabinet nicht verhinderte, dass 
die Skuptschina eine beträchtliche Verminderung des 
Heeres und neue Eingangszölle beschloss, welche dem mit 
Oesterreich-TJngam abgeschlossenen Handelsvertrage ent- 
gegen waren, so wurde auch das Kabinet Gruitsch schon 
im April 1888 entlassen und Christitsch zum Präsidenten 
eines energischen Beamtenministeriums ernannt. 

Die unaufhörlichen Wühlereien der ehrgeizigen Par- 
teiführer im Innern des Landes erhielten neue Nahrung 
durch den ehelichen Zwist König Milans mit seiner Ge- 
mahlin Natalie, welche als geborene Kussin die serbische 
Politik zu Gunsten des Zarenreiches beeinflusst haben soll. 

Nachdem die königliche Ehe am 24. Oktober 1888 
durch den Metropoliten getrennt worden war, berief 
Milan, — um die Stellung seiner Dynastie zu befestigen, — 
einen aus allen Parteien des Landes gebildeten National- 
Ausschuss, welcher eine neue Verfassung ausarbeitete. 

Darauf wurde die grosse Skuptschina einberufen, welche 
— trotzdem sie weit überwiegend aus Radikalen bestand. 



— 41 — 

dennoch am 22. Dezember 1888 die neue Verfassung ati- 
nahm, welche nun verkündet wurde. 

Dieselbe räumte dem Volke wichtige Rechte ein, be- 
stimmte aber auch die Stellung und Machtbefiignisse der 
Krone genauer. 

Nachdem dies geregelt war, überraschte König Milan 
sein Land am 6. März 1889, am 7. Jahrestage nach der 
Erhebung Serbiens zum Königreiche, mit seiner Abdankung, 
indem er gleichzeitig seinen einzigen Sohn als Alexander I. 
zum König proklamirte, 

Theils der Oeberdruss an dem unfruchtbaren Partei- 
getriebe in Serbien, theils seine zerrütteten Familien- und 
Privatverhältnisse, hatten den überdies nervös überreizten 
König Milan zu diesem Entschlüsse veranlasst. 

Da der am 14. August 1876 geborene König Alexander 
noch unmündig war, so ernannte Milan eine „Regent- 
schaft", die aus Eistitsch, Protitsch und Belimarkovitsch 
bestand. Diese beauftragte den Führer der Radikalen, 
Tauschanovitsch mit der Bildung eines ^abinets, welches 
vorwiegend aus Radikalen bestand, und stellte sich die 
Versöhnung der Parteien, die Regelung der Finanzen und 
die Förderung des Wohles des Volkes zur Aufgabe. Auch 
versprach die Regentschaft die vom König Milan befolgte 
auswärtige Politik nicht zu ändern. 

^ Hierauf verreiste Milan in's Ausland und legte später 
sogar die serbische Staatsbürgerschaft ab. 

Der Regent Protitsch starb bald darauf, wodurch der 
energische und ehrgeizige Ristitsch gewissermassen zum 
Alleinherrscher Serbiens wurde, da der altersschwache 
Belimarkovitsch nur den Namen hergab. Wegen der 
Wahl eines dritten Regenten konnten sich die Parteien 
nicht einigen. 

Der au%eweckte und thatendurstige König Alexander 
mochte sich durch seine Bevormundung sehr beengt gefühlt 
haben und hätte je eher, desto lieber, die lästigen Fesseln 
abgeschüttelt. Sein einziger Vertrauter war sein Erzieher 



— 42 — 

und Freund der Profssoer Dokitsch, welcher den jungen 
König im Sommer 1892 zum Besuche Milans nach Paris 
begleitete. 

Dort soll zwischen Milan, Alexander, Dokitsch, Niko- 
litsch und dem Fortschrittler Gturaschanin beschlossen 
worden sein: Nachdem es den Anschein habe, dass Eistitsch 
die Dynastie Obrenovich unmöglich machen woUe^ — die 
Regenten bei Seite zu schajSen. 

Der junge König soll sich aber ausdrücklich vorbe- 
halten haben, die Ausfuhrung des Planes ganz nach eigenem 
Ermessen zu bewirken. 

Man beschuldigte unter Anderem auch die Begenten 
und ihr radikales Ministerium, für Wahlzwecke zwei Mil- 
lionen Franks verschwendet zu haben. 

Die Ereignisse in Belgrad vollzogen sich nun laut 
den zur Zeit in den Tagesblättem veröffentlichten offiziellen 
Telegrammen folgend ermassen: 

König Alexander lud sämmtliche Regenten und 
Minister für den 13. (1.) April 1893 um 8 Dhr Abends zum 
Diner ein; ebenso den Belgrader Divisions-Commandanten 
Ostojitsch und den Stadtpräfekten Denitsch. 

Während des Diners besetzte Major Christitsch mit 
Kavallerie sämmtliche Ministerien, sowie die Häuser der 
Regenten und Minister, während Major Rasitsch mit einem 
Bataillon Infanterie von der Präfektur Besitz nahm und die 
Wache beim königlichen Palais verstärkte. Ebenso stellte 
der Gendarmerie-Commandant seine Truppe zur Verfugung 
des Königs. Alle diese Commandanten erhielten ihre Be- 
fehle direkt vom Könige. 

Nachdem all' diese Vorbereitungen getroffen waren, 
erklärte beim dritten Gange König Alexander, dass er die 
Regierung selbst in die Hand nehme und den Regenten 
für ihre geleisteten Dienste danke ; sie möchten daher ihre 
Demission unterschreiben. 

Die Regenten erklärten dies für unmöglich, worauf 
der König die Thüren öffnen liess und das im Nebensaale 



— 43 — 

versammelte Offizier-Corps in den Ruf: „Hocli der König!" 
ansbracli. 

Hierauf entfernte sich König Alexander und überliess 
es seinem Adjutanten Tsohiritsch seines Amtes zu walten. 
Letzterer forderte die Begenten und Minister auf, sich als 
Gefangene in ein anderes Zimmer zu begeben. Die Re- 
genten, mit General Belimarkovitsch voran, wendeten sich 
— ihre Autorität geltend machend — dem Ausgange zu. 

Auf Commando des königlichen Adjutanten hielten 
jedoch die an der Thüre postierten Soldaten die Bajonnete 
vor, während Tschiritsch die Regenten und Minister auf- 
merksam machte, dass die Situation ernst sei und die 
Soldaten ihre Pflicht erfüllen würden; worauf jene sich 
gefangen gaben. 

Indessen hatte der, mittelst königlichem ükas zum 
Commandanten der Belgrader Division ernannte Oberst 
Koka Milovanovitsch in sämmtlichen Kasernen und in der 
Festung Belgrad den Truppen den Regierungsantritt des 
Königs kundgemacht, welche diese Mittheilung begeistert 
aufDahmen. 

Nach der Rückkehr Milovanovitsch' in das Palais be- 
auftragte der König seinen bisherigen Gouverneur Dokitsch 
mit der Bildung des Ministeriums, die sich in einer halben 
Stunde vollzog. 

Nun erst fuhr der König in Begleitung des Obersten 
Milovanovitsch zu seinen Truppen, von denen er begeistert 
begrüsst wurde und hielt an sie eine Ansprache. 

Nach Mittemacht war der Staatsstreich vollzogen. 

Die Verhafteten blieben so lange in Haft in ihren 
eigenen Wohnungen unter militärischer Bewachung, bis 
sie ihre Demissions-Urkunde unterschrieben hatten; worauf 
sie Belgrad verlassen konnten. 

Der im Spätherbste 1893 in Abazzia verstorbene 
Dokitsch hatte wenige Tage nach den vorgesohilderten Er- 
eignissen in einer mündlichen Auseinandersetzung erklärt, 
dass die Ursachen des Staatsstreiches in der für alle Welt 



— 44 — 

ungeklärten, gefahrvollen Situation gelegen wären, welche 
durch die ungesetzliche und verfassungswidrige Haltung 
der Eegentschaft und des Ministeriums Avakumovitsoh 
hervorgerufen worden ist. 

Das Ministerium Dokitsch stellte sich zur Haupt- 
autgabe, das Land im Innern zu konsolidiren und naoli 
Aussen hin mit allen Staaten gate Verhältnisse zu pflegen. 

Sämmtliche Eegierungen hatten den Eegierungsantritt 
König Alexanders T. sympathisch zur Kenntniss ge- 
nommen. 

Was seither in Serbien vorging, ist leider darnach 
angethan die Vorhersage eines jener Machthaber, welche 
am 13. April 1893 im königlichen Palais verhaftet wurden, 
als richtig anzuerkennen. 

Er sagte nämlich, dass es in Serbien für den politischen 
Entwicklungsgang keinen Mittelweg gebe; hier heisse es, 
entweder stramme Ordnung halten oder Anarchie 
walten lassen. 

Die Eadikalen traten auch im Jahre 1893 in den 
"Wahlversammlungen und in der Skuptschina immer kühner 
auf und bereiteten der Regierung des jimgen Königs viele 
Sorgen. Dazu kam noch, dass sein ehemaliger Erzieher 
und treuester Berather, der Ministerpräsident Dokitsch aus 
dem Leben schied, was dem Könige sehr nahe ging. 

Er berief Sava Gruitsch um ein Ministerium zu bilden, 
welcher im Jahre 1888 unter seinem Vater durch etwa 
vier Monate Ministerpräsident eines radikalen Kabinets ge- 
wesen war. 

Selbstverständlich gewann nun die radikale Partei in 
der Skuptschina wieder die überwiegende Mehrheit und 
bewerkstelligte sogar die Versetzung des früheren Mini- 
steriums in den Anklagezustand, deren Präsident doch 
der verstorbene Dokitsch, der Freund und treue Vertraute 
des Königs Alexander gewesen und nach dessen Tode 
wieder Avakumowitsch Ministerpräsident geworden war. 
Dies musste den König daher sehr nahe berühren. 



— 45 — 

Kurz der Uebermuth der Iladikalen wurde immer un- 
erträglicher und König Alexander hatte sich in patrio- 
tischer Erkenntniss der unhaltbaren Situation entschlossen, 
dem Wirrsal ein Ende zu machen, um das Einreissen der 
Anarchie zu verhüten. 

Hiezu fand er es nothwendig, seinen Vater aus Paris 
an seine Seite zu rufen, damit dieser den Knoten löse. Es 
ist dies von Seite des freiwillig ausgewanderten, ehemaligen 
Königs MUan ein zwar gesetzwidriger, aber jedenfaUs ent- 
scheidender Schritt gewesen, dass er dem Eufe seines 
Sohnes folgend, mit möglichster Schnelligkeit nach Belgrad 
eilte; wo er am 21. Januar 1894 um halb zwei Uhr Nach- 
mittags in Begleitung des serbischen Gesandten beim 
Wiener Hofe Simitsch eintraf. — Als die bevorstehende 
Ankunft des Exkönigs Milan durch Telegramme in Belgrad 
bekannt geworden, begab sich Ministerpräsident Gruitsch 
zum König Alexander und überreichte ihm am 21. Januar 1894 
um 11 Uhr Vormittags die Demission des ganzen Kabinets 
und motivirte diesen Schritt mit der Ankunft des Vaters 
des Königs, welche verfassungs- oder gesetzwidrig sei. 

Der König verlangte nur eine andere Begründung der 
Demission, was aber vom Ministerpräsidenten entschieden 
verweigert wurde. Der König versicherte den General 
Gruitsch, dass es sich überhaupt nicht um die Betretung 
von verfassungswidrigen, unparlamentarischen Wegen 
handle, sondern dass er im Gegentheile von der An- 
wesenheit seines Vaters eine Klärung der Situation er- 
hoffe. 

Der Divisions-Commandant, Oberst Koka Milowano- 
witsch hatte im Auftrage des Königs die nöthigen mili- 
tärischen Massnahmen getroffen und die Truppen in den 
Kasernen konsignirt. 

Einer Versammlung der angesehensten Parteiführer, 
welche König Alexander I. am 21. Januar Abends zu sich* 
berufen hatte, setzte der Vater des Königs in einer ge- 



— 46 — 

haltvollen Eede die Gründe auseinander, welche die jüngste 
Krisis heraufbeschworen hatten. 

Er sagte unter Anderem, dass die radikale Partei die 
Aufgabe, welche ihr König Alexander am 13. April 1893 
gestellt hatte, seit der Erkrankung des verstorbenen 
Ministerpräsidenten Dokitsch illusorisch gemacht habe. 
Statt der Verfassung und der Gesetze, herrschen im Lande 
vollständige Ungesetzlichkeit und Intole- 
ranz gegen die nicht zur radikalen Partei gehörigen 
Staatsbürger. Täglich erscheinen Abordnungen aus den 
angesehensten Kreisen, um gegen das Verfahren der ganz 
im Sinne der Radikalen amtirenden Behörden Klage zu 
führen. — Alle diese Beschwerden bleiben jedoch, — trotz 
der eindringlichen Ermahnungen des Königs unberück- 
sichtigt. Milan konstatirt, dass einzelne Minister sogar 
versucht hätten, dem Könige das Recht zum Empfange 
solcher Deputationen zu entziehen. 

Schon diese Ungebührlichkeit allein habe eine Krise 
hervorrufen müssen, deren Lösung nur wegen der Un- 
pässlichkeit des Königs hinausgeschoben wurde. Der König 
habe beschlossen, der radikalen Partei künftighin für die 
Leitung der Staatsgeschäfte nicht mehr carta bianca 
zu geben. — Insbesondere verlange der König, dass die 
Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten 
nur dem jeweiligen Minister des Aeusseren, dem Minister- 
präsidenten und der Krone zustehe. Femer sei es absolut 
unzulässig, dass serbische Gesandte, — ohne Wissen des 
Königs, — vom Auslande heimberufen werden, wie dies 
kürzlich mit Paschitsch (dem amnestirten Radikalen- 
Führer im Topola- Auf Stande 1883), dem serbischen Ge- 
sandten in St. Petersburg, geschehen sei. Nicht 
mmder unstatthaft wäre es, dass ein unverantwortlicher 
Faktor, wie das sogenannte politische Central- 
Oomite gewissermassen über der Regierung stehe, Be- 
amten-Ernennungen betreibe oder gegen derartige 
Akte der Regierung protestire, wie zum Beispiel gegen 



— 47 — 

die Emennmig des Obersten Franassovitsch zum 
Gesandten in Paris diess der Fall gewesen sei. 

Der König finde auch, dass die radikale Partei der 
finanziellen Lage des Landes nicht genügend 
ßechnung getragen habe und sich mannigfache 
Verschwendungen, ganz unnöthige Pensio- 
nierungen und ähnliche Handlungen zu Schulden 
kommen liess, und zwar dies alles nur im ausschliesslichen 
Interesse der radikalen Partei. 

Sie habe ferner die Inte re s sen der Armee ver- 
nachlässigt, indem sie die Ernennung eines nicht zu 
ihrer Partei gehörenden Kriegsministers verhinderte. Der 
König wünsche eine engere Verbindung zwischen seiner 
Person und der Armee , durch die Errichtung einer 
königlichen Militär-Kanzlei herzustellen. 

Der König wünsche, dass gewisse Gesetze und Ver- 
fügungen, die mit der Verfassung im Widerspruche stehen, 
wie diejenigen betreffend die Verminderung des Zehents 
imd die Vermehrung der Anzahl der Skuptschina-Abge- 
ordneten, aufgehoben, beziehimgs weise abgeändert werden. 

Der König halte ferner dafür, dass die monatelange 
Aufregung , welche durch den P r o z e s s gegen das ge- 
wesene Kabinet Avakumovitsch hervorgerufen 
wurde, für das Land schädlich sei. Er verlange die Bei- 
legung der Angelegenheit durch sofortigen Rücktritt von 
der Anklage und Fallenlassen des Prozesses. König 
Alexander — betonte zum Schlüsse der Vater des Königs 
— könne nicht eine neue radikale Begierung 
berufen, ehe ihm nicht di e Sicherheit ge- 
boten werde, dass das zu bildende Kabinet 
und die radikale Part ei überhaupt in den 
b e spro ch enen Fragen eine ander e Richtung 
V erfolgen werde, wie bisher! 

Am 22. Jänner um 11 TJhr Vormittags erschienen 
General Sava Gru'itsch und Vukovitsch abermals beim 
Könige, um Namens der radikalen Partei zu erklären, dass 



— 48 — 

sie diese Forderungen des Königs nicht anzunehmen im 
Stande sei. 

Hierauf erklärte König Alexander , dass er seine 
Engagements mit der radikalen Partei als 
gelöst betrachte und sich an andere Per- 
sönlichkeiten wenden werde. 

Am Abend des 23. Jänner erschien abermals eine 
Deputation der Radikalen mit Q-ruitsch an der Spitze, um 
dem Könige zu erklären, dass die Partei bereit sei, neue 
Verhandlungen einzuleiten. Die Radikalen machten nach- 
stehende Vorschläge: 

Der Prozess gegen die angeklagten Minister soll binnen 
vierundzwanzig Stunden beendet sein und im Ealle einer 
Verurtheilung werde die gesammte Skuptschina ein Gesuch 
um Begnadigung der Verurtheilten an den König richten. 

Die radikale Partei wolle ferner dem 
Exkönig Milan eine jährliche Apanage von 
500000 Franks und der Königin Natalie eine 
solche von 200 000 Franks bewilligen! — 

Obwohl Q-ru'itsch bei diesem Anlasse die loyale Er- 
gebenheit seiner Partei betheuerte und sich be- 
reit erklärte, zur Herstellung geordneter Verhältnisse bei- 
tragen zu wollen ; wurde er dennoch kurz abgewiesen und 
ihm bedeutet, dass nunmehr schon mit anderen Persönlich- 
keiten Verhandlungen im Zuge seien. 

Es berührt doch sehr eigenthümlich, dass die radikale 
Partei in diesem kritischen Momente es wagen konnte, 
dem Exkönig Milan und der Königin Natalie ohneweiters 
eine Art von Bestechung anzubieten! — 

In der Nacht zum 24. Jänner 1894 gelang es schliess- 
lich, ein neues Ministerium zu bilden, dessen Präsidium 
dem bisherigen serbischen Gesandten beim Wiener Hofe 
Simitsch übertragen wurde. 

Das Kabinet trägt schon äusserlich den Charakter 
eines üebergang- Ministeriums und ist folgendermassen 
zusammengesetzt worden: 






— 49 — 

Simitsch, Präsidium und Aeusseres ; M i j a t o - 
vitsch, Finanzen; General Z dravkovitscli, Bauten; 
Staatsrate Nikolajevitsch, Inneres ; Oberst Milovan 
Pavlovitscli, Krieg; Hochsohulprofessor Lozanitsclij 
Handel und Ackerbau und Hochscbulprofessor Andrea 
Djordjevitsoh, Justiz und incerimistisch Unterricbt. 

Dieses Ministerium ist vollkommen farblos; nur sind 
alle Mitglieder dieses Kabinets entweder persönliche Freunde 
Milans und seines königlichen Sohnes, oder doch treue 
Anhänger der Dynastie Obrenovitsch ; und darauf kommt 
es der königlichen Familie in diesem Momente in erster 
Linie an; da doch über das sonderbare Verhalten des er- 
bittertsten Feindes Milans, des serbischen Gesandten in 
Petersburg, Paschitsch, ohnehin zahlreiche beunruhigende 
Gerüchte im Umlaufe sind. 

Dem neuen Ministerium war eine schwere Prüfung 
auferlegt, als es sich der eine grosse Mehrheit von Radi- 
kalen besitzenden Skuptschina vorstellen und den könig- 
lichen XJkas, betreffend die Vertagung derselben, vorlesen 
musste. 

Um 4 Uhr Nachmittags am 24. Jänner 1894 wurde 
die Sitzung der Skuptschina eröffnet. 

Unter lautloser Stille zogen die Minister in den Saal 
ein und sofort erhielt Simitsch das Wort , um die 
ministerielle Erklärung vorzulesen. — In derselben sagt 
Simitsch, die Regierung stehe ausserhalb aller 
Parteien und gedenke sich auf alle Parteien zu 
stützen. Sie werde eine korrekte und freundschaftliche 
Haltung allen Staaten gegenüber beobachten; sie appellire 
an die Unterstützung aller Parteien und hoffe, — ebenso 
wie sie das Vertrauen des Königs geniesst, auch das Ver- 
trauen der Skuptschina zu gewinnen. Sie beantrage die 
Session schon jetzt zu schliessen, um sich mit den ver- 
schiedenen Vorlagen und Arbeiten vertraut machen zu 
können. 

Die Skuptschina war bisher ruhig verblieben und 

Anton Tnma, Serbien. 4 



1 



— 50 — 

hatten sich die Deputirten jeder Missfallens-Aeusserung 

enthalten. 

Nachdem Simit&ch die ministerielle Erklärung zu 
Ende gelesen hatte, machte er eine Pause, während welcher 
er ein Amtsschreiben eröfl&iete und neuerdings mit folgen- 
den Worten zu sprechen begann: 

,,Nun habe ich dem Hause einen Ukas des Königs zur 

Kenntniss zu bringen." 

Da springt der extrem-radikale Deputirte Bista Popo- 

vitsch auf und ruft: 

„Ich bitte um's Wort!« 

Jetzt war die Euhe im Sitzungssäle zu Ende. — Aus 
hundert Kehlen erscholl ein unartikulirtes GebrülL In 
der Hoffnung, dass er sich doch Gehör verschaffen würde, 
versuchte Simitsch die königUche Botschaft zu verlesen, 
aber es blieb nur beim Versuche. Die Einen stürzten mit 
geballten Fäusten in die Mitte des Saales, Andere stampften 
mit den Füssen und der Eest schlug wüthend auf die Pulte : 
aber Alle riefen im Chore: „Hinaus! — Packt euch! — 
Wir hören Euch nicht an!" 

Immer betäubender wurde der Lärm, immer entsetzlicher 

das Gebrüll. 

Wieder entfaltete Simitsch den Ukas, aber wieder 

brauste der Lärm stärker als zuvor. 

Simitsch eilte nun auf den extrem radikalen Präsi- 
denten Katitsch zu und rief: „Machen Sie Ordnung!" 
Dieser erwiderte jedoch abweisend : „Hier bin ich 
Präsident und nicht Sie!" 

Und weiter schleuderten die Abgeordneten den 
Ministem Verwünschungen und Beschimpfungen zu. 

Nach einer Weile bekamen die Minister die Szene 
satt und beriethen untereinander. 

Hierauf verlas Simitsch den Ukas pro forma, 
wobei natürlich kein Laut vernehmbar wurde; 
dann schritten die Minister von Hochrufen und Flüchen 
begleitet, aus dem Saale. 



— 51 — 

Nun ergriff abermals Popovitsoh das Wort. 

In einer knrzen Bede, die von Beifallssalven begleitet 
war, protestirte er, im Namen der radikalen Partei, gegen 
die nnparlamentarische Begierung, welche ungesetzlich sei 
und nicht das Becht habe, irgend einen gonvemementalen 
Akt zu vollziehen. — Man habe Gewalt gesäet und 
man werde Q-ewalt ernten! 

Der wüthende Volkstribun wurde jubelnd begrüsst 
und mit dem Bufe: „Es lebe der König!" ging die 
Skuptschina auseinander. 

Der Andrang des Publikums zu dieser Skuptschina- 
Sitzung war ein so massenhafter gewesen, dass der Stadt- 
präfekt persönlich mit dem Aufgebote aller Polizei-Kräfte 
den Zugang zum Gebäude freihalten mufste. 

Tags darauf, am 25. Jänner 1894 zog ein Teil der 
Belgrader Hochschul-Studierenden in geschlossenem Zuge 
an dem königlichen Palast vorüber und riefen: „Es lebe 
die Verfassung! Die Polizei hatte jedoch keinen Anlass 
einzuschreiten, weil sich die Demonstranten vollkommen 
friedfertig verhielten. 

Am selben Tage sollen die bäuerlichen Skuptschina- 
Deputirten vom Stadtpräfekten die Weisung erhalten 
haben, die Besidenz innerhalb vierundzwanzig Stunden 
zu verlassen. Die meisten derselben sind auch that- 
sächlich im Laufe des 25. Jänner von Belgrad abgereist. 

Mit Ausnahme des russischen und französischen, 
haben sich sämmtliche Gesandten beim Exkönig Milan ein- 
schreiben lassen. Dies ist eine Formfrage nui für Milan; 
gegen den König Alexander und das Kabinet Simitsch 
richtet sich dieser Schritt offenbar nicht. . 

Die „Politische Korrespondenz" meinte zwar 
dass das heftige Auftreten der Badikalen gegen das 
Kabinet Simitsch auf das von letzterem angekündigte Pro- 
gramm, bezüglich seiner Stellung gegenüber den Parteien 
keine Bückwirkung ausüben werde. Es ist aber fraglich 
wie lange es der Begierung möglich sein wird, ihren 

4* 



— 52 — 

Grundsätzen der Versöhnlichkeit und des wohlwollenden 
Entgegenkommens gegenüber den Radikalen treu zu 
bleiben. 

Schon am 25. Jänner 1894 besagten Telegramme der 
meist gut informirten „Kölnischen Zeitung^ dass die 
Lage im Innern Serbiens, in Folge der Belgrader Vor- 
gänge, höchst bedrohlich sei. 

Am 26. Jänner erUess der Klub der Radikalen eine 
Erklärung, welche von 106 Skaptschina- Abgeordneten 
unterfertigt ist, in welcher die Anwesenheit des Vaters 
des Königs als Bruch seines Wortes und als Gesetzwidrig- 
keit bezeichnet, gegen jede Theilnahme desselben an 
öffentlichen Staatsgeschäfben Protest eingelegt und dessen 
Verbleiben im Lande als gefährlich bezeichnet wird. 

König Alexander liess am 26. Jänner 1894, auf Grund 
der Artikel 40 und 41 der Verfassung, mittelst Amnestie- 
Dekretes das Prozessverfahren gegen die Mitglieder des 
Kabinets Avakumovitsch einstellen; welche Verfügung im 
Amtsblatte „Srpske Novine" am 27. Jänner verlautbart 
wurde. 

Am 28. Jänner 1894 fand in Belgrad eine Arbeiter- 
versammlung statt, welche eine Resolution annahm, worin 
der Sympathie für die radikale Partei Ausdruck 
gegeben wurde. Hierauf zogen die Arbeiter gruppenweise 
durch die Stadt und brachten Zivo-Rufe auf den König, 
die Verfassung und auf die Nation aus. Beim Skupt- 
schina-Gebäude gingen sie friedlich auseinander, so dass 
die Polizei ebenfalls keinen Anlass nahm, einzuschreiten. 

Diese belanglose Agitation soll nachgewiesener- 
massen von dem bekannten Agitator Pelagitsch in's Werk 
gesetzt worden sein. 

Zu air diesen Nachrichten über die im serbischen 
Volke herrschende Gährung wäre noch die telegraphische 
Meldung aus Belgrad vom 3. Februar 1894 hinzuzufügen, 
dass die Radikalen in der Stadt Schabatz (ziemlich grosser 
Handelsort an der Save) sämmtliche vorhandenen Revolver 



— 53 — 

TLnd sonstigen Waffen aufgekauft hätten und dass man 
ernsthafte Ruhestörungen befürchte. 

Zwar widerlegten am 5. Februar 1894 offiziöse Bel- 
grader Telegramme alle diese G-erüchte, als jeder Begrün- 
dung entbehrend und versicherten, dass in der Stadt und im 
Lande vollste Buhe und Ordnung herrsche. 

Was wird aber geschehen, wenn der bisherige Ge- 
sandte in St. Petersburg, der unerbittliche Feind Milan's 
— Pasitsch, nach Niederlegung seines bisherigen Postens, 
in das Land zurückgekehrt sein wird? — 

Es wird immer klarer, dass bei der gegenwärtigen 
Erisis in Serbien die Dynastie Obrenovitsch in grosser 
Gefahr schwebt von den Wogen der Bewegung hinweg 
geschwemmt zu werden. 

Dass dann wieder das, mit der montenegrinischen 
Fürstenfamilie und daher auch mit dem russischen Hofe 
verschwägerte, Haus Karadjordjevitsch in den Belgrader 
Eonak einziehen und die serbischen Staatsinter- 
essen mit jenen ßusslands und Montenegros 
enger verknüpfen würde, dies wäre doch nur eine 
ganz logische Folge. 

Die Situation ist somit sehr ernst und berührt auch 
vitale Interessen der Nachbarstaaten, insbesondere Oester- 
reich-Ungams. 

Seither wurde nun das farblose Ministeritmi Simitsch 
plötzlich gestürzt und trat der bisherige Minister des 
Innern Nikolajevitsch an die Spitze des neuen Cabinets 
(3. April 1894), welches fortschrittlich — liberal genannt 
werden könnte. Dasselbe beabsichtigt den Kampf gegen 
die Radikalen, die mehrerer, in jüngster Zeit vorgefallener 
politischer Morde beschuldigt wurden, ernstlich aufzunehmen 
und gegen jeden Versuch einer Buhestörung mit allen 
dem Staate zu Gebote stehenden Mitteln rücksichtslos vor- 
zugehen. 



II. Kapitel. 

Cl^eographische und statistische Notizen. 



Das Königreich Serbien (slaw. Srbija) liegt zwischen 
42^ 26' und 44^ 59' nördlicher Breite und zwischen 19«— 18' 
und 22« 52' östlicher Länge von Greenwich und hat einen 
^Flächeninhalt von 48,589.4 Quadratkilometer. 

Es grenzt nördlich an Oesterreich-Üngam und Rumä- 
nien, östlich an Bulgarien bis zum Berge Patarica, welcher 
den dreifachen G-renzpunkt zwischen Serbien, Bulgarien 
und der Türkei bildet. Im Süden und Südosten grenzt 
Serbien an die türkischen Gebiete von Prischtina (unweit 
des berühmten Kossowo polje oder Amselfeld) und Novibazar 
xmd schliesslich im Westen an Bosnien. 

Die Grenze ist in den trockenen Strecken, wo dieselbe 
nicht durch Gewässer in der Natur deutlich bezeichnet er- 
scheint, durch einen etwa 4 Meter hohen, aus Balken und 
Pfosten solide erbauten Zaun markirt, welcher stellenweise 
kaum einen BUck in das jenseitige Gebiet zu werfen ge- 
stattet. Längs dieses Grenzzaunes, welcher die im 
türkischen Gebiete wohnenden räuberischen Amanten ab- 
halten soU, anderswo als an den eigens hierzu bestimmten 
Punkten nach Serbien zu kommen, stehen auf je eine 
Stunde f ussmarsches von einander entfernt, sogenannte 
Earaula's oder Wachhäuser für die Grenzwächter (Stra- 
schari). 



— 55 — 

Diese hermetisch verschlossene Grenze erinnert beim 
ersten Anblicke unwillkürlich an die chinesische Mauer. 

Serbien ist im Allgemeinen ein von zahlreichen Fluss- 
thälem und Schluchten durchschnittenes, in den Ober- 
theilen fast durchweg bewaldetes Bergland, welches — 
ebenso wie das westlich angrenzende Bosnien — an die 
österreichischen Alpen-Provinzen Steiermark und Kämthen 
erinnert. Die Grenzgebirge nehmen meist den Charakter 
eines hohen bewaldeten Mittelgebirges an; so z. B. die 
Stara planina, — im weiteren Zuge nach Osten Balkan- 
Gebirge genannt, — erreicht in der die serbisch-bulgarische 
Grenze bildenden Kette des Ciprovac-Balkan die 
grösste Erhebung mit 2034 m; dann die Goljak-planina 
an der Südgrenze, welche auch in nordwestlicher Fort- 
setzung die Flussgebiete des Ibar und der bulgarischen 
Morava trennt und die Grenze zwischen Serbien und dem 
Paschalik Novibazar bildet. Dieser letztere Gebirgszug, 
der in der spitzen Kuppe Suvo Eudischti mit einer 
Höhe von etwa 2100 m kulminirt, heisst: Kopaonik, 
welcher mit steilen Abstürzen am Ibar bei der serbischen 
Grenzstadt B.aschka endet. 

Jenseits des Jbar zieht in westlicher Sichtung der 
Grenzrücken der Golja-planina, deren höchster Punkt 
1791 m über dem Meere liegt, die weitere Fortsetzung 
bildet mit nordwestlichem Zuge die Javor-planina mit 
Erhebungen von circa 1700 m, welche durch die Tschi- 
gota-planina mit dem von Uschitze südlich bis an 
die Grenze sich ausdehnenden, wunderschönen Alpen- 
gebiete des vielbesungenen „Zlatibor" zusammenhängt, 
dessen durchschnittliche Erhebung 950 bis 1000 m be- 
trägt. 

An den Bodenerhebungen Serbiens ist im Allgemeinen 
eine allmählige Abstufung von Süden gegen Norden deut- 
lich wahrnehmbar. 

Mit Ausnahme der ausgedehnten Alpenflächen in den 
Obertheüen des Zlatibor und jener kleineren flachen Berg- 



— 56 — 

wiesen im Gebiete des Kopaonik (Alpenhütte Scholok an 
der Nordseite mit einer absoluten Höhe von etwa 1680 m), 
dann einigen kahlen Flächen zwischen TJschitze und 
Tschajetina, wo der horizontal geschichtete Kalkstein zu 
Tage tritt, erscheint insbesondere der nordwestliche Theil 
Serbiens von einem hohen Aussichtspunkte betrachtet, 
gleich einer endlosen Waldfläche. 

Im Innern des Landes ziehen zwei deutlich markirte 
Bergrücken von Süden bis zur Donau und Save ; und zwar 
führt derjenige zwischen dem Gfxenzflusse Timok und der 
vereinigten Morava die Benennungen: Djevica-planina, 
nördlich welcher und zwar zunächst der Stadt Boljevac, 
der einem Zuckerhute ähnliche Etanj bis zur Höhe von 
1565 m ansteigt. Die vom B>tanj gegen Osten abzweigende 
Bergkette führt den Namen Top iznioa planina. Nörd- 
lich des Etanj breitet sich die durchschnittlich 1000 Meter 
hohe, kahle und steinige Golubinje planina aus, deren 
höchster Punkt Malinik mit 1142 m kulminirt, während 
die weiter nordöstlich gelegenen St olo vi -Berge die Höhe 
von 1185 m erreichen. Die weiter nördlich gegen die 
Donau ziehenden Gebirgsrücken erreichen keiner mehr 
1000 m Meereshöhe. 

Der nordöstliche Ausläufer, die Mirot seh -planina, 
tritt gegenüber von Orsova noch mit einer absoluten Höhe 
von 789 m knapp an den Donau-Durchbruch von Kazan 
bis zum Eisernen l^hor heran; wo er lothrecht 
abstürzt. 

In dem Eaume westlich der Mirotsch-planina 
und nördlich der Golubinje-planina streichen die 
ßelj anica-planina, die erzreiche Pek-planina, 
mit Höhen von 900—1100 m. Die 700 bis 800 m hohe 
Omolje-planina (auch Homolje), dann die Tr eb en- 
und Gola-planina, welche mit steilen und bewaldeten 
Abhängen zur Donau abfallen. 

Die Bodenerhebungen West-Serbiens werden durch die 



— 57 — 

Serbische Morava in ein nördliches und südliches Gebiet 
geschieden. 

Die nördlichen Q-ebirgszüge hängen mit dem früher 
genannten, nahe der Paschaliksgrenze ziehenden, Zlatibor 
zusammen und zwar zieht vorerst ein Hauptrücken paraUel 
zu Drina in nördlicher^ Eichtung, worauf er sich bei 
dem 1246 m hohen Powlen-Berge in zwei Gebirgsäste 
theilt. 

Als nördlicher Zweig zieht einestheils die erz-reiche 
Jagodin a-planina (800 — 900 m. hoch), zur Drina 
und endet mit steilen, bewaldeten Hängen bei Zwornik 
und Loznica« — andererseits als Wasserscheide zwischen 
der Kolubara und dem Jadar die Ylaschic-planina, 
welche sich bei nordwestlichem Zuge mit dem dichtbe- 
waldeten Bergrücken der Oer-planina verbindet und 
nahe der Drina bei der Stadt Ljeschnitza mit sanftem Ab- 
falle endet. 

Die beim Powlen-Berge in östlicher Richtung ab- 
zweigende Bergkette ist ein vielfach verzweigter und dicht 
bewaldeter Gebirgsrücken, welcher vorerst Maljen-planina 
heisst und eine durchschnittliche Bückenerhebung von 
1000 m besitzt (die Passhöhe Bukowska-planina, welche 
der Fahrweg Uschice-Valjevo übersetzt hat 800 m. Meeres- 
höhe); dann folgt in weiterer Fortsetzung gegen Osten der 
Budnik, dessen höchste Kuppen, der Yeliki-Sturac 
etwa 1100 m. und der Mali Sturac bei 1050 m. Höhe 
erreichen. Die ebenfalls dichtbewaldeten Ausläufer des 
Budnik bilden im Westen und Nordwesten von Kragu- 
jewac die an Schlupfwinkeln reiche Schumadija (von 
„Schuma^' oder Wald), wo sich zu Anfang des neunzehnten 
Jahrhundertes die Aufständischen versammelten und organi- 
sirten. Vom Budnik zweigen sich gegen Süden die 
Jeschevac-planina und die Kotlenik-planina ab, 
welche eine durchschnittliche Bückenhöhe von 500 m. auf- 
weisen und an der serbischen Morava gegenüber der 



— 58 — 

Stadt Er aljevo (ehemals Karanovac) mit nicht zu steilen 
Abhängen enden. 

Südlich und südöstlich von Kragujevac streichen 
die Bergketten der Tatarina-planina und der Juor, 
bis gegenüber der Stadt Tschuprija an der vereinigten 
Morava. 

Von dem gewissermassen einen Knotenpunkt bilden- 
den Budnik streicht nun in nördlicher Sichtung eine 
Bergkette, deren durchschnittliche Höhe 500 bis 600 m be- 
trägt (Kosmaisk 536 m und der Avala 528 m, welcher 
etwa 15 Kilometer südlich Belgrad eine vorzügliche Aus- 
sicht gegen Norden, Westen und Osten gewährt) und 
endlich östlich von Belgrad (Festung 125 m.) mit steilem 
Abstürze an der Donau endet. 

In dem Baume südlich der serbischen Morava und 
zwar zwischen dem Ibar-Flusse und der bulgarischen 
Morava zweigen sich vom serbisch-türkischen Grenzrücken 
ab; und zwar: von der Qoljak-planina unweit der süd- 
lichsten serbischen Stadt und Eisenbahn-Station Yranja 
die Kukavica-planina, welche mit nördlichem Zuge 
und flachen Abhängen beiLeskovac endet; dann südlich 
der Stadt Prokuplje die Djak-planina, diePetrova- 
gora und die Mrl j ak-planina. — Endlich vom 
Kopaonik zweigt sich nord-östlicher Bichtung ab: die 
Lepenac-planina, dann der Veliki und der Mali 
Jastrebac (bis 1878 die serbisch-türkische Staatsgrenze) 
mit Höhenpunkten von 1300 bis 1450 m., deren nördliche 
flache Ausläufer, im Süden der Kreisstadt Kruschevac 
das sehr fruchtbare und namentlich auch einen ausge- 
zeichneten Rothwein produzirende Gebiet der Z u p p a 
(spr. Schuppa) durchziehen. 

Nördlich des Kopaonik breitet sich unweit Kraljevo 
der Bergrücken Stolovi-planina, welcher jenseits des 
Ibar-Flusses der 3 Kuppen tragende etwa 1400 m. hohe 
Troglav gegenüberliegt. 

Zu erwähnen sind noch die etwa zwei Wegstunden 



— 59 — 

westlich von Tschatschak liegenden zwei Bergkuppen: 
Ovtschar (990 m.) und Kablar (893 m.), zwischen denen 
das Thal der serbischen Morava eine felsige Thalenge bildet. 
Auf den Abhängen dieser beiden Berge befindet sich, ähnlich 
wie auf dem Berge Athos, eine Colonie griechisch-orien- 
talischer Mönche. 

Mit Ausnahme der Donau und der Save (serb. Sava) 
besitzt Serbien keinen Fluss, der beschifft werden könnte} 
obwohl es der Drin a und der vereinigten Morava keines- 
wegs an hinreichender Wassermenge fehlen würde, voraus- 
gesetzt, dass die dringendsten Begulierungs-Arbeiten, und 
speziell bei der Morava auch eine gründliche Reinigung 
des Flussbettes, — vorgenommen würden. 

Der Donau- Strom (serb. Dunav) bespült die Nord- 
grenze des Landes von Belgrad bis zur Einmündung des 
Timok in dieselbe. Auf dieser Strecke wechselt sowohl 
die Breite als die Tiefe sehr stark, und zwar wegen der 
zahlreichen Inselbildungen, Untiefen, Stromschnellen und 
schliesslich in Folge der höchst veränderlichen Profilver- 
hältnisse zwischen Bazias und Orsova, wo sich der Strom 
durch das Felsgebirge gewaltsam Bahn bricht. 

So ist die Donau bei Belgrad*) etwa 600 m, eine 
kurze Strecke weiter abwärts ist sie fast 1500 m und längs 
der Insel Ostrov (zwischen Semedria oder Smederevo und 
Bazias) soll die Breite des Wassers selbst 2150 m erreichen; 
am schmälsten hingegen ist sie beim Prigrada-Eiff mit 
nur 117 m Breite. 

Die Tiefe der Donau wird bei normalem Wasserstande 
angegeben: bei Belgrad mit 35 m, bei Tahtalija mit 
66 m und an der engsten Stromstelle beim Prigrada-Riff 
mit 51 m. 

Die Stromgeschwindigkeit beträgt zwischen Bel- 
grad und Bazias durchschnittlich 1,3 bis 1,5 m in der 



*) Siehe ,, Serbien und die Serben" ron Sp. Gopcevic, Leipzig 
1888. — I. Band. 



i 



— 60 — 

Sekunde; sie vermehrt sich jedoch in den Engen des 
Durchbraches ganz ausserordentlich und wird bei Tahtalija 
mit 2,4 m; bei Izlaz mit 3,1 m; im Kazan-Pass mit 
etwa 4,0 m und beim Prigrada-Felsen sogar mit 5 m 
angegeben. 

Die serbische Strecke des Donau-Stromes steht in 
ganz Europa einzig da. Sowohl der herrlichen Natur- 
Iichönheiten seiner üferlandschaften, als auch der daselbst 
befindlichen üeberreste römischer Kunstbauten wegen, die 
unser Erstaunen und unsere Bewunderung in gleichem 
Masse erregen, dann auch die allenthalben sichtbaren 
Spuren des hartnäckigen, ^ Jahrhunderte lang dauernden, 
Kampfes zwischen der Christenheit und dem Halbmonde; 
all' diesem kann man in Europa nichts Aehnliches ssum 
Vergleiche gegenüberstellen. 

Man ist eben daran, die Schiflfahrts-ffindemisse auf 
der Yorgeschilderten Donaustrecke, durch Sprengungen zu 
beseitigen. Nach deren Beendigung wird es nicht mehr 
nöthig sein, die Donau-Engen mit Hilfe eigens gebauter 
Katarakten-Schiffe zu passiren, wodurch das jetzige kost« 
spielige und zeitraubende zweimalige Umladen der Fracht- 
güter und das Umsteigen der !Beisenden entfallen würde. 

Die Donau macht besonders an der Einmündung der 
Save, wo sie eine nahezu 1600 m breite Wasserfläche dar- 
stellt, — einen grossartigen Eindruck. 

Aber im Vergleiche zum Bheine, hat der Schiffahrts- 
yerkehr auf der Donau noch keinen allzu grossen Auf- 
schwung genommen; was sich hoffentlich, nach der Be- 
seitigung der Verkehrshindernisse im eisernen Thore und 
bei andauernder politischer Gonsolidirung der Donau-Ufer- 
staaten, — recht bald bedeutend bessern wird. 

Emil V. Laveleye sagt diesbezüglich: »Der Strom, 
„welcher an Mannheim, Mainz, Koblenz und Köln vorüber- 
„geht, wird von unzähligen Schiffen der verschiedensten 
„Art befahren, und an seinen beiden Ufern führen Schienen- 
„wege hin. Er befördert unendliche Mengen von Beisenden 



— ei- 
rund Frachtgütern und scheint im wahren Sinne des Wortes 
„ein ^gehender Weg^ zu sein. Doch an der herrlichen 
„Donau (der Verfasser meint hier speziell die ungarische 
„und serbische Strecke) ist's öde und einsam, und ihre 
„Fluthen haben kaum mehr als schwimmende Mühlen zu 
„treiben. "Woher das kommt? Nun, sie strömt ja dem 
„Schwarzen Meere zu und geht also durch Länder, auf 
„denen der Fluch des türkischen SiCgimes gelastet hat, 
„während der Bhein dem Westen und den Marktplätzen 
„Hollands und Englands entgegenfliesst." 

Die meisten Frachten und zwar insbesondere auch 
voluminöse Verkehrsobjekte, wie Holz, Steine, Ziegel, Kalk, 
SaJz und oft auch Getreide, werden hauptsächlich durch 
grosse Ruderboote verfährt, während die werthvoUeren 
Siohprodukte des Ostens und die Industrieerzeugnisse des 
Westens auf Dampfschiffen versendet werden. Noch immer 
entfallen jedoch auf die Buderschiffahrt zwischen 55 bis 
60 Prozent des gesammten Schiffsverkehres auf der Donau. 

Nachdem unterhalb des Eisernen Thores auch Segel- 
schiffe und kleinere Seedampfer verkehren können; so 
dürfte sich nun der Fall wohl öfter ereignen, dass ein 
französischer oder englicher See-Dampfer in einem der 
unteren Donauhäfen Serbiens anlegt, um einen direkten 
Waarenverkehr zu vermitteln. Im Jahre 1887 geschah es 
zum ersten Male, dass ein Seedampfer, die „Uniti" von 
600 Tonnen Gehalt, in direkter Fahrt von Bergen in 
Norweger, im serbischen Donau-Hafen von ßadujevatz 
eintraf, daselbst seine Ladung (Hanfsäcke und leere Fässer) 
löschte und dafür ausgezeichneten Negotiner-Wein 
für eine Weinhandlung in Nantes einnahm. Mit dieser 
Ladung kehrte die Unita nach fünftägigem Aufenthalte 
durch die Donau, das Schwarze Meer, Marmara-Meer, den 
Archipelagus, dann durch das Mittelmeer und den Atlan- 
tischen Ocean nach Nantes und schliesslich nach Norwegen 
zurück. 

Da die Fracht, trotz der 25tägigen Dauer der Fahrt 



1 



— 62 — 

(einschliesslich der nothwendigen Aufenthalte) nur 8,75 
Dinars (Franks) per Meterzentner betragen hatte ; so dürfte 
wohl dieser erste Versuch Nachahmung gefunden haben. 

Den hauptsächlichsten Verkehr auf der Donau und 
Save vermittelt, — trotz der seit etwa zehn Jahren in 
Conkurrenz getretenen russischen Dampfschiffahrts-Gesell- 
schaffe des Fürsten G-agarin, — noch immer die k. k. 
priv. Donau -Dampf schiff ahrts- Gesellschaft; 
welche ihre Thätigkeit im Jahre 1830 mit einem einzigen 
kleinen Dampfschiffe begonnen hatte und nun schon nahe 
an 1000 eiserne Fahrzeuge, — worunter nahezu 200 
Dampfer, — besitzt ; wobei die hölzernen, dann die Bagger- 
schiffe etc. gar nicht mitgerechnet sind. 

Selbstverständlich konnte bisher keines der nachher 
gegründeten Schiffahrts- Unternehmen mit jener grossen 
Gesellschaft konkurriren; so z. B. die 1860 vom Fürsten 
Milosch gegründete französische Dampfschiffahrts-Gesell- 
schaft M a g n a n und die vor einigen Jahren vom Kriegs- 
minister S. Gruitsch projektirte serbische Dampf- 
schiffahrts-Gesellschaft, welcher Plan schliess- 
lich gar nicht verwirklicht wurde. 

Die serbische Regierung besitzt nur einen Dampfer 
den „Deligrad" (160 Pferdekräfte) und 6 Schlepper, 
welche hauptsächlich zum Transport von Truppen und 
Kriegsmateriale bestimmt sind, üeber die seit Anfang 
1890 im Entstehen begriffene — von Bussland unter- 
stützte — „Erste serbische privilegirte Schiff- 
fahrts-Gesellschaft" wird im VIEL Kapitel ausfuhrlicher 
berichtet. 

Von den serbischen Donau-Zuflüssen ist die Save 
(serb. Sava) der bedeutendste. 

Die Save bildet von Batscha bis zu ihrer Mündung 
in die Donau bei Belgrad die Grenze gegen Oesterreich- 
üngam. Sie durchfliesst in dieser Strecke ausgedehnte 
Ebenen, die häufig versumpft sind; so z. B. die etwa 
850 qkm grosse Matschva von Katscha bis östlich Schabac 



— 63 — 

reichend mit dem Kitor-Sumpfe, femer die versumpfte 
Thalebene westlich von Obrenovao, dann das Makisoh- 
M o o r zwischen Ostruschnitza und Topschider etwa 
40 qkm gross. 

Die Save hat einen stark gewundenen Lauf und ein 
sehr wechselndes Profil. Es kommen Flussbreiten von 
100 bis 400 m vor und an ihrer Mündung bei Belgrad 
wetteifert die Save hinsichtlich der Breite selbst mit der 
Donau. 

Ihre Tiefe ist an manchen Stellen sehr gering; so 
dass bei starkem Niederwasser im Hochsommer der in der 
Begel drei Mal wöchentlich stattfindende Dampferverkehr 
zwischen Belgrad und Sissek eingestellt, oder doch auf die 
unterste Strecke beschränkt werden muss. 

Die Stromgeschwindigkeit der Save muss, im Ver- 
gleiche zur Donau, geradezu träge genannt werden. 

Wegen der häufig vorkommenden sehr niedrigen Ufer, 
finden fast bei jedem Hochwasser Ueberschwemmungen 
des meist vollkommen ebenen Ufergeländes statt, welche 
erst nach einigen Wochen ablaufen. — Diess ist auch die 
Ursache, dass selbst die Uferbewohner, sowohl auf unga- 
rischer, als auch auf serbischer Seite vielfach am Wechsel- 
fieber erkranken und dass daher Fremde um so wahr- 
scheinlicher von dieser Krankheit befallen werden. 

Die Save hat auf der serbischen Strecke nur die 
Staatsbahn-Brücke zwischen Belgrad und Semlin (Eisen- 
gitter-Construktion auf 4 steinernen Mittel- und eben- 
solchen Landpfeilem ruhend); an anderen Punkten wird 
der Verkehr zwischen beiden Ufern nur durch Ueberfuhren 
bewerkstelligt. 

Ihr rechtsseitiger Hauptzufluss, — die Drina, — 
bildet die serbisch-bosnische Grenze. Dieselbe entsteht 
beim bosnischen Dorfe Hum durch den Zusammenfluss 
der Piva und der Tara, passirt die Städte Fotscha, 
G-orazda und Vischegrad und bildet hierauf von 



— 64 — 

etwa zwei Wegstunden unterhalb Vischegrad bis zur 
Mündung in die Save bei Bat seh a die Landesgrenze. 

Bis unterhalb Z w o r n i k fliesst die D r i n a in einem 
engen von hohen G-ebirgen eingeschlossenen Thale, welches 
sich von Loznica an immer mehr erweitert um schliess- 
lich in die sumpfige Matschva-Ebene überzugehen. 

Die Drina ist von ihrem Emtritt in Serbien bis 
zur Mündung, bei normalem Wasserstande, ohne künst- 
liche Mittel nicht zu passiren und feste Brücken giebt 
es auf der Strecke unterhalb Vischegrad nicht. Da- 
gegen bestanden schon vor zwanzig Jahren bei den 
serbischen Städten Bajna Baschta, Ljubovija, 
femer bei Mali Zwornik, bei Loznica und Lesch- 
n i c a vom Staate unterhaltene Fähren; zu welchen häufig 
Soldaten des Pontonnier-Corps als Fährleute abkommandirt 
waren. 

Sowohl die Breite (zwischen Zwornik und Loznica 
gegen 130 und 150 m.), als die Tiefe der Drina würde 
das Befahren derselben mit kleineren Dampfbooten von 
Zwornik abwärts gewiss ermöglichen; jedoch müssten 
vorerst, besonders an der Mündung Baggerungen vorge- 
nommen werden, um das Flussbett zu vertiefen und über- 
haupt zu reinigen. 

Die rechtsseitigen Zuflüsse der Drina sind der Jadar, 
der in seinem Oberlaufe zahlreiche torrentenartige Q-e- 
birgsbäche aufiiimmt, deren Thäler meist schluchtartige 
Engen bilden. In seinem unterlaufe bewässert der Jadar 
ein schönes und fruchtbares Thal, wovon der ganze Ver- 
waltungsbezirk den Namen fuhrt. Seine Wassermasse ist 
gering; denn an der Chaussöebrücke nahe seiner Mündung 
hat er eine Breite von nur 6—8 m., dagegen eine Tiefe 
über 3 m. und schlammigen Grund. Der unweit des Jadar 
in die Drina mündende Lesnica potok (Bach) ist noch 
unbedeutender, als jener. 

Die nächsten rechtsseitigen Zuflüsse der Save, nämlich: 
der Zasavica-, Bitva- Jerez-, Komitschak- Dob- 



— 65 — 

rova Tind Vukodraz-potoksind theils — wie die drei Erst- 
genannten — Smnpfadem, theils sonst unbedeutende Bäche, 
deren Oberläufe jedoch häufig den Charakter vonGiessbächen 
haben. 

Die Tamnava rjeka (Fluss) ist im ersten Drittel 
ihres Laufes ebenfalls ein Giessbach, im Mittel- und Unter- 
laufe fliesst sie hingegen durch ebenes, steUenweise sogar 
stark versumpftes Gelände langsam und träge dahin. Die 
Tamnava nimmt rechts den unbedeutenden Üb-Bach auf 
und mündet selbst nördlich von Obrenovac in die 
Save. 

Die Kolubara rjeka sammelt ihre Quellen südlich 
der Kreisstadt Valjevo in der Maljen-Planina, durch- 
fliesst von Valjevo etwa fünfzehn Kilometer lang ein 
ziemlich breites und fruchtbares Thal, welches sich bei 
Belacrkva (oder Markova crkva) für eine kurze Strecke 
verengt; worauf die Kolubara das wellenförmige Flach- 
land und schliesslich vonBelibrod an, durch eine scharfe 
Wendung gegen Norden, das bewaldete th eil weise von 
Sumpf bedeckte Tiefland betritt. 

Während die Kolubara bei der Fürth Belibrod 
etwa 30 m breit 0,5 m tief ist und hier noch ein Gefälle 
von mehr als 2 m per Sekunde aufweist, überdies groben 
Schotter mitführt, womit sie bei Ueberschwemmungen auch 
die umliegenden Thalgründe bedeckt; ist sie bei Obreno- 
vac, eine kurze Strecke vor ihrer Mündung in die Save, 
zwar gegen 70 m breit und 3 m tief, jedoch ohne merkliches 
GefäUe. 

Die Kolubara nimmt rechts mehrere Bäche von 
geringer Bedeutung auf, so die Toplica, Ljig, Pescht- 
janska, Turja und die Bjelanica. 

Westlich von Belgrad nimmt die Save noch den 
Abfluss des schluchtartigen und schönen Topschider- 
Thales auf. 

Zu den weiteren Zuflüssen der Donau aus dem 
Königreiche Serbien übergehend, finden wir auf der Strecke 

Anton Tuma, Serbien. 5 



— 66 



unterhAlb Belgrad bis Semendria (Smederevo) nur 
geringfügige Gebirgsbäche. Zwischen der letzteren Stadt 
und der Dampf scbiff-Station Dubravica (Landungsstelle 
lür Pozarevac) erstreckt sich aber das gegen zwölf Kilo- 
meter breite Mündungs-Delta der Morava, welche der 
vielbesungene nationale Fluss Serbiens ist. 

Die beiden Quellflüsse, die Srpska (Serbische) und 
die Bugarska (Bulgarische), auch Binatschka Morava 
genannt, vereinigen sich bei Stalac, etwa 15 Kilometer 
nordöstlich der Kreisstadt Kruschevac. 

Die Srpska Morava entspringt südlich Jvanjica 
in der etwa 1800 m hohen Javor-planina, durchfliesst 
bis etwa halben Wegs zwischen Jvanjica und Pozega 
ein ziemlich enges von steilen G-ebirgshöhen eingefasstes 
Thal, welches unterhalb der vom Gradina- und Malitsch- 
Brdo (deutsch: Berg) gebildeten Enge sich allmählig er- 
weitert und einer gutbebauten Thalsohle von lOüO bis 
1500 m Baum lässt, welche bei Pozega in einen förm- 
lichen Thalkessel von etwa 5 qkm Flächeninhalt übergeht. 
Daselbst vereinigen sich nämlich zahkeiche Zuflüsse, wie 
die Djetina (entspringt im Gebiete des Zlatibor auf der 
Schargan-planina, durchfliesst bis knapp vor ihrer Mün- 
dung ein durchweg schluchtartiges Thal, in welchem auch 
die Kreisstadt ü z i c e liegt), — femer der von der Maljen- 
planina herabfliessende Skrapesch potok mit seinem 
rechtsseitigen Zuflüsse, der Luznica, dann die Kravarica 
und die Belica, welche beide aus Südosten von der 
Jelica-planina kommen. 

Nach Aufiiahme all' dieser Zuflüsse wendet sich die 
Serb. Morava etwa 1 Wegstunde unterhalb von Pozega 
in ihrem bisherigen südnördlichen Laufe plötzlich gegen 
Osten und betritt eine etwa 1 5 Kilometer lange Felsenge, 
deren Begleitungshöhen nahe des östlichen Thalausganges 
in den beiden Bergen Ovtschar 990 m (am südlichen 
oder rechten Ufer) und Kablar 895 m (am nördlichen 
Ufer) Höhe erreichen. 



— 67 — 

An den Abhängen dieser beiden Berge befindet 
sich eine griechisch-orientalische Mönchs-Colonie, ähnKch 
jener des Berges Athos. 

Jenseits dieser Felsenge tritt dieSerb. Morava in 
eine sehr fruchtbare und vorzüglich kultivierte Thalsohle, 
welche zwischen Tschat schak und Kraljevo eine 
Breite von 7—8 Kilometer besitzt. Oestlich von Kral- 
jevo vermindert sich die Thalbreite immer mehr, bis sie 
in der etwa drei Kilometer langen Enge bei Trstenik 
kaum noch 400 m Breite aufweist. Weiter abwärts 
erweitert sich das Thal wieder nahezu bis zur vorigen 
Breite, die sich schliesslich, — zwischen Kruschevatz 
und dem Zusammenflusse mit der Bulg. Morava, — auf 
zwei Kilometer verringert. 

Die Breite der serbischen Morava beträgt im Thal- 
becken von Pozega bei der etwa vier Kilometer unterhalb 
dieser Stadt befindlichen Fähre*) circa 80— 90 m, während 
dieselbe im Oberlaufe zwischen Jvanjica und Pozega 
— somit vor der Au&ahme der wasserreichen Zuflüsse: 
Djetjina und Skrapez — nur 30 bis 40 m Breite hat. 
In der Felsenge zwischen dem Ovtsohar und Kablar 
vermindert sich die Flussbreite auf etwa 60 m, um sich 
gegen die Mündung hin bis zu 100 und 120 m zu ver- 
mehren. 

Die serbische Morava erhält nach dem Austritte aus 
der Thalenge östlich von Pozega folgende Zuflüsse; und 
zwar rechts: nebst zahlreichen kleinen Bächen von durch- 
schnittlich 6—12 m Breite, den Ibar, welcher südlich 
von Mitrovitza im Vilajet Kossovo entspringt, bei der 
serbischen Grenzstadt Easchka den westlich der tür- 
kischen Stadt Novibazar entspringenden Baschka- 
potok aufnimmt (bei Baschka etwa 16 m breit und 1 m 
tief; Thalbreite gegen 150 m und erweitert sich gegen die 



*) Dieselbe dürfte seither durch eine feste Brücke ersetzt 
worden sein. 

6* 



- 68 — 

Stadt Novibazar bedeutend); hierauf in engem Thale 
(durchschnittlich 400—600 m breit), welches nach der Auf- 
nahme der Studenica Rjeka auf einer Strecke von etwa 
zwanzig Kilometer Länge, durch kahle und meist lothreohte 
Felsen vollkommen eingeengt ist, — in vorherrschend 
nördlicher Richtung fliesst und unweit Kr aljevo (ehemals 
Karanovac) etwa 60—70 m breit in die serbische Morava 
mündet. 

Von den Zuflüssen des I b a r verdient ganz besonders 
hervorgehoben zu werden : Die rechtsseitige J o s c h a - 
n i t z a , wegen ihrer äusserst interessanten Thalbildung, 
indem sie in ihrem Oberlaufe in einer Felsschlucht über 
mehrere 3 bis 6 m hohe Stufen des (3-ranitgesteins tosend 
herabstürzt und sodann an dem Dorfe B an j a vorbeifliesst; 
wo auf einer Wiese im Thalgrunde wohl die heisseste 
Schwefelquelle Europa's — mit einer Temperatur von 
79® C. aus zwei Trichtern dampfend und brodelnd an das 
Tageslicht tritt. 

Weiters verdient auch der linksseitige Ibar-Zufluss: 
die Studenica-rjeka erwähnt zu werden. Der- 
selbe entspringt auf dem Grenzrücken Golja-planina 
erreicht seine grösste Wasserbreite von 30 m in seinem 
Unterlaufe, unweit des serbischen ^^griechisch-orientalischen) 
Mönchsklosters Studenica, welches in historischer Be- 
ziehung unter den Klöstern des Königreiches den ersten 
Rang einnimmt. 

Unweit ihrer Vereinigung mit der bulgarischen, 
nimmt die serbische Morava bei E^ruschevac noch zwei 
Gewässer von beinahe paralleler Laufrichtung auf, welche 
Beide die sehr fruchtbare und daher auch auffallend dichter 
bevölkerte „Zuppa" durchfliessen. Die westlich von 
Kruschevac mündende Tschitlutschka rjeka 
ist die minder wichtige von Beiden; erreicht eine Wasser- 
breite von 20 — 25 m und ihr von sanft geböschten, gut 
bebauten Abhängen eingeschlossenes Thal erreicht durch- 
schnittlich eine Breite von 500—600 m. 



— 69 — 

Dagegen ist die östlich Krnschevac mündende 
!B a s i n a viel bedeutender und wasserreicher. Sie ent- 
springt — gegenüber der Joschanitza — auf einer 
nördlichen Fortsetzung der Kopaonik-planina (dem 
Zelin Berge 1822 m) und durchfliesst ein fruchtbares Thal, 
welchs bald nach der Vereinigung der Quellbäche bei der 
ßuine Kozmitsch schon 500 bis 600 m breit, und diese 
Breite auch bis zur Thalenge bei Krivibrod-Eaz- 
b o j n a beibehält. Nördlich von Bazbojna, — woselbst 
die Basina den aus der historisch bekannten „Jankova 
iKlissura*' abfliessenden Bach Blatacnica aufnimmt, 
— wird das Hauptthal sofort wieder gegen 400 m breit, — 
bei der etwa drei Kilometer thalabwärts gelegenen Ge- 
meinde Z 1 a t a r i beträgt die Thalweite bereits über 1000 m 
und steigt schliesslich unweit von Kruschevatz über 
1500 m, bei sehr sanft ansteigenden und sehr gut kulti« 
vierten Begleitungshöhen. Das beiderseits der B a s i n a 
und der Ts chitlut s c hk a rjeka sich ausdehnende 
Gelände der „Zuppa" erhebt sich durchschnittlich nur 
450—500 m absolut, somit nur etwa 300 m über die 
Thalsohle der M o r a v a und B a s i n a. In diesem herr- 
lichen Berglande gedeiht auch ein vorzüglicher Wein. 

Nun müssen' auch noch die linksseitigen 
Zuflüsse der serbischen M o r a v a Erwähnung finden. 

Die oberhalb des Thaldurchbruches zwischen dem 
Ovtschar und E^blar aufgenommenen Zuflüsse : derVeliki 
Bzav (mündet bei Arilje 20 m breit), dann die in enger 
Felsschlucht von der Kreisstadt Uzice kommende Dje- 
t j i n a , endlich der Skrapesch mit der Luznica, 
wurden an einer früheren Stelle schon besprochen. 

Unter den unterhalb des Durchbruches der Morava 
links zufliessenden Gewässern sind nur folgende nennensr 
werth: 

Die Kamenitza, die Tschemernitza mit der 
Despotovica, welche in einem 30 m breiten, stark 
versandeten Bette eine kurze Strecke unterhalb T s c h a t- 



— 70 - 

s c h a k in die Morava mündet. Auf dem zwischen der 
Tschemernitza und der Morava ziehenden — etwa 
1 00 m die Thalsohle überhöhenden Waldrücken „Ljubitsch" 
haben im Jahre 1815 etwa 3500 Serben gegen 5000 Türken 
einen Sieg erfochten. 

Die Despotovica fliesst einige Kilometer südlich 
der Kreisstadt Gornj Milanovacin einer Felsschlucht, 
durch welche schon im Jahre 1874 eine in den Felsen ge- 
sprengte Chaussee führte. Gegenüber von Kraljevo 
mündet die bedeutendere Gr uz a, deren Thal im untersten 
Laufe bis zu 3 Kilometer breit und sehr gut kultivirt ist. 
Im Mittellaufe hingegen ist deren Thal durch eine längere 
Strecke sehr beschränkt, weshalb sich daselbst auch keine 
Ansiedlungen befinden. 

Die Bugarska (bulgarische) Morava entsteht aus 
mehreren Quellbächen im Vilajet Kossovo und bildet 
gewissermassen den Gegenfluss der Sitnica, eines Neben- 
flusses des Ibar. Am Nordabhange dieser Wasserscheide 
erstreckt sich das von der Sitnica durchflossene Hoch- 
land: ^Kossovo-polje** (Amselfeld), wo seiner Zeit die 
serbische Freiheit für mehrere Jahrhunderte begraben 
worden war. 

Die Bulgarische Morava betritt unweit Vranja 
das neuserbische Gebiet, durchfliesst bei im Allgemeinen 
nördlicher Laufrichtung ein — anfangs beschränktes, jedoch 
immer mehr sich erweiterndes, gut bebautes Thal und ver- 
einigt sich, wie schon mehrmals erwähnt wurde, bei Stalac 
mit der Serbischen Morava. Etwa in der Mitte der 
Flusstrecke: Yranja-Leskovac ist das Thal in einer Länge 
von ungefähr vier Wegstunden von theils bewaldeten, 
theils felsigen Gebirgshängen eingeengt, worauf die frucht- 
baren Thalbecken von Leskovac, Nisch und Aleksinac 
folgen, ungefähr zehn Kilometer oberhalb der Vereinigung 
mit ihrem Schwesterflusse ist das Thal der bulgarischen 
Morava abermals durch Waldgebirge verengt. 

Dieselbe wird theils von mehreren Strassenbrücken 



— 71 — 

theils von zehn Eisenbahn-Brücken übersetzt.*) Das Thal 
ist bis Nisch reich an Naturreizen, welche Gopcevio in 
seinem Werke**) in "Wort und Bild interessant schildert. 

Besonders der kurze Engpass bei Kurvingrad mit 
seinen lothrechten Felswänden ist wildromantisch. 

Die Zuflüsse der Bulgarischen Morava sind rechts: 
die Vrlo rjeka, die Ljubarazda, welche ein enges 
Thal durchfliesst und gegenüber von Leskovao mündet, 
femer die Nischava, welche von Bulgarien kommend 
bei Caribrod die serbische Grenze betritt und westlich 
Nisch mündet. In ihrem Thale liegen die, durch den sieg- 
reichen Vormarsch der Bulgaren im Jahre 1885 bekannten, 
Städte Pirot und Bela Palanka. Ihr Thal ist im Allge- 
meinen ziemlich geräumig, fruchtbar und gut kultivirt. 
Nur zwischen Bela Palanka und Nisch bildet das Thal auf 
einer Strecke von zwölf Kilometer eine solche Enge, 
dass sowohl die alte Heerstrasse als die jetzige Bahntrace 
zum Ausweichen nach Süden gezwungen wurden. Endlich 
mündet noch bei Aleksinatz die meist in einem beschränkten, 
von waldigen Hängen eingeschlossenen Thale fliessende 
Moravica (oder kleine Morava). 

Von den linksseitigen Zuflüssen der Bulgarischen 
Morava sind folgende der Erwähnung werth; und zwar: 
die Veternica, die Medvedja, dann die Toplica, welche 
in dem Thalbecken von Kurschumlje, von den Ostab- 
hängen des Gebirgsstockes Kopaonik kommend, zahlreiche 
Zuflüsse aufnimmt, sodann in einem ziemlich geräumigen 
und fruchtbaren Thale an der neuserbischen Stadt Prokuplje 
vorbeifliesst und unmittelbar südlich der Felsenge bei 
Kurvingrad in die Bulgarische Morava mündet. Von Kur- 

*) Strassenbrücken bestehen, ausser primitiven Uebergängen 
im obersten Laufe, beiVranja, beim Dje vo-Han, beim Q-rdelica- 
Han (beide in der Thalenge oberhalb Leskovac) dann beim Dorfe 
Tschetschina, bei Mramor (westlich Nisch), bei Aleksinatz* 
Djunis und bei Stalac. 

♦*) Serbien und die Serben 1888, Leipzig bei Eli scher. 



— 72 — 

ächumlje führt in deren Thale eine gute Fahrstrasse über 
Prokuplje nach Nisch Schliesslich wäre, ausser einigen un- 
hedeutenden Bächen, die Djuniska rjeka anzuführen, welche 
bei dem, durch die im Jahre 1876 daselbst zwischen Serben 
und Türken geschlagene Schlacht berühmten. Orte Djunis 
von einer etwa 30 m langen Brücke übersetzt wird. 

Die vereinigte Morava ist wasserreich und hat 
schon bei Stalac eine Breite von etwa 80 m, welche sich 
jedoch im Unterlaufe bis zu 250 m vergrössert. Ihre Tiefe 
wechselt zwischen 6 und 8 m und das Gefalle beträgt 
zwischen Stalac und Tschuprija 1 Meter auf 1618 Meter, 
vermindert sich jedoch weiter abwärts um ein Bedeutendes. 
Das unterste Thal von Svilajnac abwärts steht gelegentlich 
der Ueberschwemmungen in der Donau meist zum grossen 
Theil unter Wasser. Diese Strecke des Morava-Thales ist 
auch an vielen Stellen versumpft und wenig bewohnt. 
Hier könnte eine rationelle Begulirung des Flusslaufes und 
die damit Hand in Hand gehende Trockenlegung der mit- 
unter über 15 Kilometer breiten Thalsohle mehrere Tausend 
Hektare vorzüglichen Bodens der Cultur gewinnen. 

Auch die Schiffahrt kann auf diesem vollkommen ver- 
wilderten Flusslaufe unmöglich zweckentsprechend betrieben 
werden. Obwohl die Morava von Tschuprija abwärts mit 
Kähnen befahren werden kann, so ist dieser geringfügige 
Verkehr doch nur von geringem Belange. 

Im Jahre 1867 erhielt die Donau- Dampfschiffahrts- 
Gesellschaft von der serbischen B>egierung die Ermäch- 
tigung, auf der Morava einen Dampfschiffs- Verkehr ins 
Leben zu rufen. 

Die Gesellschaft sollte die technischen Leiter, die 
serbische Regierung hingegen die nöthigen Pontonnier- 
Soldaten beistellen, um die Schiffahrts-Hindemisse zu be- 
seitigen. 

Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die ßegulirungs- 
kosten viel zu gross gewesen wären; nachdem vorerst 
Schutzmassregeln gegen die alljährlich wiederkehrenden 



— 73 — 

Hochwasser-Üeberschwemmungen, sowie Durchstiche zur 
Abkürzung grosser Flusskrümmungeii, als nothwendig er- 
kannt wurden und schliesslich hätte das Bett selbst von 
den vielen Baumstämmen, Steinen und untiefen gereinigt 
werden müssen, welche einen geregelten Schiffsverkehr 
immöglich machen. 

In Folge der Eröffiiung der längs des Morava-Thales 
nach Smederevo an der Donau führenden Bahntrace ist die 
Begulirungsfrage wieder auf unbestimmte Zeit vertagt 
worden; obwohl eine grosse Fläche vorzüglichen Cultur- 
bodens hiedurch vollkommen brach liegen muss. Aller- 
dings hat Serbien bei seiner geringen Bevölkerungsziffer 
noch nicht das Bedür&iss, jeden Fleck seiner Bodenfläche 
sorgfaltigst ausnützen zu müssen. 

Es ist interessant zu erfahren, dass der englische Arzt 
Ed. Brown, welcher Serbien im Jahre 1669 bereiste, mit- 
theilt; es hätte damals die Morava die Haupthandels- und 
Verkehrsstrasse zwischen Serbien und Ungarn gebildet: 
wobei hauptsächlich Salz eingeführt worden sei. 

Die Zuflüsse der vereinigten Morava sind, recht« 
die meist unbedeutenden Gewässer: Crnica, Kavanica 
und!Eesava; femer links: die G-ruza, der antike Lugo- 
mir, die Belica, an welcher Jagodina liegt, dann die 
Lepenica, die in Kragujevatz zwei etwa 24 m lange 
Brücken hat; endlich die Jasenica. 

Unterhalb Svilajnac beginnt die Deltabildung der Mo- 
rava, indem sich vorerst mehrere Flussarme rechts vom 
Hauptbette abzweigen, von denen der grösste den Namen 
Resavtschina führt und sich westlich von Pozarevatz 
wieder mit der Morava vereinigt; während die etwa 35 
Eülometer unterhalb Svilajnac von der Morava abzweigende 
Jesava rjeka sich nicht mehr mit derselben vereinigt, 
sondern 12 Kilometer oberhalb der Morava-Mündung bei 
Smeäerevo in die Donau fallt. 

Stabile Brücken hat die vereinigte Morava nur bei 
Obrez(?)Tschuprija, femer in der Nähe von Pozarevac, 



- 74 — 

beim Staatsgestüte Ljubitschevo und bei Dragovac (?). 
Vor zwanzig Jahren bestand bei Tsohuprija eine solide 
Pontonbrücke mit 16 schwimmenden Unterlagen und bei 
den drei anderen Oiten waren nur Fähren vorhanden; des- 
gleichen gab es solche westlich von Paratschin, dann nord- 
östlich von Jagodina bei Glogovac, femer bei B a g r d a n, 
bei Svilajnac und bei Velike Oraschje östlich 
von Palanka. 

Der nächste rechtsseitige Zufluss der 
Donau ist die Mlava, welche am Westabhange der 
Stolovi planina entspringt und bei Kostolac gegenüber der 
grossen Insel Ostrov in die Donau mündet. Das Mlava- 
Thal ist im Oberlaufe bis gegen Petrovac sehr enge, weiter 
abwärts jedoch durchwegs zwischen 3 bis 5 Kilometer breit 
und gut kultivirt. 

Der nächste Donau-Zufluss ist der P e k , welcher 
seinen Ursprung am Nordabhange der Stolovi planina, 
unweit der Mlava-Quelle hat und bei Gradischtje in 
die Donau mündet. Dessen Thal ist bis zu den Schmelz- 
hütten des nahen Kupferbergwerkes von Majdanpek sehr 
beschränkt, sodann kommen einige Beckenbildungen, wie 
jene bei Kruschevica (Kutschevo) vor und im untersten 
Laufe ist die Thalsohle 2 bis 3 Kilometer breit und meist 
gut bebaut. 

Etwa 5 Kilometer östlich von Dolnji Milanovac 
ergiesst sich die Poretschka rjeka, ein torrenten- 
artiger Gebirgsbach in die Donau, in dessen engem Thale 
eine Fahrstrasse von der Donau in das Timokthai nach 
Zajetschar fuhrt. 

Nach dem Austritte aus der Felsenge des Eisernen 
Thores nimmt die Donau einige aus der Mirotsch plania 
kommende Gebirgs-Bäche ; z. B. den Podorschki, den 
Zlatinski und denZamna potok auf, welche alle mit 
starkem Gefälle in engen Waldschluchten dem Donaubette 
zueilen. 

Der letzte hier in Betracht kommende Donauzufluss 



i 



— 75 — 

ist der in seinem untersten Laufe die Grenze gegen Bul- 
garien bildende Timok. 

Der Timok entsteht bei Ejijazevac durch die Ver- 
einigung des Sorljitschki (auch Beli) Timok und 
des Trgovischki Timok, wovon der erstere am Nord- 
hange der Babina glava (nördlich von Bela Palanka im 
Nischava-Thale) und der letztere am Pass Sv. Nikolaja in 
der Stara planina (Westende des Balkan-Gebirges) entspringt. 

In den engen Thälem dieser beiden Quellflüsse führen 
militärisch wichtige Strassen aus dem Timok-Thale theils 
in das Nischava-Thal nach Bela Palanka und Pirot, theils 
nach Belogradschik in Bulgarien (Widiner Kreis). 

Von Knjazevac durchfliesst der Timok mit anfangs 
nördlichem und dann nordöstlichem Laufe ein durch- 
schnittlich 1 bis 2 Kilometer breites, sehr gut kultivirtes 
Thal, welches bei Vratamica eine kurze Waldenge bildet 
und hierauf gegen Zajetschar hin wieder an Breite zu- 
nimmt. Etwa eine Wegstunde unterhalb Zajetschar be- 
ginnt eine etwa 12 Kilometer lange Felsenge, nach welcher 
das Thal noch immer ziemlich beschränkt bleibt bis es 
sich oberhalb Bregovo plötzlich auf etwa 3 Kilometer 
Breite öflEnet und weiter in die gegen 16 Kilometer lange 
und fast 15 Kilometer breite Ebene von Negotin — die 
sehr fruchtbare und besonders weinreiche „Krajna" übergeht. 

Der Timok mündet unterhalb Radujevac in die 
Donau. 

Von unterhalb Zajetschar bildet der Timok die serbisch- 
bulgarische Staatsgrenze, welche vor nicht langer Zeit 
durch die Verhandlungen in der bekannten Bregova-Affaire 
eine Berichtigung zu Gunsten Serbiens erfuhr. Der Timok 
pflegt häuflg in seinem untersten Laufe nach Hochwassern 
sein Bett zu verändern, ein Umstand der ihn eben zum 
Grenzflusse wenig geeignet macht. 

Bei Knjazevac und Grljan unweit Zajetschar führen 
über den Timok stabile Brücken. 

Im Timok-Thale führt eine 85 Kilometer lange, schmal- 



— 76 — 

spurige Kohlenbahn von BÄdujevao (an der Donan) nach 
dem Bergwerke im örenzgebirge Vrsohka Tschoka und 
nebstbei folgt dem ganzen Flusslaufe eine fahrbare Sia-asse. 

Von den Zuflüssen des Timok können die rechts- 
seitigen füglich übergangen werden, weil dieselben wegen 
der grossen Nähe der durchschnittlich 1000 m hohen bul- 
garischen Q-renzgebirge durchweg nur reissende Q-ebirgs- 
bäche von kurzem Laufe sind. 

Von den linksseitigen Zuflüssen des Timok 
mögen nachstehende Erwähnung finden. 

Der Crni Timok (Schwarzer Timok) auch r n a 
rjeka genannt, sammelt seine Quellen am Südfiisse der 
Qolubinje planina, führt im Oberlaufe auch den Namen 
Mali (Kleiner) Timok dann auch Krivovirski Timok und 
fliesst mit sehr gewundenem Laufe in einem meist engen 
Thale und mündet unterhalb Zajetschar in den eigentlichen 
Timok. Bei Zajetschar fuhren über denselben zwei feste 
Strassenbrücken, während er im oberen Laufe zumeist ohne 
künstliche Mittel passirt wird. 

Die Bela rjeka entspringt am südöstlichen Fusse 
des Gebirgsstockes Stolovi planina, durchfliesst ein meist 
enges Thal, in welchem die Fahrstrasse von Zajetschar 
nach Doluji Milanovac an der Donau fiihrt, und mündet 
einige Kilometer unterhalb des Crni Timok in den eigent- 
lichen Timok. 

In der Negotiner-Ebene (Krajna) nimmt der Timok 
noch mehrere wasserreiche Bäche auf, welche die Frucht- 
barkeit dieses gesegneten Landstriches noch erhöhen; es 
sind die bei Bregova mündende Tschubra, dann die 
Jasenica und die Samarinovacka, welche sich unweit 
Badujevac vereinigen und alsbald in den Timok münden. 

Am 31. Dezember 1890 (12. Jänner 1891) wurde in 
Serbien, nach der in anderen Staaten üblichen Weise, eine 
allgemeine Volkszählung vorgenommen , welche alle in 
früheren Jahren vorgenommenen Volkszählungen an Gre- 
nauigkeit bedeutend übertreflfen dürfte. Die B-esultate der- 



— 77 — 

selben wurden im Laufe des Jahres 1891 von der 
statistischen Abtheilung des serbischen Ackerbau-Mini- 
steriums in einem Buche veröflfentlicht, dessen wesent- 
lichste Angaben im Nachfolgenden angeführt werden. 

Ende 1890 gab es im Königreiche Serbien 1270 Ge- 
meinden, davon 71 städtische (sammt den Marktflecken) 
und 1199 Dorfgemeinden. In den städtischen Gemeinden 
gab es 50.457 Häuser mit 293.328 Einwohnern, in den 
Dorfgemeinden 286.811 Häuser mit 1.869.290 Einwohnern; 
mithin kamen auf ein Haus in der Stadt 5,8 Einwohner, 

— im Dorfe 6,5 und im Durchschnitte überhaupt 6,4 Be- 
wohner auf ein Haus. 

Ueber diese durchschnittliche Zahl erheben sich die 
Kreise: Podrinje mit 7,2, Toplitza mit 7,1, Pirot mit 6,9, 

— Podunawlje mit 6,8, Timok mit 6,7 und Vranja mit 
6,5 Einwohnern auf ein Haus. 

Die für einen westeuropäischen Leser befremdende 
Thatsache, dass ein Haus im Dorfe mehr Einwohner habe, 
als ein Haus in der Stadt, erklärt sich aus der spezifisch, 
serbischen Institution der Hauskommunion (Zadruga), wo 
mehrere Hausstände derselben Familie in demselben Hause 
wohnen. 

Gemeinden mit einer relativ grossen Bevölkerung 
giebt es in Serbien wenige. Die meisten (484) zählen 
zwischen 1001 bis 1500 Seelen* 5001—6000 Seelen zählen 
9 Gemeinden, von 6001 — 7000 Seelen — 4 Gemeinden, 
von 7001—8000 Seelen — eine — mit 8001—10.000 Seelen 
gibt es 2 und über 10.000 Seelen zählen 5 Gemeinden. 

Bei der letzten Volkszählung fand man 2,162.759 Ein- 
wohner faktischer Bevölkerung, während die legale Be- 
völkerung die Ziffer von 2,172.814 Seelen beträgt; wovon 
1,119.282 männliche und 1,053.532 weibliche Bewohner sind. 

Gelegentlich der Volkszählung von 1884 fand man 
1,897.869 Einwohner faktischer und 1,901.736 Seelen legaler 
Bevölkerung. Der Zuwachs betrug daher in den 6 Jahren 
(1884—1890) bei der faktischen Bevölkerung 264.890 und 



— 78 — 

bei der legalen Bevölkerung 271.078 Seelen. Dies macht 
rund 2,37 Prozent pro Jahr. Der Zuwachs der männlichen 
Bevölkerung betrug in diesen 6 Jahren 2,50 Prozent, jener 
der weiblichen hingegen nur 2,24 Prozent. 

Das Yerhältniss zwischen den beiden Geschlechtern 
ist seit 1884 unverändert geblieben, nämlich 100:96. — 
Einen unterschied macht das Yerhältniss der Geschlechter 
bei der städtischen und bei der Landbevölkerung. — 
Während sich dieses Yerhältniss 1884 in den Städten der- 
art stellte, dass auf 100 männliche 85 weibliche Bewohner 
kamen, stand es Ende 1890 wie 100 : 83. In den Landge- 
meinden ist das Yerhältniss 100 männlich zu 95 weiblich 
In jenen 6 Jahren gleich geblieben. 

Auffallend ist die Erscheinung, dass bei allen Staaten 
auf der Balkan-Halbinsel, im Gegensatze zu dem übrigen 
Europa, die männliche Bevölkerung der weiblichen nume- 
risch überlegen ist (im Jahre 1884—50,000; im Jahre 1890 
gegen 70,000). 

Nach den einzelnen Kreisen stellen sich die Resultate 
der beiden Conskriptions- Jahre 1884 und 1890 also: 



Kreis 


1890 


18S4 


Zuwachs in Froc 


Valjevo 


114,940 


100,757 


14,08 


Vranja 


149,465 


128,276 


16,52 


KTagujevao 


140,686 


121,573 


15,72 


Krajina 


92,523 


83,549 


10,74 


Kruschevac 


150,694 


129,496 


16,37 


Morava 


161,083 


140,937 


14,29 


Pixot 


121,808 


109,433 


11,31 


Drina 


178,946 


157,274 


13,88 


Donau 


267,786 


215,854 


19,43 


Poscharevac 


207,243 


184,122 


12,56 


Budnik 


153,442 


138,438 


10,86 


Timok 


93,552 


83,870 


11,47 


Toplitza 


140,146 


115,551 


21,20 (!) 


TJschitze 


140,162 


128,526 


9,05 


Cma B«ka 


70,332 


64,080 


9,76 



— 79 — 

Die städtische Bevölkerung betrug: 1890 : 284,443, im 
Jahre 1884:237,304. Sie vermehrte sich daher binnen 
6 Jahren um 47,189 Seelen oder fast 20 um Prozent. Hie- 
ven kommt der Löwenantheil auf Belgrad, welches von 
35,483 Einwohnern j die es im Jahre 1884 gehabt, auf 
54,458 gestiegen ist. 

Die einzelnen Städte wiesen mit Ende des Jahres 1890 
folgende BevölkerungsziflFem auf: Aleksinatz 5780, Belgrad 
54,458, Valjevo 5976, Vranja, 11,591 Gorji Milannovac 
2025, Zajtschar 5814, Jagodina 4660, Kujaschevac 5053, 
Kragujevac 11,932, Kruschevac 6730, Loznitza 3628, Njegotin 
5426, Nisch 19,970, Pirot 10,108, Poscharevac 11,216, Pro- 
kuplje 4866, Semendria (Smederevo) 6784, Tschuprija 4649, 
TJschitze 6664, Tschatschak 3869, Schabatz 10,732. —Von den 
Marktflecken wären noch zu erwähnen: Leskovatz mit 12,264, 
Paratschin mit 5647 und Svilajinac mit 5127 Einwohnern. 

Das Yerhältniss der Bevölkerung zum Flächeninhalt 
stellt sich folgendermassen dar: 



ir,.i^«a Flächeninhalt in 
*^**® qkm. 


Entfikllt auf 1 qkm. 
Im Jahre 1890 im Jahre 1884 


Zunahme 


"Valjevo 


2907,1 


40 


35 


5 


Vranja 


4196,7 


86 


31 


5 


"Kragujevac 


2385,4 


63 


51 


12 


Krajina 


3258,7 


28 


26 


2(0 


Kruschevac 


8255,5 


46 


40 


6 


Morava 


3109,5 


52 


45 


7 


Pirot 


3142,8 


39 


35 


4 


Drina 


3266,6 


53 


46 


7 


Donau 


3241,9 


80 


67 


18(0 


Poscharevac 


3638,5 


57 


51 


6 


Eudnik 


4551,5 


34 


30 


4 


Timok 


2091,8 


45 


40 


5 


Toplitza 


3682,6 


39 


32 


7 


TJschitze 


4873,3 


32 


29 


3 


Cma Beka 


1439,5 


49 


45 


4 



Ganz Serb. 48,589,4 46,2 42,8 3,4 



— 80 — 

Die grösste Bevölkerungsdichtigkeit per Quadratkilo- 
meter zeigt der Donau-Kreis, wohl wegen der Hauptstadt 
Belgrad, nach welcher Viele von auswärts kommen, daher 
auch in demselben der grösste Zuwachs, mit 13 per Quadrat- 
kilometer, vorkommt. Von den übrigen Kreisen zeigt ver- 
hältnissmässig die grösste Bevölkerungszunahme (siehe 
auch die erste Zahlen-Tafel) der Kreis Toplitza, weil in 
demselben die in den letzten Jahren eingewanderten Monte- 
negriner angesiedelt worden sind. 

Die geringe Vermehrung im Kreise Uschitze ist durch 
die Armuth der Bevölkerung in den hohen Gebirgen an 
der Südwestgrenze Serbiens zu erklären. 

Hingegen ist die geringe Bevölkerungszunahme im 
Kreise Krajina wohl nur ethnischen Gründen zuzuschreiben, 
weil daselbst die Rumänen den grössten Theil der Be- 
völkerung ausmachen. 

Die Bevölkerung ist zum weitaus überwiegenden 
Theile, — nämlich etwa 90 Prozent, — serbischer 
Nationalität. Auf die ebenfalls zur selben griechisch- 
orientalischen Religion gehörenden Rumänen im Osten 
Serbiens entfallen rund 7 Prozent, auf die im Lande leben- 
den Zigeuner etwa 1,9 Prozent, auf die Juden nur 0,2 Pro- 
zent, auf die Türken gar nur 0,1 Prozent und auf alle 
anderen im Lande ansässigen Nationalitäten kommen circa 
0,8 Prozent. 

Im Jahre 1874 veröflPentlichte der, nach den dies- 
jährigen Jänner-Ereignissen entlassene Minister-Präsident, 
General Sava Grujitsch (damals noch Artillerie-Hauptmann) 
ein in Kragujevatz erschienenes Werk : Vojna organisa- 
zija Srbije (Heeres-Organisation Serbiens), in welchem 
folgende interessante Daten über die Bevölkerungszunahme 
in dem Territorial-Umfange, welchen Serbien als Fürsten- 
thum vor seiner im Jahre 1878 stattgehabten Gebietsver- 
grösserung besessen hatte, vorkommen. 

Nach der Volkszählung im Jahre 1859 ergaben sicli 



— 81 — 

1,108668 Einwohner, bei jener im Jahre 1866 waren 
1,213,576 Einwohner nachgewiesen; was einer Zunahme 
von 104,908 Seelen oder 9,47 Prozent im Zeiträume von 
7 Jahren entsprach, woraus sich etwa 1,3 Prozent per Jahr 
ergab. Nachdem von 1866 bis 1874 keine Volkszählung 
stattgefunden hatte, so nahm Sava Qrujitsch diesen Prozent- 
satz der Zunahme als konstant an und berechnete iiir 1874 
die Einwohnerzahl Serbiens appraximativ mit 1,340000 
Seelen; was mit den Thatsachen auch ziemlich genau 
übereinstimmte. (Nach einer anderen Angabe gab es 1874 
1,352,522 Einwohner). 

Im Jahre 1887 wies die amtliche Statistik nach: 
22,555 Trauungen, 93,911 Geburten, — worunter nicht 
ganz 9 Prozent uneheliche, — und 50,481 Sterbefälle. Es 
betrug somit der Ueberschuss der Geburten etwa 2,16 Pro- 
zent speziell für das Jahr 1887; während sich der durch- 
schnittliche Jahres-Prozentsatz für die Periode von 1884 
bis 1890, wie oben dargestellt wurde, thatsächlich mit 
2,37 Prozent beziffert. Dies findet jedoch seine Erklärung 
darin, dass eben innerhalb dieser 6 Jahre die grösste Zahl 
der nunmehr in Serbien angesiedelten Montenegriner einge- 
-wandert war. 

Man dürfte daher nicht fehlgehen, wenn man die Be- 
völkerungszunahme — ohne Berücksichtigung der aus- 
nahmsweise stattgehabten Einwanderung Fremder — mit 
mnd 2,20 Prozent pro Jahr als vorläufig konstant annimmt ; 
dies ist ohnehin bedeutend höher angenommen, als die 
Bevölkerungsstatistik in allen übrigen Staaten Europas 

nachweist. 

Wenn man diesen Prozentsatz von 2,20 für die weitere 
Bevölkerungszunahme seit Anfang 1891 gelten lässt, so 
dürfte sich die Einwohnerzahl bis Ende 1893 auf etwa 2,314,000 
Einwohner faktischer und auf 2,324,000 Seelen legaler Be- 
völkerung belaufen haben. 

Ueber den Volkscharakter, die Lebensweise, Sitten 

Anton Tnma, Serbien. ^ 



1 



— 82 — 

und Gebräuche des serbischen Volkes wurde schon in der 
„Einleitung" berichtet. 

Obwohl Serbien mit Oberitalien unter einem Breite- 
grade liegt, so entspricht dessen Klima doch mehr jenem 
der österreichischen Alpen-Provinzen, oder wie A. Ubicini 
in seinem Werke: „Les Serbes de Turquie" (Paris 1865) 
sagt: „Douee d'un climat doux et temp6r^, qui rappelle 
celui de nos contröes du centre." 

In den hauptsächlich ebenen Theilen im Norden des 
Landes ist das Klima milder, ungefähr ähnlich jenem yon 
Südsteiermark, während es in den allmälig gegen Süden an- 
steigenden Gebirgsgegenden immer rauher wird und da- 
selbst beiläufig mit dem Klima Kämthens verglichen 
werden kann. 

Die mittlere Jahres - Temperatur beträgt -|- 13 ^ C, 
jene des Sommers im nördlichen Theile durchschnittlich 
-[- 23^ C; sie steigt jedoch an manchen Tagen des Hoch- 
sommers bis zu 45 ® C. im Schatten ! Im Winter sinkt 
selbst im milderen Norden die Temperatur mitunter bis 
auf — 15 ** C. und im rauheren Süden sogar bis auf 
— 25^ C, woselbst der Winter überhaupt in manchem 
Jahre bis zu sechs Monaten andauert. 

Die schönste Jahreszeit von anhaltender Dauer pflegt 
in der Regel in die Monate September und Oktober zu 
fallen, wogegen gewöhnlich im Juli und August die inten- 
sivste Hitze herrscht. Mitunter findet auch ein sehr rascher 
Temperatur Wechsel statt, welcher an einem Herbsttage mit 
15 ® C. beobachtet worden ist. 

Das eigenthümliche Klima Serbiens findet seine Er- 
klärung in dem allmäligen Ansteigen des Landes gegen 
Süden und durch dessen Waldreichthum. 

Das Land ist in Folge dessen gegen die aus der 
wallachischen Tiefebene herüberwehenden mitunter sehr 
rauhen Winde nur wenig geschützt, während die milden 
Süd- und Westwinde durch die hohen und bewaldeten 
Qrenzgebirge abgehalten werden. 



— 83 — 

Durch die zahlreichen ausgedehnten Waldungen findet 
im Sommer eine sehr starke Ausdünstung und mitunter 
eine ebenso plötzliche, als empfindliche Abkühlung der 
Erde statt, wodurch häufige G-ewitterbildungen veranlasst 
werden. 

Anhaltende, manchmal bis zu drei Wochen dauernde, 
Landregen stellen sich meist gegen Ende April oder auch 
im Spätherbste ein. 



6* 



111. Kapitel. 

Regierung und Yerfassung. 



Serbien war im Jahre 1879 in Folge des Berliner 
Vertrages ein unabhängiges Fürstenthum geworden und 
ist seit dem 22. Februar (6. März n. St.) 1882 ein kon- 
stitutionelles Königreich. 

An seiner Spitze steht als Oberhaupt des Staates der 
König. 

Er ist unverantwortlich und seine Person unverletzlich. 

Er genehmigt und erlässt die von der Skuptschina 
(Volksvertretung) durchberathenen und votirten Gesetze 
und seinen Befehlen gehorcht das gesammte Heer. Die 
Minister sind sowohl dem Könige, als auch der Skuptschina 
verantwortlich. Er repräsentirt den Staat gegenüber den 
fremden Mächten und schliesst mit ihnen Verträge ab. 

Des Königs Grossjährigkeit tritt gesetzmässig mit 
seinem vollendeten 18. Lebensjahre ein. Er muss un- 
bedingt der griechisch-orientalischen (orthodoxen) Religion 
angehören und leistet den Eid auf die Verfassung sowohl 
mündlich als schriftlich. — Die Verfassung schreibt übrigens 
genau vor, was im Falle einer Erledigung des Thrones zu 
geschehen habe. Nach der Staatsverfassung (Ustav) vom 
22. December 1888 (a. St.) ist die Königswürde in der 
Familie Obrenovitsch erblich. — 






— 85 — 

Gegenwärtig ist König von Serbien Alexander L 
aus dem Hause Obreno vitsch. 

Nachdem derselbe noch nicht grossjährig war (König 
Alexander I. ist am 14. August 1876 geboren, daher noch 
nicht 18 Jahre alt), so ernannte Milan I. anlässlich seiner 
Abdankung am 6. März 1889 (n. St.) eine Regentschaft, 
welche jedoch Alexander I., unter Androhung von Waffen- 
gewalt, am 13. (1.) April 1893 gelegentlich eines Hofdiners 
zur Demission zwang und sich , im Widerspruche zur 
Staatsverfassung, gewissennassen selbst grossjährig erklärte. 

Hierdurch wurde der erste Grund zu der heute in 
Serbien herrschenden Lage gelegt. Die eingetretene Miss- 
stimmung im Lande nützte die rücksichtslos vorgehende 
radikale Partei für ihre Zwecke aus und zwang schliess- 
lich den energischen jungen König zu dem Schritte, dass 
er seinen Vater, den Exkönig Milan, — welcher mitt- 
lerweile auch die serbische Staatsbürgerschaft abgelegt 
haben soll, — an seine Seite nach Belgrad berief, wo der- 
selbe am 21. Januar 1894 (n. St.) thatsächlich eingetroffen 
ist und nunmehr, nach Entlassung des radikalen Ministe- 
riums, an der Führung der Staatsgeschäfte einen hervor- 
ragenden Antheil nehmen dürfte. 

Die Situation in Serbien ist demnach in jüngster Zeit 
in dürren Worten folgende : Der König ist noch nicht 
grossjährig und Milan ist nicht mehr Träger der Krone, 
daher ist die Regierungsthätigkeit Beider nicht im Ein- 
klänge mit der Staatsverfassung, welche für den Fall einer 
Erledigung des Thrones und einer Regentschaft alle Mass- 
nahmen auf das Genaueste vorgesehen und festgesetzt hat, 
welche jedoch ausser Acht gelassen wurden. Alexander I. 
kann sich demnach augenblicklich nicht „von Gottes 
Gnaden und durch den Willen des Volkes" König 
von Serbien nennen, wie sich Milan vor seiner Abdankung 
mit vollem Rechte genannt hatte. 

Der sonst friedliebende, aber an den Grundfesten seiner 
Staatsverfassung zähe festhaltende Theil des serbischen 



— 86 — 

Volkes ist nun durch diesen an der Spitze der Begierung 
bestehenden Widerspruch ebenfalls gereizt und dürfte daher 
. dem Anstürme der radikalen Wühler noch weniger ge- 
wachsen sein, als früher. 

Mit dem 21. Jänner 1894 ist nun die Staatsverfassung 
thatsächlich suspendirt und regiert König Alexander I. mit 
seinem Yater Milan gewissermassen absolut; nachdem 
auch die Volksvertretung (Skuptschina) auf unbestimmte 
Zeit vertagt worden ist. 

Dem König zur Seite steht der Ministerrath, in welchem 
ein vom ihm ernannter Minister den Vorsitz führt. Der 
König ernennt und entlässt die Minister. Wegen Hoch- 
oder Landesverrath , Verletzung der Verfassung, dann 
wegen eines dem Staate durch Pflichtvergessenheit, oder 
aus persönlichem Interesse zugefügten Schadens kann ein 
Minister in den Anklagezustand versetzt werden. 

Bei Verhandlungen von besonderer Wichtigkeit führt 
der König im Ministerrath persönlich den Vorsitz. 

In Serbien giebt es acht Ministerien, nämlich: Aeusseres, 
Inneres, Krieg, Justiz, Finanzen, Oeflfentliche Arbeiten, 
Kultus und Unterricht, dann Ackerbau und Handel. 

Der Minister des Aeussern ist mit der Unter- 
haltung der Beziehungen zu den fremden Mächten betraut. 
Er verhandelt über die Verträge und Uebereinkommen 
und überwacht deren Ausführung. Er verkehrt mit den 
Vertretern Serbien's im Auslande und unterhält Beziehungen 
zu den beim Könige beglaubigten fremden Gesandten und 
diplomatischen Agenten. Er schützt die serbischen Staats- 
bürger und deren Interessen im Auslande. Ueberdies ist 
der Minister des Aeussern auch Ordens-Kanzler. 

Dieses Ministerium zerfällt in zwei Abtheilungen, 
nämlich : in eine politische und eine administrative. 

Vom Minister des Aeussern sind auch die bei fremden 
Mächten beglaubigten Vertreter Serbiens abhängig, welche 
nachstehende Titel führen : Ausserordentliche Gesandte und 
bevollmächtigte Minister, dann Ministerresidenten, Ge^ 



— 87 — 

sohäftsträger, endlich. General-Konsuln, Konsuln und Vize- 
konsuln. 

Im Jahre 1888 unterhielt Serbien Gesandtschaften in 
Wien, Berlin, Petersburg, London, Rom, Konstantinopel, 
Athen, und Bukarest. Es war beabsichtigt, aus wirth- 
schaftlicben Gründen die Gesandtschaftsposten, mit Aus- 
nahme jener von Wien, Petersburg und Konstantinopel, 
aufzuheben. 

Ausserdem befindet sich ein diplomatischer Agent in 
Sofia, dann je ein besoldeter Generalkonsul in Budapest, 
Skoplje undSalonik; während alle übrigen Generalkonsuln 
und Konsuln Serbiens im Auslande Honorarkonsuln sind. 
Am 5. Mai 1889 wurde auch in Monastir ein serbisches 
Konsulat neu errichtet. 

In Belgrad unterhalten: Oesterreich-Ungarn, Deutsch- 
land, Frankreich, Russland (erst seit dem Feste der feier- 
lichen Salbung des Königs Alexander im Jahre 1889), Eng- 
land, Italien, Rumänien, Belgien, die Türkei und Griechen- 
land ausserordentliche Gesandte und bevollmächtigte, 
Minister, hingegen die vereinigten Staaten (und bis 1889 
auch Russland) nur einen Minister-Residenten und Bulgarien 
einen diplomatischen Agenten. 

Ausserdem giebt es in Belgrad je einen österreichisch- 
ungarischen und italienischen Konsul und in Nisch je 
einen österreichisch-ungarischen, italienischen, fi:anzösischen 
und türkischen Vizekonsul. 

Der Minister des Innern sorgt für den Schutz 
der Person und des Eigenthums, für die öffentliche Ge- 
sundheitspflege und den Gesundheitsdienst. Er wacht 
über die Ausführung des Vereins- und Versammlungs- dann 
des Press- und Kolportage-Gesetzes. Er ist mit der Ein- 
berufung der Skuptschina und mit der Leitung der Wahlen 
für dieselbe betraut. 

Die Staatspolizei, mit der ihr zur Verfügung stehenden 
Gendarmerie , untersteht verfassungsgemäss seinem Be- 
fehle. 



— 88 — 

Das Ministerium des Innern zerfällt in eine Sanitäts- 
und eine Polizei-Abtheilung. 

Die Ministerien des Krieges, der Justiz, der 
Finanzen und öffentlichen Arbeiten; dann jenes 
für Kultus und Unterricht, sowie das Ministerium 
für Ackerbau und Handel werden in den diesen 
Verwaltungszweigen speziell gewidmeten Kapiteln zur Be- 
sprechung gelangen. 

Ausser dem Ministerium, steht dem Könige noch ein 
,,Staatsrath" zur Seite, welcher aus dem ehemaligen 
^Senate" hervorgegangen ist. 

Im Jahre 1835 wurde durch die Verfassung und 1838 
durch das von der Pforte herausgegebene organische Statut 
dem damaligen Fürsten ein „Senat" zur Seite gestellt, 
welcher gewissermassen eine ununterbrochene juristische 
Vertretung der Volksinteressen zur Aufgabe hatte und 
gleichzeitig an der Gesetzgebung des Landes und an der 
Kontrolle der Staatsverwaltung theilnehmen sollte. 

Dieser Senat wurde im Jahre 1861 umgestaltet und be- 
stand damals aus einem vom Fürsten auf Lebenszeit er- 
nannten Vorsitzenden, aus dessen Stellvertreter, dann dem 
Thronfolger nach erlangter Q-rossjährigkeit und 17 eben- 
falls vom Fürsten ernannten Mitgliedern, welche mindestens 
das 35. Lebensjahr überschritten und durch 10 Jahre im 
Staatsdienste mit Auszeichnung verwendet worden sein 
mussten. 

Einen untrennbaren Bestandtheil des Senats bildete 
die oberste Kontrollbehörde, welche aus einem Vorsitzenden 
und zahlreichen Bechnungsbeamten zur Prüfung der öffent- 
lichen Einnahmen und Ausgaben, bestand. 

Bei der im Jahre 1869 stattgehabten Verfassungs- 
änderung (zur Zeit der Regentschaft: Blaznavac, Bistitsch 
und Gavrilovitsch) wurde der Senat in einen „Staats- 
rath" umgewandelt. Derselbe bildet nach dem Staats- 
oberhaupte die zweite Obrigkeit im Lande. 

Seine Mitglieder wurden bis zur Abänderung der Ver- 




j 



— 89 — 

fassung im Jahre 1889 durch den König ernannt. Sie 
gehören zu den besoldeten Staatsbeamten. Ihre Zahl durfte 
nie geringer sein, als 11 und nicht höher als 15. Der 
König ernannte einen Vorsitzenden, — jedoch nicht mehr 
auf Lebensdauer, — und dessen Stellvertreter. 

Seit 1889 werden die Mitglieder des Staatsrathes — 
jetzt 16 — gewählt. Hierfür werden von der königlichen 
Eegierung 8 und von der Skuptschina 16 Kandidaten vor- 
geschlagen. Aus diesen 24 Kandidaten werden sodann 
erst die 16 Staatsräthe gewählt. 

Staatsrath soll nur Jener werden, der in Serbien ge- 
boren oder gesetzmässig naturalisirt und 35 Jahre alt ist, 
femer soll er wenigstens 10 Jahre lang gedient haben 
und liegende Güter in Serbien besitzen, oder eine Fakultät 
absolviert haben. In der jüngsten Zeit hat die radikale 
Partei mehrere junge Lehrer von Untergymnasien, trotz 
des Protestes der Liberalen, in den Staatsrath gewählt. 

Der Staatsrath hat bei Weitem nicht mehr die aus- 
gedehnten und nicht hinlänglich klar begrenzten Befug- 
nisse und Vorrechte des ftüheren Senats. — Er giebt seine 
Ansicht über alle ihm von der Begierung vorgelegten 
Fragen; er bearbeitet und prüft die Q-esetzvorlagen und 
die Verwaltungsvorschriften ; er entscheidet über die Klagen 
gegen ministerielle Entscheidungen in Verwaltungsange- 
legenheiten, sowie auch bei Oompetenzstreitigkeiten zwischen 
den Verwaltungsbehörden selbst; er genehmigt die Ver- 
wendung von Staatsmitteln für öffentliche Arbeiten, falls 
hiedurch der den einzelnen Ministerien bewilligte Kredit 
überschritten werden sollte; er entscheidet über die aus- 
nahmsweise Zulassung zum serbischen Staatsbürgerrecht; 
er ermächtigt die Begierung zur Au&ahme von Staats- 
anlehen; er entscheidet über die Besteuerung der Kreise, 
Bezirke und Q-emeinden, wenn deren Höhe jenen Betrag 
überschreiten sollte, bis zu welchem das Q-esetz die Ver- 
waltungsbehörden ermächtigt; er genehmigt die von Kreisen, 
Bezirken und Q-emeinden beabsichtigte Aufiiahme von An- 



1 



— 90 — 

lehen, sowie auch den Verkauf der diesen gehörenden 
öffentlichen Güter; er entscheidet ob im Interesse der 
allgemeinen Nützlichkeit, im Eahmen der bestehenden 
Gesetze, eine Enteignung ausgesprochen werden soll ; femer 
ertheilt er in aussergewöhnlichen Fällen die Bewilligung 
von Vorschüssen aus der Staatskasse und ausnahmsweise 
auch aus der Uprava fondova; er entscheidet über die 
Abschreibung von uneinbringlichen Forderungen der Staats- 
kasse ; schliesslich kann der Staatsrath von dem Rechnungs- 
hofe die nöthigen Berichte und Aufklärungen über die 
Staatsrechnungen verlangen. 

Man sieht aus dem Vorstehenden, dass der Staatsrath 
zwar nicht mehr einen immer tagenden Ausschuss der 
Volksvertretung darstellt, wie dies beim früheren Senate 
der Fall war, dass derselbe jedoch ein zwischen der Krone 
und dem Ministerium stehendes berathendes und über- 
wachendes Mittelglied der Eegierungsgewalt vorstellen 
soll und in diesem Sinne mit ähnlichen Einrichtungen in 
andern Staaten kaum verglichen werden kann. 

Die Skuptschina oder Nationalversammlung (eigent- 
lich Volksvertretung) war bei den Serben seit jeher das 
Mittel, durch welches das an seiner Freiheit zähe fest- 
haltende Volk seinen Einfluss auf die gesammte Regierungs- 
thätigkeit im Lande geltend machte. Man könnte sagen, 
dass diese konstitutionelle Einrichtung «o alt sei, wie die 
serbische Nation selbst und es soll die Skuptschina selbst 
während der Türkenherrschaft wiederholt heimlich zu- 
sammenberufen worden sein, um die Volksinteressen be- 
rathen zu können. 

Ehemals war dieselbe eine mehr patriarchalische Ver- 
sammlung der Aeltesten und Angesehensten des Volkes. 

Im Jahre 1848 trat die Skuptschina zum ersten Male, 
nach einem wieder in Wirksamkeit getretenen Wahlgesetze 
zusammen und verlangte dieselbe nun ihre regelmässige 
Einberufung nach je drei Jahren. Der damalige Fürst 
Alexander Karadjordjevitsch versprach ein diesbezügliches 



j 



— 91 — 

Gesetz zu erlassen, welches jedoch thatsächlicli niemals 
erschienen ist. — Die erst zehn Jahre später wieder ein- 
berufene Skuptschina entthronte diesen Fürsten und schloss 
die ganze Familie Karadjordjevitsch von der Thronfolge 
aus; worauf der alte verbannte Milosch Obrenovitsch zur 
Uebemahme der Regierung zurückberufen wurde. Unter 
dessen Nachfolger , dem Fürsten Michael erschien das 
durchgesehene Verfassungsstatut, laut welchem nun die 
Skuptschina alle 3 Jahre regelmässig zusammentreten sollte; 
jedoch konnte sie bei wichtigen Anlässen auch ausser 
diesem Termine einberufen werden. 

Der Skuptschina stand das Becht zu, nicht nur die 
ihrer Genehmigung von der Regierung vorgelegten Gesetz- 
entwürfe zu prüfen und zu berathen, sondern solche auch 
selbst anzuregen. Ohne ihre Zustimmung sollten weder 
die Verfassungs- noch die Steuergesetze abgeändert werden. 

Der von der Skuptschina gewählte Ausschuss prüfte 
die abgelaufene Budgetperiode. 

Wähler war jeder Steuerzahler, folglich fast ausnahms- 
los jeder Serbe. 

Wählbar wurde er jedoch erst nach erreichtem 
30. Lebensjahre. 

Den Vorsitzenden und die Sekretäre der ordentlichen 
Skuptschina wählte der Fürst selbst Auf je 10,000 Seelen 
entfiel ein Abgeordneter (Skuptschinar). 

Im Staatsdienste befindliche Beamte und Militärs 
hatten weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht. 
Hierdurch wurde die Skuptschina ein rein demo- 
kratisches Parlament. Die Skuptschina-Mitglieder ge- 
nossen volle Immunität und bezogen ein Taggeld von 
5 Dinar (Franks) in Gold. 

Im Jahre 1869 wurden die gesetzlichen Bestimmungen 
über die Skuptschina folgendermassen festgesetzt: 

Es giebt eine grosse und eine gewöhnliche 
Skuptschina. 

Die Abgeordneten für die grosse Skuptschina werden 



— 92 — 

vom Volke gewählt und zwar ist deren Zahl vier Mal so 
gross, als jene der gewöhnlichen Sknptschina. 

Die grosse (Velika) Sknptschina wird in folgenden 
Fällen einberufen: 

1) Zur Wahl eines Monarchen, falls der regierende, 
ohne männliche gesetzmässige Nachkommen zu hinter- 
lassen, gestorben wäre, und um für den Nachfolger die 
Civilliste festzustellen. 

2) Um in den vom Gesetze festgesetzten Fällen 
die Regentschaft einzusetzen und deren Mitglieder zu 
wählen. 

3) Für eine Aenderung der Verfassung. 

4) Im Falle der Nothwendigkeit einer Veräusserung 
oder Vertauschung von Theilen des Staatsgebietes; 
endlich 

5) in allen jenen Fällen, wo es der Monarch in An- 
gelegenheiten von besonderer Wichtigkeit für nöthig hält, 
diese Körperschafb um ihren ßath zu fragen. 

Für die gewöhnliche Skuptschina, welche bis zum 
Jahre 1888 durchschnittlich 180 Mitglieder zählte, wählte 
jeder Bezirk und jede Ejreisstadt für sich so viele Ab- 
geordnete, dass auf je 3000 Steuerzahler je ein Volks- 
vertreter entfiel. 

Für je 3 gewählte Volksvertreter, ernannte der König 
einen Abgeordneten „aus den durch ihre Bildung oder 
Erfahrung in öffentlichen Angelegenheiten hervorragenden 
Personen**. Somit waren ein Viertel der Abgeordneten, 
nämlich 45, vom Könige ernannt. 

Das Wahlrecht war von 1869 bis 1888 folgendermassen 
festgesetzt: Jeder grossjährige, und direkte Steuern zahlende 
Serbe war Wähler. Jeder Wähler, der das 30. Lebensjahr 
erreicht hat, war wählbar; wenn er wenigstens 30 Dinar 
Steuern zahlt. 

Die Beamten, Offiziere, Advokaten und die Mitglieder 
des ordentlichen Klerus waren vom aktiven und passiven 



— 93 — 

Wahlrecht ausgeschlossen ; sie konnten jedoch vom Könige 
zu Abgeordneten ernannt werden. 

Die vom Könige ernannten Abgeordneten repräsentirten 
gewissermassen dasjenige, was man in den Parlamenten 
anderer Staaten mit dem Namen „Oberhaus" oder „Herren- 
haus" bezeichnet, mit dem Unterschiede jedoch, dass die 
serbischen Pairs ihre Sitzungen mit dem Hause der G-e- 
meinen, nämlich mit den vom Volke selbst gewählten 
Vertretern, vereint hielten. 

Es ist unzweifelhaft, dass eine solche Einrichtung ge- 
wissermassen den Keim bildet, aus welchem sich vielleicht 
auch im Königreiche Serbien in nicht gar femer Zeit das 
Zweikammer-Parlament herausgebildet hätte, was gewiss 
zur leichteren Verständigung und besseren Vermittlung, 
zwischen der Krone und dem Volke bei entstandenen 
Gegensätzen, wesentlich beigetragen hätte. 

Es würde, gemäss dem Prinzipe des Zweikammer- 
Systems, in der welch* immer Namen habenden oberen 
Kammer, ein konservatives Gegengewicht gegenüber 
der unteren Skuptschina-Kammer gebildet; auch wäre dem 
Bedürfnisse Rechnung getragen, wichtige und insbesondere 
politische Fragen durch zwei verschiedene Körperschaften 
wiederholt und gründlich zu erörtern und schliesslich 
würde das jeder Abstimmung zu Grunde liegende Majori- 
tätsprinzip bedeutend gemildert werden. 

Nun ist aber, wie wir weiter unten sehen werden, 
das Recht des Königs, Abgeordnete selbst zu ernennen, 
seit 1889 überhaupt gänzlich aufgehoben. 

Die Skuptschina übt gemeinsam mit dem Könige 
die gesetzgebende Gewalt aus. Kein Gesetz kann ohne 
ihre Zustimmung erlassen, abgeschafft oder auch nur ab- 
geändert werden. Sie hat weiter die ihr von der Re- 
gierung unterbreiteten Vorlagen und ebenso den Budget- 
entwurf zu berathen. Die Regierung kann einen Gesetz- 
entwurf zurückziehen, so lange darüber die Skuptschina 
noch nicht endgiltig abgestimmt hat. 



— 94 — 

Wenn die Skuptschina eine Gesetzvorlage verworfen 
hat, so kann dieselbe seitens der Becrierunfi: in der nächst- 
folgenden Sessionsperiode neuerdings unverändert vorge- 
legt werden. 

Ohne Genehmigung der Skuptschina kann der Staat 
kein Anlehen au&ehmen. Sollte der Staat genöthigt sein, 
eines aussergewöhnlichen und dringenden Bedürfnisses 
halber ausserhalb der Sessionsperiode ein Anlehen aufzu- 
nehmen, so muss die Skuptschina zu einer ausserordent- 
lichen Sitzung einberufen werden. 

Die Skuptschina kann schriftliche Klagen über Ange- 
legenheiten annehmen, welche Gegenstand einer ministe- 
riellen Entscheidung waren; jedoch kann sie die Be- 
schwerdeführer nicht persönlich empfangen. 

Die Minister können den Skuptschina-Sitzungen bei- 
wohnen und an deren Berathungen theilnehmen; sie müssen 
angehört werden, so oft sie das Wort verlangen. 

Der König kann Commissäre bestimmen, um der 
Skuptschina entweder im Vereine mit den Ministem, oder 
in deren Vertretung die auf den Verhandlungsgegenstand 
Bezug habenden Aufklärungen zu ertheilen. Es dürfen 
jedoch weder die Minister noch derlei Commissäre an der 
Abstimmung theilnehmen. 

Ein Abgeordneter darf, wegen der von ihm in der 
Skuptschina abgegebenen Stimme, unter gar keinem Vor- 
wande zur Rechenschaft gezogen werden. 

Nur wenn ein Abgeordneter die Person des Königs, 
ein Mitglied der königlichen Familie, dann die Skuptschina 
selbst oder einzelne Abgeordnete derselben beleidigt; so 
kann der Vorsitzende die Sitzung autheben und in der 
nächsten die Ausschliessung des Betreffenden auf eine be- 
stimmte Zeit beantiagen. 

Ausser dem Falle eines Verbrechens, oder offenkun- 
digen Vergehens gegen die Gesetze, kann ein Abge- 
ordneter fünf Tage vor Beginn der Sessionsdauer und 



w 



— 95 — 

während derselben weder verhaftet noch vor ein Gericht 
gestellt werden. 

Die Skuptschina wird seit 1869 in der Regel jedes Jahr 
einberufen; doch kann sie auch, bei dringender Veran- 
lassung, zu einer ausserordentlichen Session einberufen 
werden. 

Der König beruft, eröffiaet und schliesst die Skupt- 
schina. Er bestimmt den Ort (in der Regel Belgrad, 
Nisch oder Kragujevac) und den Zeitpunkt ihrer Versamm- 
lung. Er kann die Skuptschina nach ihrem Zusammentritt 
auf einige Zeit vertagen, doch muss gleichzeitig die Dauer 
der Vertagung festgesetzt werden und diese darf den Zeit- 
raum von 6 Monaten nicht überschreiten. 

Der König kann auch die Skuptschina auflösen und 
Neuwahlen ausschreiben. 

Diese müssen jedoch binnen 4 Monaten stattfinden 
und die neugewählte Skuptschina muss, spätestens 6 
Monate nach Auflösung der vorherigen, einberufen werden. 
Jeder Verhandlungsgegenstand muss vor der Berathung in 
der Skuptschina selbst der Prüfung durch einen oder 
mehrere Ausschüsse unterzogen werden. 

Zur Beschlussfähigkeit der Skuptschina ist die An- 
wesenheit von mindestens drei Viertel ihrer Mitglieder 
erforderlich. 

lieber die Annahme oder Verwerfung eines Be- 
rathungsgegenstandes entscheidet die absolute Stimmen- 
mehrheit. Die Abgeordneten können nur persönlich und 
öffentlich abstimmen. 

Die Skuptschina hat nur mit den Ministem zu ver- 
kehren. Ihre Sitzungen sind öffentlich; jedoch kann auf 
Verlangen des Vorsitzenden oder eines Ministers, beziehungs- 
weise Regierungskommissars, die Verhandlung auch geheim 
gefuhrt werden. 

Niemand darf bewaffnet, weder in den Verhandlungs- 
saal, noch in die Einfassung des Sitzungsgebäudes ein- 
treten. 



— 96 — 

Schon ungefähr seit dem Jahre 1880 war die jeweilige 
Opposition bestrebt eine Aenderung der Verfassung durch- 
zusetzen. Die !Badikalen gingen hierin am weitesten und 
verlangten eine der englischen nachgebildete Verfassung. 
Bis zum Ende des Jahres 1 887 (damals übernahm General 
Sava Grujitsch die Bildung eines rein radikalen Kabinets) 
hatten schon zwei Skuptschinen den Wunsch nach einer 
Verfassungsänderung ausgesprochen, so dass es daher nur 
mehr von dem Beschlüsse einer dritten Skuptschina ab- 
hing, ob die Aenderung wirklich vorgenommen werden 
sollte. Alle Parteien waren damals darin ziemlich einig, 
dass die Bestimmung der alten Verfassung (üstav) vom 
Jahre 1869, nach welcher es der Kegierung — oder viel- 
mehr dem Könige — freistand, ein Viertel der Abgeord- 
neten selbst zu ernennen, verwerflich sei; da hierdurch 
jede wie immer geartete BrOgierung der Majorität beinahe 
immer sicher sein musste, dass somit die Skuptschina nie- 
mals genau den Volkswillen darstellte. 

Der Zwist des damaligen Königs Milan mit seiner 
Gemahlin Natalie Keschko und die am 24. Oktober 1888 
durch den Belgrader Metropoliten bewirkte Trennung der 
königlichen Ehegatten gaben den imaufhörlichen Wühlereien 
der ehrgeizigen Parteifiihrer neue Nahrung, so dass sich 
Milan bewogen fand, zur Beruhigung der Gemüther und 
hauptsächlich um die erschütterte Stellung seiner Dynastie 
zu befestigen, einen aus allen Parteien gebildeten National- 
ausschuss zusammenzuberufen, welcher eine neue Ver- 
fassung ausarbeitete. 

Darauf wurde die grosse Skuptschina gewäMt 
und einberufen, welche — obwohl weit überwiegend 
aus Eadikalen bestehend — dennoch die neue Ver- 
fassung am 22. Dezember 1888 annahm, die nun verkündet 
wurde. 

Dieselbe räumte dem Volke wichtige Rechte ein, be- 
stimmte aber auch die Stellung und die MachtbeAignisse 
der Krone genauer, wodurch dieselben allerdings mehrfach 



— 97 - 

eingeschränkt wurden; — aber daför war wenigstens die 
Sicherheit der Dynastie Obrenovitsch gewährleistet! — 

E!amn zweieinhalb Monate nach diesem für die Yer- 
fassnngsgeschichte Serbiens hochwichtigen Schritte, legte 
Milan am 6. März 1889 die Königskrone nieder. 

Die wichtigsten Punkte der am 22. Dezember 1888 
(3. Jänner 1889) in's Leben gerufenen neuen Verfassung 
bedeuten fast durchgehends eine Einschränkung der souve- 
ränen Macht der Krone. 

So kann der König die Mitglieder des Staatsraths 
nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit ernennen, 
sondern er kann der Skuptschina nur 8 Staatsraths-Kandi- 
daten zur Wahl vorschlagen, während die Skuptschina 
selbst 16 solche Kandidaten aufstellt. Aus diesen 24 
Kandidaten werden nun die 16 Stäatsräthe erst gewählt. 

Weiter beseitigt die neue Verfassung das bisher dem 
Könige gewahrte Stecht 45 Abgeordnete (ein Viertel der 
gesammten Mitglieder) der Skuptschina aus den intelli- 
genteren Kreisen der Bevölkerung selbst zu ernennen, wo- 
durch der frühere Einfluss der Regierung auf die Ver- 
handlungen in der Vertretung vollkommen ausgeschlossen 
erscheint. Es ist klar, dass eben dieses weittragende Zu- 
geständniss die radikale Partei absolut angestrebt hatte 
und mit allen Mitteln erreichen wollte. 

Femer wird jetzt der Skuptschina das Recht einge- 
räumt, über alle Verträge befragt zu werden, welche eine 
Belastung des Volkes oder eine Veränderung der politischen 
Rechte mit sich bringen. 

Die Wahlen für die Skuptschina sind jetzt im ganzen 
Lande vollkommen direkte; und zwar im Gegensatze zu 
den früheren, wo jeder Kreis und jeder Bezirk eine ge- 
wisse normirte Anzahl von Abgeordneten durch gewählte 
Wahlmänner zu wählen hatte. Der Oensus ist nun 30 
Dinar (Franks) unmittelbare Steuer und 30 Lebensjahre. 
Beamte, nichtaktive Offiziere, Advokaten und Geistliche 
können jetzt auch gewählt werden. Die Abstimmung ist 

Anton Tnma, Serbien. / 



^ 



— 98 — 

geheim. Für den sehr komplizirten "Wahlvorgang musste 
das Ministerium eine Million rother und weisser Kugeln 
anschaffen. Dieselben müssen von Gummi oder Kautsohuk- 
masse gemacht sein, damit deren Einwurf in die Wahlurne 
ohne Schallerzeugung möglich sei. 

Zu wählen sind jetzt nur 130 Abgeordnete, somit um 
die 45 ehemals vom König ernannten Skuptschina-Mit- 
glieder weniger. 

Es kommt nunmehr ein Abgeordneter auf circa 160,000 
Seelen der Gesammtbevölkerung. — Bei demselben Ver- 
hältnisse würden beispielsweise die Österreich-ungarischen 
Parlamente zusammen etwa 3000 Abgeordnete haben 
müssen. 

Nachdem also auch die intelligenteren Kreise der 
Bevölkerung, welche früher von der Wahl ausgeschlossen 
waren, gewählt werden konnten; so stellte sich die äussere 
Physiognomie der am 1./13. Oktober 1889 auf Grund der 
neuen Verfassungsgesetze zusammenberufenen Skuptschina 
wesentlich anders dar, als dies vorher gewöhnlich der 
Fall war. 

In früheren Jahren dominirte die nationale, bäuerliche 
Tracht, weil die alte Verfassung eben den grössten Theil 
der Intelligenz von der Gesetzgebung ausschloss und die- 
selbe einer Bauemversammlung überlassen hatte. 

Jetzt herrscht im Sitzungssaale der Skuptschina die 
städtische Kleidung vor und ist die Intelligenz genügend 
vertreten. 

Das neue Wahlgesetz bestimmt auch, dass jeder fünfte 
Abgeordnete akademische Bildung besitzen und eine Hoch- 
schule mit Erfolg besucht haben soll. 

Diese neuartige Zusammensetzung gab der ersten 
Skuptschina im Jahre 1889 ein höheres geistiges Gepräge. 
Damit ist gesagt, dass die neue Verfassung der Volksver- 
tretung schärfere Waffen in die Hand drückt, während die 
Krone gleichzeitig auf die frühere Einflussnahme in der 



j 



r 



— 99 — 

Skuptschina verzichtete, somit gewissermassen dem Volke 
entwaffnet gegenübersteht ! — 

Sehr bemerkt wurde in dieser neuartigen Skuptschina- 
Sitzung die Anwesenheit des G-enerals Leschjanin als ge- 
wählten Abgeordneten und die starke Vertretung des 
priesterlichen Elements, welches zehn Abgeordnete um- 
fasst, während es früher beinahe ganz fehlte. 

Die Radikalen, unter der Leitung von Nikola Paschitsch, 
verfügten in dieser ersten Skuptschina über eine erdrückende 
Majorität von 102 Stimmen. 

Nachdem die bäuerlichen Radikalen mit ihrem Streben, 
an den Beamtengehalten und an der Armee zu sparen, um 
desto weniger Steuern zu zahlen, lange nicht so gefährlich 
für geordnete Verhältnisse sind, als die radikale Intelligenz, 
welche ihre sozialdemokratischen — und mitunter auch 
anarchistischen Ideen vom Auslande mitgebracht, oder durch 
schlechtverstandene Lektüre erworben hat; so war es nur 
natürlich, dass Serbien in den letzten vier Jahren zu keiner 
Ruhe kommen konnte und dass schliesslich solche Um- 
wälzungen eintreten mussten, wie jene vom 21. Jänner 
1894. — 



?• 



IV. Kapitel 

Innere Verwaltung. (Eintheilung , Kreise, Bezirke, Ge- 
meinden, Zadmga oder Hauskommunion). 



Bis zur Verfassungsänderung im Jahre 1889 war 
Serbien in 21 Kreise eingetheilt , welche in 69 Bezirke 
zerfielen. Ausserdem bildeten die Landeshauptstadt Belgrad 
und die Bergstadt Majdanpek besondere Distrikte. 

Nach der neuen Eintheilung bestehen dermalen 15 
Kreise, nämlich: Valjevo, Vranja, Kragujevac, Kra- 
jina (Hauptort Njegotin), Kruschevac, Morava (Haupt- 
ort Tschatschak), Pirot, Drina (Hauptort Loznica), Donau 
(Hauptort Smederevo), Poscharevac, Rudnik (Hauptort 
Gomji Milanovac), T i m o k (Hauptort Knjaschevac), Top litza 
(Hauptort Nisch-Prokuplje?), Uschitze und CrnaReka 
(Hauptort : Zajetschar). Die Landeshauptstadt Belgrad und 
die Bergwerks-Colonie Majdanpek haben ihre eigene Ver- 
waltung beibehalten. 

Der Flächeninhalt und die Einwohnerzahl der einzelnen 
Kreise wurden im IL Kapitel unter den statistischen 
Notizen spezifiziert. 

Unter den Vorschlägen für eine Aenderung der poli- 
tischen Eintheilung Serbiens befand sich auch das Projekt 
einer zu Beginn des Jahres 1888 zusammengesetzten 
Commission, welche unter dem Präsidium des Generals 
Ljeschjanin beantragte, dass die bestandenen 21 Kreise 



•j- . 



— 101 — 

vollkommen aufgelassen werden sollten und die 69 Bezirke 
auf 40 zu reduziren wären. Ferner sollte das ganze Land 
in 5 Gouvernements abgetheilt werden, die von Gouver- 
neuren zu verwalten gewesen wären. 

Dieses Projekt, welches dem Wunsche der radikalen 
Landbevölkerung gemäss die Verwaltung wesentlich ver- 
einfacht und eine bedeutende Beduzirung des Beamten» 
Status zur Folge gehabt hätte, wurde nicht angenommen. 

In der nun zu Kraft bestehenden politischen Ein- 
theilung des Landes hat jeder Kreis eine mehr autonome 
Verwaltungsbehörde und ist jedem derselben auch ein 
Kreisgericht beigegeben. 

Durch die neue Verfassung vom Jahre 1889 wurde 
auch die Autonomie der Gemeinden gegen früher wesentlich 
erweitert. 

Jeder Kreis hat einen Kreisvorsteher (Natschelnik) 
und jeder Bezirk einen Bezirks Vorsteher (Sreski-natschelnik). 

Jede Kreisbehörde zerfallt in eine Abtheilung für 
Finanz-, OeflFentliche Arbeits-, Gesundheits-, Gultus,- Unter- 
richts- und Polizei- Angelegenheiten. 

Die Kreis- Vorsteher korrespondiren direkt mit allen 
Ministerien, Verwaltungsbehörden und Gerichten des 
Landes. 

Zur Versehung des öffentlichen Sicherheitsdienstes und 
zur Exekutive überhaupt, stehen den Kreis- und Bezirks- 
Vorstehem sogenannte Panduren (Gendarmen) zur Ver- 
fügung. 

Jeder Bezirk umfasst eine verschiedene Anzahl von 
Gemeinden, welche ganz gleiche Bechte geniessen; nur 
die Stadtgemeinde Belgrad macht hievon insofern eine 
Ausnahme, als die Belgrader Polizei eine Staatsinstitution 
ist und in den Händen der königlichen Präfektur liegt. 

Jede Gemeinde (Optschina) hat einen Gemeindevor- 
steher (Kmet) und eine Art Friedensgericht von drei 
Richtern, welches in Civil-Angelegenheiten bis zum Betrage 
von 200 Dinars rechtliche ürtheile fällen darf. 



^ 



— 102 — 

Die Gemeinde wählt ihren G-emeinderath selbst. Dessen 
"Wirkungskreis ist ein ausgedehnter. Er veröffentlicht die 
Gesetze, welche ihm vom Bezirksamte übermittelt werden. 
Ihm obliegt femer die Einhebung der direkten Steuern, 
die Ausübung der Polizeigewalt, die Anstellung und Ab- 
setzung der Gemeindebeamten und die üeberwachung des 
Gemeinde- (Friedens-) Gerichtes. Von den Gemeinderäthen 
ist jeder zum Erscheinen in der ausgeschriebenen Sitzung 
verpflichtet, widrigenfalls er in eine Geldstrafe verfällt. 
Alle Entscheidungen des Gemeinderathes werden mit 
Stimmenmehrheit gefallt. 

Die Gemeinde selbst erhebt die Steuern. Die gewöhn- 
lichen Steuern (porez) werden von jedem Einwohner nach 
der mittleren Schätzung seines Einkommens gezahlt; die 
Schätzung wird vom Gemeinderathe vorgenommen. 

Der mittlere Steuerbeitrag beträgt 30 Dinar (Franks) 
per Kopf: die Armen zahlen mindestens 1 Dinar, die Wohl- 
habenden mitunter bis zu 400 Dinars jährlich. 

Die Stadt-Munizipalitäten haben gleich den Gemeinden 
das Recht, für Gemeindebedürfiiisse die obige Kopfsteuer 
um ein Fünftel der Gesammtschätzung zu erhöhen. 

Interessant ist in dieser Beziehung, was Emil von 
Lavelaye (Die Balkanländer 1888), auf Grund genauer Be- 
weisstücke über die jährliche Steuerleistung eines Belgraders 
mittheilt. Sein Gewährsmann gehört der 11. Steuerklasse 
an, deren es 40 giebt. 

Er zahlt im Ganzen 58,80 Dinar (Franken). Davon 
werden eingezogen 80,32 Dinar direkt für den Staat, 2,50 
für die Schulen, 1,60 für die Krankenhäuser, 2 fär die 
Geistlichkeit, 13,48 für die Gemeinde, 1,90 für die Armen, 
1 Frank für militärische Zwecke, 1 Frank für die Erwerbs- 
unfähigen und 4 Franken zur Tilgung der Staatsschuld. 

Es ist ein grosser Vortheil, dass jeder Steuerzahler 
genau weiss, wofür er eigentlich zahlt. In England wird 
in gleicher Weise verfahren. 

Die Dorfgemeinden und die Munizipalitäten müssen 



— 103 — 

den jährlichen Gemeindehaushalt (Budget) entwerfen und 
dem Gremeinderathe zur Genehmigung vorlegen. 

Um über irgend eine Angelegenheit entscheiden zu 
können, bedarf es der Anwesenheit von mindestens drei 
Mitgliedern des Gemeinderathes. 

Die Nebensteuern (priresi) werden durch das Gesetz 
geregelt. 

Die Gemeinden haben jedoch das Recht für Gemeinde- 
bedürfnisse aussergewöhnliche Steuern bis zur halben Höhe 
dieser staatlichen Nebensteuern zu erheben. — Um noch 
höhere Gemeindesteuern ausschreiben zu können, muss die 
Gemeinde die Genehmigung des Finanzministeriums ein- 
holen. 

Die Gemeinden haben das Recht einen Theil des 
liegenden Gemeindebesitzes an arme Familien zu über- 
lassen. Diese Güter gehen nach Ablauf von 15 Jahren in 
den Besitz der damit betheilten Familie über, dürfen aber 
während dieses Zeitraumes nicht veräussert werden. 

Ausländer, welche sich als Ansiedier in Serbien nieder- 
lassen, erhalten ebenfalls unentgeltlich Ländereien ; jedoch 
hängt deren Nutzniessung von dem mit der Regierung ab- 
geschlossenen Vertrage ab. 

Niemals hat aber weder ein Neuangesiedelter noch 
ein serbischer Bauer das Eecht seinen ganzen Grundbesitz 
ZU veräussem; denn mindestens 5 Morgen Grund und Boden 
bleiben unverkäuflich, weil sie der ganzen Familie und 
nicht einer einzelnen Person gehören. Diese Einrichtung 
stammt aus grauer Vorzeit und schützt den kleinen Grund- 
besitz vor gänzlicher Verarmung. 

Auf Grund eines Gesetzes vom Jahre 1873 und einer 
darauf Bezug habenden ministeriellen Verordnung vom 
Jahre 1874 dürfen Landwirthe, Handarbeiter u. dgl. die 
Einrichtungsstücke, Werkzeuge und überhaupt die zur Aus- 
übung ihres Berufes unentbehrlichen Gegenstände, sowie 
auch die Zugthiere, Pflüge Karren etc. nicht veräussem. 
Ebensowenig darf die zur Ernährung der eigenen Familie 



1 



— 104 — 

bis zur nächsten Ernte erforderliche Menge an G-etreide 
und Vieh verkauft werden. Alle diese Dinge werden vom 
Gesetze als Gemeingut der Familie und nicht als persön- 
liches Eigenthum betrachtet. 

Dank dieser patriarchalischen Einrichtungen 
giebt es in Serbien, insbesondere auf dem Lande 
thatsächlich keineArmen, sondern nur mehr oder 
minder Bemittelte. 

Wahrlich, in dieser Beziehung könnte Serbien für 
manchen Grossstaat als Muster hingestellt werden. 

Ueberdies giebt es in Serbien noch eine Einrichtung, 
welche in der ganzen Welt einzig dastehen dürfte Mit 
Ausnahme von Belgrad, ist jede Gemeinde verpflichtet, 
einen Gemeindespeicher zu unterhalten, in welchen 
jeder Steuerzahler nach der Ernte 150 Oka (etwa 195 
Kilogramm) Mais oder sonstiges Getreide hinterlegen muss. 
Aus diesem Speicher erhält die Bevölkerung zur Zeit der 
Hungersnoth, bei Krieg oder sonstigem Missgeschicke, 
Lebensmittel ausgefolgt. 

Für gewöhnlich beträgt dieser Äeservevorrath in den 
Gemeindespeichem des ganzen Königreiches mehr als 
50 Millionen Oka oder etwa 65 Millionen Kilogramm Ge- 
treide. Diese Vorräthe stehen unter der Aufsicht und 
Controlle einer eigenen Abtheilung im Finanzministerium. 

Die Grundlage einer gesunden Gemeindeverwaltung 
bildet das auf alterthümliche Sitten des Volkes basierte 
Familienleben. 

Auf dem Lande findet man noch grösstentheils die 
Zadruga oder Haus-Communion, deren Einrichtung sich 
seit dem ersten Erscheinen der Serben an der Donau nur 
wenig verändert hat. 

Die Zadruga ist eine freiwillige Vereinigung von 
mehreren Verwandten von väterlicher Seite, welche 
unter der Autorität des Stareschina (Aeltesten), des 
Vaters oder Grossvaters, von dem sie alle abstammen, zu- 
sammenleben. 



— 105 — 

Die Zadruga's sind vom Gesetze anerkannt, welches 
diese spezifisch südslawische Einrichtung als „eine auf 
Verwandtschaft gegründete Gemeinschaft des Lebens und 
und des Besitzes" definirt. 

Die Grundstücke, die Arbeiten und das Einkommen, 
alles ist in der Zadruga gemeinschaftlich. Der Stareschina 
leitet und verwaltet die Gemeinschaft, ohne nöthig zu 
haben für seine Handlungen immer die Zustimmung aller 
Mitglieder einzuholen. Jedes Mitglied der Zadruga hat 
seine bestimmten Aufgaben und Verpflichtungen. Die 
verheiratheten weiblichen Mitglieder halten eine nach der 
anderen ihren VSTochendienst. Den Frauen obliegt auch 
die Sorge für die Kinder, die Hausordnung, die Broter- 
zeugung und überhaupt die Zubereitung der Kost. 

Der Stareschina besitzt über alle Mitglieder der Za- 
druga die moralische Autorität eines römischen „pater 
familias". Er hat das Eecht der Bestraftmg über alle 
noch nicht grossjährigen Kinder und ist ihr natürlicher 
Vormund, falls sie Waisen werden sollten. 

Wenn der Stareschina nicht mehr fähig ist die Za- 
druga zu leiten, so überträgt er seine Macht (stareschinstvo) 
nicht immer auf den Aeltesten seiner Söhne, sondern 
demjenigen, welchen er zur Nachfolge am fähigsten hält. 

Alle Mitglieder der Zadruga unterordnen sich dann 
dem WiUen ihres Aeltesten und nehmen ohne Widerrede 
den neuen Stareschina an. 

Nichtsdestoweniger bleibt der frühere Stareschina, so 
lange er lebt, das moralische Oberhaupt der Familie. Er 
spricht die Gebete vor, welche die ganze Familie nach- 
betet, — er empfängt Fremde und bietet ihnen Gast- 
freundschaft unter seinem Dache an und er allein sitzt 
mit den Gästen beim Mahle, während die anderen Mit- 
glieder der Zadruga stehen müssen. 

Während im Piroter Kreise im Jahre 1886 eine Za- 
druga, mit einem Besitzthume von etwa 20 Hektaren Land, 
60 Schafen und Ziegen, 8 Rindern, 2 Pferden und 3 



^ 



— 106 — 

Schweinen, bei einer Steuerleistung von 250 Dinar jährlich 
als sehr arm bezeichnet wurde, fanden wir schon im Jahre 
1874 — allerdings in der sehr gesegneten und weinreichen 
Schuppa im Thale der Easina (südlich Kruschevao) eine 
Zadruga, welche offenbar sehr wohlhabend war und sich 
manchen Luxus gestattete. So lagen beispielsweise da- 
selbst auch zwei Belgrader Tagesblätter auf, aus denen 
zwei für die Ferienzeit nach Hause gekommene Enkel des 
Stareschina (ein Universitätshörer und ein junger Geist- 
licher) die neusten Nachrichten vorlasen. 

Die Zadrugas begannen in den Sechziger und Siebziger 
Jahren sichtlich abzunehmen; indem schon häufiger die 
grossjährig gewordenen Söhne, welche nach serbischem 
Gebrauche in der Begel sehr früh heirathen, noch bei 
Lebzeiten des Vaters das elterliche Haus verliessen um 
sich einen eigenen Hausstand zu gründen, und die Ee- 
gierung ermuthigte eher diese neue Tendenz, statt sie zu 
verhindern. 

Denn, wenn auch anerkannt werden muss, dass das 
patriarchalische Regime in Serbien, unter welchem das 
Land bis jetzt lebte, einen günstigen Einfluss auf die 
Volkssitten ausgeübt und dazu beigetragen hatte, den 
Familiengeist und die gewohnheitsmässige Disziplin zu er- 
halten, was bei einem Volke von Hirten und Kriegern 
nicht hoch genug angeschlagen werden konnte, so muss 
andererseits doch auch zugegeben werden, dass hierdurch 
mitunter das Individuum in seinen Bestrebungen nach 
etwas Höherem theilweise behindert wurde und dass diese 
sehr schöne Einrichtung häufig einem nützlichen und zeit- 
gemässen Aufschwung, sowohl beim Betriebe der Land- 
wirthschaft , als in der Industrie hemmend im Wege 
stand. 

Die Folizeistatistik, welche Gopcevic in seinem sehr 
interessanten Werke „Serbien und die Serben (Leipzig 1888)" 
anführt, weist nach, dass im Jahre 1886 noch 118.738 
solche Zadruga's (Hausgenossenschaften) in ganz Serbien 



r 



— 107 — 

bestanden haben. Rechnet man nun, dass jede Hausge- 
nossenschaft mindestens 15 Personen, — häufig aber auch 
weit über 20 Köpfe zählt; so kann man behaupten, dass 
von der gesammten, im Jahie 1886 kaum 2 Millionen 
Seelen zählenden Bevölkerung Serbiens etwa 1.700000 Per- 
sonen in Hausgenossenschafben (Zadruga's) gelebt haben, 
üeber die jährlich im ganzen Lande aus der Zadruga aus- 
scheidenden meldet die erwähnte Polizei-Statistik, dass im 
Jahre 1885 — 5295 und im Jahre 1886 — 12.950 Personen 
in ganz Serbien aus ihren Hausgenossenschaften ausge- 
treten sind. 



V. Kapitel. 

Jnstizpflege. 



In der ersten Zeit der Begierung des Fürsten Milosch 
diente bei Brechtssprüchen nur das Herkommen und das 
Gewohnheitsrecht als Bichtschnur. Der Zakonik (G-esetzes- 
sammlung) des Caren Duschan aus dem Mittelalter war 
selbst unter der Intelligenz des Volkes kaum bekannt und 
hätte auch bei den vollkommen veränderten Verhältnissen 
keine Anwendung finden können. 

Dem Mangel an Gesetzen und an vollziehenden Ge- 
richts-Organen suchte man anfänglich dadurch abzuhelfen, 
dass man die Bezirks-Behörden und insbesondere die Ge- 
meinden selbst für die Sicherheit der Person und des 
Eigenthums verantwortlich machte. Sie hatten den Thäter 
selbst ausfindig und den zugefügten Schaden nach Mög- 
Uchkeit gut zu machen. Ueber grössere Verbrechen wurde 
in erster Linie vom Bezirksvorsteher oder Natschalnik, in 
zweiter von dem vereinigten Begierungs- und Justiz- 
Kollegium zu Kragujevac (dem damaligen Sitze der Be- 
gierung) und in letzter Instanz vom Fürsten persönlicli 
entschieden. Ihm allein stand das Becht zu, die Todes- 
strafe zu verhängen. 

Das Gerichtsverfahren war summarisch und fand ohne 
Beistand eines Bechtsanwaltes oder Vertheidigers statt. 



i 



— 109 — 

Advokaten wurden damals (etwa bis 1840) im Lande über- 
haupt nicht geduldet. 

Selten dauerte die Entscheidung in einem Rechts- 
streite oder die Fällung eines Strafartheiles länger als 
zwei Monate. 

Die Gerichtstaxen waren äusserst massig. 

Fürst Milosch selbst erkannte nur zu bald, dass ein 
allgemein giltiges Gesetzbuch auch für das damalige 
Serbien ein dringendes Bedürfiiis wäre. Um diesem Mangel 
abzuhelfen, versammelte er eine Gommission von Senatoren, 
Staatsbeamten und nicht-angestellten Eechtsgelehrten, 
welche unter seinem Vorsitze, aus den besten europäischen 
Gesetzbüchern und vornehmlich aus dem Code Napoleon, 
eine für die damaligen einfachen Verhältnisse seines Volkes 
passende Gesetzessammlung zusammenstellte, welches nun 
die Grundlage für eine geordnete Justizpflege bildete und 
die staatsbürgerlichen Rechte des Volkes festsetzte. 

Unter der Regierung des Fürsten Alexander Kara- 
djordjewitsch wurden die Gesetzentwürfe des Fürsten Milosch 
bedeutend erweitert. 

Nun entstanden mehrere Gesetzbücher, nämlich: für 
das Civilrecht: „das bürgerliche Gesetzbuch" (vom 
25. März 1844) welchem einige Ergänzungen nachfolgten. 
Für das Strafrecht erschien im Jahre 1850 das „Strafge- 
setzbuch für Polizeiübertretungen". Früher waren für das 
Strafrecht schon einzelne Gesetze erschienen, und zwar 
im Jahre 1843 betreffs Störung der öffentlichen Ruhe, 
Hochverrath und Majestätsbeleidigung, dann im Jahre 1845 
ein Gesetz betreffend den Diebstahl und 1847 eines, das 
von Raub und Plünderung handelte. Im Jahre 1853 er- 
schien das „Gesetzbuch für das Rechts verfahren in bürger- 
lichen Rechtsstreitigkeiten,^ mit einem Nachtragsgesetze 
vom Jahre 1855. Für das eigentliche strafrechtliche Ver- 
fahren bestanden blos einzelne Bestimmungen in den im 
Zeitraum von 1840 bis 1846 erlassenen Organischen Ge- 
setzen für die Gerichte. 



1 



— 110 ^ 

Eine Advokatenordnnng fehlte gänzlich. 

Den im aktiven Dienste stehenden Beamten war die 
Vertretung der Parteien vor Gericht unter schweren 
Strafen verboten. Die Abfassung von Bitt- und Klage- 
schriften war nur pensionirten Staatsbeamten, gegen eine 
festgesetzte Taxe, gestattet. 

Jedoch war eine vor den Gerichten gütige Vertretung 
der Parteien durch fremde, — hauptsächlich österreichische, 
Advokaten gesetzlich gestattet. 

Sowohl der wissenschaftliche als der praktische Werth 
der meisten vorerwähnten Gesetze erwies sich alsbald den- 
noch als ungenügend. Die Landesversammlung vom 
Jahre 1848 sprach schon die Forderung aus, es möge ein, 
der nationalen Rechtsaufassung entsprechendes Civilgesetz- 
buch abgefasst werden. 

Die Regierungen der Fürsten Milosch und Michael 
entwickelten vom Jahre 1858 angefangen eine grosse 
Thätigkeit auf dem Gebiete der Gesetzgebung. Ausser 
den unter Fürst Milosch am 26. Januar und am 29. März 

1860 und durch seinen Nachfolger Michael am 17. März 

1861 Verlautbarten Straf- und "Wechsel-Gesetzen, traten 
am 10. April 1865 auch neue Civil- und Kriminalprozess- 
Ordnungen thatsächlich in Wirksamkeit, welche bis zum 
heutigen Tage zum grössten Theile noch Giltigkeit haben. 

Die heutige Organisation der Gerichte ist 
folgende : 

Oberster Gerichtsherr ist der Souverän. 

An der Spitze des gesammten Justizwesens steht der 
Justizminister und Siegelbewahrer des Königreichs. 
Er hat dem Könige Bericht zu erstatten über die Justiz- 
verwaltung, über Gnadengesuche und Bitten um Straf- 
^derungen. 

Er überwacht die Einrichtung und Verwaltung der 
Gefängnisse. Er bewahrt das Staatssiegel und veröffent- 
licht die Gesetzessammlungen, Dekrete und sonstigen Ver- 
fügungen. 



— 111 — 

In den Amtsbereicli des Justizministers gehören alle 
Staatsgerichte für Civil - oder Kriminalangelegenlieiten, 
dann die Verwaltung der Strafhäuser. 

Mit dem Gesetze vom 9. Februar 1881 (welches vom 
Minister Pirotschanac nach dem Muster des bezüglichen 
belgischen Gresetzes verfasst wurde) ist den Eichtem die 
Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit gewährleistet. 

Der König ernennt die Gerichtsbeamten auf Vorschlag 
des Justizministers; ausgenommen hiervon sind nur die 
Friedensrichter und die Beisitzer der Belgrader Handels- 
kammer. 

Die Ernennung ist eine lebenslängliche. Gegen seinen 
Willen darf der Richter weder versetzt noch befördert 
werden. 

Die Absetzung eines Richters ist nur, in Folge einer 
rechtskräftigen Verurtheilung desselben, statthaft. 

Dessen Versetzung in den Ruhestand kann nur der 
Cassationshof, unter Beobachtung der hierüber bestehenden 
gesetzlichen Bestimmungen, verfügen. Für einen von ihm 
verursachten Schaden ist der serbische Richter verantwort- 
lich. Auch in diesem Falle cLtscheidet der Cassationshof, 
ob dem Gerichtsbeamten eine gesetzwidrige Handlung zur 
Last gelegt werden soll oder nicht. 

Gelegentlich der im Jahre 1889 durchgeführten Ver- 
fassungsänderung wurde auch die zeitweilige Auf- 
hebung des Gesetzes über die Unabsetzbarkeit 
der Richter verfügt, und zwar zu dem Zwecke, um eine 
grössere Anzahl derselben versetzen , pensionieren oder 
entlassen zu können. Die zur Herrschaft gelangte radikale 
Partei wollte nämlich das zum grossen Theile der Fort- 
schrittspartei angehörende Personal des Richterstandes 
einer ausgiebigen Purifikation unterziehen. Das nur zeit- 
weiKg aufgehobene Gesetz über die Unabsetzbarkeit der 
Richter sollte, nach beendeter Durchführung der neuen 
Gerichts-Organisation, wieder in Wirksamkeit treten. Ob 
dies nun thatsächlich geschehen ist, denn über die Details 



— 112 — 

der auf Grund der neuen Verfassung stattgehabten Aende- 
rungen im Justizwesen, darüber liegen uns keine sicheren 
Nachrichten vor. 

Die im Folgenden sHzzirte Organisation der serbischen 
Gerichtshöfe ist somit jene, wie dieselbe vor der Ver- 
fassungsänderung im Jahre 1889 bestanden hatte und that- 
sächlich auch noch im Jahre 1890 ausgeübt wurde. 

Die Organisation und Hierarchie der Gerichte ist nun 
folgende: 

1) Der Cassationshof, welcher durch ein Gesetz 
im März 1865 ins Leben gerufen wurde, und aus drei 
Sektionen besteht. 

Der Cassationshof soll eine gesunde und gleichmässige 
Anwendung der Gesetze überwachen und garantiren. Er 
hebt in letzter Instanz Urtheile auf — oder kassirt selbe, 
— wenn sie dem deutlichen Sinne des Gesetzes nicht ent- 
sprechen, er stellt den Wirkungskreis der verschiedenen 
Gerichtshöfe fest und schlichtet alle zwischen ihnen ent- 
stehenden Meinungsverschiedenheiten. Weiter hat auch 
der Cassationshof, über Aufforderung des Justizministers 
und auf Grund der beigebrachten Beweise, zu entscheiden, 
ob ein Richter in Anklagezustand zu versetzen sei. Er 
kann den Justizminister auf vorgefundene Mängel oder 
Unklarheiten im Gesetze aufmerksam machen und kann 
verlangen, dass die betreffenden Gesetzes -Paragraphen 
richtiggestellt oder ergänzt werden. Auch hat der Cassa- 
tionshof das Eecht, dem Justizminister über die von ihm 
erlassenen Verordnungen in dem Falle Vorstellungen zu 
machen, wenn jene mit dem Texte oder mit dem Geiste 
des Gesetzes nicht übereinstimmen sollten. 

Der Cassationshof ist zusammengesetzt aus einem 
Präsidenten, zwei Vize-Präsidenten und 15 Erichtem. 

Niemand darf beim Cassationshofe Richter werden 
der nicht das 30. Lebensjahr überschritten, und die sämmt- 
lichen Eechtsstudien regelrecht vollendet hat, oder min- 



— 113 — 

destens sieben Jahre lang an einem anderen Gerichtshöfe 
als Richter angestellt war. 

Von den drei Sektionen des Cassationshofes entscheiden 
zwei fiir die Zivilrechts - Angelegenheiten und für den 
Rechnungshof, während die dritte über Vergehen und Ver- 
brechen entscheidet. — Tn besonderen vom Gesetze vor- 
hergesehenen Fällen entscheidet der Gassationshof bei 
Vereinigung aller drei Sektionen. 

um rechtskräftig beschliessen zu können, müssen bei 
der Generalversammlung des Cassationshofes mindestens 
13 Mitglieder aus allen drei Sektionen anwesend sein. 

Die vom Gassationshofe ausgesprochenen Todesurtheile, 
dann ürtheile auf sechs Jahre Gefangniss und darüber, 
femer auf Dienstentsetzung und Degradation sind jedoch 
immer durch das Justizministerium , mit einer Darlegung 
der etwaigen Milderungsgründe, dem Könige vorzulegen. 

Die Strafurtheile werden verkündet, sobald sie durch 
die gesetzlichen Instanzen gegangen und rechtskräftig ge- 
worden sind. 

2) Der Appellations-Gerichtshof in Belgrad 
ist in zwei Kammern getheilt, wovon die eine für die 
zivilrechtHchen und die andere in Griminal-Angelegenheiten 
in zweiter und zumeist auch letzter Instanz die bezüglichen 
Ürtheile fällt. 

Die Entscheidung des Appellations-Gerichtshofes er- 
folgt nur dann, wenn eine der beiden Parteien gegen ein 
Urtheil erster Instanz binnen acht Tagen die Berufung 
einreicht. 

Es giebt aber auch Fälle, wo die Berufung an das 
Appellations-Gericht überhaupt gesetzlich unzulässig ist; so 
z. B. bei Urtheilen von Givilgerichten, welche sich auf un- 
umwundene Geständnisse oder auf einen entscheidenden 
Eid stützen, femer auch dann, wenn der Streitfall die 
Werthsumme von 421 Dinars nicht übersteigt. 

3) Gerichte erster Instanz, deren ausser der 
Landeshauptstadt Belgrad noch jeder Kreis eines besitzt, 

Anton Tnma, Serbien. o 



— 114 — 

weshalb sie auch Kreisgerichte genannt werden. 
Ausserdem gehört hieher auch das Handelsgericht in 
Belgrad. 

Die Kreisgerichte können nach Bedarf eine oder 
mehrere Kammern bilden, doch ist zur Fällung eines 
rechtskräftigen Urtheiles die Anwesenheit von mindestens 
drei Mitgliedern erforderlich. 

In der Regel entscheiden die Kreisgerichte auch in 
Handelsangelegenheiten. 

Das Kreisgericht entscheidet über alle in dem be- 
treffenden Kreise begangenen Vergehen und Verbrechen. 
Der Kläger ist verpflichtet, alle nöthigen Beweismittel 
beizubringen. In allen andern vom Staate zu verfolgenden 
Gesetzesverletzungen ist die Polizeibehörde (Kreisvorsteher) 
verpflichtet, die Kreisgerichte auf jede Weise zu unter- 
stützen. 

Das Gerichtsverfahren ist mündlich und seit 1865 auch 
öffentlich. Für die Abwesenden oder Minderjährigen müssen 
offizielle Vertheidiger beigestellt werden. — Die Geständ- 
nisse dürfen durch keinerlei Zwangsmittel erpresst werden. 
Straferkenntnisse von mehr als drei Monaten Gefangniss 
müssen dem Appellations-Gerichtshofe zur Genehmigung 
vorgelegt werden. 

Kein Givil-Kechtsstreit darf begonnen werden, bevor 
die Parteien nicht nachgewiesen haben, dass der friedens- 
richterliche Ausgleich vergeblich versucht worden ist. Auch 
nach erhobener Anklage sollen die Kreisgerichte darauf 
hinwirken, dass ein gütlicher Vergleich herbeigeführt werde, 
ehe der Prozess angenommen wird. 

Das XJrtheil mit den Entscheidungsgründen wird 
schriftlich ausgefertigt, vom Vorsitzenden und einem 
Sekretär unterzeichnet, mit dem Amtssiegel versehen und 
beiden Parteien zugestellt. Falls binnen acht Tagen keine 
Berufung erfolgt, wird es rechtskräftig und muss binnen 
weiteren 15 Tagen der Kreisbehörde zur Vollziehung über- 
geben werden. 



Fl." . "v 



— 115 — 

Die Kreisgericlite fungiren auch als Waisenämter und 
beaufsichtigen die Verwaltung des Vermögens der Un- 
mündigen. Hiefür befindet sich an jedem solchen Gerichte 
ein Curator-Richter, welcher nach dem Gesetze vom 
25. Oktober 1872 die Interessen der Minderjährigen, der 
natürlichen Kinder u. dgl. zu wahren hat. Didser Richter 
ernennt auch die Ouratoren und deren Gehilfen und setzt 
sie — wenn nöthig — wieder ab. 

Durch das vorerwähnte Gesetz wurde auch jedem 
Kreisgericht ein Richter für die Erledigung von Erbschafts- 
angelegenheiten beigegeben. 

Er lässt sich den Todtenschein mittheilen, befiehlt die 
Aufnahme des Inventars, schreitet zur Testamentseröffiiung, 
weist die Parteien im Falle von Streitigkeiten an das 
Civilgericht, u. s. w. Auch nimmt er an der Verfassung 
gewisser Klageschriften in der Eigenschaft eines Notars 
theil, nachdem es derlei öffentliche Funktionäre in Serbien 
noch nicht giebt; er setzt auch Testamente und ähnliche 
Dokumente auf. Gewöhnlich sind die Funktionen dieses 
Richters und jene des oberwähnten Curator-Richters in 
einer Person vereinigt. 

Berufungen gegen die Entscheidung erster Instanz in 
Vormundschafts- und Erbschafts-Angelegenheiten kommen 
vor den Appellations-Gerichtshof, manchmal auch vor den 
Cassationshof. 

In folgenden Rechtsstreitigkeiten müssen Schieds- 
richter entscheiden. 

a) Wenn es sich um Schäden handelt, welche das Vieh 
auf dem Besitzthume eines anderen Eigenthümers ver- 
ursacht hat. 

b) Wenn es sich zwischen zwei Gemeinden um das 
Recht der Weide handelt; 

c) Wegen des gegenseitigen Leihens von Zugvieh fiir 
die Feldarbeit; 

d) Wenn sich das Vieh des einen mit jenem eines 

andern Besitzers vermengt und vereinigt hat. 

8* 



— 116 — 

e) Bei Theilungsfragen zwischen den Hausgenossen 
der Zadruga's. 

Hier muss erwähnt werden, dass jede Zadmga (Haus- 
kommunion) gewissermassen eine einzige juridische Per- 
son im zivilrechtlichen Sinne bildet, deren Bechte nach 
Aussen hin durch ihren Aeltesten (Stareschina) der Ge- 
meinde und dem Staate gegenüber vertreten werden. 

In polizeilicher und strafrechtlicher Hinsicht ist hin- 
gegen jedes einzelne Mitglied der Zadruga für sich selbst 
den Staatsgesetzen unterworfen. 

4) Das Handelsgericht in Belgrad wurde durch 
das Gesetz vom 12. (24.) December 1859 ins Leben ge- 
rufen. Es hat einen Vorsitzenden, einen ständigen Bichter, 
einen Sekretär nebst einigen 0-ehilfen und 12 Beisitzer, 
welche zu den angesehensten Handelsleuten Belgrads ge- 
hören. Die eine Hälfte bildet die ordentlichen und die 
andere die Ersatz-Mitglieder. Ihr Mandat dauert stets nur 
für ein Jahr und ist unentgeltlich. 

Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, welche Streitfälle 
der Entscheidung des Handelsgerichtes unterzogen werden 
sollen. 

Ausser jenem in Belgrad, bestand etwa bis zum Jahre 
1870 auch ein Handelsgericht in Smederevo (Semendria). 

5) Die Friedensgerichte wurden durch das Gesetz 
vom 24. März 1866 eingeführt und durch jenes vom 8. 
Oktober 1875 theilweise abgeändert. 

Sie besorgen in jeder Gemeinde die Oivilrechtspflege 
und schöpfen ihre Urtheile, weniger auf Grund von ihnen 
minder bekannten Gesetzen^ als mit Hilfe einer gesunden 
Logik und mit Berücksichtigung der nationalen Sitte und 
althergebrachten Gepflogenheit 

Das Friedensgericht einer Gemeinde besteht aus dem 
Gemeindevorsteher (Kmet) und aus zwei Gehilfen (Pomoc- 
nici), welch' Letztere auf ein Jahr gewählt werden. 

Das Friedensgericht urtheilt in allen die Summe von 
200 Dinars nicht überschreitenden Streitfragen, ausgenommen 



— 117 — 

sind Erbschaftsangelegenheiten. Bei unbeweglichen Streit- 
objekten und Wechseln darf der Werth 100 Dinars nicht 
überschreiten. Es dient als Vermittler und genehmigt das 
zwischen den Streitenden getroffene Uebereinkommen. 

Beim Einverständniss beider Parteien, genehmigt es 
die Ernennung von Schiedsrichtern und bestimmt den Tag 
der schiedsrichterlichen Verhandlung. 

Erklären beide Parteien von Vornherein ihre Bereit- 
willigkeit sich der Entscheidung des Friedensrichters zu 
unterwerfen, so kann derselbe auch über höhere Werthe 
urtheilen. 

Eine Berufung gegen die Erkenntnisse des Friedens- 
gerichtes ist nur dann statthaft, wenn eine der Parteien 
oder deren Zeugen nicht vernommen wurden, ferner wenn 
einer der drei Friedensrichter mit einer der beiden Parteien 
verwandt oder deren erklärter Feind ist, — oder schliess- 
lich, wenn sich das Urtheil auf die Aussagen von zur 
Zeugenschaft unberechtigter Personen stützt. 

In einem solchen Falle muss die Berufung innerhalb 
dreier Tage stattfinden. Dieselbe wird von einem Aus- 
schuss geprüft, der aus fünf, auf drei Monate gewählten, 
Mitgliedern des Gemeinderathes besteht. Erscheint diesem 
Ausschusse die Begründung der Berufung gerechtfertigt, 
so ist das friedensrichterliche Verfahren, — bei Ausschluss 
der beanstandeten Richter und Zeugen, — zu wiederholen. 

Das Verfahren ist beim Friedensgerichte öffentlich 
und mündlich. Protokolle werden über die summarischen 
Verhandlungen nicht geführt. Die gefällten ürtheile treten 
nach drei Tagen in Eechtskraft, falls keine Berufung er- 
folgt, und der Vollzug der ürtheile steht einzig dem 
Friedensrichter zu. 

Auch in Strafsachen urtheilt das Friedensgericht, jedoch 
nur über solche Vergehen, welche nach dem Gesetzbuche 
nur mit Gefängnis bis zu 30 Tagen, oder mit einer Geld- 
strafe bis zu 100 Dinar geahndet werden können. 

6) Ausser den Vorgenannten, giebt es in Serbien noch 



— 118 — 



ein Gericht, welches aus höheren Beamten der Centralver- 
waltung besteht und die über die Beamten zu verhängendeu 
Disziplinarstrafen bestimmt. Es setzt sich aus sieben 
Mitgliedern und vier Ersatzmännern zusammen, welche alle 
durch den König ernannt werden. Dieser Beamten- 
Disziplinar-G-erichtshof urtheilt über die von den 
Beamten innerhalb oder ausserhalb ihrer Amtsthätigkeit 
begangenen Vergehen. 

7) Auch der Bechnungshof muss föglich an dieser 
Stelle angeführt werden, weil er auch die Funktionen 
eines Verwaltungs-Gerichtshofes versieht und infolgedessen 
durch das Gesetz vom 25. November 1868 dem Justizminister 
unterstellt wurde. 

Der Bechnungshof befasst sich hauptsächlich mit der 
Prüfung von, der staatlichen Kontrolle unterworfenen 
Bechnungen. Die Entscheidungen des Bechnungshotes 
werden vom Vorsitzenden und zwei Bäthen getroffen. 

Eine Berufung dagegen kann beim Cassationshofe ein- 
gereicht werden. 

8) Mit dem Gesetze vom 21. Oktober 1871 wurden 
auch in Serbien Geschwornen- Gerichte eingeführt, 
ähnlich jenen die schon im Art. 196 des Duschan'schen 
„Zakonik** (Gesetzbuches) erwähnt werden. 

Diese Gerichte urteilen über grosse Diebstähle, EÄub 
und Brandlegung. 

Im November eines jeden Jahres wählen die Ge- 
meinderäthe eine, je nach der Grösse und Wichtigkeit 
der Gemeinde verschiedene, Anzahl von Geschworenen. 

Gewöhnlich sitzen in der Jury die Geschworenen 
jener Gemeinde, welcher der Angeklagte selbst angehört. 

Die Jury besteht aus einem Vorsitzenden des Kreis- 
gerichtes, aus 2—3 staatlichen Bichtem und aus 4 Ge- 
schworenen. Die Bichter stellen im Vereine mit den Ge- 
schworenen die Schuld oder Unschuld des Angeklagten 
fest. Im Falle eines Schuldigspruches, erkennen die 
Bichter die gesetzlich zu verhängende Strafe zu. Gegen 



— 119 — 

die Erkenntnisse der Geschwomengerichte ist eine Be- 
rufung an die höhere Instanz zulässig. 

Advokaten giebt es in Serbien noch wenige, etwa 
120 — 130 (von denen ein Drittel in Belgrad selbst wohnt), 
weil der serbische Advokatenstand seine Existenzberech- 
tigung überhaupt erst durch ein Gesetz vom 12. März 
im Jahre 1862 erlangt hat. Bis zu diesem Zeitpunkte 
duldete man in Serbien überhaupt keine Advokaten im 
Lande. Der Advokatenstand untersteht dem Justiz- 
minister. 

Die Advokaten werden zur Prüfung nur zugelassen, 
wenn sie ein Doktor-Diplom vorzulegen und weiter nach- 
zuweisen im Stande sind, dass sie vorher zwei Jahre lang 
entweder in einer Advokatur -Kanzlei, oder bei einem 
öffentlichen Gerichte gearbeitet haben. Nach Erfüllung 
dieser Bedingungen leisten sie den Eid und erhalten den 
Biang eines Advokaten, mit dem Rechte des Plaidirens. — 

Nach dem im Jahre 1860 erschienenen, serbischen 
Strafgesetzbuche, waren die vorgesehenen Strafen durch- 
weg human und den Fortschritten der Civilisation voll- 
kommen entsprechend. 

Die nachfolgenden Angaben sind dem „Moniteur uni- 
versell vom Jahre 1864 entnommen. 

Die gesetzlichen Strafen sind: die Todesstrafe, die 
Zwangsarbeit, die Kerkerstrafen, Gefängniss, die Absetzung 
von einem öffentlichen Amte, Geldstrafen, die Prügelstrafe, 
welche jedoch im Jahre 1873 aufgehoben wurde, dann der 
Verlust der bürgerlichen Rechte, die Gonfiiskation gewisser 
Gegenstände, das Verbot ein gewisses Handwerk oder 
eine bestimmte Industrie zu betreiben, endlich die Ver- 
bannung. 

Die Todesstrafe wird in Serbien nur durch das Er- 
schiessen vollzogen und kann der Verurtheilte vorher über 
sein Eigenthum ein legales Testament ausstellen. Die 
Todesstrafe wird für Angriffe gegen den Monarchen, bis- 
weilen auch für Hochverrath, dann meistens für mit be- 



— 120 — 

waflftieter Hand vollführte Mord- und BÄubanfalle ver- 
hängt. 

Die Strafe der Zwangsarbeit kann nur fiir die Dauer 
von 2 bis zu 20 Jahren verhängt werden. Die Verur- 
theilten müssen verschiedene Arbeiten, entweder im Zucht- 
hause oder auf Feldern, verrichten und ein Theil derselben 
arbeitet in den Staats-Arbeitshäusem zu Ljubitschevo, 
Dobritschevo , Arandjelovac und Kragujevae. Die zur 
schweren Zwangsarbeit Verurtheilten tragen, je nach der 
Anordnung des Gerichtshofes, entweder leichtere Ketten 
(zu 2^2 Kilogramm Gewicht) oder schwerere (zu 5 Kilo- 
gramm) an den beiden Füssen Weibliche und minder- 
jährige Sträflinge sind jedoch hiervon ausgenommen. Auch 
können die weibKchen Sträflinge zu keinerlei Arbeit ausser 
dem Hause verwendet werden. In dem 1865 gegründeten 
Strafhause zu Poscharevac haben beispielsweise die Weiber 
ihre eigene Abtheilung und stehen unter der Aufsicht 
einer Leiterin, welche zugleich ihre Lehrerin für weibliche 
Handarbeiten ist. In der Strafanstalt zu Topschider, 
welche hauptsächlich zur Aufnahme von Minderjährigen 
bestimmt ist, befindet sich eine Schule, ein Lehrer und 
ein Pope. — Die meisten der übrigen zur Zwangsarbeit, 
oder zu schwerem Kerker Verurtheilten verbüssen ihre 
Strafe in den Kasematten der Belgrader Festung. 

Von dem durch die Sträflingsarbeiten erzielten Ver- 
dienste wird ein Theil an die Staatskasse abgegeben und 
den Kest bekommt der Sträfling bei seiner Freilassung 
ausbezahlt. 

Der schwere Kerker in der Dauer von 2 bis 20 Jahren 
kann nur über Staatsbeamte oder sonstige mit einem 
öffentlichen Amte bekleidete Personen, und über Geistliche 
verhängt werden, wenn diesen Personen ein Verbrechen 
bewiesen wurde. 

Diese Kerkersträflinge sind in einer besonderen Ab- 
theilung untergebracht, sind zu keiner Arbeitsleistung ge- 
zwungen, dürfen sich auf eigene Kosten verpflegen und 



— 121 — 

brauchen weder Ketten noch eine besondere Strafhaus- 
tracht zu tragen. 

Gewöhnliches Gefangniss wird nur in der Dauer von 
viO Tagen bis zu fünf Jahren verhängt. Die Häftlinge 
sind zur Arbeit bemüssigt. In gewissen Fällen kann die 
einfache Gefängnishaft in Zwangsarbeit umgesetzt werden 
und auch umgekehrt. 

Dann rechnet man acht Monate Zwangsarbeit als 
gleiohwerthig mit einem Jahre Gefangniss. 

Mittelst eines am 22. März 1869 erlassenen Gesetzes 
ist auch die bedingungsweise Freilassung, oder gewisser- 
massen eine Beurlaubung, der Gefangenen gestattet, um 
diese Begünstigung zu erlangen, muss der Gefangene min- 
destens die Hälfte seiner Strafzeit schon verbüsst und 
sich im Gefangnisse musterhaft aufgeführt haben. Ein 
rückfalliger Verbrecher muss jedoch vorher wenigstens 
schon zwei Drittel seiner Strafzeit abgebüsst haben. 

Wenn der bedingt Freigelassene nicht die vom Ge- 
setze vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt, namentlich 
wenn er ohne Genehmigung der Behörden seinen Aufent- 
haltsort ändert, so wird er wieder verhaftet und muss 
den S>est seiner Strafe im Gefängnisse abbüssen. 

Die Höhe der Geldstrafen ist vom Gesetze festgesetzt. 
In jenem Falle jedoch, wenn deren Höhe ein Drittel des 
Vermögens des Verurtheilten übersteigt, so wird für das 
Mehr eine Gefängnissstrafe verhängt, und zwar nach dem 
Massstabe , dass bis zu 1500 Dinars für jeden Tag 10 
Dinars und für grössere Summen für jeden Tag Gefang- 
niss 15 Dinars gerechnet werden. 

Die Prügelstrafe wurde im Jahre 1873 abgeschafft. 
Sie wurde aber auch früher nie an einem besitzenden 
und freien serbischen Staatsbürger vollzogen. Hauptsäch- 
lich wurden damit Vagabunden, Tagelöhner, Dienstboten 
und Diebe oder auch solche Männer unter 50 Jahren be- 
straft, deren Familien ohne Lebensunterhalt geblieben 
wären, falls eine Gefängnissstrafe zuerkannt worden wäre. 



— 122 — 

Die Entziehung der bürgerlichen Bechte kann auf 
die Dauer von 1 bis 5 Jahre ausgesprochen werden. 

Die gerichtlich ausgesprochene Confiskation gewisser 
Gegenstände erstreckt sich auf solche Werkzeuge und In- 
strumente, mit welchen ein Verbrechen volljRihrt wurde, 
oder welche zur Ausführung desselben bestimmt waren. 
Dieselben werden zu Gunsten des Staatsschatzes ver- 
kauft. — 

Das richterliche Verbot, gewisse Gewerbe oder In- 
dustriezweige nicht mehr ausüben zu dürfen, wird über 
diejenigen verhängt, welche sich eines Verbrechens mit 
Hilfe dieses Gewerbes schuldig gemacht haben. Dieses 
Verbot kann entweder nur für eine beschränkte Zeit, oder 
für immer ausgesprochen werden. 

Die Ausweisung aus einem mit gezwungenem Aufent- 
halt im anderen Orte, gewöhnlich auch verbunden mit 
Stellung unter polizeiliche Aufsicht, kann auf die Dauer 
von zwei Jahren und darüber verhängt werden. 

Fremde können aus dem Königreiche ausgewiesen 
werden. 

Für Staatsbeamte bestehen als Ehrenstrafen: Ver- 
weise, zeitweise Enthebung vom Amte oder Gehaltsent- 
ziehung und Entlassung aus dem Staatsdienste. 

Der Strafvollzug obliegt den Polizeibehörden unter 
deren Aufsicht auch die Strafanstalten stehen. 

Der Verfasser der Studie im „Moniteur universel" vom 
Jahre 1864 schreibt unter Anderem: Die Behandlung der 
Getangenen ist eine sehr milde, die selbst den , zur 
Zwangsarbeit verurtheilten Sträflingen auferlegten Arbeiten 
können durchaus nicht übermässig schwer genannt 
werden. Auch die täglich aus 1 Kilogramm Brot und 
75 Gramm Bindfleisch, nebst einer ausgiebigen Portion 
von Erbsen, Bohnen oder Gemüse, bestehende Kostration 
ist genügend und diese Nahrung gesund. Die Sträflings- 
kleider sind ebenfalls gut und warm. Es ist gebräuchlich, 
dass am Neujahrstage und am Namensfeste des Monarchen, 



1 



— 123 — 

anf Vorschlag des Jastizministers , einige minder be- 
lastete Sträflinge, deren Strafdaner schon zur Hälfte ab- 
gelaufen ist, and deren Aufführung in der Strafanstalt 
eine tadellose war, vom Könige begnadigt werden. 

Nach der Gerichtsstatistik ergeben sich für die drei 
Jahre von 1861 bis 1864 folgende interessante Daten. 

Die Zahl der vor den Gerichtshöfen in diesen drei 
Jahren verhandelten Criminalprozesse betrug 5834 Fälle; 
und zwar: 479 Morde, Todschläge und schwere körperliche 
Beschädigungen , 1752 Brandlegungen , ferner Diebstähle 
und andere Delikte 3603 Fälle. 

Diese gerichtlichen Verfolgungen veranlassten in den 
drei Jahren 5135 Verurtheilungen, oder durchschnittlich 
per Jahr 1712. 

In derselben Zeit wurden von den Oivilgerichten 
Serbiens 68.917 Prozesse verhandelt, oder jährlich beiläufig 
22.972 Prozesse. 

Man zählte auch in derselben Periode 204 Selbst- 
morde im ganzen Lande. Von 1861 bis 1864 kam nicht 
ein ehiziger Kindesmord vor. Allerdings ist in keinem 
Lande der Welt das Verhältniss der unehelichen zu den 
eheHchen Kindern so klein und günstig wie in Serbien. 
Dieses Verhältniss erreichte von 1861 — 1864 in Serbien 
kaum 1 : 500; — in Griechenland im Jahre 1860 — 1 : 103 
und in Frankreich im selben Jahre: 1 : 14. — 

Nach Goptschevitsch wurden im Jahre 1883 : 1002 ge- 
meine und 677 politische Verbrecher, im Jahre 1884: 1134 
gemeine und 74 politische und im Jahre 1885:1273 ge- 
meine und 30 politische Verbrecher den Strafanstalten 
übergeben. Die grosse Zahl der politischen Verbrecher im 
Jahre 1883 erklärt sich durch den Aufstand der Radikalen 
unter Nikola Paschitsch im Kreise Gma Beka (Hauptort 
Zajetschar). 

Interessant ist auch die in der serbischen Statistik 
vom Jahre 1863 enthaltene Notiz, dass das Gerichtspersonal 
des Appellations-Gerichtshofes und der Gerichtshöfe erster 



— 124 — 

Instanz) im Jahre 1863 ams 107 Bichtem bestand, von 
denen nur 46 regelrechte Sechtsstudien vollendet hatten. 

Dieser umstand mag im ersten Momente überraschend 
erscheinen; erklärt sich aber sehr einfach, wenn man be- 
denkt, dass wir es mit einem Volke zu thnn haben, 
welches damals erst kaum aus dem Zustande barbarischer 
Elnechtschaft herausgetreten war und mit einem Lande, 
in welchem man in den fünfziger Jahren dieses Jahr- 
hunderts gar nicht selten Leute von Bang und hohem Ein- 
fluss antreffen konnte, die weder lesen noch schreiben 
konnten. Der letzte, des Lesens und Schreibens unkundige 
serbische Bichter wurde beispielsweise erst im Jahre 1862 
in den Buhestand versetzt. 

üebrigens konnten die beiden Begründer der serbischen 
Unabhängigkeit, nämlich sowohl Karadjordjevitsch als auch 
Milosch, weder lesen noch schreiben. 

Die Abdankungsurkunde des Fürsten Milosch, datirt 
vom 13/25. Juni 1839 endigt folgendermassen : 

„Als Bestätigung dessen, dass diese Erklärung meiner 
^Abdankung gemäss meinem wahren Willen verfasst worden 
„ist, mache ich zu wissen, dass mein jüngster Sohn Michael 
„meinen Namen und Vornamen daruntergeschrieben und 
„mein Siegel beigedrückt hat; nachdem ich selbst nicht 
„schreiben kann.*' Gez. Milosch Obrenovich. 

Zum Schlüsse dieses Kapitels muss noch Einiges über 
Hypotheken erwähnt werden. 

Nachdem in Serbien sonderbarer Weise noch immer 
kein Grundbuch angelegt ist, so findet die Vormerkung auf 
Grundstücke oder Häuser in folgender Weise statt. Der 
Eigenthümer, welcher auf seinen unbeweglichen Besitz 
Geld au&ehmen will, begiebt sich mit dem Geldgeber oder 
dessen Bevollmächtigten zum betreffenden Bichter erster 
Instanz und erklärt ihm, dass er dem Geldverleiher bis 
zum Betrage der vorgestreckten Summe seinen liegenden 
Besitz verpfände. Diese Erklärung schreibt der Bichter 
in ein eigens dazu angelegtes Begister und der Gläubiger 



— 125 — 

erhält vom Eichter eine Bestätigung, dass keine andere 
Hypothek vor der seinigen vorgemerkt worden sei. 

Dieser Vorgang ist durch das Gesetz vom 19. November 
1854 genau vorgezeichnet. 

Das serbische Erbrecht bestimmt, dass in Ermangelung 
eines Testamentes nur die männlichen Nachkommen des 
Verstorbenen erbberechtigt sind. 

Die Grossjährigkeit tritt in Serbien mit dem vollendeten 
21. Lebensjahre ein — und mit dem erreichten 17. Lebens- 
jahr kann jeder Serbe oder jede Serbin ein Geschäft er- 
öflfnen; nur müssen die Geschäftsbücher selbstverständlich 
serbisch geführt werden. 



VI. Kapitel. 

Kirchliche Angelegenheiten. 



Die Serben bekennen sich zur griechisch-orientalischen 
oder orthodoxen Religion. 

Schon im 7. Jahrhunderte kamen die heutigen Serben 
und Kroaten an die Donau und in die Balkanhalbinsel. 
Nicht lange darauf wurden sie durch römische Missionäre 
zum Ohristenthume bekehrt. Das begonnene Werk wurde 
später vom byzantinischen Kaiser Basilius mit grösstem 
Eifer fortgesetzt. Vor etwa einem Jahrtausend vollendeten 
die beiden Slaven-Apostel Cyrill und Methud die Be- 
kehrung der Südslaven, machten die Serben mit der 
slavischen Liturgie bekannt und wendeten, bei der von 
ihnen bewirkten Uebersetzung der Bibel in das Slavische, 
zum ersten Male das cyrillische Alphabet an, welches noch 
heute beinahe von allen griechisch orthodoxen Slaven, — 
wenn auch hie und da mit geringfügigen Unterschieden, — 
angewendet wird. 

Die Länder an der Küste des adriatischen Meeres 
bUeben jedoch dem römischen Glaubensbekenntnisse treu, 
weil sie mit Italien in ununterbrochener Verbindung 
standen. So entstand die religiöse Spaltung bei den Süd- 
slaven. 

Die Spannung zwischen den römischen Katholiken und 
den griechischen Orthodoxen wurde nur noch empfindlicher, 



— 127 — 

als auf den beiden dalmatinisclien Synoden zu Spalato im 
Jahre 925 und 1059 der Gebrauch der slavischen Kirohen- 
sprache verboten wurde. 

Die im Jahre 1044 und 1179 zu Antivari und 1121 zu 
Eagusa von Born aus eingesetzten Erzbischöfe konnten 
sich im Innern des Landes kein Ansehen verschaflPen. Da- 
gegen wurden die römisch-katholischen Bischöfe in Djakovar 
und Kreschevo in ihren Diözesen sehr gut aufgenommen 
und bewirkten die weitere Befestigung des römisch-katho- 
lischen Q-laubens bei den Kroaten und unter den Bewohnern 
von Bosnien. 

Diese Ungleichheit in religiöser Hinsicht ist die 
Ursache des heute noch bestehenden Zwiespaltes zwischen 
Serben und Kroaten. 

Bei den Balkanvölkern spielt eben die Religion in der 
Greschichte eine ebenso wichtige BioUe, als die Nationalität 
selbst 

Auf der Synode zu Pressburg (1309) wurde die Ehe 
zwischen Katholiken und Orthodoxen verboten. Auch der 
mächtige Zar Duschan fachte den Hass gegen die Katho- 
liken noch mehr an; so verbot er seinen Unterthanen, bei 
Strafe der Blendung, einen römisch-katholischen Gottes- 
dienst zu besuchen. Als Duschan Bosnien unterworfen 
hatte, liess er die katholische Geistlichkeit verjagen und 
das katholische Volk wurde von den orthodoxen Geist- 
lichen gezwungen, sich noch einmal nach orientalischem 
B>itus taufen zu lassen. 

Anfangs war die serbische Kirche vom Konstantinopler 
Patriarchate abhängig. 

Der serbische Nationalheilige Sava soll schon auf der 
Synode zu Nikäa (1221) vom Kaiser Theodorus Laskaris 
und dem Patriarchen Germanos, unter verschiedenen Vor- 
behalten, die Errichtung eines selbständigen Erzbisthums 
erlangt haben, dem alle Bisthümer der serbischen Länder 
unterstehen sollten. 

Dieses von Byzanz erlangte Zugeständniss wurde vom 



^ 



— 128 — 

mächtigen Zar Duschan aus eigener Machtvollkommenheit 
dahin erweitert, dass er ein selbständiges serbisches Patri- 
archat mit dem Sitze in Ipek (Petsch) errichtete. Erz- 
bischof Janitschije II. war der erste serbische Patriarch, 
welchem diese Würde auf der Synode zu Skoplje (1346) 
zu Theil geworden war. Zum Danke dafür krönte Patriarch 
Janitschije im nächsten Jahre Stephan Duschan zum ser- 
bischen £aiser. 

Der byzantinische Patriarch war mit alV dem nicht 
einverstanden und belegte sowohl den Kaiser Duschan, 
als auch den ganzen serbischen Klerus, auf dem Concil 
von Serres (1347) mit dem Bannfluche. 

Als Fürst Lazar im Jahre 1374 den serbischen Thron 
bestieg, knüpfte er sofort mit Byzanz Verbindungen an, 
um eine Aussöhnung herbeizufuhren. — Dies gelang ihm 
auch schliesslich, denn der griechische Patriarch in Kon- 
stantinopel erkannte nun den zweiten serbischen Patriarchen 
unter der Bedingung an (1376), dass Byzanz von Serbien 
nicht mehr angegriffen werden dürfe. Seit dieser Zeit 
lebten die beiden Patriarchen in Frieden, bis 13 Jahre 
später der serbische Staat als solcher auf dem Amselfelde 
vernichtet wurde. Aber ihren Q-lauben bewahrten doch die 
meisten der nun unter dem Türkenjoche seufeenden Serben 
und so erfahren wir denn weiter aus der E^chengeschichte, 
dass der 21. serbische Patriarch Arsenije Tschamojevitsch 
im Jahre 1690 mit 37.000 serbischen Familien*) des Amsel- 
feldes (Kossovo polje) seinen Patriarchensitz Jpek (Petsch) 
verliess und mit ihnen nach Ungarn auswanderte, wo er 
seine Residenz zu Karlovitz (Karlovci) aufschlug; wodurch 
zwei kirchliche Jurisdiktionen der serbischen National- 
kirche entstanden, die ungarisch - serbische in Karlovitz 
und die türkisch-serbische in Ipek. — 



*) Wenn damit Zadruga's gemeint sein solltan , so müsste 
dieser Exodus eine Kopfzahl von mindestens einer halben Million 
gehabt haben. 



J 



— 129 — 

Der letzte Patriarch von Ipek war ein Q-rieche, 
Namens Hadschi Kalinik (1765). In diesem Jahre 
kaufte der griechische Patriarch in Konstantinopel vom 
Sultan das Brecht der Bischofsemennungen für das ganze 
ottomanische Beich. In Folge dessen blieb der serbische 
Patriarchenstuhl unbesetzt und die serbischen Bisthümer 
wurden meist an Griechen verliehen. 

So blieben die kirchlichen Verhältnisse, bis im Jahre 
1832 das Volk und mit ihm auch die serbische Staatskirche 
wieder ihre Selbständigkeit erhielt. Aber noch blieb dem 
griechischen Patriarchen in Konstantinopel das Becht, die 
Wahl des Metropoliten Serbiens gegen eine Abgabe von 
300 Dukaten zu bestätigen. 

Der im Jahre 1848 von den ungarischen Serben ge- 
wählte Patriarch mit dem Sitze in Karlovitz (Karlovci), 
hat auf die Kirche im Königreich Serbien gar keinen 
Einfluss. 

Durch den Berliner Friedensvertrag (1878) wurde 
nicht nur das Land vollkommen unabhängig, sondern auch 
die serbische Kirche wieder ebenso „autocephal" (autonom) 
wie sie es vor der verhängnissvollen Schlacht auf dem 
Amselfelde gewesen war. Es ist begreiflich, dass den 
Serben eine Vereinigung der beiden Jurisdiktionen ihrer 
Nationalkirche sehr erwünscht wäre. 

An der Spitze der serbischen Kirche steht jetzt der 
„Metropolit von ganz Serbien." 

Ausserdem giebt es noch Bischöfe von Zitscha (bei 
Klruschevatz) und Nisch. 

Ehemals wurde der serbische Metropolit, ebenso wie 
die Bischöfe von der Synode gewählt imd vom Könige 
bestätigt. 

In Folge des Kirchenstreites im Jahre 1881 trat 
hierin eine prinzipielle Aenderung ein. 

Der damalige Metropolit Michael widersetzte sich 
verschiedenen Anordnungen der damaligen, fortschrittlichen 
[Regierung, so unter Anderem auch dem neu erlassenen 

Anton Tnmft, Serbien. 9 



- 130 — 

Taxgesetze, wonach auch der höhere und niedere Klerus, 
bei Yorrücknngen in die höheren Stellen, zu Gunsten der 
Staatskasse eine gewisse Summe zu erlegen hatte. 

In Folge dessen wurde der Metropolit, Erzbischof 
Michael abgesetzt und begab sich nach Bussland. 

Im Jahre 1883 wurde ein neues Gesetz erlassen, 
welches bestimmte, dass die Wahl der Metropoliten nicht 
mehr durch die Bischofs-Synode, sondern durch eine 
direkt zusammentretende , aus den ersten Würden- 
trägem des Landes bestehende Versammlung zu er- 
folgen habe. 

Nachdem auch die übrigen Bischöfe der königlichen 
Regierung Opposition machten, so wurden auch sie abge- 
setzt und durch andere — auf ähnliche Weise wie der neue 
Metropolit Teodozije Mraovitsch gewählte — ersetzt. 

Der oben angedeutete Zwiespalt zwischen Staat und 
Kirche, welcher durch die im Jahre 1883 von der fort- 
schrittlichen Regierung erlassenen Kirchengesetze ver- 
ursacht worden war, hatte bis zu der vor der Abdankung 
des Königs Milan eingeführten Verfassungsänderung fort- 
bestanden, und hat gewiss zur Verwirrung der inneren 
Verhältnisse Serbiens nicht wenig beigetragen. 

Auch ein unparteiischer BeurtheUer wird zugeben 
müssen, dass die Bestimmungen der am 31. December 188S 
erlassenen neuen Kirchengesetzgebung wesentliche Ein- 
griffe in die durch alte kanonische Normen garantierten 
Kechte der orthodoxen Kirche in Serbien bedeuten. Speziell 
das Gesetz über die veränderte Zusammensetzung der 
Synode, sowie das Gesetz über die Taxgebühren, hatten 
nicht nur in den geistlichen Kreisen, sondern auch in der 
Bevölkerung eine tiefgehende Unzufriedenheit wachgerufen 
und zu lebhaften Protestkundgebungen Anlass gegeben. 

Eine Begierung, welche — nach Milans Abdankung 
— in erster Linie die Consolidierung der inneren Verhält- 
nisse anstreben musste, konnte daher unmöglich an diesem 
schädlichen Zwiespalt achtlos vorübergehen. 



J 



— 131 — 

Das radikale Cabinet Grajitsch ging daher im Jahre 
1889 auch sofort an's Werk, das gute Verhältnis, welches 
seit jeher in Serbien zwischen Kirche und Staat bestanden 
hatte, selbst unter der Bedingung wiederherzustellen, dass 
der Staat nöthigenfalls einige Opfer werde bringen müssen. 

Nun wurde vor Allem der abgesetzte Metropolit 
Michael aus Eussland heimberufen und in seine früheren 
Würden Anfangs Juni 1889 wieder eingesetzt. Sodann 
setzte die Regierung eine Commission ein, an welcher 
auch Monsgr : Michael und die vornehmsten Vertreter der 
serbischen Kirche theilnahmen, und liess von dieser die 
zur Behebung dieses Zwiespaltes erforderlichen Gesetz- 
entwürfe ausarbeiten. 

Nachdem ausser dem Metropoliten Theodosius, auch 
die übrigen Bischöfe, — mit Bücksicht auf das Staats- 
interesse und um den kirchlichen Frieden im Königreich 
Serbien zu erhalten, ~ von ihren Posten zurückgetreten 
waren, wurden auch die Bischofssitze von Zitscha und 
Nisch wieder an die ehemaligen Inhaber derselben ver- 
liehen. 

Interessant ist, wie der Hauptbetheiligte nämlich der 
serbische Metropolit und Erzbischof Michael den Kirchen- 
streit selbst und die Stellung, welche er demselben gegen- 
über einnimmt, in einem kanonischen Sendschreiben 
an den Erzbischof-Metropoliten Miron Boman in Hermann- 
stadt näher präzisirt. Dieses Schriftstück lautet in deutscher 
Uebersetzung, wie folgt: 

„Euer Heiligkeit! Es ist Euer Heiligkeit bekannt, dass 
„im Jahre 1881 in Serbien ohne Einvernehmen mit der 
„geistlichen Kirchenbehörde in Angelegenheit der Kirche 
„tmd der Geistlichkeit ein mit den kirchlichen Canones 
„nicht übereinstimmendes Gesetz erbracht wurde, welches 
„der Kirche ihre Bechte entzieht, der kirchlichen Behörde 
„ die Möglichkeit benimmt, sich in ihrem eigenen Wirkungs- 
„kreise frei zu bewegen, die Geistlichkeit mit simonistischen 
„Abgaben belegt, indem es für Weihen und Benediktionen 

9* 



1 



— 132 — 

^ Gebühren verordnet und die Kirclie von ihrer göttlichen 
^Höhe zu dem gewöhnlichen menschlichen Zustande er- 
^niedrigt. Gegen dieses Ghesetz haben wir unser Wort 
^erhoben und haben sammt unsem vier Bischöfen dagegen 
„protestirt. Wir haben unsere oberhirtliche Pflicht ge- 
„than und unsere orthodoxe Kirche vor Q-ott und der Ge- 
„meinde unserem oberpriesterlichen Eide gemäss vertheidigt. 

„Allein, es ist uns die Möglichkeit entzogen worden, 
„der Kirche zu dienen und wir — der Metropolit und 
„vier Bischöfe — sind von unseren Sitzen entfernt worden. 

„Es ist aber auch noch eine ärgere Verletzung der 
„Canones geschehen. Zu einer Zeit, da die gesetzlichen 
„Bischöfe auf ihren Stühlen sassen, trat unter dem Namen 
„einer Bischofssynode zum Behufe von Bischofswahlen 
„eine Versammlung zusammen, bei welcher nicht ein ein- 
„ziger Bischof zugegen war. und diese aus Laien beste- 
„hende Versammlung wählte den Archimandriten Theodosius 
„Mraovitsch zum Bischof und Metropoliten. 

„Der solchergestalt wider das Q-esetz und die Canones 
„gewählte Theodosius suchte seine Bischofsweihe in einer 
„fremden Diözese, während doch alle Bischöfe auf ihren 
„Sitzen waren, mit Ausnahme des Metropoliten, der ein 
„Jahr zuvor enthoben worden war." 

^Dass die neue Hierarchie unter Theodosius eine 
„canonwidrige und ungesetzliche war, haben wir in unserem, 
„an den Patriarchen, weiland Joachim IV. gerichteten 
„Protest vom 29. December 1884 klar nachgewiesen." 

„Allein die göttliche Vorsehung hat nicht gestattet, 
„dass die in unserem Vaterlande erschütterte orthodoxe 
„Kirche umgewandelt oder vernichtet werde. Das serbische 
„Volk erhob Klage über dieses, gegen seine gesetzlichen 
„Oberhirten befolgte Verfahren und forderte immer und 
„immer wieder, dass in der Eorche der gesetzliche Zustand, 
„die Ordnung und der Friede wiederhergestellt werden. — 
„Und Q-ott dem Herrn, dem Haupt der Hirten und der 
Kirche, Jesu Christo sei Dank, die jetzige gottliebende 




— 133 — 

^serbische ßegieruug hat den Wunsch des Volkes erfüllt; 
„wir sind auf unsere Bischofssitze zurückgekehrt und haben 
„am 29. Mai (a. St.) d. X die Leitung der Kirche über- 
„nommen. Indem wir hiervon Euer Heiligkeit in Kennt- 
„niss setzen, bitten wir dieselben, uns mit ihren Gebeten 
„und ihrer brüderlichen Liebe unterstützen zu wollen und 
„uns durch die geistige Glaubenseinheit Trost zu bieten, 
„auf dass wir die Last des oberhirtlichen Amtes in gott- 
„gefalliger Weise und zum Seelenheile der uns von Christus 
„anvertrauten Heerde zu tragen vermögen. 

„Die antikanonische Hierarchie hat sich freiwillig zu- 
„ rückgezogen und lebt in Euhe, indem sie vom Staate 
„eine ihren Dienstjahren entsprechende Pension geniesst; 
„Theodosius, Demeter und Nikanor (die antikanonischen 
„Bischöfe) sind persönlich vor uns erschienen und haben 
„uns gehuldigt. Wir haben jedoch den Beschluss über 
„die Gesetzlichkeit ihrer bischöflichen Thätigkeit bis zum 
„Zusammentritt der Episkopal-Synode vertagt, haben sie 
„in Frieden belassen und ihnen Zeit gegönnt, auch ihrer- 
„seits durch ihr gutes Beispiel dazu mitzuwirken, dass im 
„Schoosse der vaterländischen Kirche die Liebe und Ein- 
„tracht erstarke. In tiefer Hochachtung und Liebe habe 
„ich die Ehre zu sein, Euer Heiligkeit Bruder in Christo, 
„Erzbischof von Belgrad und Metropolit von Serbien. 

Belgrad am 8. Juni 1889 (a. St.) Michael m. p." — 

So wurde denn der kirchliche Friede in Serbien wieder- 
hergestellt; jedoch nur für die Dauer von zwei Jahren. 

Anfangs Oktober 1891 war ein neuer Kirchen-Conflikt 
ausgebrochen, welcher eine Ministerkrisis zur Folge hatte. 

Die zwischen dem Cultusminister Andra Kikolitsch 
und dem Metropoliten Michael entstandene Differenz war 
nicht bloss ein Competenzstreit, sondern eine in die Ver- 
hältnisse tief eingreifende Pi;inzipienfrage. 

Die Synode hatte den Erzpriester Milutin Stokitsch 
aus Belgrad zum Bischof von Njegotin erwählt, welche 
Wahl jedoch der Cultusminister Nikolitsch nicht bestätigen 



— 184 — 

konnte. Der Cultusminister forderte, unter Darlegung der 
sehr triftigen Qründe, den Metropoliten auf, dem Kirohen- 
gesetze Beohnnng zu tragen und eine Neuwahl, — mit 
Ausschluss des erwähnten, in nicht gutem Bufe stehenden 
Stokitsch, — zu veranlassen. 

Metropolit Michael bestand jedoch auf seinem Willen, 
und auf seine Veranlassung wurde bei der seitens der 
Sjmode vorgenommenen Wahl abermals Stokitsch zum 
Bischof von Njegotin nominirt ; wobei Metropolit Michael 
noch die Erklärung abgab, dass er unter keiner Bedingung 
einen Anderen als Stokitsch zum Bischof von Njegotin 
consecriren werde. 

Dieser Fall beweist nur wieder, dass der Metropolit 
Michael die serbische Begierung als seine weltliche Obrig- 
keit nur sehr ungern anerkennt und seine Yerhaltungs- 
befehle wahrscheinlich von anderer Seite erhalte. 

Nach dieser Abschweifung auf das kirchenpolitische Ge- 
biet kehren wir nun zu den hierarchischen Einrichtungen 
der serbischen Kirche zurück. 

In jeder Diöcese befindet sich ein Consistorium, welches 
den Conseil und gewissermassen auch das geistliche Gericht 
des Bischofs bildet. 

Das Consistorium wird aus fünf Mitgliedern (geistlichen 
Würdenträgem), gebildet, von denen eines den Vorsitz 
führt; es hat die geistliche Disziplin zu erhalten und in 
Ehescheidungsangelegenheiten, ebenso wie bei Bitten um 
Ehedispens, im Falle als kirchliche Hindemisse bestehen, 
das Votum abzugeben. 

Gegen die Beschlüsse des Diözesan-Gonsistoriums ist 
eine Berufung an das Metropolitan- (Appellations-) Con- 
sistorium möglich. Das Letztere hat seinen Sitz in Bel- 
grad und besteht, — nach dem Gesetze vom 30. September 
(a. St.) 1862, — aus einem Präsidenten (Bischof), einem 
Vizepräsidenten und aus vier Erzpriestem. Dieses Con- 
sistorium wird jährlich ein Mal vom Metropoliten ein- 
berufen und tagt dann in der Begel einen Monat. 



i 



— 135 — 

In jedem der 15 politischen Kreise besteht ein Protojerej 
^(Erzpriester, Protopope) als höchster geistlicher Würden- 
träger, welcher über alle Pfarrer seines Sprengeis die 
Disziplinargewalt ausübt und überdiess in zweiter Instanz, 
über die geistlichen Fragen, zwischen der niederen Geist- 
lichkeit und deren Pfarrkinder, entscheidet. 

Der Metropolit und die Bischöfe gehen aus der Kloster- 
geistlichkeit hervor. Sie beziehen einen fixen Staatsgehalt 
und dürfen keinerlei Abgaben vom niederen Klerus oder 
vom Volke erheben. 

Sie haben das Becht über ein Drittel ihres selbst- 
erworbenen Vermögens testamentarisch zu verfügen, während 
die übrigen zwei Drittel dem Landesschulfonds, Wohl- 
thätigkeitsanstalten oder bedürftigen Kirchen zufallen. 

Sonst lebt die Klostergeistlichkeit, — welche im Jahre 
1887 nur 95 Mönche in 58 Klöstern umfasste, — von den 
Einkünften ihrer Klöster. 

Während die Mönche im Oölibat zu leben gezwungen 
sind, müssen sich die Weltgeistlichen vor der Weihe ver- 
ehelichen. 

Die Letzteren erhalten keinen festen Gehalt vom Staate 
oder von der Gemeinde, sondern einen Antheil der Steuer; 
nämlich von jedem Steuerzahler 2 Dinar; ausserdem noch 
die von der Gemeinde gestellte Wohnung sammt Garten. 

Die Klöster Serbien's sind reich an beweglichen Gütern 
und auch an Baarvermögen. 

Auffallend ist die geringe Zahl der Mönche im Ver- 
gleich zu den bestehenden Klöbtern. Nach dem in der 
Skuptschina von 1864 vorgelegten Rapporte des Cultus- 
Ministers, bestanden in dem damaligen Fürstenthume 
Serbien 44 Klöster mit 118 Mönchen, während im Jahre 
1887 in dem heutigen Königreiche Serbien: 53 Klöster 
mit nur 95 Mönchen vorhanden waren. 

Im Jahre 18(54 gab es überhaupt 757 Geistliche und 
360 Kirchen, nebst 44 Klöstern; hingegen gegenwärtig be- 
trägt die Zahl der sämmtlichen Geistlichen 1114, nebst 



— 186 — 

522 Kirchen und 58 Klöstern. (Der bedeutende Zuwachs 
erklärt sich durch die im Jahre 1878 erfolgte Gebietst 
vergrösserung). 

Herangebildet werden sowohl die Weltgeistlichen 
(Popen) als auch die Mönche (Kaludjeri) in der, unter der 
unmittelbaren Aufsicht des Metropoliten stehenden Theo- 
logie-Schule in Belgrad und werden dann von ihrem zu- 
ständigen Bischof geweiht. Diejenigen Theologen, welche 
Weltgeistliche zu werden beabsichtigen, müssen sich vor 
der letzten Weihe verehelichen. Im Falle die Frau eines 
Popen stirbt oder sich von ihm scheiden lässt, so darf er 
nicht wieder heirathen ; jedoch kann er nun Mönch werden 
und als solcher in der kirchlichen Hierarchie Carriere 
machen. 

üeber den socialen und moralischen Zustand der ser- 
bischen orthodoxen Geistlichkeit schreibt Rev. W. Denton 
in seinem: „Servia and the Servians (London 1862). 

„Es giebt eine grosse Analogie zwische unserem (dem 
„anglikanischen) und dem serbischen Klerus. In Folge 
„ihres Zusammenlebens mit dem Volke, bilden die Popen 
„keine Kaste für sich, sondern sind allgemein geachtet; 
„auch weil sie verheirathet sind und mitten unter ihren 
„Pfarrkindem leben, üben sie einen grossen Einfluss in 
„ihren Pfarren aus. Die nationalen Schriftsteller definiren 
„die Mission und die Lebensweise der serbischen Geist- 
„lichen f olgendermassen : Der Priester betet zu Gott mit 
„seinen Gläubigen in der Kirche oder unter einem ge- 
„heiligten Baume, für das Glück der Menschheit und für 
„die Ergiebigkeit der Felder; — er kämpft mit seinen 
„Pfarrkindem auf dem Schlachtfelde für die Keligion, für 
„die Freiheit und fiir's Vaterland, aber er theilt auch mit 
„dem Volke die Freude an den nationalen und kirchlichen 
„Festen. — Kurz, obwohl er Priester geworden ist, bleibt 
„er noch immer Bürger und im Falle der Nothwendigkeit 
„auch Krieger." 

Thatsache ist, dass die serbischen Popen bei ihren Mit- 



I 



— 137 — 

bürgern in viel höherem Ansehen stehen, als dies bei der 
orthodoxen Geistlichkeit in Eussland der Fall ist. 

Die Mönche sind in Serbien durchschnittlich viel 
weniger gebildet und auch weniger beim Volke beliebt, 
als die Weltgeistlichen. M. Denton nennt sie wahre Bauern 
in der Soutane (peasants in cassaks). 

Nach dem Gesetze vom 21. September 1853 herrscht 
in Serbien Religionsfreiheit. Jede christliche Religions- 
genossenschaft kann ein eigenes Gotteshaus aus eigenen 
Mitteln unterhalten.*) 

Es genügt, an die Regierung ein Ansuchen zu richten 
und sie ertheilt sofort die nöthige Einwilligung. 

Auf solche Weise wurde im Jahre 1858 die Kirche 
der Reformirten-Gemeinde in Belgrad gestiftet. Die ser- 
bische Regierung überliess hiezu unentgeltlich ein Haus, 
welches ursprünglich für den Gottesdienst der römischen 
Katholiken bestimmt war. Ueberdies soll der Pastor unter 
Ainderem von der serbischen Regierung auch eine Jahres- 
Subvention von 1.500 Dinars erhalten. An diese Kirche 
ist eine Elementarschule für Knaben und Mädchen an- 
gebaut, woselbst der Unterricht in deutscher Sprache er- 
theilt wird. Im Jahre 1862 zählte diese protestantische 
Gemeinde in Belgrad 339 Gläubige (Siehe übicini's „Les 
Serbes de Turquile" — Paris 1865). Hieraus ist ersichtlich, 
dass die Andersgläubigen in Serbien nicht nur geduldet 
vor dem Gesetze sind, sondern dass sie sogar in gewissem 
Masse von der Regierung unterstützt werden. 

Auch die Juden Serbiens geniessen vollkommene 
Religionsfreiheit und seit 1878 auch freie Wahl des Wohn- 
ortes, während sie sich früher nur in Belgrad niederlassen 
durften. 

Diese Juden (sogenannte Spaniolen, wie in allen Balkan- 
staaten) besitzen auch in Belgrad seit langer Zeit eine 
Synagoge. 

*) Filr die Bewohner rumänischer Nationalität wird die Liturgie 
in den orthodoxen Kirche rumänisch gelesen. 



— 138 — 

Nur die römischen Katholiken Belgrads waren bisher 
nicht im Stande, sich als Kirchengemeinde ssu konstituiren. 

Die Lage der EathoUken in Serbien ist schon seit 
einer Beihe von Jahren der Gegenstand von YerhandlimgeiL 
zwischen der serbischen Begierung nnd den dabei interes- 
sirten kirchlichen Instanzen, dem Erzbischof von Djakov4r 
und dem päpstlichen Nuntius in Wien, die im Auftrage 
der Curie theils Beschwerden vorbrachten, theils dauernde 
Verhältnisse zu begründen versuchten. 

Diese Verhandlungen reichen bis weit in die Be- 
gierungszeit des Fürsten Michael zurück, wurden manchmal 
eifrig betrieben, dann für einige Zeit fallen gelassen und 
wieder neu aufgenommen, bis gegen Ende des Jahres 1892 
der Abschluss eines Gonkordats zwischen Serbien und dem 
heiligen Stuhle im Vatikan in Aussicht genommen wurde; 
worüber die Verhandlungen in nicht ferner Zeit beginnen 
sollten. In Folge der politischen Ereignisse vom 13. April 
1893 und vom 21. Jänner 1894 geschah jedoch vorläufig 
zu Gunsten der römisch-katholischen Kirche nichts. Erst 
am 15. März 1894 meldete ein Telegramm aus Bom, dass der 
ehemalige serbische Gesandte am Wiener Hofe und nach- 
malige Minister-Präsident Simitsch vom Papste in Audienz 
empfangen worden sei, um den Wunsch der serbischen 
Begierung, um Ernennung eines römisch-katholischen 
Bischofs für Belgrad auszusprechen. 

Die Zahl der Katholiken war bis vor wenigen Jahren 
in Serbien noch eine ziemlich beschränkte (1874 in ganz 
Serbien 4161 Personen); nur in Belgrad war deren Anzahl 
genügend gross, um eine regelmässige Seelsorge und eine 
katholische Schule nothwendig erscheinen zu lassen. 

Da die Katholiken Serbiens, — besonders in Belgrad, 
zum grössten Theile ünterthanen Oesterreich- Ungarns 
waren oder es noch sind; so fand sich die österreichisch- 
ungarische Begierung veranlasst, sowohl für das Seelsorge- 
Bedürfhiss, wie für die Schule der Katholiken in Belgrad 
zu sorgen. 



— 139 — 

Im Gebäude der Gesandtschaft wurde eine Kapelle 
eingerichtet und in einem anderen Gebäude eine Schule 
mit deutscher und serbischer Unterrichtssprache geschaffen, 
in welcher seit dem Jahre 1888 auch die ungarische Sprache 
gelehrt wird. 

Die Kosten für die Erhaltung eines Priesters und 
eines Lehrers, dann für die Erwerbung und Instandhaltung 
der Kapelle und Schule, wurden zum weitaus grössten 
Theile aus Oesterreich-Ungam bestritten ; von Seite Serbiens 
wurde nichts dazu beigetragen. Auch aus kirchlichen 
Fonds und Stiftungen Oesterreich-Ungams wird für die 
katholischen Pfarreien in Serbien beigesteuert. 

Dadurch, dass Oesterreich-Ungarn die Kosten für die 
Erhaltung der Pfarrei und katholischen Schule in Belgrad 
zum grössten Theile beigesteuert hat, der Gottesdienst in 
der k. k. Gesandtschaftskapelle Belgrads für alle dortselbst 
lebenden katholischen Gläubigen öffentlich abgehalten wird 
und die in Serbien wirkenden katholischen Priester dem 
Bischöfe von Djakovar unterstehen, hat sich scheinbar eine 
Art von österreichisch-ungarischem Protektorat über die 
Katholiken Serbiens herausgebildet, welches zwar staats- 
und völkerrechtlich festgestellt, dafür aber auch geistig 
fühlbar geworden sein soll. Ein ähnliches Verhältniss findet 
auch bei den zwei anderen noch in Serbien existirenden 
katholischen Pfarreien, — in Kragujevac und in Nisch 
statt; auch diesen beiden wird von Seite Oesterreich- 
Ungams Geldunterstützung gewährt, weil die Pfarrange- 
hörigen, wie auch die Schulkinder der katholischen Schulen, 
fast ausschliesslich österreichisch-ungarische Unterthanen 
sind. 

Von Seite der Eegierung und von der orthodoxen Be- 
völkerung Serbiens wurde der geistige und materielle 
Schutz, der den Katholiken in Serbien von Seite Oester- 
reich-Ungams bisher zu Theil wurde, nicht sehr wohl- 
wollend betrachtet, weil derselbe sich naturgemäss auch 



140 — 



auf jene Katholiken ausdehnte, welche serbische Unter- 
thanen waren. 

Es tauchten, wie überall, wo zwei gegnerische Con- 
fessionen nebeneinander bestehen, zwischen der GeisÜich- 
keit beider Riten wiederholt Gegensätze auf, welche 
eine bessere B>egelung der Verhältnisse der katholischen 
Kirche in Serbien wünschenswerth machten, und so fanden 
schon zur Zeit des Fürsten Michael Verhandlungen des 
Vatikans mit der serbischen Regierung über diese An- 
gelegenheit statt. 

Die Fürstin Julie (geborene Gräfin Hunyady), die 
katholische Gemalin des Fürsten Michael, war von dem 
Wunsche lebhaft beseelt gewesen, dass die Verhältnisse 
der katholischen Kirche in Serbien besser geordnet würden, 
sowie dass in Belgrad eine katholische Kirche erbaut 
werde. 

Fürst Michael hatte schon einen schönen und gut ge- 
legenen Bauplatz für die katholische Kirche ausgewählt 
und liess durch seine "Regierung Verhandlungen mit dem 
päpstlichen Stuhle einleiten. 

Die Verhandlungen über diesen Gegenstand hatten 
jedoch keinen Erfolg, weil die serbische Regierung ver- 
langte, dass die in Serbien wirkenden katholischen Priester 
auch ünterthanen dieses Landes werden sollten, dagegen 
verlangte sie nicht die Trennung der Katholiken Serbiens 
von der Diözese Djakovar; ferner sollten die katholischen 
Kirchenfeste nach dem in Serbien amtlich geltenden juli- 
anischen Kalender gefeiert — und schliesslich sollten die 
katholischen Geistlichen der Disziplinargewalt des serbisch- 
orthodoxen Metropoliten unterstellt werden. Die zwei 
letzten Bedingungen waren auf Veranlassung und durch 
den Einfluss des serbischen Metropoliten aufgestellt worden. 

Von Seite des hl. Stuhles war man bereit, die erste 
Forderung , dass die katholischen Geistlichen serbische 
Staatsbürger sein sollten, anzunehmen; dagegen machte 
man bezüglich des Kalenders einige Schwierigkeiten und 



— 141 — 

als imannehmbar wurde diejenige serbische Forderung er- 
klärt, dass der griechisch-orthodoxe Metropolit eine Dis- 
ziplinargewalt über die katholische Geistlichkeit ausüben 
solle. — Die Verhandlungen blieben resultatlos und somit 
auch die Verhältnisse der katholischen Kirche bis in die 
jüngste Zeit ungeregelt. 

Die Seelsorge für die in Serbien weithin zerstreut 
lebenden Katholiken war vielfach behindert und haupt- 
sächlich von den Behörden abhängig. 

Die neue Verfassung vom Jahr 1889 hat für alle an- 
erkannten Confessionen eine grössere Religionsfreiheit ge- 
bracht. Aber diese Religionsfreiheit existierte, trotz der 
neuen freisinnigen Verfassung, unter dem radikalen Ministe- 
rium doch nur auf dem Papier. Der Seelsorge für die 
zerstreut, ausserhalb der Pfarrorte Belgrad, Kragujevac und 
Nisch lebenden Katholiken Serbiens wurden sowohl von Seite 
der Regierung, als auch seitens der griechisch-orthodoxen 
Geistlichkeit grosse Hindemisse in den Weg gelegt und 
der Dienst der Missionspriester, die schon in ihren Pfarr- 
orten mit Arbeit überlastet sind (so zählte Belgrad Ende 
1892 etwa 9000 Katholiken, für welche nur ein Priester 
vorhanden war!), noch durch mancherlei Chicanen erschwert. 

Die Missionspriester wollten oftmals die Seelsorge in 
der Diaspora besorgen, doch der Gultusminister, besonders 
Andrea Nikolitsch erlaubte solche Seelsorgereisen nicht 
und wenn er doch die Bewilligung ausnahmsweise hierzu 
ertheilte, dann durfte die Messe nicht öffentlich gelesen 
werden und war nur die Spendung der Sakramente im 
Stillen erlaubt. 

Diese Haltung hatte das radikale Ministerium damit 
begründet, dass es die Ausübung der öffentlichen katho- 
lischen Seelsorge des Messelesens und Predigens, nur in 
jenen Orten für zulässig halte, in denen sich eine katholische 
Kirche befinde. Die Beschwerden der katholischen Geist- 
lichen hierüber wurden theils an den vorgesetzten Bischof 
Strossmayr in Djakovar, theils an den Vatikan gerichtet. 



— 142 — 

Dies fährte zu Yerhandlongen, welche vom vorgesetzten 
Bischoi und vom päpstlicheu Nuntius in Wien geleitet 
wurden. Obwohl das radikale Ministerium die Berechtigung 
mancher dieser Beschwerden anerkannte, stellte es sich 
dennoch auf den Stanripunkt, dass es diesen nur dann ab- 
helfen könne, wenn eine dauernde Regelung der Verhält- 
nisse der katholischen Kirche in Serbien stattgeftuiden 
haben würde. 

Die erste Bedingung einer solchen Regelung sei die 
Lostrennung Serbiens von der Diözese Djakovar und die 
Errichtung eines päpstlichen Yikariats oder selbständigen 
^isthums in Serbien, weil man den von einem österrei- 
chisch-ungarischen Bischof in Serbien ausgeübten Einfluss 
für gefahrlich hält. 

Weiter verlangte das radikale Ministerium, bei den 
katholischen Pfarren die Einführung des Taufbuches nach 
dem serbischen (julianischen) Kalender; dagegen bestand es 
nicht auf der Unterstellung der katholischen Geistlichen 
unter die Jurisdiktion des Metropoliten, wie dies unter der 
Begierung des Fürsten Michael der Fall gewesen ist. Der 
heilige Stuhl willigte nun thatsächlich in die Trennung 
Serbiens von der Diöcese Djakovar, auch wurde Bischof 
Strossmayr von Bom aus hiervon verständigt; jedoch wurde 
kein Zeitpunkt bestimmt, wann diese Massregel durchge- 
führt werden sollte. 

Weiter kamen die Verhandlungen mit dem radikalen 
Ministerium Paschitsch nicht, weil es Ende 1891 demis- 
sionirte. 

Dem neuen Kultusminister Boskovitsch wiederholte 
der päpstliche Nuntius in Wien die alten Beschwerden 
über die Behinderung der katholischen Seelsorge in Ser- 
bien und es begannen neue Verhandlungen über die end- 
gültige Begelung der Veiiiältnisse der katholischen Kirche 
in Serbien. Boskovitsch hatte die Absicht, nach dem 
Muster des zwischen Montenegro und dem päpstlichen 
Stuhle abgeschlossenen Conkordates, auch ein ähnliches 



— 143 — 

für Serbien anzustreben. Auch sollte es, — als mit dem 
Grundsätze der ReUgionstreiheit unvereinbar, — in Zu- 
kunft keinem Anstände unterliegen, dass gemischte Ehen 
zwischen katholischen und serbisch-orthodoxen Brautleuten 
auch in den katholischen Kirchen eingesegnet würden; 
was bisher, an manchen Orten sogar mit Polizeigewalt, 
verhindert worden war. 

Die am 15. März 1894 stattgehabte Audienz des 
vorigen Ministerpräsidenten Simitsch beim Papste dürfte 
die erwähnten Verhandlungen dem erwünschten Ziele 
wieder um einen Schritt näher gebracht haben. 



VII. Kapitel. 

Oeffentlicher Unterricht und geistige Kultur. 



Mögen sich die politischen Parteien Serbiens noch so 
schroff gegenüberstehen, so sind sie doch Alle nur einer 
Meinung und immer bereit hierfür Opfer zu bringen, wenn 
es sich um die Hebung des Volksunterrichtes und Ver- 
breitung des modernen Wissens im Lande handelt. 

Die vielen, in den letzten fünf Jahren an das Staats- 
ruder gelangten Ministerien haben in allen Zweigen der 
Staatsverwaltung, selbst am Budget des Heeres — dieser 
Lieblingseinrichtung des serbischen Volkes — mitunter 
sehr bedeutende Abstriche vorgenommen, jedoch niemals 
wurde das Budget des Unterrichtsministers herabgemindert. 

Im Allgemeinen zeigt sich der Stand der Bildung 
eines Volkes in dessen gesammten Lebensäusserungen, im 
öffentlichen wie im gesellschaftUchen Leben. 

Das serbische Volk sagt: „Der Geist ist Zar und der 
Körper ist gut für den Klotz." Indem dasselbe somit dem 
Geiste das Uebergewicht giebt über die körperliche Kraft, 
so stellt es dadurch zu gleicher Zeit sich selbst das Zeug- 
niss aus, dass es befähigt sei, für eine höhere Geistesbil- 
dung und auch einzutreten vermag in den Wettstreit mit 
anderen Nationen, auf dem Gebiete der geistigen Arbeit 
und des Fortschrittes. 

Dies beweist das serbische Volk auch dadurch, dass 



— 145 — 

es allemal und bei jeder Q-elegenheit, unablässig nach Ver- 
mehrung der Schulen trachtet, 

Serbien ist vielleicht das einzige Land der Welt, in 
welchem die zumeist bäuerlichen Volksvertreter in der 
Skuptschina in dieser Hinsicht immer einsichtsvoller ge- 
wesen sind, als manche seiner hochgelehrten Kultusminister, 
und in welchem nach dieser Richtung hin häufig die un- 
gebildeten Bauern die Rolle von Verschwendern und die 
Kultusminister jene von Knickern and Sparern gespielt 
haben. 

Zur Zeit der Türkenherrschaft hatte Serbien keine 
einzige christliche Schule. Erst im Jahre 1808 gründete 
Karadjordje, nach Vertreibung der Türken, die erste 
Schule zu Belgrad, deren Leitung er dem Begründer der 
Selbständigkeit der serbischen Sprache, dem Gelehrten 
Dositije Obradovitsch*) übertrug. 

Unter dessen Aufsicht lehrten österreichische Serben, 
nebst Lesen, Schreiben und Rechnen, auch Geographie, 
Geschichte und einzelne Zweige der Naturwissenschaft mit 
gutem Erfolge. 

Als jedoch die Türken im Jahre 1813 Serbien aber- 
mals eroberten und Belgrad plünderten, da ging es auch 
mit dieser ersten Schule Serbiens zu Ende, und es blieb 
nunmehr dem Fürsten Milosch Obrenvoich vorbehalten, 



*) Dositije Obradovitsch (1741 — 1811) war serbischer Mönch, 
welcher als Erster kühn und feierlich die Selbständigkeit der ser- 
bischen Sprache proklamirte und sie zu einer gefügigen Basis für 
die neue serbische Litteratur zu gestalten suchte, der ferner zuerst 
offen nicht nur mit der damals gebräuchlichen altslavischen Sprache, 
sondern auch mit der ausschliesslich religiösen Bichtung brach. — 
Er kehrte dem Klosterleben den Bücken, ging ohne Zögern an die 
Universitäten Halle und Leipzig, — bekämpfte dann mit Ent- 
schlossenheit die allzu empirische und exklusiv kirchliche Er- 
ziehung und stellte sich ganz und gar auf die Seite der neuen 
Ideen und des fortschrittlichen Geistes, welcher im 18. Jahrhundert 
«ben einen so mächtigen Aufschwung genommen hatte. 

Anton Tuma, SerbiAn. 10 



— 146 — 

der Begründer des neuserbisohen XJnterriohtswesens zu 
werden. 

Obwohl Miloscb selbst weder Lesen noch Schreiben 
konnte, so besass er doch einen klaren und durchdringenden 
Verstand, der ihn den hohen Werth der Jugenderziehung 
und Volksbildung erkennen liess. 

Er errichtete nach und nach in den meisten Kreisen 
Volksschulen, von denen in der Zeit von 1820 bis 1826 
schon 20 bestanden haben sollen, und Ende 1832 gründete 
er sogar ein vierklassiges Gymnasium in Eragujevac. 

Um nun vorläufig bei den Volksschulen zu bleiben, 
80 ist deren Zahl in den siebzig Jahren von 1820 bis 1890 
sowohl absolut, als auch in den Verhältnissen zur Bevöl- 
kerungszahl und zum Flächeninhalt des Landes gewachsen, 
wie die folgende vergleichende Zusammenstellung darthui 





EiD- 
wohn«nahl 


Anxahl 


1 Schole 


Zahl der 


1 Schüler 


1 Schale 


Jahr 


der Sohalen 


kommt auf 


Schüler und 


kommt anf 


kommt auf 




überhaupt 


Einwohner 


Sehttlerinnen 


Einwohner 


QKm. Fläche 


1836 


744686 


62 


12000 


2511 


296 


607 


1844 


879893 


170 


5176 


5452 


164 


221 


1854 


998919 


319 


3083 


9566 


104 


118 


1864 


1,156171 


318 


3486 


13421 


86 


118 


1874 


1,362522 


517 


2616 


23280 


58 


731*) 
771 


1884 


1,901736 


631 


3011 


38337 


49 


1887 


2,020000 


G71 


3010 


50860 


39 


72 


1890 


2,172814 


688 


3007 


58917 


35 


70 



Im Schuljahre 1890 waren somit in Serbien 688 Ele- 
mentarschulen mit 58,917 Schulkindern, die von 1194 Leh- 
rern und Lehrerinnen unterrichtet wurden. Hiervon entr 
fallen auf den Kreis und die Stadt Belgrad allein 31 Schulen 
mit etwa 5000 Schulkindern, während im Jahre 1836 da- 
selbst nur 6 Schulen bestanden mit 282 Kindern. 

Die angegebenen 58,917 Schulkinder vertheilen sich 
aber sehr ungleich auf die einzelnen Erlassen. "Während 
nämlich in der ersten Klasse die Zahl derselben insge- 
sammt 20,000 übersteigt, nimmt diese nach und nach so 
sehr ab, dass sich in der letzten in den seltensten Fällen 



*) 1878 wurde Serbien's Gebiet vergrössert. 



J 



— 147 — 

mehr als 100 Schüler befinden, und in manchen Schulen 
auf dem Lande fehlen sogar die beiden letzten Klassen. 

Das Verhältnis der Anzahl der Schulen und der die- 
selben besuchenden Kinder zur Bevölkerungszahl ist im 
Vergleich zu de^ alten Kulturstaaten Europas allerdings 
noch kein sehr hohes, aber man muss eben bedenken, dass 
das Land erst vor 80 Jahren das türkische Joch abge- 
schüttelt hat und nachher erst an die Gründung von Schu- 
len denken konnte. Nimmt man jedoch eine Theilung der 
Schulen in Land- und Stadtschulen vor, so zeigt sich eben, 
dass für die Hebung der Bildung bei der Landbevölke- 
rung noch Manches nachzutragen wäre; während die Stadt- 
bevölkerung bei weitem besser bedacht ist. 

Von der Gresamtzahl der Schulen entfallen nämlich 
144 (20 Prozent) auf die Städte und 544 (80 Prozent) auf 
die Dörfer des Königreiches. Indem aber in Serbien (1890) 
rund 1,768 000 Seelen (86 Prozent) auf die Dörfer entfielen 
und nur gegen 300000 Seelen (14 Prozent) auf die Städte ; 
so kommt auf dem Dorf e erst auf 3240 Seelen eine Schule ; 
während in der Stadt schon auf 1880 Einwohner eine 
Schule entfällt. 

Was andererseits das Verhältnis der Zahl der Schul- 
knaben zu den Schulmädchen betrifift, so beträgt die der 
ersteren (wenigstens in den unteren vier Klassen) durch- 
wegs das Zehnfache von jener der letzteren. 

Noch ungünstiger gestaltet sich dieses Verhältnis, 
wenn man wieder die Schulen in Land- und Stadtschulen 
sondert. Während nämlich in den Stadtschulen die Zahl der 
Schülerinnen in der £>egel doch wenigstens die Hälfte von 
derjenigen der Schüler beträgt, ist dieselbe in den Land- 
schulen so verschwindend klein, dass sie in der Gesamt- 
heit kaum den 200. Theil von der Anzahl der Schulknaben 
ausmacht; somit auf 200 Schüler erst 1 Schülerin kommt, 
wogegen in der Stadt auf 200 Schüler etwa 84 Schülerinnen 
entfallen. 

Bei der Trennung der Knaben- von den Mädchen- 

10« 



— 148 — 

schulen ergeben sich 625 Knabenschulen (91,4 Prozent) mit 
51,725 Besuchern (87 Prozent) und 63 Mädchenschulen 
(8,6 Prozent) mit 7192 Besuoherinnen (13 Prozent). Scheidet 
man auch hier noch die Schülerinnen der Dorf- von jenen 
der Stadtschulen, dann erweist sich vollends der Schul- 
besuch der Landschülerinnen geradezu als ganz vemach- 



Bis zum Jahre 1887 gab es überhaupt auf dem Lande 
keine einzige Mädchenschule, sondern die wenigen Mädchen, 
welche überhaupt die Schule besuchten, gingen in die 
Knabenschulen. Aber auch diese Mädchen waren selten 
Bauernkinder, sondern meist Kinder von Beamten, Popen 
oder Landkaufleuten. 

Durch das Gesetz vom Jahre 1882, betreöend die 
Elementarschulen, wurde nun in Serbien zwar der allgemein 
verbindliche sechsjährige Schulunterricht eingeführt; aber 
bei der Lage der Verhältnisse in dem erst vor so kurzer 
Zeit wiedergeborenen serbischen Staatswesen, wird es noch 
längere Zeit dauern, bis dieses Gesetz thatsächlich vollends 
verwirklicht sein wird. 

Für diesen Umstand spricht deutlich die Thatsache, 
dass noch im Jahre 1886 auf dem Lande nirgends eine 
fünf- oder sechsklassige Volksschule vorhanden war, und 
selbst in den Städten waren manche fünfte Klassen nur 
von 15 Kindern und die sechsten Klassen oft nur von 
6 Schülern besucht. Selbst von der Verwirklichung des 
obligaten vierjährigen Unterrichtes war man im Jahre 1886 
noch ziemlich weit entfernt, was zur Genüge dadurch er- 
wiesen ist, dass in jenem Jahre 19,875 Schüler die ersten 
Klassen und nur 7557 die vierten Klassen besuchten und 
dass überhaupt noch damals von je 100 schulpflichtigen 
Kindern durchschnittlich nur 1 5 auch wirklich die Schule 
besuchten. 

Unter solchen Umständen ist es begreiflich, warum 
in Serbien die Zahl der Schreibkundigen noch immer recht 
klein ist und warum dieselbe so langsam anwächst. 



— 149 — 

Die erste diesbezügliche Statistik wurde in Serbien 
im Jahre 1866 aufgestellt. Die Ziffer der Schreibkundigen 
war in jenem Jahre noch eine sehr niedere , indem deren 
Gesamtzahl nur 50,796 betrug. Damals konnten somit 
unter 100 Einwohnern kaum 5 Menschen schreiben ; unter 
100 Städtern jedoch waren durchschnittlich 27 , dagegen 
unter 100 Landbewohnern höchstens 2 des Schreibens 
kundig. Indessen ist schon im darauffolgenden Jahrzehnt 
ein verhältnissmässig recht bedeutender Fortschritt zu 
verzeichnen; hier beziffert sich die Zahl der Schreib- 
kundigen schon auf 91,039 (somit nahezu doppelt so viel 
als zehn Jahre früher !) ; demnach kommen auf je 100 Ein- 
wohner im allgemeinen 7, oder genauer bestimmt: auf je 
100 Städter kommen 33 und auf je 100 Landbewohner 4 
Schreibkundige. 

Im folgenden Dezennium (1876 bis 1886) verdoppelte 
sich abermals die Zahl der des Schreibens kundigen Ein- 
wohner Serbiens und war auf die Höhe von 187,000 ge- 
stiegen; wonach auf 100 Einwohner im Allgemeinen 11 
(im eigentlichen Serbien sind es jedoch über 12 Prozent, 
jedoch in den neuerworbenen südlichen Kreisen Nisch, 
Vranja, Pirot nur etwa 6 Prozent); hingegen auf 100 Städter 
44 und auf 100 Landbewohner 6 bis 7 schreibkundige 
Individuen entfallen. 

Durch diese Ziffern wird eine konstante Zunahme der 
Volksintelligenz seit mehr als zwanzig Jahren erwiesen. 
Damach dürfte sich heute die Zahl der Schreibkundigen 
in Serbien auf rund 250,000 belaufen, d. h. etwa 12 Prozent 
der jetzigen Gresamtbevölkerung ausmachen. 

Aber auch hier weist die Statistik ebenso die sehr 
grosse Vernachlässigung des weiblichen Geschlechtes, wie 
auch die Verkürzung der Landbevölkerung gegenüber den 
Städtern nach; obwohl die Landbevölkerung, in diesem 
Agrikulturstaate par excellence, im Allgemeinen siebenmal 
zahlreicher ist, als jene der Städte. 

In der Periode von 1880 bis 1890 waren durchschnitt- 



- 150 — 

lieh schreibkundig : In den Städten : 63,197 Männer, 24,948 
Frauen. Auf 100 Einwohner im Allgemeinen kamen 31,3 
männliche und 12,4 weibliche (zusammen 43,7) Schreib- 
kundige, aber für 100 männliche gab es nur 39,5 weibliche 
Schreibkundige. Auf dem Lande hingegen stellt sich dieses 
Verhältnis noch viel ungünstiger heraus. Es gab nänüich 
neben 85,884 männlichen, nur 3,136 weibliche Schreib- 
kundige. Auf 100 Einwohner des Landes entfielen vom 
Jahre 1880 bis 1890 6,1 männliche, dagegen nur 0,8 weib- 
liche Schreibkundige, oder es kommen auf je 100 schreib- 
kundige Bauern nur 4,5 Bäuerinnen, die schreiben können ! 

Dies bedeutet eine ganz offenkundige Zurücksetzung 
des weiblichen Elementes, gegenüber dem männlichen ; was 
aber in einem so jungen Staatswesen nicht anders möglich 
ist , wo beim besten Willen noch nicht so viele Volks- 
schulen geschaffen werden konnten, um möglichst rasch 
wenigstens der männlichen Bevölkerung den so dringend 
nöthigen Elementarunterricht zuzuwenden. 

Ein wesentliches Hindernis für die Hebung des Volks- 
unterrichtes lag bis in die jüngste Zeit in dem Mangel an 
entsprechend vorgebildeten VolksschuUehrem. Diesem 
Uebelstande muss der grösste Theil der Schuld zugeschrieben 
werden, weshalb die Zahl der des Schreibens Kundigen 
in keinem Verhältnis zu der vorhandenen Zahl der 
Schulen steht. 

Die Lehrerseminarien , von denen im Jahre 1875 das 
erste und im Jahre 1885 das zweite gegründet wurde, 
haben nun schon vieles Gute in den Elementarschulen ge- 
wirkt, und sobald nur sämmtliche Lehrerstellen mit gründ- 
lich vorgebildeten Pädagogen besetzt sein werden , wird 
sich auch die Bildung im Lande noch viel rascher ver- 
breiten, als dies bisher der Fall war. 

Die Mittelschulen befinden sich in den Kreisstädten 
oder auch in sonstigen volkreichen Städten. 

An Gymnasien besitzt Serbien gegenwärtig 24, dann 
2 sogenannte Bealgymnasien, 5 Realschulen, 1 Theologie- 



— 151 — 

schule, 2 Lehrerseminare, 1 landwirthschaftliche und eine 
höhere Töchterschule. 

Die Mittelschulen wurden 1890 insgesammt von 4951 
Schülern und 624 Schülerinnen besucht. Auch Mädchen 
dürfen nämlich allerorts, nach Erfüllung der gesetzlichen 
Bestimmungen und Vorbedingungen zu den Studien sowohl 
am Gymnasium, als an der [Realschule zugelassen werden« 

Ausserdem besteht in Belgrad eine höhere Töchter- 
schule mit 5 Klassen und etwas über 700 Schülerinnen. 

In den Mittelschulen werden am Ende eines jeden 
Jahres Sohlussprüfungen und am Anfange eines jeden neuen 
Schuljahres wieder Nachprüfungen abgehalten, bei denen 
— insbesondere an den Gymnasien, — sehr strenge ver- 
fahren und im Durchschnitte kaum 75 Prozent der Schüler 
durchgelassen werden. 

Hieraus, sowie auch aus dem ungewöhnlich häufigen 
Zurücktreten der Schüler im Laufe des Schuljahres, erklärt 
sich auch der sehr grosse Unterschied in der Schülerzahl 
der einzelnen Klassen , welcher namentlich zwischen der 
ersten und siebenten, — beziehungsweise achten, — manch« 
mal so beträchtlich ist, dass in dieser obersten Klasse 
nicht einmal mehr der zwanzigste Theil von der Schüler- 
zahl der ersten Klasse vorhanden ist. 

Besonders sind es die Mädchen, welche häufig aus 
der vierten Klasse des Gymnasiums austreten, um dann 
an der höheren Töchterschule weiter zu studiren. Es giebt 
aber auch Mädchen, die das ganze Gymnasium absolviren, 
dann die Absolutorial-Prüfung ablegen und sich hierauf 
in der Belgrader Hochschule inscribiren lassen. 

So gab es im Studienjahre 1890/91 schon 20 junge 
Serbinnen an der Hochschule, von denen einige damals 
sogar im achten Semester standen. 

Fachschulen besitzt Serbien (1890/91) nur wenige. Zu 
erwähnen sind die schon oben genannten : 1 Priesterseminar 
(Theologieschule) mit 4 Klassen, 17 Lehrern und 142 Zög- 
lingen; ferner 2 Lehrerseminare (Präparanden) mit je 4 



— 152 — 

Klassen, 23 Lehrern und 237 Präparandensohülem ; — 
eine Ackerbau- oder landwirthschaftlicbe Schule mit 2 
Klassen, 9 Lehrern und 49 Schülern; — eine Handelsschule 
mit 3 Klassen, 6 Lehrern und 34 Schülern. 

Der Einfluss dieser Fachschulen auf Gang und Eichtung 
der einschlägigen Fächer ist selbstverständlich vorläufig 
noch kein nennenswerther, weil einerseits ihre Zahl noch 
zu gering ist und andererseits selbst diese wenigen nur 
schwach besucht werden. 

Selbst das Priesterseminar hat, wiewohl es schon über 
ein halbes Jahrhundert besteht, nicht die wünschenswerthell 
Erfolge aufzuweisen und hat noch nicht allseits vennocht, 
seinen Zöglingen jene Bildung zu geben, welche diejenigen 
besitzen sollten, die sich dem Dienste der geistlichen 
Erziehung des Volkes widmen. 

Die Lehrerseminare hingegen haben, wie schon weiter 
oben hervorgehoben wurde, sichtliche Erfolge erzielt ; indem 
seit dem Auftreten ihrer ersten Zöglinge auf dem Gebiete 
des Elementar-Unterrichts (etwa 1880) die Volksschule auf- 
gerüttelt wurde aus dem Schlummer, in welchem sie sich 
Jahrzehnte lang befunden hatte. Es ist daher nur zu be- 
dauern, dass diese Institute, — es bestehen vorläufig erst 
zwei Lehrerseminare, — dem Lande keine grössere Zahl 
von Lehrern zu geben im Stande sind. 

Bezüglich der Belgrader Hochschule bringen wir nach- 
stehend einen ebenfalls offiziellen Ausweis fiir das Studien- 
jahr 1890/91, aus welchem wieder hervorgeht, dass sich in 
Serbien, seit dessen nationaler Wiedergeburt und seit dem 
Eintritte geordneter Verhältnisse, das geistige Leben und 
insbesondere das Unterrichts wesen in sehr erfreulicher 
Weise entwickelt hat. 

Während nämlich im Studienjahr 1886/87 die Anzahl 
der Studirenden nur 231 betragen hatte, wird diese Zahl 
gegenwärtig von der juristischen Fakultät allein weit über- 
troffen und weist der im März 1891 erschienene Unterricbts- 
katalog die für die serbischen Verhältnisse höchst beträcht- 



.1 



— 153 — 

liehe Besuclisziffer von 562 Studirenden auf (485 ordent- 
liche und 77 ausserordentliche Hörer), die sich auf die 
einzelnen Fakultäten in nachfolgender Weise vertheilen: 
philosophische Fakultät: 150 ordentliche und 32 ausser- 
ordentliche Hörer (und zwar entfallen auf die historisch- 
philologische Abtheilung 65 ordentliche und 23 ausser- 
ordentliche Hörer und auf die naturwissenschaftlich-mathe- 
matische Abtheilung 85 ordentliche und 9 ausserordentliche 
Hörer) ; juridische Fakultät 300 ordentliche und 43 ausser- 
ordentliche Hörer und technische Fakultät 35 ordentliche 
und 2 ausserordentliche Hörer. 

Die Belgrader Hochschule hat schon in mehr als einer 
Hinsicht das Interesse der gelehrten Welt auf sich gelenkt 
und die tüchtigön Originalarbeiten ihrer Professoren sind 
auch vollkommen geeignet, den Huf und das Ansehen der- 
selben zu heben. 

Es wirkten im Schuljahre 1890/91 — 34 ordentliche 
Professoren an dieser Hochschule, davon 20 an der philo- 
sophischen Fakultät (9 bei der historisch-philologischen 
und 11 bei der naturwissenschaftlich-mathematischen Ab- 
theilung), 6 an der juridischen und 8 an der technischen 
Fakultät. 

Das Hilfspersonal der Hochschule bestand 1891 aus 
einem Gustos des botanischen Cabinets, einem ausser- 
ordentlichen Lehrer für Mathematik, zwei Assistenten im 
zoologischen Institut, einem Assistenten im chemischen 
Laboratorium, — je einem Assistenten im geologischen 
und im geodätischen Cabinet und zwei Musiklehrern. 

In Verbindung mit der Hochschule steht, nebst einem 
botanischen Garten, auch ein Laboratorium für öffentliche 
Hygiene. 

Ausser diesen Onterrichtsanstalten , steht der wissbe- 
gierigen und strebsamen Jugend Serbiens noch ein Mittel 
zur Verfügung, nämlich das Studium im Auslande, zu 
welchem Behufe dem Unterrichtsministerium sehr reich- 



— 154 — 

liehe Geldmittel für gut dotirte Stipendien zur Verfügung 
stehen. 

Nachdem die Belgrader Hochschule noch immer keine 
medizinische Fakultät besitzt, so müssen schon absolut 
sänmitliche Mediziner im Auslande (zumeist in Wien und 
Berlin) studiren. Ausserdem werden aber jährlich auch 
noch einige Studirende anderer Fakultäten und insbesondere 
auch Offiziere der verschiedenen Waffengattungen zu ihrer 
weiteren Ausbildung, entweder nach Bussland, Deutschland 
oder nach Oesterreich-Üngam geschickt. 

Andererseits sind aber die serbischen Gymnasien und 
die Hochschule mitunter wieder von jungen Männern be- 
sucht, deren Heimath sich jenseits der Grenze, entweder 
in Altserbien, Makedonien oder in Montenegro befindet. 

Das gesammte Unterrichts- und Bildungswesen Serbiens 
wird von dem Unterrichts- und Cultus-Mi- 
nisterium geleitet. Demselben obliegt nicht allein die 
Errichtung und Organisation der Schulen, durch Aus- 
bildung und Heranziehung tüchtiger Lehrkräfte, sondern 
es ist ihm auch die Fortbildung des Volkes nach dem 
Verlassen der Schule und die Sorge für die Entwicklung 
der Nationallitteratur nach dem Gesetze vom Jahre 1839 
zur Pflicht gemacht. 

Neben dem Ministerium besteht seit 1880 noch der 
„Hauptaufklärungsrat h", welcher als Beirath, in 
allen organisatorischen Angelegenheiten und bei der Ein- 
führung von Lehrbehelfen aller Art, fungirt. 

Der Hauptaufklärungsrath besteht aus 8 — 12 ordent- 
lichen, das heisst auf Vorschlag des ünterrichtsministers 
vom Könige ernannten Mitgliedern und aus 10 — 20 ausser- 
ordentlichen Beisitzern. Seine Thätigkeit erstreckt sich 
auf die sämmtlichen Fach-, Mittel- und Elementarschulen 
des Landes ; nur nicht auf die Belgrader Hochschule 
selbst, fdr welche nur das Ministerum allein mass- 
gebend ist. 

Die heutige Hochschule wurde 1838 vom Fürsten 



— 155 — 

Milosch unter dem Namen eines Lyceums gegründet und 
bestand nur aus einer philosophischen Abtheilung. Im 
Jahre 1840 kam eine juridische Abtheilung hinzu. 1843 
wurde das Lyceum von Kragujevac nach Belgrad verlegt 
und die Leitung des Lyceums einem E*ektor anvertraut. 
Im Jahre 1851 wurde ein Lehrstuhl für deutsche Sprache 
errichtet. 1863 erhielt das Lyceum durch das Gesetz vom 
24. Septbr (6. Oktbr.) den Titel: Hochschule«. Die- 
selbe erhielt drei Fakultäten, nämlich: die juridische, 
philosophische und die technische. Im Jahre 1873 wurde 
die philosophische Fakultät in zwei Abtheilungen: eine 
„historisch-philologische" und eine „naturwissenschaftlich- 
mathematische^ getheilt. 

Im Jahre 1880 erhielt die Hochschule ihre letzte Ver- 
änderung, durch welche festgesetzt wurde, dass nunmehr 
jede Fakultät einen vierjährigen Gursus umfasse. 

Die Zahl der Hochschul-Studenten betrug 1880 — 112, 
1882-157, 1884—177, 1885—205, 1886-212, 1887—231 
und im Schuljahre 1890/91—526. Hochschul-Professoren 
gab es 1880—27; 1882—29; 1884-27; 1885—33; 1886—33 
und im Schuljahre 1890/91 waren ausser einem Rektor, 
noch 34 Professoren vorhanden. 

Die Theologieschule wurde 1836 in zwei Klassen 
gegründet, 1838 auf drei Klassen vermehrt; 1844 kam 
noch eine vierte Klasse hinzu. Im Jahre 1886 wurde 
jedoch die Studienzeit wieder auf drei Jahre herabgesetzt. 
Diese Schule ist in Verbindung mit einem Seminar und 
steht unter der gemeinschaftlichen Aufsicht des Unterrichts- 
ministers und des Metropoliten. 

Aufgenommen werden absolvierte Gymnasiasten, ohne 
nöthig zu haben, vorher die Reifeprüfung abzulegen. 

Die Gymnasien wurden zuerst mit vier Klassen 
errichtet, dann 1863 auf sechs Klassen, im Jahre 1873 auf 
sieben und endlich 1886 auf acht Klassen erhöht. Auch 
giebt es sogenannte Halb- (Unter-) Gymnasien, welche nur 
die ersten 4 Jahrgänge eines ganzen Gymnasiums enthalten. 



— 156 — 

Im Gymnasium werden 26 obligate Gegenstände (da^ 
runter fünf Sprachen, nämlich: Serbisch, Kirchen- oder 
Altslavisch, Deutsch, Lateinisch und Französisch) und 3 
unobligate Gegenstände vorgetragen; und zwar in 26 bis 
31 Lehrstunden in der Woche. Griechisch kommt im 
Lehrplane der serbischen Gymnasien nicht vor und latei- 
nisch wird nur in der 5., 6., 7. und 8. Klasse durch je 
vier Stunden wöchentlich gelehrt; dagegen wird deutsch 
durch alle 8 Klassen hindurch vorgetragen. 

Die älteste Bealschule besteht seit 1865 und hiess 
von ihrer Begründung im Jahre 1844 bis 1865 Handels- 
und Gewerbeschule. 

Seit dem Jahre 1873 hat die Realschule in Belgrad 
7 Klassen und die Zahl der Gegenstände wurde auf 18 
festgesetzt. 

1881 wurde das Realgymnasium in Uzice in eine 
zweite Realschule verwandelt. Ausserdem verblieben noch 
zwei Realgymnasien mit sehr geringer Schüler- und noch 
dürftigerer Lehrerzahl in Knjazevac und in Loznica. 

Das erste Lehrerseminar wurde 1870 in Belgrad 
gegründet, welchem im Jahre 1881 ein zweites in Nisch 
nachfolgte. 

Ausserdem wurde 1887 die Errichtung einer Lehrer- 
Vorbereitungsschule in Leskovac für Zöglinge aus den 
türkischen Nachbarprovinzen (Novibazar und Altserbien), 
beschlossen. 

Die Anzahl der Lehrer und Schüler an den beiden 
Seminaren war im Jahre 1885 folgende: 

Im Belgrader Lehrerseminar: 14 Lehrer und 141 
Schüler und im Nischer Lehrerseminar: 13 Lehrer und 
44 Schüler. 

Aufgenommen werden Gymnasiasten , welche vier 
Gymnasialklassen absolvirt haben, und dauert der Kursus 
im Lehrerseminar drei Jahre« 

Die im Jahre 1870 eröfihete landwirthschaftliche 
und Forstschule zu Po schar evac wurde nach zehn- 



— 157 — 

jährigem Bestände wieder aufgehoben, weil sie den an sie 
gestellten Anforderungen nicht entsprochen hatte. 

Nun wurde jedoch im Jahre 1882 zu Kraljevo wieder 
eine niedere Ackerbauschule errichtet und hatte anfangs 
1 Lehrer, 1 Gärtner, 2 Ünter-Landwirthe, 1 Popen und 
1 Arzt; femer 31 Schüler. 

Seit 1863 besteht eine höhere Töchterschule, in 
welcher nur solche Mädchen aufgenommen werden, welche 
die vier Volksschulklassen mit gutem Erfolge absolvirt 
haben. Der Unterrichtsplan wurde 1873 und 1879 der- 
gestallt abgeändert, damit die Schülerinnen auch zu Volks- 
schullehrerinnen ausgebildet werden können. Es wurde 
nämlich auch eine Uebungsschule mit der höheren Töchter- 
schule in Verbindung gebracht und der ganze Kursus 
selbst auf fünf Klassen erhöht. Nach Schluss der fünften 
EJasse müssen sich die Schülerinnen einer Lehrers-Prüfung 
unterziehen. 

Im Jahre 1886 sollte auch eine sechste Klasse er- 
richtet werden und wurde der Unterrichts-Minister er- 
mächtigt, mit dieser Anstalt ein Internat zu verbinden. 
In dieser Schule werden 25 obligate Gegenstände in 
wöchentlich 34 Stunden gelehrt. 

Ueber die Volks- bezw. Elementarschulen wurde schon 
weiter oben das Nöthige angeführt. 

Es möge hier noch nachgetragen werden, dass in 
Serbien die Volksschullehrer und Lehrerinnen vom Staate 
besoldet sind und dass seit dem Jahre 1881 folgende Ge- 
haltsklassen bestehen: 1. Klasse 2000 Dinar (Franks); 
2. Klasse 1800, 3. Klasse 1600, 4. Klasse 1400, 5. Klasse 
1200, 6. Klasse 1000 und 7. Klasse mit 800 Dinars jähr- 
lich. Nur vorläufig und probeweise angestellte Lehrer er- 
halten einen Jahresgehalt von 600 Dinars. 

Bei vorzüglichem !^olge erhalten die Lehrer auch 
noch Zuschüsse von jährlich 250 bis 300 Dinars. Diese 
Massregel spornt die Lehrer zu recht eifriger Arbeit an. 
Jene Lehrer, welche in zwei aufeinander folgenden Jahren 



— 158 — 

nur einen „schwachen" Schulerfolg nachweisen, werden 
aus dem Dienste entlassen. 

Auch auf eine staatliche Alterspension hat der Yolks- 
schuUehrer in Serbien Anspruch. Die Gemeinde, in wel- 
cher sich die Schule befindet, muss nebst der Lehrerswoh- 
nung und einem G-arten, auch die Heizung und Beleuch- 
tung derselben stellen. 

Gemeinden im hohen Gebirge, deren Gehöfte mitunter 
auf einem Umkreise von mehreren Stunden zerstreut liegen, 
vereinigen mit der Gemeindeschule sehr häufig ein ein- 
faches Internat, wo die Kinder aus den entferntesten Ge- 
höften wohnen und durch eine von der Gemeinde ange- 
gestellte "Wirthschafterin gepflegc und verköstigt werden; 
hierfür zahlen die Eltern kein Kostgeld, sondern liefern 
nebst dem Bette, der Kleider und Wäsche ihres Kindes, 
auch noch die nöthigen Yiktualien an die Schule ab. 

Privat schulen giebt es in Serbien nur wenige 
und auch diese sind noch in weiterer Abnahme begrifiPen; 
was begreiflich ist, nachdem der Staat selbst in sehr mu- 
nificenter Weise fiir das ünterrichtswesen sorgt. 

Nun wäre noch jener Mittel und Einrichtungen zu 
gedenken, durch welche die geistige Kultur im Königreich 
Serbien gepflegt und rege erhalten wird. 

Da ist in erster Linie die königlich serbische 
Akademie zu nennen, deren Bestimmung es ist, die 
Wissenschafben zu pflegen und zu fördern und zur Ver- 
breitung der schönen Künste im Lande beizutragen. Zu 
diesem Zwecke zerfallt die Akademie in vier Abtheilungen ; 
und zwar: in jene der Naturwissenschafben, dann jene 
der philosophischen Wissenschafben, in jene der Gesell- 
schaftswissenschaften und in jene für die Künste. 

Die Akademie darf nicht mehr als 25 Mitglieder zäh- 
len, wovon auch 3 ausserhalb Serbiens wohnen können. 
Es giebt auch korrespondirende Mitglieder und darf deren 
Zahl das Doppelte der ordentlichen Mitglieder betragen. 

Der König ist oberster Schirmherr der Akademie und 



— 159 — 

er hatte im Jahre 1887 auch deren erste Mitglieder be- 
stimmt. 

Die Landesbibliothek und das Landes-Museum sind 
ebenfalls seit 1887 in den Besitz der Akademie überge- 
gangen. 

Die Landesbibliothek wurde 1853 gegründet; im 
Jahre 1867 besass sie schon 9286 Werke in 20.500 Bänden, 
im Jahre 1874 — 14.544 Werke und im Jahre 1886 24.407 
Werke mit zusammen 52.078 Bänden (mit den Duplikaten 
56.585 Bände). Die Zahl von alten slavischen Hand- 
schriften betrug gegen 400. 

Das Landesmuseum enthält insbesondere eine sehr 
reichhaltige Münzensammlung, dann sonstige Alterthümer 
und eine Sammlung von alten Waflfen, und von solchen, 
welche die Serben am Anfange des neunzehnten Jahr- 
hunderts in ihren ersten Befreiungskämpfen verwendet 
hatten. 

Die Bildersammlung des Museums hat keinen beson- 
deren künstlerischen, dafür aber einen geschichtlichen 
Werth, da sie die Bildnisse der berühmtesten Serben 
enthält. 

Weiter muss hier noch die serbische Staatsdrucke- 
rei besonders hervorgehoben werden. Sie wurde 1830 ge- 
gründet und zwar zunächst behufs Nachdruckes von kirch- 
lichen Büchern, und schickte der russische Kaiser zu die- 
sem Zwecke zwei Druckerpressen, die er dem serbischen 
Volke zum Geschenke machte. Schon im Jahre 1831 über- 
siedelte die Druckerei nach Belgrad. 

Heute verfugt die serbische Staatsdruckerei über neun 
Schnellpressen, darunter eine englische mit zwei Cylindern 
u. dgl. m. 

Die Schriftgiesserei wurde von Okenfuss in Stuttgart 
begründet. 

Im Schriftschatze der Druckerei sind namentlich die 
orientalischen, dann die alt- und neuslavischen Lettern in 
jeder Art und Grösse vertreten. Seit dem Jahre 1880 besitzt 



~ 160 — 

aber die serbische Staatsdruckerei auch vorzügliche latei- 
nische und deutsche Lettern. In der serbischen Staats- 
druckerei waren im Jahre 1887 im Ganzen 220 Personen, 
— worunter i) Beamte und 92 Setzer, — beschäftigt. 

Mit der Staatsdruckerei ist auch eine lithographische 
Abtheilung vereinigt. 

Die Staatsdruckerei hat ihre Buchhändler — 62 an 
der Zahl — in Belgrad und in sämmtlichen Kreis- oder 
sonst wichtigeren Städten. Sie sendet ihnen die Bücher 
portofrei und gewährt ihnen 20 Prozent Rabatt. 

Der Werth der verkauften Bücher ist von Jahr zu 
Jahr in rascher Zunahme begriffen. 

Zur Hebung der geistigen Kultur dienen schliesslich 
noch die verschiedenen Lesevereine (Tschitaonica*s), 
deren Gründung wiederholt und speziell im Jahre 1860 
vom Onterrichts-Ministerium angeregt worden ist. 

Im Jahre 1880 gab es in Serbien, nebst dem grossen 
Belgrader Bürger-Kasmo und Leseverein, noch 32 Lese- 
vereine im Innern des Landes mit 1880 Mitgliedern. 

Im Jahre 1881 entstand der Belgrader Turn- und 
Fechtverein, welcher 1890 etwa 150 Mitglieder zählte. 
1885 wurde der erste Zweigverein desselben in Schabac 
«röffiiet. Zweck dieser Gesellschaft ist, allmälig im Lande 
Zweigvereine zu gründen und Turnlehrer auszubüden. 

Weitere G-esellschaften und Vereine mit wissenschaft- 
licher Tendenz sind: Die 1873 gegründete „Medizinische 
Gesellschaft", die 1883 ins Leben gerufene „Archäologische 
Gesellschaft", femer die 1887 gegründete „Gesellschaft des 
heiligen Sava", welche den Zweck hat, Aufklärung im 
Volke zu verbreiten. Schliesslich giebt es noch eine 
„Gesellschaft zur Hebung der Bodenkultur" und in fünf 
Städten bestehen „Gesellschaften zur Aufmunterung der 
Industrie und des Handels." 

Für die darstellende Kunst besitzt Serbien ein schönes 
Landestheater in Belgrad und ein kleineres in Era- 



— 161 — 

gujevac; letzteres hat jedoch kein ständiges Schauspieler- 
Personal. 

Das Belgrader Landestheater besteht seit 1869 als 
selbständiges Theater; es wurde 1870 als Staatseigenthum 
erklärt und der Aufsicht des Unterrichtsministers unter- 
stellt. 

Das Repertoire des Theaters umfasste Ende 1890: 551 
einstudierte Stücke, wovon 118 Originale und der S»est 
Uebersetzungen waren. 

Die Zahl der im Repertoire vertretenen serbischen 
Theaterdichter beträgt 42, unter ihnen insbesondere Mati^a 
Ban und Kosta Trilkovic. 

Die Schauspieler, gegenwärtig 40 an der Zahl, theilen 
sich in ständige, ordentliche und zeitliche Mitglieder; sie 
bekunden durchwegs ein ausgesprochenes Talent und er- 
freuen sich allgemein einer grossen Beliebtheit. 

In dem Dirigenten des Belgrader Theaterorchesters 
besitzt Serbien einen hervorragenden Komponisten und 
tüchtigen Musiker; er heisst Davorin Jenko. Vor ihm 
war Komelius Stankovitsch der berühmteste Musiker der 
Serben, welcher nach der (1840) von Djurkovitsch gege- 
benen Anregung und nach dem Beispiele des Alois Kalauz 
(1854—1855) die liturgischen Gesänge auf Noten setzte. 
Stankovitsch gab in Wien (1862—1864) das Werk: „Or- 
thodox-orientalischer Kirchengesang des serbischen Volkes" 
heraus. 

Und zum Schlüsse sei auch der übrigen schönen 
Künste und ihrer Repräsentanten in Serbien gedacht. 

Unter den Malern war Dimitrije Avramovitsch (1815 
bis 1855), welcher die Bilderwand, Seiten- und Kuppelge- 
mälde in der Belgrader Kathedrale gemalt hat ; femer der 
Neusatzer Paul Simitsch, welcher in vielen serbischen 
Kirchen die Wandgemälde herstellte ; ferner Daniel Petro- 
vitsch (auch Kosta Daniel genannt). 

Die nennenswerthesten serbischen Künstler der Gegen- 
wart sind Stephan Todorovitsch, Markovitsch und Krstitsch, 

Anton Tnma, Serbien. 11 



— 162 — 

Todorovitsch ist Bahl's Schüler; seine Portraits sind 
unübertroffen von seinen zeitgenössischen Kollegen. 

Krstitsch wurde in München und in Born ausgebildet ; 
er kopirt die Natur möglichst wahr und getreu. 

In der Skulptur und Baukunst hat bezüglich der letz- 
teren in den jüngsten zehn bis fünfzehn Jahren die deut- 
sche Renaissance die Oberhand gewonnen und wird von 
deutschen oder österreichisch-ungarischen, — seltener von 
einheimischen im Auslande gebildeten, — Bautechnikem 
eifrig gepflegt. Im Kirchenbau macht sich in Serbien in 
allerjüngster Zeit eine Biückkehr zum byzantinisch- serbi- 
schen Stile bemerkbar. 

Die Skulptur im eigentlichen Sinne des Wortes konnte 
sich bei den Serben nicht recht entwickeln und ausbilden. 
Der Grund hierfür liegt in der rituellen Eigenthümlichkeit 
der griechischen Kirchen^ wonach wohl Bilder aber keine 
Statuen, — weder im Innern noch an der Aussenseite — 
angebracht werden dürfen. 

Man findet daher nur die Omamentenskulptur zur 
Dekorierung von Thüren, Fenstern, Bögen u. dgl. in Ver- 
wendung und hat sich dieselbe auch schon vor der Türken- 
herrschaft ziemlich reich entwickelt, wofür die Kloster- 
kirche in Studenitza den Beweis liefert. Dort finden sich 
nebst Ornamenten, auch halb konvexe Beliefbilder, welche 
verschiedene Heilige und symbolische Thiere darstellen, die 
aber von abendländischen Meistern herrühren sollen. 

Auch im heutigen Serbien wird in der Skulptur, im 
Vergleich zu den andern Kunstgebieten, nur sehr wenig 
geleistet. In Serbien existiert dermalen nur ein einziges 
bildhauerisches Talent, Namens Ubavkitsch, welcher jedoch 
seine Schöpfungen vorläufig nur in Gyps und Thon aus- 
führt. 



Vill. Kapitel. 

Wirthschaftliche Terhältnisse : Bodenkultur^ Bergbau^ 
Industrie, Handel und Mittel des Terkehrs. 



Das Königreich Serbien ist reich an Naturschätzen, 
zu deren Hebung und zweckentsprechender Ausnützung 
eine bedeutendere Vermehrung der Bevölkerung, eine inten- 
sivere Entwicklung der geistigen Anlagen des Volkes und 
vor allem ein noch durch mehrere Jahrzehnte andauernder 
Frieden, insbesondere im Innern des Landes, nöthig ist. 

In erster Linie ist der Feldbau lange noch nicht auf 
jene Stufe gebracht, wie dies der vorzügliche Ackerboden 
verdienen würde. 

üebrigens ist die Bevölkerungsdichte auch eine sehr 
geringe und die alten Gewohnheiten sind noch immer zu 
tief eingewurzelt, wonach der serbische Bauer in der Begel 
nicht mehr anbaute, als unbedingt nöthig war. 

Auch der Betrieb der Feldwirthschaft ist noch ein 
sehr primitiver, obwohl manche Gegenden, wegen der Vor- 
trefflichkeit ihres Bodens, wahre Musterwirthschaften ent- 
halten könnten. 

Es ist kaum ein Siebentel des kulturfähigen Bodens 
thatsächlich bebaut und da haben die Zadrugas und sonstigen 
Grundbesitzer noch immer einen solchen Ueberfluss an 
Ackergründen, dass sie die Brachwirthschaft betreiben und 

&st ausnahmslos nirgends die Felder düngen. 

11* 



— 164 — 

Da die Bauern mit angeborener Zähigkeit an dem 
Althergebrachten hängen und allen Neuerungen abhold 
sind, so schreitet die Bodenkultur, im Vergleiche zu den 
immensen Fortschritten auf allen andern Gebieten des 
staatlichen Lebens, nur sehr langsam vorwärts. 

Hieraus erklärt sich auch die starre Abneigung der 
bäuerlichen Radikalen, welche man richtiger im vollsten 
Sinne des Wortes „Conservative" nennen sollte, gegen jede 
Steuervermehrung; weil die Landbevölkerung thatsächlich 
über keine höheren Einnahmequellen verfugt als vor vier- 
zig Jahren, wo das Landesbudget noch kaum den dritten 
Theil des heutigen betragen hat. 

In Serbien giebt man in den meisten Gegenden noch 
immer der Viehzucht — und insbesondere der Schweine- 
zucht, — den Vorzug vor jeder andern Bodenkultur. Da 
nun durch die Beaufsichtigung der vielen Heerden eine 
grosse Zahl kräftiger Arme dem Feldbau entzogen wird, 
so könnte dem hiedurch verursachten Mangel an Arbeits- 
kräften nur durch die Einführung von landwirthschaft- 
lichen Maschinen abgeholfen werden, gegen welche wieder 
die serbischen Bauern eine unüberwindliche Abneigung 
hegen. Hier könnte nur Belehrung und das gute Beispiel 
des aufgeklärteren Theiles der Landbevölkerung eine Ab- 
hilfe schaffen. 

um dem Mangel an Arbeitskräften abzuhelfen, lässt 
man jährlich zur Erntezeit aus Altserbien und Makedonien 
etwa 30.000 Arbeiter kommen und auch aus Oesterreich- 
TJngam von jenseits der Save und Donau kommen all- 
jährlich einige Hundert Mann zum gleichen Zwecke nach 
Serbien. 

Der stolze Charakter des Serben erlaubt ihm nichts 
sich gegen Taglohn zu verdingen, wohl aber ist er bereit, 
sich mit seinem Nachbar bei der Feldarbeit gegenseitig 
und unentgeltlich auszuhelfen. 

Diese in ganz Serbien gebräuchliche, uralte und patri- 
archalische Einrichtung heisst „Moba" und verpflichtet die 



— 165 — 

Nachbarn sich, insbesondere zur Zeit der Ernte, gegenseitig 
beizustehen und zu helfen. 

Borchgrave schreibt, dass Serbien ein Empqrium ersten 
ßanges werden könnte, wenn sich seine Bevölkerung ver- 
mehrt und auf ihre verhängnissvolle Indolenz verzichtet 
haben wird! — 

Der serbische Bauer benutzt heute noch einen eben 
solchen Pflug, wie ihn seine Vorfahren vor Jahrhunderten 
verwendet haben. Derselbe ist von Holz gemacht und hat 
eine kleine gerade Pflugschar von Eisen, mit welcher 
jedoch die Erde nicht gehoben und umgelegt, sondern die 
ßodenkruste nur sehr wenig aufgerissen wird. Statt von 
1—2 Pferden, wird ein solcher Pflug von 4—6 Ochsen ge- 
zogen, welche von einigen Menschen in der beiläufigen 
Eichtung geführt werden müssen. 

Hinter dem pflügenden Bauern folgt ein weibliches 
Familienmitglied, welches sofort den Samen in die erzeugte 
Furche wirft und diese sodann mit den Füssen zusammen- 
tritt. 

Statt der Eggen bedient man sich mitunter noch des 
Eeisigs und der Domen, welche mit Steinen beschwert 
über das besäete Feld hinweggezogen werden. 

Fürst Alexander hatte zwar schon 1844 verordnet, 
dass in den Volksschulen auch landwirthschaftlicher Unter- 
rieht ertheüt werden soUe, auch die späteren Eegierungen 
haben sich stets bemüht, die Landwirthschaffc zu heben; 
jedoch bisher ohne nennenswerthen Erfolg. 

Daher haben bis heute in ganz Serbien kaum ein 
Dutzend von Landwirthschatten für die Bodenkultur Ma- 
schinen im Betriebe. 

Seit dem Jahre 1884 besteht nun in Kraljevo eine von 
der Regierung unterstützte Werkstätte für den Bau von 
landwirthschaftlichen Maschinen. 

In Serbien wird vorzugsweise Mais, welcher etwa die 
Hälfte des gesammten bebauten Bodens einnimmt, dann 
Weizen, Roggen, Gerste und Hafer gebaut. Hier mag 



— 166 - 

sofort bemerkt werden, dass der Serbe, — wie alle Orien* 
talen, — die Pferde nicht mit Hafer sondern mit Gerste 
füttert. 

Den Dreschflegel kennt man in Serbien nicht. Alles 
Getreide wird im Freien auf festgestampfter Tenne durch 
Pferde ausgetreten. 

Kornböden und Scheunen sind in der Begel unbekannt. 
Auch die Mühlen sind meist von der allerprimitivsten Art; 
das Mühlrad dreht sich nach Art der Turbinen horizontal 
im Ejreise. Auch befindet sich noch in beinahe jeder 
Wirthschaft eine Handmühle, auf welcher das für den 
täglichen Gebrauch benöthigte Mehl erzeugt wird. 

Mais wird in Serbien jährlich bis zu 300 Millionen 
Kilogramm produzirt, wird aber meist im Lande selbst 
verzehrt. 

Das Emteergebniss des Weizens verhält sich in der 
Eegel zu jenem des Mais, wie 4 zu 10. Jährlich werden 
durchschnittlich 50 Millionen Kilogramm Weizen ausge- 
führt, und zwar nach Ungarn, Rumänien und in die Türkei 
Von der Gerste wird etwa ein Drittel des Ertrages aus- 
geführt. 

Von den Gemüsearten werden hauptsächlich Bohnen, 
Kohl, dann Zwiebel und Knoblauch produzirt; hingegen 
fast gar keine Kartoffieln, welche aus Ungarn eingeführt 
werden müssen. Daflir baut jeder serbische Bauer die 
Paprika oder den rothen Pfeffer, da derselbe in Serbien 
als ein unentbehrliches Gewürz angesehen wird. 

Auch Wassermelonen werden stark gebaut und während 
des Sommers im ganzen Lande genossen. 

Obstgärten gab es in Serbien im Jahre 1890 etwa 
70.000 Hektare. 

Am beliebtesten ist die Pflaume (Sliva), welche theils 
zur Erzeugung des Pflaumengeistes Slivowitz) verwendet 
wird, theils in getrocknetem Zustande einen Ausfuhrs- 
artikel bildet. Ausserdem werden auch Nüsse, Aepfel, 
Birnen, Aprikosen und Kirschen gepflanzt, jedoch ins- 



— 167 — 

gesammt nur in geringer Quantität und von minderer 
Qualität. Hingegen sind die Pflaumen allgemein von vor- 
züglichster Sorte und wird die Anzahl der Pflaumenbäume 
im ganzen Lande auf mehr als 20 Millionen geschätzt. 

Auch der Weinbau hat in Serbien einen sehr er- 
freulichen Aufschwung genommen und bildet die Wein- 
ausfuhr schon jetzt einen der wichtigsten Theile des ser- 
bischen Aussenhandels. 

Die ersten Beben soll schon Kaiser Probus nach Serbien 
verpflanzt haben. Der Njegotiner weisse Wein erinnert 
durch seine Farbe und sein Feuer an die besten Weine 
Südspaniens. Die serbischen Rothweine sind nicht so herb 
wie 'die Dalmatiner- Weine, aber ziemlich schwer. Vorzüg- 
liche Weingegenden sind, ausser der Krajna (Njegotiner 
Wein), noch die Schupa südlich von Kruschevac dann die 
Schumadija, sowie das Donauthal insbesondere bei Smede- 
revo (Semendria), dann noch andere kleinere Landstriche. 
Der serbische Wein , insbesondere der Njegotiner , wird 
schon häufig nach Oesterreich-Ungam ausgeführt. 

Das jährliche Gesammterträgniss an Wein dürfte sich 
in Serbien auf rund 700.000 Hektoliter belaufen. 

Thatsache ist, dass die serbischen Weine unter den 
besten Weinen Europas einen hervorragenden Platz ein- 
nehmen. Den sichersten Beweis hiefür hat die Weinaus- 
stellung zu Bordeaux im Jahre 1882 erbracht, auf welcher 
von 52 ausgestellten serbischen Sorten 33 — und davon 9 
mit Ehren-Diplomen — prämiirt worden sind. 

Seit dieser Ausstellung kaufen die französischen Wein- 
händler in immer grösserer Menge serbische Weine, um 
sie sodann unter fremder Etikette als echte Bordeaux- 
Weine weiterzugeben. 

Tabak wird ebenfalls im ganzen Lande angebaut; 
jedoch gedeihen die vorzüglichsten Sorten im westlichen 
Theile, speziell in der Umgebung des Städtchens Bajna- 
baschta an der Drina. Der Tabakbau und Handel ist jetzt 
monopolisirt. 



— 168 — 

Die Thierwelt ist in Serbien ziemlich reich ver- 
treten. Die Jagd ist im ganzen Lande vom September bis 
März frei. Es giebt theilweise noch Hirsche, mitunter 
auch Gemsen und sollen selbst Murmelthiere vereinzelt 
vorkommen. Hingegen sind Eehe, Hasen, Füchse und 
Eichhörnchen ziemlich zahlreich vertreten. — Raubwild 
kommt spärlich vor, und zwar Bären, Wölfe, Luchse, Wild- 
schweine, Marder, Fischottern und Wiesel. An Vogelarten 
ist das Land sehr reich. Man findet : Adler, Geier, Falken, 
Pelikane, Beiher, Störche, Möven, Wildenten, Strandläufer, 
Schnepfen, Kraniche, Rebhühner, Wachteln, Trappen und 
in den Waldgebirgen selbst Auerhähne. 

Auch viele schmackhafte Fischgattangen kommen in 
den zahlreichen Gewässern Serbiens vor. Die speziell im 
Unterlaufe der Donau vorkommenden Hausen, von denen 
in Ostserbien ein vortrefflicher Caviar bereitet wird, dann 
Störe von 4—5 Meter Länge und die Alsen sind die vor- 
nehmsten Sorten. Ausserdem findet man auch alle Fisch- 
gattungen des Donau -Oberlaufes in Serbien. Die Alse, 
welche vom Schwarzen Meere kommt, findet man nur in 
der Donaustrecke unterhalb des Eisernen Thores. 

Die Save hat wie die Donau: Karpfen, Hechte, Schill 
etc. Die Gebirgsgewässer, auch die Drina enthalten zahl- 
reiche Forellen und Huchen. 

Der Fischfang ist ebenfalls im ganzen Lande für Jeder- 
mann firei. 

Die Viehzucht bildet den eigentlichen Reichthum 
des Landes und ist der Haupterwerbszweig der Bevölkerung. 
Die Bewohner des Innern Serbiens sind daher noch zum 
grössten Theile ein Volk von Hirten. 

Das serbische Hornvieh ist zwar von keiner besonders 
ausgezeichneten Sorte, man beginnt es aber schon mit aus- 
ländischen Racen zu kreuzen. Ochsen werden in grosser 
Zahl ausgeführt, denn im Lande selbst wird Ochsenfleisch 
nur von den verfeinerten Städtebewohnern genossen; 



— 169 — 

während die Landbevölkerung meist nur Schafe und Ziegen 
verzehrt. 

Milchkühe giebt es verhältnissmässig wenige; es 
kommen nur etwa 260 auf 1000 Stück Hornvieh, während 
man im übrigen Europa 464 Milchkühe auf die gleiche 
Anzahl Rinder rechnet. In Folge dessen genügt auch die 
im Lande erzeugte Milch, Butter und Käse kaum für den 
eigenen Bedarf. 

Die Grundbedingungen für eine rationelle Milch- und 
Käsewirtschaft sind im Lande im vollsten Masse vorhanden. 
Auf den ausgedehnten Alpenweiden des Zlatibor, Kopaonik 
und anderer Gebirge, besonders an der Südgrenze des 
Königreiches, wächst ein vortreffliches, verschiedene Salze 
enthaltendes Gras, wodurch sich auch die Rinder jener 
Gegenden vor allen andern des Landes auszeichnen. 

Wenn in Serbien die Erzeugung von Milch und Käse 
etwa so wie in der Schweiz oder in Holland betrieben 
würde, so könnten diese Produkte sehr bald einen gesuchten 
Ausfuhrartikel bilden und dem Lande eine neue Quelle 
des Wohlstandes eröffnen. 

Bei der am 31. Dezember 1890 a. S. vorgenommenen 
Zählung wurde im ganzen Königreich Serbien der Hom- 
viehstand, wie folgt, ausgewiesen: Im Ganzen waren 827.501 
Stück Hornvieh vorhanden; davon waren 114.387 Stück 
Kälber, 121.296 Stück Jungvieh von 1—2 Jahren, 342.703 
Ochsen, 15.324 Stiere und 233.791 Kühe. Büffel gab es 
im Lande nur 8351. 

Die Büffel werden in Serbien, gleichwie in den anderen 
Balkanländern, als Zugthiere verwendet; sie sind jedoch 
gegen Hitze und Kälte gleich empfindlich und bewegen 
sich nur sehr langsam mit ihrer schweren Zuglast vor- 
wärts. 

Wie schon erwähnt, besteht die Fleischnahrung der 
serbischen Landbevölkerung besonders aus Schaf- und 
Ziegenfleisch; jedoch wird das erstere vorgezogen. Ende 
1890 kamen auf 1000 Einwohner im Durchschnitte 1344 



— 170 — 

Schafe und 237 Ziegen ; beziehungsweise die Zählung hatte 
ergeben, 2,906.723 Stück Schafe und etwas über 501.728 
Stück Ziegen. 

Die Pferdezucht ist noch auf einer sehr niederen 
Stufe der Entwicklung. Die serbischen Pferde gleichen 
jenen Bosniens und Albaniens; sie sind klein, nur selten 
schön und edel geformt, haben jedoch eine bewunderungs- 
würdige Sicherheit im Passiren der schwierigsten Gebirgs- 
wege und sind ungemein ausdauernd. Als Lastthier und 
Q-ebirgs-Beitpferd ist das serbische Pferd ganz vorzüglich 
zu gebrauchen, aber es taugt wenig für den Zug und auch 
nicht als Eeitpferd für die Armee. In Folge dessen werden 
die besseren Zug- und Reitpferde von Oesterreich-Ungam 
nach Serbien eingeführt. 

Fürst Michael Obrenovich gründete zwar in Ljubit- 
schevo bei Pozarevatz ein Staatsgestüt und führte norman- 
nische Hengste ein , um sie mit Siebenbürger Stuten 
zu kreuzen; der Erfolg war jedoch bisher kein besonders 
günstiger. 

Ende 1891 gab es in ganz Serbien 164.051 Stück 
Pferde, wovon die meisten im Kreise Drina (22.947), Po- 
zarevatz (18.765), Donau (17.346). Esel gab es damals 1372 
und Maulesel nur 88 Stück. 

Die ausgedehnten Eichenwälder, besonders im nord- 
westlichen, westlichen und mittleren Theile des Landes 
(Schumadija) begünstigen in hohem Grade die Schweine- 
zucht, weshalb auch dieser Zweig der Viehzucht im König- 
reich Serbien am meisten entwickelt ist. In dieser Be- 
ziehung erfreut sich das massenhaft zur Ausfuhr gelan* 
gende serbische Borstenvieh eines sehr guten Kufes. Die 
grösste Zahl der ausgeführten Schweine wird von unga- 
rischen Händlern aufgekauft, hierauf einer weiteren aus- 
giebigen Mästung unterzogen und schliesslich wieder mit 
grossem Gewinn in die westeuropäischen Länder aus- 
geführt. 

Gelegentlich der Zählung am Ende des Jahres 1890 



— 171 — 

wurden 934.852 Stück Borstenvieh im ganzen Lande 
konstatirt. Kanitz berichtet, dass schon im Jahre 1867 — 
1,291.164 Schweine gezählt worden seien. Nachdem Ser- 
bien damals um etwa den vierten Theil seines jetzigen 
Territorial-Umfanges kleiner war, so würde dies eines be- 
deutenden Rückschritt darstellen, wenn man der Zählung 
vom Jahre 1867, — welche vermuthlich nur eine „Schät- 
zung" gewesen sein dürfte, — ebensoviel Glauben bei- 
messen könnte, wie dem genau nach wissenschaftlich fest- 
gestellten Grundsätzen vorgenommenen offiziellen Census 
vom Jahre 1890. 

Gopcevic schätzte im Jahre 1888 den Reichthum an 
Borstenvieh im ganzen Lande auf rund 1,500000 (?); sagt 
jedoch zugleich, dass der sehr glaubwürdige serbische 
Autor fiir die, durch den Berliner Kongress hinzugekom- 
menen neuen Kreise nur 61.586 Schweine ausweist. So- 
mit dürfte Serbien heute doch kaum mehr als 1 Million 
Schweine im Werthe von ungefähr 14 Millionen Dinars 
(Franks) besitzen. 

In Serbien haben sich verschiedene fremde Unter- 
nehmer gefunden, um das Schweinefleisch direkt im Lande 
zu verarbeiten und dasselbe sodann als Pökelfleisch und 
als geräucherte Schinken auszuführen. Tm Jahre 1861 be- 
fasste sich ein Franzose in der Nähe von Belgrad mit die- 
sem Geschäfte. Im Jahre 1884 erhielt eine schottische 
Gesellschaft die Bewilligung zur Errichtung einer Fabrik 
zum Einpöckeln und Eäuchem von Schweinefleisch nach 
amerikanischem Muster, welche jedoch zu Grunde ging. 

Als im Frühjahr 1890 'die ungarische Regierung ge- 
zwungen worden war, gegen die Einfuhr von serbischem 
Borstenvieh strenge veterinär-polizeiliche Massnahmen zu 
ergreifen, welche sich nach und nach zu einer formlichen 
Grenzsperre herausbildeten, und einen ziemlich erregten 
— unter dem Namen ^ Schweinekrieg'' bekannten — Noten- 
wechsel zwischen den beiderseitigen Regierungen veran- 
lasst hatte ; da schlug ein englisches Konsortium der Bei- 



— 172 — 

grader Begierung eine Unternehmung vor, welche dem 
gefährdeten serbischen Sohweinehandel aufhelfen sollte. 

Am 10. Juni 1890 wurde der von der serbischen 
Begierung mit diesem englischen Konsortium abgeschlossene 
Vertrag, betreffend die Errichtung von „Pork-Faktories" 
und einer Konserven-Fabrik in Serbien unterzeichnet. Das 
Konsortium ist verpflichtet worden, jährlich 100,000 Schweine 
zu verarbeiten. Für das erste Jahr ist jedoch diese Ziffer 
auf 60,000 und für das zweite auf 80,000 herabgemindert. 
Für die AuflRihrung der für das Etablissement in Nisch 
erforderlichen Baulichkeiten ist dem Konsortium eine zwei- 
iährige Frist eingeräumt worden. Das Konsortium geniesst 
eine zehnjährige Steuerfreiheit und einen fünfprozentigen 
Tarifnachlass auf den serbischen Bahnen in der Bichtung 
nach Westen, Osten und Süden. 

Ob diese Unternehmung im vorigen Jahre (1893) 
thatsächlich in Wirksamkeit getreten ist, oder ob etwa 
die Skuptschina im letzten Momente noch zu diesem Ver- 
trage ihre Zustimmung versagt hat, ist nicht bekannt. 

Die Geflügelzucht beschränkt sich in Serbien auf 
das Halten von Trut- und Haushühnern, und zwar die 
letzteren hauptsächlich der Eier wegen. Gänse und Enten 
sind im Lande selten. 

Hingegen erfreuen sich die Seidenraupen- uad die 
Bienenzucht einer bedeutend grösseren Sorgfalt im L«ande. 
Die Seidenkultur stand im serbischen Kaiserreiche Du- 
schan's auf gleich hoher Stufe wie in Byzanz selbst, ging 
aber später zu Grunde. Während Serbien vom Jahr» 1717 
bis 1 739 im österreichischen Besitze war, wurde die S^iden- 
kultur durch den kaiserlichen Statthalter Grafen Mercy 
wieder eingeführt. Der Maulbeerbaum gedeiht in Serbien 
ausgezeichnet und erreicht im Allgemeinen daselbst die 
Grösse der Linde. 

Die Eegierung unterstützt die Seidenkultur bestens. 

So erhebt sie von den Graines einen Ausfuhrzoll von 
3 Prozent in natura und verschenkt diese an jene Bezirke 



— 173 — 

des Landes, in welchen diese Kultur noch keinen Eingang 
gefunden hat. 

Während der in Westeuropa herrschenden Krankheit 
der Seidenraupe durchzogen fremde Agenten die besten 
serbischen Seidenkultur-Gebiete (die Kreise Poscharevatz, 
Tschuprija, Nisch, Smederevo, Vranja, Pirot, Kragujevatz 
und Belgrad) und brachten eine bedeutende Preissteigerung 
hervor. 

In Serbien werden dreierlei Sorten von Seidenraupen 
gezüchtet: einheimische, mailänder und japanesische. 

Um das Jahr 1870 erzeugte Serbien jährlich etwa 
25.000 Cocons, wovon 15.000 Stück ausgeführt wurden. 
Ausserdem führte man 1.200 Kilo Graines aus. Das durch 
die starke ausländische Konkurrenz verursachte Sinken der 
Preise, bewirkte auch einen starken Rückgang in der Er- 
zengung, so dass um die Mitte der Achtziger Jahre nnr 
mehr 6.000 Cocons ausgeführt worden sind. 

Die Bienenzucht wird besonders stark im östlichen 
und im mittleren Theile von Serbien betrieben. Die Zahl 
der Bienenstöcke im ganzen Lande beträgt ungefähr etwas 
über 100.000 Stück. Das Jahresergebniss beziffert sich 
auf etwa 120.000 Kilo Honig und 40.000 Kilo Wachs. 

Die Waldkultur ist in Serbien zwar durch Gesetze 
geregelt; es mangelt jedoch an einer ausgiebigen Kontrolle 
seitens geschulter Forstbeamten, an denen Serbien noch 
arm ist. 

Die Waldverwüstung ist daher noch an vielen Orten 
wahrzunehmen, prachtvolle Baumstämme werden häufig 
von Hirten angezündet; femer benagen die Weidethiere 
und insbesondere die Ziegen die jungen Pflanzen und 
schliesslich tragen auch die gänzlich unregulirten Gewässer 
das ihrige zu diesem Zerstörongswerke bei. 

Im Jahre 1839 erliess Fürst Milosch das erste Wald- 
schutzgesetz, durch welches ein grosser Theil der Forste 
als Staatseigenthum erklärt wurde. Auch beanspruchte 
der Staat das Oberaufsichtsrecht über alle übrigen im 



— 174 — 

Besitze der Gemeinden oder im PrivatbeBitze verblieben«a 
Waldungen. 

Im Jahre 1847 wurde die Leitung des gesammten 
Forstwesens dem Finanzminister übertragen. 

Die in diesem Zeiträume erlassenen Gesetze und Ver- 
ordnungen würden zum Schutze des Waldbestandes ge- 
nügt haben, wenn der Staat über ein geschultes Forst- 
personal verfugt hätte, das die genaue Befolgung dieser 
Verfügungen überwacht haben würde. 

In Ermangelung dessen, überliess man die forstpoli- 
zeiliche Aufsicht über alle Staats- und Gemeindeforste 
den Gemeindevorstehern (Kmeten), durch welche Mass- 
regel natürlich die sämmtlichen Forstgesetze illusorisch 
gemacht wurden ; denn die Kmeten waren doch nur Bauern, 
welche bezüglich der Waldkultur dieselben Ansichten und 
Vorurtheile hatten, wie ihre Gemeindeangehörigen. 

In Folge dessen machte die Waldverwüstung sehr be- 
drohliche Fortschritte, so dass durch das Einschreiten des 
Fürsten Michael die Skuptschina sich bewogen fand, im 
Jahre 1867 ein neues Forstgesetz zu genehmigen, obwohl 
zahlreiche Abgeordnete dagegen gestimmt hatten. Nim 
sollten auch eigene Forstaufseher angestellt werden. 

Das neue Gesetz war aber noch immer so dehnbar 
und die Beaufsichtigung blieb eine so mangelhafte, dass 
daraus noch immer kein sichtlicher Erfolg resultiren konnte. 

In Serbien ist bis heute keine offizielle Vermessung 
von Grund und Boden vorgenommen worden, daher 
sind auch die sogenannten Staatsforste noch immer nicht 
abgegrenzt. Man nimmt an, dass ungefähr 15 Prozent 
der ganzen Bodenfläche Serbiens mit Waldungen bedeckt 
sei, aber man weiss nicht, wie viel davon dem Staate, den 
Gemeinden oder Privaten gehört; auch ist man über den 
Zustand und den Werth der Waldungen nur sehr ober- 
flächlich unterrichtet. 

Die Bewilligung zum Holzfallen in den Staats- und 
Volkswäldem ertheilt die politische Behörde des Bezirks 



— 175 — 

und die hierfür zu zahlenden Gebühren fliessen in die 
Staatskasse. 

In den Gemeindewäldem bewilligt die Gemeinde- 
vertretung das Holzfällen und zieht hierfür die entfallenden 
Gebühren ein. Das Fällen soll unter behördlicher Auf- 
sicht stattfinden. 

Die Verarbeitung des Holzes erfolgt in etwa 45 Sage- 
mühlen. Ausgeführt werden grosse Eichen nach Slavonien 
und nach Fiume, desgleichen Fassdauben. 

Die Ausfuhr leidet indessen an dem Mangel von Holz- 
transportwegen ; nur die Drina und Morava werden theil- 
weise zum Holzflössen benutzt. 

Trotz aller gesetzlichen Bestimmungen, werden ins- 
besondere die Privat- und Gemeinde- Waldungen schonungs- 
los ausgebeutet. Die Folgen eines solchen Vorganges 
müssen selbstverständlich in nicht zu femer Zeit für das 
Land verhängnissvoll werden. 

In den serbischen Wäldern kommen hauptsächlich 
folgende Holzgattungen vor: Eichen, Eoth- und Weiss- 
Buchen, Ulmen, Eschen, Birken, Linden, Ahombäume und 
zahlreiche Nadelholzgattungen. Ausserdem giebt es noch 
ganze Waldstriche von wilden Nuss- und Maulbeerbäumen, 
femer Silberpappeln, Akazien, dann wilde Aepfel-, Bim-, 
Kirschen- und besonders Pflaumen-Bäume. 

Die Eiche ist besonders im nordwestlichen Theile 
Serbiens sehr schön entwickelt. Das Nadelholz ist hin- 
gegen mehr in den Gebirgen beiderseits der serbischen 
Morava vertreten. 

Der Bergbau wurde schon zur Zeit der Römerherr- 
schaft betrieben und zwar wurde an verschiedenen Orten 
Silber und Kupfer gewonnen. 

Serbische Urkunden aus dem 12. Jahrhundert beweisen, 
dass die slavischen Einwanderer schon im Mittelalter in 
den ehemaligen römischen Minen ebenfalls Bergbau be- 
trieben haben. 



— 176 — 

Im 14. und zu Anfang des 15. Jahrhunderts war die 
Blüthezeit des Bergbaues. 

Von der Ergiebigkeit der serbischen und bosnischen 
Minen erzählen die damaligen Chronisten ganz unglaubliche 
Dinge. Um das Jahr 1330 soll Serbien fiinf Gold- und 
fünf sehr ergiebige Silber-Bergwerke besessen haben. 

Schon im 13. Jahrhundert berief man deutsche Berg- 
leute, die ^Sachsen" genannt wurden, in die Balkanländer. 

Die ersten serbischen Münzen wurden im Jahre 1234 
vom König Stephan Vladislav geprägt und im Jahre 1253 
kam in Bagusa bereits ungemünztes serbisches Gold und 
Silber in Handel. 

Die damaligen serbischen Münzen führten nebst cyril- 
lischen (serbischen) auch lateinische Aufechriften. 

Ueber die alten Bergwerke und deren heute noch 
deutlich sichtbaren Spuren berichtet sehr ausfiahrlich Gop- 
cevic, nach den ihm von Mihailovic zur Verfügung ge- 
stellten offiziellen Daten in seinem interessanten Werke 
„Serbien und die Serben" (Leipzig, Ellischers Verl. 1888). 

Der Bergbau im Kopaonik dauerte bis in das 16. 
Jahrhundert, ging dann allmählig zu Grunde, so dass zu 
Anfang des 18. Jahrhunderts nur mehr einige unbedeutende 
Eisenhämmer vorhanden waren. 

Im Anfang des 15. Jahrhunderts waren vom Despoten 
Djuragj Braukovitsch drei Bergwerke an die Ragusaner 
um den Jahreszins von 200.000 Dukaten verpachtet worden 
aber von eben diesen Bergwerken ist jetzt gar keines mehr 
im Betriebe, während sie damals über 2 Millionen Franks 
jährlich getragen hatten. 

An dem totalen Verfalle des serbischen Bergbaues 
waren nach Prof. Jiretschek nicht allein die Kriegsereig- 
nisse des 15. Jahrbundertes, sondern hauptsächlich die 
türkische Verwaltung während der folgenden drei Jahr- 
hunderte Schuld. 

Um den Metallreichthum des Landes wieder nutzbar 
zu machen, berief schon im Jahre 1885 Fürst Milosch den 



— 177 — 

sächsischen Oberberghauptmana von Herder, um durch 
ihn das Land montanistisch erforschen zu lassen. Dessen 
Arbeiten und im Jahre 1856 auch j^ie des sächsischen 
Bergrathes Professor Breithaupt ergaben wichtige Auf- 
schlüsse über die geologischen Verhältnisse und die alten 
Bergwerke Serbiens. 

Die ersten Bergwerke, welche nun das vom Türken- 
joch befreite Serbien wieder auszubeuten begann, waren 
jene von „Majdanpek,^ welche schon den Bömem bekannt 
waren. Deren Ausbeute begann 1847 und sie gehören dem 
Staate, welcher damals für fünf Millionen Dinars eine 
Eisengiesserei und Arbeiterwohnungen erbaute. 

Wegen ungünstiger Geschäftsführung übergab Fürst 
ICilosch schon im Jahre 1858 diese Bergwerke einer franko- 
serbischen Gesellschafb in Pacht, welche jedoch bereits im 
Jahre 1862 zu Grunde ging; nachdem sie der serbischen 
Begierung för die ersten zwei Betriebsjahre einen Verlust 
von 114,926 Franks nachgewiesen hatte. 

Im Jahre 1865 erhielt die „Servian Iron and Copper 
Company limited^ das Privilegium der Minenausbeutung 
auf 50 Jahre, gegen einen Pachtschilling von 3 Prozent 
des Kaufwerthes des erzeugten Metalles; sie zog sich 
jedoch, nach kaum zehnjähriger Thätigkeit, freiwillig zu- 
rück. 

Im Jahre 1883 erhielt nun abermals ein Engländer, 
Namens Holloway die Staatsbergwerke Majdanpek und 
Budna Glava, wo sich ebenfalls sehr reiche Eisenerzlager 
befinden, auf 50 Jahre in Pacht. 

Der Pächter ist verpflichtet worden, im ersten Be- 
triebsjahre mindestens für 200.000 Dinar Kupfer, im zweiten 
für wenigstens 250.000 Dinar Kupfer und Eisen, im dritten 
für 300.000 Dinar und vom vierten Jahre an stets für 
mindestens 400.000 Dinar Kupfer und Eisen zu gewinnen. 

Bis zum Brutto-Ertrage von 500.000 Dinar beträgt 
der dem Staate zu zahlende Pachtschilling 3 Prozent, — 

▲ ntoD Tu ma, Serbien. 12 



— 178 — 

bis zum Ertrage von 1 Million Dinar 2 ^/^ Prozent und 
darüber hinaus nur 2 Prozent. 

Für die Neben-Industrie, als Schwefelsäure u. dergl. 
zahlt der Pächter keine besonderen Abgaben. 

Der Pächter ist befreit von allen gegenwärtigen und 
künftigen Steuern und vom Eingangszoll für alle Maschinen, 
Werkzeuge und Geräthschaften, die für das Unternehmen 
benöthigt werden. Auch zahlt er für die Minenerzeugnisse 
keinen Ausfuhrzoll; jedoch unterliegt die Ausfuhr von 
Erzen der Genehmigung des Finanzministeriums. 

Im Jahre 1885 trat HoUoway jedoch alle seine Rechte 
und Pflichten bezüglich der von ihm gepachteten beiden 
Bergwerke an das Wiener Haus Chaudoir et Co. ab. 

Ende 1886 schickte die serbische Regierung eine 
grosse Fachkommission nach Majdanpek, welche über die 
Thätigkeit des neuen Pächters einen sehr ungünstigen 
Bericht erstattete. In Folge dessen drohte die Regierung 
der Firma Chandoir et Co. mit der Conzessionsentziehung, 
wenn in dem von ihr geführten Betriebe binnen einem 
Jahre keine bedeutende Besserung wahrzunehmen sein 
sollte. 

Im folgenden Jahre soll sich die Unternehmung that- 
sächlich zu einer grösseren Thätigkeit auigera£% und auch 
den Bau einer schmalspurigen Bahn nach Donji Milanovac 
an der Donau begonnen haben. Im Jahre 1889 übernahm 
eine englisch-serbische Q-esellschaft den Betrieb, welche 
bis jetzt gute Resultate erzielt. 

Der Kupfer-Gehalt der Erze in Majdanpek beträgt 
von 3 bis 54 Prozent. 

Ubicini sagt in seinem Werke ^Les Serbes de Turquie" 
(Paris 1867), dass der Kupfergehalt 60 bis 65 Prozent 
betrage. 

Fast in allen vorhandenen Stollen findet man Kupfer- 
adem von ziemlicher Mächtigkeit, nämlich 14 Meter und 
auch mehr. 

Die dortigen Eisenerzlager befinden sich oberhalb der 



— 179 — 

Kupferadem zwischen Kreidekalk und Uebergangsgestein ; 
diese Lager sind bis zu 16 Meter mächtig. 

Majdanpek produzirte im Jahre 1882 noch 200.000 
Kilo Kupfer, hingegen 1883 nur mehr 70.000 Kilo und 
bis zum Jahre 1887 wurde dann gar kein Kupfer mehr 
gewonnen. 

Etwa vier Wegstunden westlich von Majdanpek liegen 
die Minen von Kutschajna, welche Zinkerze (Q-almei), Blei, 
Silber und etwas G-old, nebst Braunkohlen enthalten. 

Vom Jahre 1862 bis 1870 wurden diese Minen von 
einem Banater Montanisten Namens Hoffmann betrieben, 
welcher dieselben an die Londoner Firma Brigth Brothers 
abtrat. Diese erwarb den Pacht der Bergwerke auf 50 
Jahre, gegen einen jährlichen Pachtzins von 5 Prozent des 
geforderten Metallwerthes. Dieser betrug im Jahre 1874: 
14.659 Centner Blei, 4925 Centner Zink, 230 Pfimd Silber 
und 33 Pfund Gold. Bald trat jedoch diese Firma ihre 
B>echte an einen anderen Engländer John Leach ab, 
welcher jedoch in nicht langer Zeit vom Schauplatze seiner 
Thätigkeit vollends verschwand. 

In Folge des daraus entstandenen Prozesses geschah 
durch längere Zeit in Kutschajna gar nichts, bis endlich 
abermals Hoffmann das Bergwerk pachtete und es bis zum 
Ende der Achtziger Jahre wieder in ziemlich guten Betrieb 
gebracht hatte. 

Die Minen von Kutschajna erfreuten sich im Alter- 
thum und im Mittelalter des Bufes des reichsten Berg- 
werkes aller Balkanländer. Im Alterthum stand unweit 
des heutigen Kutschevo die Bergwerkstadt Guduscum. 
Silber und Gold finden sich hier in den Erzen im Verhält- 
nisse von 7,5 zu 1000 und 0,7 zu 1000, welches somit 
ziemlich günstig genannt werden muss. 

Oestlich der Drina enthält die Jagodnja-planina, süd- 
lich des Städtchens Krupanj , Bleierze , welche von den 

Serben schon zur Zeit der Befreiungskriege auf die primi- 

12* 



— 180 — 

tivste Art ausgebeutet wurden, um das nöthtige Blei für 
die Munition zu beschaffen. 

Die nach. Bleierzen suchenden Landleute gehen mittelst 
eines runden, selten mehr als zehn Meter tiefen Schachtes 
auf gut Q-lück auf jene Schichte hinab , wo sich gemengt 
mit braunem Eisenocker und lockerem Sande, Bleierde und 
Bleiglanzstücke von 2 bis 50 Kilo Gewicht vorfinden. Da& 
gefundene Bleierz waschen sie, um die erdigen und sandigen 
Theile so viel als möglich daraus zu entiemen ; worauf sie 
es einschmelzen und das so gewonnene Metall in die Städte 
verkaufen. 

Die jährliche Ausbeute hat sich seit 25 Jahren, in 
Folge des rationelleren Vorganges von circa 1000 Zentner 
auf ungefähr 6000 Zentner vermehrt. 

Seit 1862 liess die Begierung schürfen und förderte 
in zwei Jahren nebenbei an 32,000 Kilo im Allgemeinen 
50 Prozent Blei enthaltende Erze zu Tage. 

Es wurden hierbei Gänge von einer Ausdehnung bis. 
zu 2 Meter derben Erzes vorgefunden. 

Manche dieser, ausser bei der Stadt Krupanj, auch 
noch bei den Dörfern Zajatscha, Boranja und Selance be- 
findlichen Minen sind silberhaltig; es finden sich nämlich 
in den Bleistücken unter 1000 Gewichtstheilen mitunter 
2 bis 5 TheUe Silber. 

Seit 1870 begann die Regierung den Bergbau im Ge- 
biete des Jagodnja-Gebietes regelmässig zu betreiben und 
brachte es dahin, dass seit 1875 der Beinertrag sämmtliche 
Betriebskosten deckt. Es bestehen daselbst Stollen von 
zusammen über 1000 Meter Länge und die Stollen werden 
mit eisernen Hunden auf Schienen befahren. Auch besteht 
in Krupanj ein Flammenofen, welcher jährlich 324.000 Kilo 
Metall schmelzen kann. 

Die Ausbeute an silberarmen Blei belief sich in den 
Achtziger Jahren auf durchschnittlich 150.000 Kilo jähr- 
lich, welches fast ausschliesslich für das Heer verwendet 
wird. 



— 181 — 

Man sagt, dass der Staat die Ausbeutung dieser nicht 
nur Blei, sondern auch Zink und Antimon liefernden 
Minen sehr gerne einer soliden Unternehmung, gegen 
günstige Bedingungen, überlassen wüide. 

Bei Podgorac im Kreise Valjevo befinden sich Erz- 
lager, welche 40 bis 50 Prozent Kupfer und ausserdem Blei 
enthalten, welche noch der Ausbeute harren. Auch giebt 
es dort Lithographiesteine, deren Güte den bekannten 
Solenho&em gleichkommen soll. 

Ausgedehnte Erzlager wurden auch gefunden bei Oube- 
rovci (Blei und Silber), welche zwei Gesellschaften, jedoch 
nur mit sehr geringen Mitteln, ausbeuten; femer bei 
Ealja (der vierten Bahnstation von Belgrad), dann bei 
Bama, Kostajnik, bei Kraljevo; femer Kupferminen bei 
Flaninica, woselbst die serbische Begierung im Jahre 1887 
die Arbeiten beginnen liess, endlich giebt es bei Tanda 
und Gmajka (30 Kilometer von der Donau entfernt) Kupfer 
mit Silber gemischt. 

Kurz in Serbien ruhen noch unermessliche Schätze 
unter der Erde. 

Wie serbische Zeitungen im November 1891 glaub- 
würdig berichteten, ist man im Quecksilber -Bergwerke 
Avala (südlich Belgrad) auf eine starke Ader gestossen, 
welche den Aktionären reichen Nutzen versprach; aber 
.zugleich zeigte sich im Bergwerke Wasser, weshalb schleu- 
nigst Pumpmaschinen, mit dem Lieferungstermine bis Ende 
Deoember 1891, bestellt wurden. 

Das Blei- und Silberbergwerk Ripanj (im östlichen 
Serbien) bearbeitet ebenfalls eine englische Gesellschaft mit 
ziemlichem Erfolge. 

Auch an Stein- und Braunkohlen ist Serbien 
sehr reich. Die ergiebigsten Kohlengruben sind bis jetzt 
jene von Dobra, nahe der Donau zwischen Golubac und 
Donji Milanovac gelegen, und jene der Wrschka Tschuka 
unweit des Timok. Die Ersteren wurden bis jetzt noch 
viel zu wenig ausgenützt; dagegen hat das Kohlenbergwerk 



— 182 — 

"Wrschka Tsohuka, welches die Firma „Serbische Industrie" 
führt, schon gute Resultate erzielt. Im Jahre 1891 ergab 
es bereits 36.000 Tonnen Kohle, die meistens von den 
rumänischen Eisenbahnen abgenommen wird und für das 
Jahr 1892 war mit der rumänischen Eisenbahnverwaltung 
ein Lieferungsvertrag auf 50.000 Tonnen Kohle ab- 
geschlossen. 

Bei diesem Bergwerke sind keine tiefen Schachte 
nöthig. Nach der vorg^iommenen Analyse enthält die Kohle 
von Wrschka Tschuka höchstens 2,5 Prozent Asche; sie 
gehört zu der anthrazitischen Sorte. Diese Kohlen ge- 
hören der Liasbildung an. Bis heute sind daselbst drei 
Flötze bekannt geworden , deren mächtigster 16 Meter 
misst. 

Schwefel enthält diese Kohle nur in sehr geringen 
Qantitäten; überdies kommt er dann nur in KnoUen von 
Schwefelkies vor, so dass er bei der Arbeit ohne viel 
Mühe entfernt werden kann und die Kohle nahezu voll- 
kommen rein vom Schwefel geliefert wird. In dieser Hin- 
sicht gehört diese Kohle zu den reinsten Sorten Europas. 

Dieses Kohlenbergwerk hat eine grosse Zukunft, wenn 
man bedenkt, dass die nahe Donau, deren Dampferverkehr, 
insbesondere nach Beseitigung der Stromhindemisse im 
Eisernen Thore, sich immer mehr steigern wird, ferner die 
bei Tum Severin das Stromufer erreichende rumänische 
Eisenbahn, welche bis in die jüngste Zeit noch Holz als 
Feuerungsmaterial benutzte, einen lebhaften Absatz dieser 
Steinkohle mit Bestimmtheit gewährleisten. 

In früheren Jahren brachten häufig die englischen 
Dampfer, die aus Bumänien und Bulgarien Getreide holten, 
Steinkohlen mit, welche sie an der unteren Donau für 
35 bis 50 Franks per Tonne verkauften; während jetzt die 
vorzüglichste Steinkohle des Wrschka Tschuka'er Kohlen- 
distriktes in Widdin, sammt allen Spesen schon um die 
Hälfbe des obigen Preises erhältlich ist. 

Die belgische „Compagnie industrielle serbe," welche 



— 183 — 

diese Bergwerke von den Conzessionären erwarb, erbaute 
vor sechs Jahren eine schmalspurige Bahn von 85 Kilo- 
meter Länge , welche von Wrschka Tschuka am linken 
Timokufer bis zum serbischen Donauhafen Badujevatz 
fuhrt und somit die Kohlenausfahr ungemein erleichtert. 
Auch in jeder anderen Beziehung arbeitet diese belgische 
Gesellschaft in grossem Massstabe und steigert sich ihr 
Gewinn von Jahr zu Jahr. 

Auch nordöstlich von Tschuprija beim Dorfe Senje 
befinden sich ebenfalls Kohlenlager, von denen bisher die 
Begierung erst einen sehr geringen Theil für die Werk- 
stätten im Arsenal von Kragujevatz und für die Morava- 
Eisenbahn ausgebeutet hat. An einem anderen Funkte 
dieses Kohlengebietes arbeitet eine Berliner Gesellschaft. 
Das ganze Gebiet soll etwa 8000 Hektare umfassen und 
das Kohlenlager ist gegen 36 Meter mächtig. 

In der Nähe der Gruben von Senje befindet sich ein 
ebenso grosses und reiches Kohlengebiet bei Zidilje; in 
derselben Gegend stösst man auch auf reiche Eisen- 
erzlager. 

Ueberdies giebt es noch Steinkohle bei Osipaonica, 
Boljetin und Priljita. 

In den Kreisen Nisch, Alexinatz und Knjaschevatz 
kommen über hundert Meter mächtige Paraffin-Schiefer- 
schichten vor, in denen eine gute Kohle eingelagert ist. 
Dieselbe hält die Mitte zwischen Stein- und Baunkohle, 
ist sehr fett und vorzüglich geeignet zur Gaserzeugung. 

Paraffinschiefer welcher besonders viel Theer enthält, 
findet sich auch im Kreise Valjevo. 

Lager von Braunkohlen giebt es in Serbien an sehr 
vielen Stellen ; so unter Anderem bei Tschuprija, Paratschin 
und Swilajnatz an der Morava, dann in der Nähe der 
Donau bei Badniska, auf der ganzen Poscharevatzer Hoch- 
fläche, insbesondere bei Zabare und Krivatscha östlich von 
öolubac. 

Bei Mischljenovac, Mustapitsch und Kladurovo soll 



— 184 — 

nach Borchgrave ein nahezu 150 Meter mächtiges Lager 
sehr guter Braunkohle vorkommen; der serbische Fach- 
mann Michailovitsch meint jedoch, dass es sich hier um 
sehr gut beschaffene, wirkliche Steinkohle handle. Die 
serbische Begierung hat dort im Jahre 1887 die Schürftings- 
arbeiten begonnen. 

Auch bei Sikola in der Krajina befinden sich bis zu 
14 Meter mächtige Braunkohlenlager; desgleichen wurden 
bei Donji Milanovac, mitten in einer grossen Waldung auf 
zwei Wegstunden vom Donau-Üfer entfernt, Braunkohlen- 
lager entdeckt. 

Bei Tekija gegenüber von Orsova wurden im Jahre 
1866 ebenfalls einige Braunkohlen vorgeAinden. 

Es giebt in Serbien auch an mehreren Orten ausge- 
dehnte Lager von, ziemlich viel Blei (noch 5,5 Prozent) 
und Silber (0,037 Promille) enthaltenden, Schlacken alter 
Schmelzereien. Diese könnten somit gleich den berühmten 
Schlacken von Laurion in Attika mit Gewinn wieder- 
geschmolzen werden. Vorläufig haben sich für dieses 
Unternehmen zwei serbische Gesellschatten gebildet, welche 
jedoch über zu geringe Kapitalien verfügen. 

Aehnliche Bleischlackenlager findet man auch massen- 
haft am Fusse der Budniker Berge und dürften auch solche 
in den Waldungen des Kopaonik-Gebirges vorhanden sein; 
nachdem dort erwiesener Massen im Mittelalter die reich- 
sten und ergiebigsten Silberminen waren und somit auch 
Schmelzöfen bestanden haben mussten. 

Das den Bergbau in Serbien regelnde organische G-e- 
setz vom Jahre 1866 wurde nach dem Muster des öster- 
reichischen Berggesetzes vom Jahre 1854 tmd nach dem 
preussischen vom Jahre 1865 ausgearbeitet. 

Die Bestimmimgen dieses Gesetzes sind för die Unter- 
nehmer sehr günstige und in jeder Beziehung geeignet, 
den Bergbau möglichst zu heben. In keinem andern Staate 
Europas kommt man den montanistischen Unternehmungen 
so freundlich entgegen^ wie in Serbien. 



— 185 — 

Der Vollständigkeit wegen, muss an dieser Stelle auch 
noch erwähnt werden, dass in Serbien ausgezeichnete 
Steingattungen an vielen Orten gebrochen werden. 

So die Sand- und Kalksteinbrüche bei Toptschider, 
welche das Material iiir die grosse Eisenbahnbrüoke bei 
Belgrad geliefert h^bben. 

Ausserdem giebt es nahe der Moravathal-Bahn in den 
Kreisen Jagodina, Tschuprija und Alexinatz, dann unweit 
der Donau bei Donji Milanovac und Dobra, endlich im 
Rudniker, Poscharevatzer und Kragujevatzer-Kreise, sehr 
ergiebige Sandsteinbrüche, welche durchweg, in Folge 
nahegelegener guter Kommunikationen, mit Vortheil aus- 
genutzt werden können. 

Ausgezeichnete Mühlsteine werden bei Osenica und 
Popina im Kruschevatzer Kreise gefunden. 

Lithographiesteine liefert der Kreis Valjevo, auf deren 
reichliches Vorkommen und gute Qualität schon vor etwa 
zehn Jahren der grossbritannische Q-esandte die englischen 
Kapitalisten aufmerksam gemacht hatte. 

Weisser Marmor, welcher an Güte dem Garrara-Marmor 
nahezu gleichkommt, kommt bei Studenica im Ibarthale 
vor ; das gleichnamige Kloster ist ganz aus diesem Marmor 
erbaut. Ueberdies giebt es noch weissen feinkörnigen 
Marmor in der Tschemerna planina, und grobkörnigen längs 
der Drina, dann bei G-olubac an der Donau. 

Bei Batotschina unweit Kragujevac findet man thonigen 
Kalk, der sich zur Herstellung von Gern entkalk vorzüglich 
eignet. Durch die Kragujevatzer Flügelbahn wäre die 
Verführung dieses Produktes eine sehr leichte. 

Buntfarbigen Marmor findet man bei Sopot und Groscha. 
Die in Belgrad und Kraljevo zum Verkaufe ausgestellten, 
aus diesem Marmor verfertigten Gegenstände, als: Säulen, 
Votivtafeln, Grabdenkmäler, Tischchen etc. sind sehr hübsch 
und werden selbst nach Italien versandt. 

Ausser den vorgenannten, besitzt Serbien auch ver- 
schiedene Eruptivgesteine. Von diesen lassen sich einige 



— 186 — 

Trachyt-, Granit- und Tuffgattungen sehr gut bearbeiten 
und liefern ein vorzügliches Material für architektonische 
Bauverzierungen. 

Sowohl die Ausbeutung der serbischen Steinbrüche, 
als auch die künstliche Verarbeitung des gewonnenen 
Materiales hat sich seit etwa 10 Jahren sehr entwickelt. 

Die serbische Industrie steht im allgemeinen noch 
auf niederer Stufe. 

Das Land ist eben ein Agrikulturstaat und der Serbe, 
der übrigens viel Talent für gewerbsmässige Arbeiten be- 
sitzt, scheut sich gewissermassen, den Ackerbau und die 
Viehzucht vollends aufzugeben, wo er sein eigener Herr 
ist. Auch liebt es der Serbe nicht, sich so regelmässig 
zu beschäftigen und dabei so anzustrengen, wie dies die 
Betreibung einer Industrie im westeuropäischen Sinne ab- 
solut mit sich bringt. 

Es giebt wohl Schneider, Schuster, Kürschner, Gerber, 
Töpfer, Grob- und Hufschmiede (meist von Zigeunern aus- 
geübte Handwerke), dann Silberarbeiter und Waffenschmiede, 
welche alle ihr Handwerk meist noch in althergebrachter 
Weise ausüben; auch werden in jedem Hauswesen auf dem 
Lande die Stoffe für Wäsche und Kleidung von den Frauen 
erzeugt und selbst die E^leider verfertigt; aber die Gross- 
industrie und das Kunstgewerbe befinden sich bis heute 
doch fast ausschliesslich in den Händen von Fremden. 

Von Seite der S>egierung geschah schon vieles, um 
unter dem serbischen Volke selbst den Sinn für eine 
höhere Industrie zu wecken und bezügliche Bestrebxmgen 
zu fördern; jedoch ist der erzielte Erfolg noch ein un- 
bedeutender. Der Serbe will eben seine Ersparnisse nicht 
gerne in einer industriellen Unternehmung riskieren, wenn 
ihm der sichere Gewinn nicht im Vorhinein schon voll- 
kommen sicher erscheint. 

Erklärlich wird dieses Misstrauen allerdings , wenn 
man berücksichtigt, dass so viele ausländische Unter- 
nehmungen nach sehr kurzem Bestände in Serbien zu 



— 187 — 

Grunde gegangen sind, wie z. B. die vielen Untemehmungen 
zur Ausbeutung der Bergwerke bei Majdanpek u. m. A. 
Derlei Beispiele können dem naiv denkenden, aber richtig 
rechnenden serbischen Landbewohner gewiss nicht zur 
Aufinunterung dienen! 

Nach der serbischen Q-ewerbeordnung vom 14. August 
1847 und nach der ministeriellen Verordnung vom Jahre 
1867, betreflfend den Kleinhandel, — unterscheidet man in 
Serbien zünftige und freie Gewerbe. Letztere sind für 
jeden serbischen Unterthan frei, die ersteren können jedoch 
nur von Innungen betrieben werden. Zum Betriebe eines 
zünftigen Handwerks ist ein Befähigungsnachweis erforder- 
lich, welcher durch den Lehr- und Gesellenbrief und durch 
die, vor der Zunftvorstehung abgelegte, Meisterprüfung 
erworben werden soll. 

Jede Zunft wählt ihren Stareschina (Aeltesten), welcher 
als Vorsteher die Bücher und die Kasse der Genossen- 
schaft führt, das Zunfbsiegel verwahrt, die Prüfungen zu 
Gesellen und Meistern überwacht und die zwischen den 
Zunftgenossen entstehenden Misshelligkeiten, im Vereine 
mit seinem Stellvertreter und unter Zuziehung eines 
Meisters, schlichtet. Die Regierung sucht seit etwa zwan- 
zig Jahren durch die politischen Behörden auf die Wirk- 
samkeit dieser Genossenschaften einen grösseren Einfluss 
zu gewinnen. 

Die Erzeugnisse der serbischen Hausindustrie, nament- 
lich die Stoffe, Waffen, Schnitzereien, Schmucksachen und 
Töpferwaaren, zeichnen sich in Anbetracht der primitiven 
Werkzeuge dennoch durch ihre überraschend schöne Aus- 
führung aus. Kanitz ist voll der Bewunderung „für den 
freien Formensinn und den dem serbischen Volke ange- 
borenen Rythmus in der Linien- und Farbenanwendung." 

Er sagt unter Anderem: „In reizender Abwechslung 
reihen sich ornamentale Streifen an den Säumen der 
blendend weissen Frauenhemden. Die blauen, westen- 
artigen Brustleibchen, die langen Schürzen und sogar die 



^ 188 — 

Strümpfe zeigen ein Kaleidoskop der wirkungsvollsten 
Figuren und Linienverschlingungen. 

Von der Holzindustrie wären insbesondere die Bött- 
cherei, das Zimmermanns- und Tischlei^ewerbe , welches 
seit zehn Jahren recht erfreuliche Fortschritte macht, — 
dann insbesondere die Holzschnitzerei zu erwähnen. Diese 
Letztere ist im neuen Aufblühen begrifiEen, wie man an 
der inneren Verzierung der neuen Piroter Kirche ersehen 
kann, welche aus sehr schönen Holzschnitzereien nach alt- 
serbischem Muster besteht. Diese Arbeiten haben zwei 
Einwohner von Pirot im Laufe von zwei Jahren um den 
Preis von nur 6000 Dinars geliefert. 

Ackergeräthe wurden bisher beinahe ausschliesslich 
aus Holz verfertigt. Nun hat die Begierung im Beginne 
der Achtziger Jahre, mit Hilfe von staatlichen Geldvor- 
schüssen, eine Fabrik landwirthschafblicher Maschinen und 
Geräthe ins Leben gerufen ; ob sie mit grossem Erfolge 
arbeitet, ist zweifelhaft. 

Die Töpferei wird noch recht primitiv betrieben, des- 
gleichen das Gewerbe der Messerschmiede. 

Kupferschmiede kommen im Lande sehr zahlreich vor. 

Das Seilerhandwerk wird besonders in Vranja und 
Leskovac sehr eifrig betrieben und sind die hier erzeugten 
Seilerwaaren auf der ganzen Balkanhalbinsel vortheilbaft 
bekannt. Es werden jährlich mehr als 1 Million Kilograimn 
Seilerwaaren in die Türkei und nach Bulgarien ausge- 
fährt, welche einen Werth von rund 1,5 Millionen Dinars 
repräsentiren. 

Von allen Zweigen der Lidustrie nimmt jene der 
Schafwoll-Yerarbeitung so ziemlich den ersten Itang ein. 
Die durchschnittliche Jahresproduktion an Bohwolle beträgt 
in Serbien etwa 1,5 Millionen Kilogramm im Werthe von 
beiläufig 3 bis 4 Millionen Dinars. 

Gereinigte Schafwolle kommt selten auf die Märkte, 
da man sie in der Hausindustrie zur Stofferzeugung ver- 
wendet. 



— 189 — 

Mühlen giebt es in Serbien sehr viele, aber meist noch 
von höchst primitiver Constroktion, wie dies schon bei den 
Notizen über den Feldbau gesagt wurde. 

Von den vorerwähnten inländischen Industrieerzeug- 
nissen gelangen, ausser den Seüerwaaren, noch Fassdauben, 
dann verschiedene Sorten Woll- und Leinenstoflfe, und zwar 
vom dicken Teppich bis zum schleierartigen Q-ewebe, — 
zur Ausfahr. 

Die Handtücher und Tischdecken bestehen gewöhnlich 
aus ziemlich grober Leinwand, sind aber an den Kändem 
oft mit ebenso prächtigen, als kostbaren Stickereien ver- 
sehen. Jene von Nisch sind ihres Farbenreichthums wegen^ 
besonders beliebt. 

Die aus bunter Wolle und theilweise auch mit Gold- 
fäden gewobenen Schürzen, eignen sich, ebenso wie die 
Teppiche, besonders zur Wandausschmückimg in Ge- 
mächern. 

Die in Pirot erzeugten Teppiche werden im ganzen 
Orient hochgeschätzt. 

Leider ist das Hauptabsatzgebiet für diese sehr werth- 
voUen Teppiche, durch die sehr hohen bulgarischen Grenz- 
zölle, beinahe verschlossen, infolge dessen auch die Teppich- 
erzeugung im Piroter Kreise leider in sichtlicher Abnahme 
begriffen ist. Von den 2000 Häusern Pirots beschäftigten 
sich etwa 1800 mit der Teppichfabrikation, welche aber 
im Jahre 1886 doch nur ungefähr 1000 Stück Teppiche 
herstellten, die einen Werth von rund 120000 Dinars 
haben. 

Li Trstenik, im Thale der serbischen Morava fertigt 
man auch dichte Wollteppiche nach Art der Smymateppiche, 
deren prächtige Farbenzusammenstellung sie auch nach- 
ahmen. Der Preis ist ein sehr hoher. 

In den Achtziger Jahren veranstaltete König Milan 
in Belgrad eine serbische Teppichausstellung, auf welcher 
das weltbekannte „Magasin du Louvre" in Paris eine sehr 
reichhaltige Sammlung dieser Teppiche angekauft hatte. 



— 190 — 

Die Gold- und Silberstiokerei ist in Serbien ebenfaUs 
sehr hoch entwickelt. In neuester Zeit verwendet man 
diese Stickereien nicht mehr blos für die Nationaltracht, 
sondern man hat nun begonnen, auch für die Ausfuhr be- 
stimmte Dinge zu sticken ; z. B. Gürtel, Mützen, Kragen 
u. dgl. m. 

Die Silberschmiede in Belgrad, Üb, Uschitze, Leskovac 
und namentlich in Nisch verfertigen prächtige Filigran- 
waaren und ähnliche Arbeiten , welche den berühmten 
Prizrender Filigranerzeugnissen in keiner Beziehung nach- 
stehen. Diese sehr geschmackvollen Arbeiten sind auch 
verhältnissmässig sehr billig zu haben. 

Die Zahl der grösseren Industrie- Unternehmungen und 
Fabriken ist noch eine sehr geringe. 

Das Brauerei-Gewerbe weist einen entschiedenen Fort- 
schritt auf. Die grösste und älteste Brauerei ist jene 
Weifert's, eines aus Pancsova in Oesterreich-Ungam 
stammenden naturalisirten Serben. Sie hat Dampfbetrieb 
und befindet sich zwischen Belgrad und Toptschider. Ihr 
Jahreserzeugniss beläufb sich auf etwa 28.500 Hektoliter 
Bier, wovon per Hektoliter eine Verzehrungssteuer von 12 
Dinars an die Staatskasse zu zahlen ist ; weshalb auch das 
Bier in Serbien nicht gerade billig ist, denn der Hektoliter 
wird um rund 37 bis 38 Dinars verkauft. 

In Belgrad besitzt auch noch ein Böhme Johann 
Wrabetz eine Brauerei, die jährlich 3700 Hektoliter Bier 
liefert ; ausserdem hat dieser Unternehmer auch eine 
Malzfabrik errichtet, welche jährlich 600.000 Kilo Malz 
erzeugt 

Andere kleinere Brauereien sind jene des Deutschen 
Johann Appel in Alexinatz, welche jährlich etwas über 
1200 Hektoliter Bier braut und hievon auch einen Theil 
nach Bulgarien und in die Türkei ausführt. 

In Tschatschak ergiebt die Dampfbrauerei des Deut- 
schen Ferdinand Krenn jährlich 1.800 Hektoliter und die 



— 191 — 

Dampfbrauerei des Jooan Vatek (früher Aiohinger) in 
Valjevo jährlich gegen 900 Hektoliter Bier. 

In Jagodina betreibt der Serbe Mihail Kosovl eine 
Brauerei mit einer durchschnittlichen Jahreserzeugimg von 
über 2000 Hektoliter Bier. 

In den letzten zehn Jahren sind noch andere Brauereien 
entstanden, so z: B. in Schabac mit etwa 8000 Hektolitern, 
in Zajetschar mit 1.500 Hektolitern, in Kragujevac mit 
rund 700 Hektolitern und endlich die vom Alexinatzer 
Brauer Johann Appel in Nisch neu gegründete Brauerei 
mit einer jährlichen Produktion von 6.500 Hektoliter Bier. 

Alle zehn Brauereien Serbiens lieferten im Jahre 1887 
rund gegen 50.000 Hektoliter Bier und ausserdem wurden 
noch von Oesterreich-Ungam etwa 2000 Hektoliter ein- 
geführt. 

Sämtliche Brauereien beziehen ihren Hopfen aus 
Böhmen und Bayern, die Gerste wird hingegen im Inlande 
gebaut. 

Dampfmühlen giebt es in Serbien bisher nur vier ; 
und zwar: In Belgrad jene des Böhmen Vschetschka, 
welche jährlich 1 Million Kilo "Weizen und Mais dann etwa 
100.000 Kilo Gerste vermahlt. Mit dieser Fabrik ist auch 
ein Pachthof und eine Spiritusbrennerei verbunden, welche 
jährlich nahezu 2000 Hektoliter 95 gradigen Spiritus er- 
zeugt. 

Zwischen Belgrad und Toptschider befindet sich noch 
eine Dampfinühle, die jährlich gegen 800.000 Kilo Weizen 
und Korn vermahlt. 

Die Dampfinühle in Poscharevatz verarbeitet jährlich 
etwa 1,200000 Kilo Weizen und 150.000 Kilo Roggen. 

Der ehemalige Ministerpräsident Garaschanin besitzet 
bei Grozka die bedeutendste Dampfmühle Serbiens, welche 
eine Maschine von 40 Pferdekräften mit 4 Mühlsteinen 
besitzt; sie mahlte im Jahre 1887 nur 1,800.000 Kilo Ge- 
treide, könnte jedoch das Dreifache leisten. 

Die Tuchfabrikation bildet in Serbien ein Monopol, 



— 192 — 

welches im Jahre 1880 den mährischen Fabrikanten Münch 
und Schumpeter für 15 Jahre zugestanden wurde. Sie er- 
bauten für 1,200.000 Dinars in Paratschin eine Fabrik, 
welche im Jahre 1882 eröffnet wurde. Dieselbe beschäftigt 
30 männliche und über 100 weibliche Arbeiter unter 9 
böhmischen und deutschen Werkfohrem. 

Die Jahreserzeugung beläuft sich auf etwa 150.000 
Meter Tuch und gegen 80.000 Wolldecken. Die Fabrikanten 
zahlen dem Staate für ihr Monopol nicht nur nichts, 
sondern haben auch noch den grossen Vortheil, dass das 
Kriegsministerium alle fiir das Heer bestimmten Tuch- 
^eferungen von dieser Firma beziehen muss. 

In Belgrad giebt es auch zwei Spodiumfabriken, welche 
ihre Erzeugnisse, etwa 150000 Oka, — nach Oesterreich- 
TJngam ausführen« 

In üschitze befindet sich seit 1880 eine Lederfabrik 
mit hydraulischen Maschinen. 

Im Jahre 1883 wurde auch in Jagodina eine Loh- 
gerberei mit Fabriksbetrieb errichtet. 

Cementfabriken giebt es seit 1883 je eine in Bipcmj 
dann eine zwischen Nisch und Alexinatz. 

Mit der Essigerzeugung ist es im Lande noch sehr 
sehr schlecht bestellt; man bereitet ihn noch immer auf 
die primitivste Weise, weshalb er auch von sehr geringer 
Beschaffenheit ist. 

In ganz Serbien existirt nur eine unbedeutende Glas- 
fabrik, welche im Jahre etwa 100.000 Stück ganz hübsche 
Glasgegenstände erzfeugt; jedoch in keiner Weise mit 
den sehr billig eingeführten Glaswaaren aus Oesterreich- 
Ungam konkurriren kann. Auch die Ausfahr nach Ru- 
mänien und Bulgarien ist, wegen der äusserst hohen Zölle 
unmöglich gemacht. 

Das grösste industrielle Etabhssement des Landes ist 
unstreitig das Arsenal und die Waffenfabrik in 
Kragujevatz. Die dortigen Werkstätten wurden vom 
Fürsten Alexander Karadjordjevitsch im Anfang der Vier- 



— 193 — 

ziger Jahre gegründet, wozu man ausländische Arbeiter in 
das Land berief; so war der erste Kanonengiesser ein 
Lütticher und hiess Loubis. 

Diese Werkstätten umfassen, ausser einer Feuerwerkerei, 
eine Kanonengiesserei, eine Fabrik tür Lafetten und sonstige 
militärische Fuhrwerke, femer eine Metallpatronen-Fabrik, 
ein Artillerielager und eine Werkstätte zur Ausbesserung 
und Umänderung der Armeegewehre, 

Es giebt daselbst 4 Dampfmaschinen mit 80 Pferde- 
kräften, 2 Cubilots zum zweitmaligen Giessen, einen Dampf- 
hammer, etliche 20 Dampfschmieden, eine Maschine zum 
Ziehen der Q-ewehrläufe, zwei solche zum Ziehen der Ka- 
nonenrohre u, s. w. 

Die Zahl der ständigen Arbeiter beträgt nie unter 350 
Mann; überdies werden auch Arbeiten nach Hause mitge- 
geben. 

In Stragari bei ßudnik besteht eine militärische Pulver- 
fabrik, die jährlich 1 00.000 Eölo Pulver liefern kann. Die- 
selbe wurde Ende der Achtziger Jahre bedeutend ver- 
grössert, auch war damals die Errichtung einer noch 
grösseren Pulverfabrik in Kruschevac in Aussicht ge- 
nommen. 

In Belgrad wurde eine Zündhölzchen-Fabrik mit sieben- 
jähriger Gonzessionsdauer errichtet, welche damals das so- 
fortige Sinken der von den österreichisch -ungarischen 
Händlern geforderten Zündhölzchenpreise von 29 fl auf 
19 fl Oestr. Whg. zur Folge hatte. In Folge dessen 
konnte sich die serbische Fabrik unmöglich halten. Vor 
einigen Jahren soll ein Belgier die Absicht gehabt haben, 
dennoch wieder eine Zündhölzchen-Fabrik in Belgrad zu 
errichten. 

Im Jahre 1879 gab es in Belgrad auch 5 Spielkarten- 
Fabriken, welche jedoch die Eegierung, in der besten Ab- 
sicht, sehr hoch besteuerte, nämlich mit 12 Dinars per 
Dutzend Spielkarten. In Folge dessen hatten bis zum 
Jahre 1887 vier dieser Fabriken den Betrieb wieder ein- 

Anton Tama, Serbien. 13 



— 194 — 

gestellt nnd die noch bestehende eine Fabrik hat ihre 
Thätigkeit sehr vermindert. 

Bezüglich der Tabakserzeugnisse, dann der Zigarren- 
beziehungsweise Zigaretten-Fabrikation ist nur zn erwähnen, 
dass in Serbien seit acht Jahren das Tabak-Monopol ein- 
gefährt ist, dessen Betrieb verpachtet wird. In Serbien 
wird ungewöhnlich viel geraucht und zwar hauptsächlich 
Cigaretten, Vor Einführung des Monopols gab es in Ser- 
bien etwa 3000 Hektar Tabakfelder mit einem durch- 
schnittlichen Ertrage von je 400 Kilogramm. Die Tabak- 
kultur wxurde besonders in den Kreisen Alexinatz, Yranja, 
Tschatschak, Kruschevac, Toplica und in Uschitze betrie- 
ben. Die besten G-attungen wachsen, — wie schon firüher 
berichtet wurde, in der Umgebung von Bajina baschta 
(Kreis Uschitze) und bei Alexinatz. 

Vor der Einführung des Monopols, soll sich der Ge- 
samtwert des jährlich in Serbien produzierten Tabaks auf 
3 bis 4 Millionen Dinars belaufen haben. 

In Belgrad allein hatte man im Jahre 1882 ungefähr 
65.000 Kilogramm Tabak verraucht, davon waren 9000 
Kilogramm zur Erzeugung von rund 10 Millionen Cigaret- 
ten verwendet worden. Im Jahre 1883 gab es in Belgrad 
allein HO Tabakhändler, von denen die meisten auch Zi- 
garetten anfertigten. 

Das G-esetz zur Hebung der Industrie in Serbien, 
welches am 12. Januar 1874 erlassen wurde, hatte den Zweck 
behufii rascherer Herstellung der Industrie in Serbien den 
Unternehmern, gleichviel ob Gesellschaften oder Privat- 
personen, ganz besondere Begünstigungen in Aussicht zu 
stellen. 

So kann beispielsweise eine industrielle Unternehmung 
ein fünfzehnjähriges Ausbeutungsmonopol erlangen. Die 
Einfuhr von Maschinen, Werkzeugen und aller zur Ein- 
richtung des Industrie-Etablissements nöthigen Gegenstände 
sind vom EinfiihrzoU befreit. Auch die Ausfahr ganz oder 
nur theilweise bearbeiteter Erzeugnisse aus serbischen In- 



— 195 — 

dustrie-Etablissements, kann unter Umständen vom Aus*- 
fuhrzoU befreit werden. 

Diese Ausnahmen und ebenso die Befreiung von allen 
direkten Steuern können nur auf zehn Jahre bewilligt 
werden. 

Hieraus geht klar hervor, dass die serbische Regie- 
rung fremde Unternehmer auf das kräftigste zu unter- 
stützen gesonnen ist. 

Der Handel wurde zur Zeit des serbischen Kaiser- 
reichs hauptsächlich durch Vermittlung von venetianischen 
xmd ragusanischen Faktoreien betrieben und richtete sich 
der Handelszug nach den Seestädten Ragusa und Salonik. 
Schon im Jahre 1185 hatte Nemanja mit Ragusa einen 
Vertrag abgeschlossen, welcher dieser Republik freien 
Handel mit dem serbischen Hinterlande zusicherte. Im 
15. und IG. Jahrhundert gab es grosse Handelsfaktoreien 
in Belgrad, Sarajevo, Novibazar, Prokuplje u. s w. und es 
wurde ein lebhafter Handel mit Landeserzeugnissen, wie: 
Edelmetallen, Kupfer, Blei, Eisen, Pelzwerk, Wachs etc., 
gegen die eingeführten Erzeugnisse einer höher entwickel- 
ten Industrie, — betrieben. 

Nach der Eroberung durch die Türken, flohen die 
Christen aus den Städten und bebauten die Felder der 
türkischen Spahis, während diese in den Städten ihr Ein- 
kommen verzehrten. Nun gingen die Handwerke in die 
Hände muhamedanischer Gewerbsleute über und der Han- 
del wurde theils von den Muhamedanem, theils von Ar- 
meniern und Ghriechen geradezu monopolisirt. Der Reisende 
Brown versichert, dass es noch im 17. Jahrhundert in 
Serbien einige blühende Handelsstädte gegeben habe. — 
In Folge der Kriege zwischen der Türkei einerseits und 
Oesterreich und Russland andererseits verfielen im 18. 
Jahrhundert sowohl die Industrie als der Handel immer 
mehr, so dass es am Ende der serbischen Freiheitskämpfe 
im Lande nur ein verarmtes Volk von Bauern gab, wel- 
ches kaum einige primitive Gewerbe und nur einen ganz 

18* 



— 196 — 

xinbedeatendezi Binnenhandel fährte. Fürst Milosch be- 
trieb eifrigst die Verbesserung der stark vernachlässigten 
Verkehrswege, legte Städte und Marktflecken an, gründete 
eine Handels- und Gewerbeschule in Belgrad und erklärte 
die Handelsfreiheit im ganzen Lande, mit nur gering- 
fügigen Beschränkungen, als ein Becht der Nation. 

Die verschiedenen diesbezüglichen Gesetze enthalten 
nach Tkalac im kurzen Auszuge folgende Bestimmungen: 

Jeder Serbe ist berechtigt Handel zu treiben. Die 
Ausübung dieses Hechtes ist jedoch, hinsichtlich der ein- 
zelnen Handelsartikel, an die Erfüllung verschiedener ge- 
setzlicher Bedingungen gebunden. 

Der Handel mit Vieh und allen Naturprodukten des 
Landes ist frei und kann somit von jedem Mitgliede einer 
serbischen Gemeinde an jedem Punkte des Landes ausge- 
übt werden. 

Der Handel mit Lebensmitteln, Manufaktur-, Töpfer- 
und Colonialwaaren wurde früher von geschlossenen Innun- 
gen betrieben, in welche der Eintritt nur mit behördlicher 
Bewilligung und nach Beibringung eines von der Innung 
bestätigten Befähigungsnachweises gestattet war. Ansge- 
nonmien von dieser Beschränkung waren nur solche Land- 
krämer, deren Waarenlager keinen höheren Werth als 350 
Dinars hatte. Der Stadtkaufmann konnte den Befähigungs- 
nachweis auch durch die Vorlage von Zeugnissen, über 
den erfolgreichen Besuch der Handels- und Gewerbeschule 
oder einer Kealschule und die hierauf erfolgte Dienstleistung 
in einem Handlungshause der Innung, beibringen. Die 
auf diese Weise erlangte Handelsgerechtigkeit ermächtigte 
einen solchen Kaufmann nicht nur im eigenen Wohnorte,, 
sondern auch an anderen Plätzen Serbiens, — nach vor- 
heriger Anmeldung bei der Behörde, — o£Pene Verkaufs- 
läden zu halten, |in- und ausländische Waaren jeder Art 
zu verkaufen und überdies auch freien Handel mit den 
Produkten des Landes zu treiben. 

Ausländem ist der Handelsbetrieb in Serbien inner-* 






_ 197 — 

halb jener Grenzen gestattet, welche durch die Staatsver- 
träge gezogen sind. 

Jeder Handelsmann und Agent muss im Amtsblatte 
„Srpske novine" seinen Wohnort und die Art seines Ge- 
schäftes anzeigen und dem Handelsgericht sein Haupt- 
buch und Journal vorlegen, dessen Vorsitzender die sämmt- 
liehen Blätter desselben mit einer Schnur durchzieht, die 
er an den Enden mit dem Amtssiegel befestigt. 

Das Wechselgesetz ist sehr streng. Wenn der Kauf- 
mann seinen Wechsel 24 Stunden nach dem Verfallstage 
nicht einlöst, so wird er auf Protest des Gläubigers in 
Konkurs versetzt, sein Waarenlager versiegelt und behörd- 
lich versteigert. 

In 21 Städten (den früheren Kreishauptorten) finden 
jährlich 34 Märkte und Messen in einer Gesammtdauer 
von 124 Tagen statt. 

In allen andern Stadtgemeinden werden noch 79 
Märkte; in einer Dauer von insgesammt 249 Tagen, ab- 
gehalten. 

Als Handelsplätze für den Auslandsverkehr dienen 
hauptsächlich die Häfen an der Donau und Save. Diese 
sind an der Donau: Smederevo, Kladovo, Dubrovica, Po- 
scharevac, Donji Milanovac, Veliko Gradischte und Badu- 
jevac; hingegen an der Save: Belgrad, Obrenovac und 
Schabac. 

An der trockenen Grenze vermitteln die Städte Pirot 
und Vranja den Handel nach Bulgarien und Altserbien, 
beziehungsweise Makedonien. 

Nach dem Sandschak Novibazar geht der Handel 
hauptsächlich über Baschka (eine Stunde nördlich der Stadt 
Novibazar) und nach Bosnien über Loznica an der Drina. 

lieber die Ausfuhrartikel wurde schon bei der Be- 
sprechung der Bodenkultur und der Industrie ausführlich 
berichtet. 

Es ist begreiflich, dass die Produkte der in Serbien 
mit besonderer Vorliebe betriebenen Viehzucht bei der 



— 198 — 

Ausfuhr eine ausschlaggebende Rolle spielen. Es werden 
daher EohwoUe, Felle, Thierhäute und Haare, dann selbst- 
verständlich auch lebendes Yieh in grosser Menge aus- 
geführt. 

Aus den vielen Eichenwaldungen des Landes gelangen 
Fassdauben und Galläpfel, erstere besonders nach Frank- 
reich und Ungarn zur Ausfuhr. 

Einen genauen üeberblick über die serbische Handels- 
bewegung giebt die tabellarische Uebersicht, welche G-op- 
cevic in seinem Werke „Serbien und die Serben", — theils 
auf Grund von offiziellen serbischen Angaben, theils nach 
den von Borchgrave veröflfentlichten Daten, — verfasst 
hat. 

Ueber die Provenienz der Einfuhrprodukte kann man 
im Allgemeinen sagen, dass Serbien, — noch vor Eröff- 
nung der hochwichtigen Bahnlinien nach Salonik imd nach 
Konstantinopel, — von Wien meist Luxusgegenstände, von 
Budapest Eisenwaaren und Glasscheiben, von Schlesien 
Leinwand, von Böhmen und Mähren Tuch, von Triest 
Colonialwaaren, Kautschuk und Metallgegenstände bezog. 
Seit Eröffiiung der obenerwähnten durchgehenden Bahn- 
linien, insbesondere durch jene nach Salonik, hat sich das 
Handelsverliältnis Serbiens zu den übrigen Staaten Euro- 
pas jedenfalls gründlich geändert. 

Ueber den Handelsverkehr bestehen in Serbien seit 
dem Jahre 1842 offizielle Veröffentlichungen. Man ersieht 
daraus, dass derselbe im Laufe der Zeit ununterbrochen 
zugenommen hat, nur die Kriegsjahre 1876 bis 1878 dann 
1885 führten eine momentane Stockung herbei. Im Jahre 
1842 repräsentirte der gesammte Handelsverkehr Serbiens 
noch die bescheidene Werthsumme von 13,500.000 Dinars 
im Jahre 1850 hatte sie sich schon verdoppelt und betrag 
26,500.000 D., im Jahre 1856 — 33,000.000 D., 1865 be- 
trug sie 62,300.000 D. sodann war sie im Jahre 1875 auf 
58,000.000 D, — im Jahre 1876 auf nur 32,000.000 D. ge- 
sunken; betrug jedoch 1877 wieder 48,000,000, — 1878 — 



— 199 — 

67,000.000, 1879 — 86,000.000, 1884 — 91,600.000 D., im 
Kriegsjalir 1885 nur 78,000.000 D. und 1886 wieder mehr 
als 91,000.000 Dinars. 

Hiervon entfielen vom Jahre 1880 bis 1886 auf den 
Aussenhandel mit Oesterreich-XJngam durchschnittlich 65 
bis 68 Millionen Dinars. 

Nachher folgt Deutschlands serbischer Handel mit 6 
Millionen D. im Jahre 1880, — 3,5 Millionen D. im Jahre 
1885 und etwas über 4 Millionen D. im Jahre 1886. 

Serbien hat mit den fremden Mächten, nach seiner im 
Jahre 1878 erlangten Unabhängigkeit, Handelsverträge ab- 
geschlossen. Zuerst wurden 1880 mit England, dann von 
1880 bis 1884 nacheinander mit Italien, der Schweiz, Bel- 
gien Handelsverträge abgeschlossen. Alle diese waren 
Meistbegünstigungsverträge und räumten Serbien das Itecht 
ein, Zölle in der Höhe von 8 bis 10 Prozent ad vaJorem 
von den fremden Einfuhrsartikeln zu erheben; auch waren 
die fremden Händler bei Streitigkeiten der Entscheidung 
der serbischen Gerichtshöfe unterworfen. 

Mit Oesterreich-Ungam dauerten die Verhandlungen 
mit Rücksicht auf die seit dem Poscharevatzer Frieden 
im Jahre 1718 bestandenen innigen Yerkehrsbeziehungen, 
länger. Im Jahre 1881 wurde auch dieser Handelsvertrag 
perfekt, welcher Oesterreich- Ungarn speziell im Grenz- 
verkehre besondere Vortheile einräumte; auch sollte für 
gewisse Waaren an der serbischen Grenze nur der halbe 
Eingangszoll entrichtet werden. Dafür wurde auch der 
serbische Ausfuhrhandel, besonders von Pflaumen und 
Schweinen, nach Oesterreich-Ungarn eigens begünstigt. 

Die Vereinigten Staaten schlössen 1881 und Griechen- 
land 1882 mit Serbien einen tarif losen Handelsvertrag auf 
Grundlage des meistbegünstigten Staates. Aehnliche 
Handelsverträge wurden 1883 auch mit Deutschland und 
Frankreich abgeschlossen. 

Vorläufig ist somit Serbien, ebenso wie früher, von 
Oesterreich-Üngam am meisten abhängig und es wird sich 



— 200 — 

zeigen, in wiefern der nunmehrige Verkehr auf den durch- 
laufenden Orientbahnen nach Konstantinopel und insbe- 
sondere nach Salonik hieran etwas ändern wird. 

Alle vorstehenden Handelsverträge waren auf zehn 
Jahre abgeschlossen; ihre Giltigkeitsdauer lief daher zwi- 
schen dem Jahre 1891 und 1893 ab. 

Ueber den Standpunkt, welchen die serbischen Handels- 
politiker hinsichtlich des Abschlusses neuer Handelsver- 
träge einnahmen, giebt ein wohlinformirter Leitartikel 
in der „Münchener Allgemeinen Zeitung^ vom 24. Juli 
1891 folgende Aufschlüsse: 

„Im nächsten Jahre (1892) läuft die Mehrzahl der 
Handelsverträge ab, welche Serbien mit den verschiedenen 
Staaten vor einem Dezennium abgeschlossen hat. Damals 
befand sich Serbien in der ersten Jugendzeit seiner vollen 
Unabhängigkeit; es hatte die Freiheit gewonnen, gänzlich 
unabhängig seine Handelsbeziehungen ordnen zu können, 
musste sich jedoch dem Zwange des Berliner Vertrages 
fügen und in beschleunigter Weise eine kostspielige Bahn 
bauen, die längere Zeit hindurch keinen vollständigen An- 
schluss hatte. Dadurch war Serbien gezwungen Schulden 
zu machen und musste somit eine Verbindung mit den 
europäischen Geldmärkten eingehen. Als Unterpfand für 
die ersten grossen Anlehen wurden die Eingangs- und 
Ausfuhrzölle gegeben. Es hat somit das eigentliche innere 
Staatsbedürfniss aus dem Ertrage der Zölle keine Zuschüsse 
erhalten, weil jener auf die Abtragung der Staatsschulden 
herbeigezogen werden musste. Diesen Umstand legt man 
in Serbien dem durch die ersten zehnjährigen Handels- 
verträge geschaffenen Zollsysteme zur Last. 

Als die ersten Handelsverträge abgeschlossen wurden, 
konnte man die neuere handelspolitische, industrielle und 
landwirthschaftliche Entwicklung Serbiens noch nicht be- 
urtheilen, es war Alles im Werden und Q-ähren ; jetzt erst 
nach einem Dezennium kann man Mängel und Vortheile 
des damals abgeschlossenen, nunmehr ablaufenden Handels-» 



— 201 — 

Vertrages erkennen. Das Handelssystem Serbiens vom 
Jahre 1880 bis in die neueste Zeit war eine blosse Fort- 
setzung des früher üblichen, wie es aus der türkischen 
Zeit überkommen war. Der WerthzoU ist die Basis, ob- 
wohl daneben noch ein autonomer und vertragsmässig ge- 
bundener Spezialtarif besteht, wobei es dem Importeur 
freisteht, zwischen Werthzoll oder Tarifzoll zu wählen. In 
den meisten Fällen kommt der Werthzoll zur Anwendung, 
da derselbe für eine grosse Zahl von Waaren günstiger 
ist, als der TarifzolL 

Die Klagen der betheiligten kaufmännischen, industri- 
ellen und landwirthschaftlichen Kreise Serbiens über die 
zu Ende gehenden Handelsverträge, besonders über jenen 
mit Oesterreich-rngam abgeschlossenen, sind je nach dem 
Interessen-Standpunkte sehr verschieden. Die Industrie 
beklagt sich über die grosse Conkurrenz, die ihr durch die 
ausländischen Waaren bereitet werde und den [Rückgang 
aller Gewerbe herbeiführe; man schiebt die Schuld aut 
den Handelsvertrag, der die Einfuhr fremder Industrie- 
Erzeugnisse begünstige und verlangt einen höheren Zoll- 
schutz. 

Die serbischen Gewerbetreibenden bedenken jedoch 
nicht, dass der bis zum Jahre 1892 giltige Zoll auf 
industrielle Erzeugnisse 15 bis 20 Prozent des Werthes 
betrug, während vor dem Abschluss der ersten zehnjährigen 
Handelsverträge mit Oesterreich-Üngam und Deutschland 
nur 3 bis 5 Prozent vom Werthe entrichtet wurden. 
Dennoch weisen die Gewerbetreibenden Serbiens auf die 
damalige Zeit als eine glückliche hin, in welcher das Ge- 
werbe blühte und ertragreich war. Der Schutz des Ge- 
werbes in jener Zeit bestand aber in der Isolirtheit des 
Landes in Folge mangelhafter Verkehrswege. 

Durch fünf Monate war oftmals Serbien, wenn die 
Schiffahrt eingestellt wurde, vom Verkehre für grössere 
Gütermengen abgeschnitten und der Frachtsatz war im 
Allgemeinen sehr hoch. Seitdem Serbien in den Kreis des 



— 202 — 

internationalen Eisenbahnnetzes eingetreten, ist die Schutz- 
mauer, weiche die mangelhaften Wege für das serbische 
Gewerbe bildeten, gefallen und die hohen Zölle können 
dagegen keine Abhilfe schaffen, ohne dem Lande in anderer 
Eiichtnng zu schaden. 

Kein Staat wird die Einfuhr serbischer landwirth- 
schaftHcher Erzeugnisse begünstigen , wenn nicht Gegen- 
konzessionen zu Gunsten der Einfuhr industrieller Produkte 
nach Serbien gewährt werden. Das serbische Gewerbe 
muss mit der allgemeinen industriellen Entwicklung Europas 
rechnen, sich derselben anpassen und von dem kleinen Ge- 
werbebetrieb zum Fabriksbetrieb in jenen Zweigen über- 
gehen, die sich für Serbien eignen. 

Bei den im September 189! zwischen Serbien und 
Oesterreich-Ungam, dann Deutschland begonnenen Handels- 
vertragsverhandlungen mussten naturgemäss auch die Be- 
schwerden, welche die serbische Landwirthschaft, besonders 
die Viehzüchter, gegen den früheren Handelsvertrag er- 
hoben hatten, eine bemerkenswerthe Rolle spielen. 

So sehr man sich in Serbien von dem wirthschaftlichen 
Einflüsse Oesterreich-Ungams befreien möchte, so sind doch 
die geographischen Verhältnisse so zwingender Natur, dass 
man denselben, wenn auch ungeme, Bechnung tragen muss. 

Die Gründe, weshalb man sich von Oesterreich-Ungam 
wirthschaftlich völlig befreien möchte, sind für das heutige 
Serbien zum grössten Theile politischer Natur. 

Die geographische Lage Serbiens gebietet jedoch die 
Anlehnung an den nächsten nordwestlichen Nachbar; nicht 
blos weil Oesterreich-Ungarn der grösste Consument ser- 
bischer Produkte ist, sondern weil durch dieses Beich die 
Strasse zu einem ebenfalls grossen Markte für die Erzeug- 
nisse der serbischen Landwirthschaft, — nach Deutschland 
— fuhrt. 

Diese handelspolitisch-geographischen Verhältnisse sind 
fiir Serbien noch bedeutsamer geworden durch die Verein* 
bamng eines neuen Handelsvertrages zwischen dem Deut- 



— 203 — 

sehen Beiclie und Oesterreich-Ungam. Dieses neue mittel- 
europäische Handelsbündniss versetzt besonders die kleineren 
Staaten, wie die Schweiz, Holland, Belgien, somit auch 
Serbien und Bumänien in eine Art Zwangslage; entweder 
müssen sie sich diesem Handelsbunde anschliessen und den 
Prinzipien desselben Conzessionen machen, oder sie müssen 
sich mit demselben in Gegensatz, somit in einen Kampf- 
zustand setzen, was sehr bedenklich wäre. 

Es erhoben sich auch schon Stimmen in der serbischen 
Presse, welche es als im Interesse Serbiens gelegen 
erachten , sich dem mitteleuropäischen Handelsvertrage, 
Deutschland und Oesterreich-IjDgam , — cmzuschliessen, 
weil nicht nur die geographische Lage, sondern auch der 
Nutzen Serbiens darauf hinweise; auch seien die Hoff- 
nungen trügerisch, welche man auf die Eröffiiung neuer 
Absatzwege über Salonik und auf eine Belebung des 
Handels mit Bussland setze. Auf diese Hoffiiungen hin 
sich in einen wirthschaftlichen Kampf nicht allein mit 
Oesterreich-Ungam, sondern auch mit Deutschland einzu- 
lassen, wäre sehr gefährlich und würde zu einer Niederlage 
Serbiens führen. Des Letzteren Interesse verlangt vor 
allem , dass seine landwirthschaftlichen Produkte , insbe- 
sondere jene der Viehzucht einen möglichst leichten Absatz 
in Oesterreich-TTngam und Deutschland finden. Darauf 
müsse bei den folgenden Verhandlungen *) über den neuen 
Handelsvertrag seitens Serbiens in erster Linie gesöhen 
werden." 

üeber denselben Gegenstand erschien ebenfalls in der 
Münchner Allgemeinen Zeitung (vom 2. Oktober 1891) eine 
sehr interessante Kundgebung, welche nicht in einem 
strengen Schutzzollsysteme das Heil der serbischen In- 
dustrie erblickt, sondern in angestrengter geistiger und 
materieller Arbeit. Es ist dies eine Bede, welche der 



*) Der neueste Handelsvertrag zwischen Oesterreich-Ungam 
und Serbien wurde im Jahre 1892 abgeschlossen. 



— 204 — 

Rektor der Belgrader Hochschule Professor S. M. Loza- 
nitsoh (jetziger Minister) im Jahre 1891 am Sveti-Sava-F^ste 
vor der Studentenschatt gehalten hatte. 

Professor Lozanitsch sagt : „Die Natur bietet in Serbien 
grosse Reichthümer und dennoch ist die Volkswirthschaft 
Serbiens im Defizit. 

Die Ursache dieser Erscheinung ist die zu schwache 
Benutzung der vorhandenen Naturprodukte. In Serbien 
ist fast ausschliesslich die Landwirthschaft die Quelle der 
Rohprodukte, aber dieses allein genügt nicht, um die Be- 
dürfnisse eines Volkes zu decken, welches das heutige 
Culturleben fuhren will. Dazu ist die Hilfe der Industrie 
nöthig. Serbien besitzt zwar eine Industrie, doch entspricht 
diese nicht ihrem Berufe und hierin liegt die Ursache des 
Defizites in der Volkswirthschaft des Landes. 

So lange das serbische Volksleben primitiv war, ge- 
nügte die serbische Gewerbeindustrie, um die bescheidenen 
Bedürfnisse zu befriedigen; doch heute, wo eine andere 
Lebensweise im ganzen Volke sich bemerkbar macht, ge- 
nügt das gegenwärtige heimische Gewerbe Serbiens nicht 
mehr. 

In Serbien, — sagt Professor Lozanitsch weiter, — 
besteht vornehmlich noch das Kleingewerbe, welches zu- 
meist mit der menschlichen Arbeitskraft produzirt und 
deshalb schwer mit der ausländischen Fabrikindustrie, die 
sich * der Maschinenkrafb bedient, — konkurriren kann ; des- 
halb gewinnen die fremden Fabrikate in Serbien auch 
immer mehr Absatz gegenüber den heimischen Gewerbe- 
erzeugnissen. 

Nicht nur in die Städte, auch schon in die Dörfer 
sind die ausländischen Fabrikserzeugnisse eingedrungen, 
wogegen sich nun zahlreiche Stimmen erhoben hatten^ 
damit aus patriotischen Gründen diesem Eindringen fremder 
Industrie-Erzeugnisse Einhalt gethan werde. 

Professor Lozanitsch betrachtet jedoch dieses Mittel 
nicht als das richtige; er sagt, dass Serbien schon lange 



— 205 — 

diese Schutzmassregeln ergriffen habe, doch wurde hiednrch 
weder die Einfuhr fremder Erzeugnisse vermindert, noch 
die einheimische öewerbeindustrie gehoben. Tiotz aller 
Schutzmassregeln und Anrufung des Patriotismus ist die 
Einfuhr fremder Industrie-Erzeugnisse gewachsen und das 
serbische Gewerbe zurückgegangen. Lozanitsch sagt weiter : 
,,Das Schutzzollsystem kann nur dann von Erfolg gekrönt 
sein, wenn es etwas zu schützen giebt, und es ist nur in 
jenem Falle erlaubt, wenn es als Mittel zur Hebung der 
Industrie wirklich dient. Ueberlebte, und dem jetzigen 
Zeitalter nicht entsprechende Einrichtungen zu schützen, 
hat weder einen richtigen Zweck, noch kann es von Erfolg 
sein. In einem solchen Zustande befindet sich unsere Ge- 
werbeindustrie. Unser Gewerbe ist' so schwach gegen die 
grosse Weltindustrie, dass wir dasselbe durch die höchsten 
Schutzmassregeln (Schutzzölle) nicht beschützen können. 
Deshalb müssen wir zu denselben Waffen greifen wie das 
Ausland; diese Waffe aber ist die Grossindustrie, in 
welcher allein die ökonomische Errettung Serbiens zu er- 
blicken ist.*^ 

Die Anfänge zu einer serbischen Grossindustrie, sind 
schon gemacht, wie wir in den vorgehenden Blättern nach- 
gewiesen haben. Es ist noch nicht so lange her, dass 
feines Mehl und Bier für den serbischen Bedarf zum 
grössten Theile vom Auslande bezogen wurde ; jetzt werden 
diese Artikel in gut eingerichteten Mühlen und Brauereien 
im Lande erzeugt, und zwar in einer Quantität, dass 
diese Etablissements schon nach dem Auslande exportiren. 
Serbisches Mehl ist in Makedonien , besonders auf dem 
Markte von Salonik, sehr geschätzt; auch serbisches Bier 
wird schon nach der Türkei ausgeführt. Die serbischen 
Fabriken für Glas, Tuch, Zündhölzchen, Spiritus, Leder, 
Eolzwaaren und Cement haben zwar die Einfuhr dieser 
Gegenstände nach Serbien noch nicht vollständig gehemmt, 
aber doch einigermassen vermindert. 

Es ist eiue eigenthümliche Erscheinung, welch grosses 



— 206 — 

Gewicht man in Serbien auf das Handwerk legt und dass 
man demselben einen so bedeutenden, sogar übertriebenen 
Schutz angedeihen lässt. Es scheint diess daraus zu ent- 
springen, dass es gewissermassen mit dem Volke ver- 
wachsen, eine Volkseinrichtung ist. Andererseits wird den 
Anfangen der Grossindustrie mit einem gewissen Miss- 
trauen begegnet, besonders, wenn sich die betreflfenden 
Unternehmungen in den Händen von Ausländem befinden. 
So sind die Serben ziemlich gleichgiltig gegen die Erfolge 
der Kohlen-Industrie von Wrschka Tschuka im Timok- 
Thale, welche grosse Mengen von Steinkohle ausfuhrt und 
in welcher bei 6 Millionen Franks Kapital angelegt sind. 
Der englisch-serbischen Bergwerksgesellschaft in Majdanpek 
gegenüber zeigt sich in Serbien sogar eine gewisse Eifer- 
sucht, obwohl es der Gesellschaft viel Geld und Mühe ge- 
kostet hatte, bis sie die heutigen (Ende 1891) grossen 
Erfolge erreichte. 

Das serbische Volk ist gleichgiltig oder richtiger ge- 
sagt „misstrauisch" gegen grosse industrielle Untemeh- 
Dvungen, betheiligt sich nur selten an solchen, obwohl die- 
selben guten Gewinn einbringen. Dagegen begeistern sich 
die Serben für die Piroter Teppiche, die Silber-Filigran- 
arbeiten aus Nisch und andere Handarbeiten, obwohl den 
Arbeitern ihre Thätigkeit sehr schlecht bezahlt wird; so 
z, B. verdient die geschickteste Weberin bei der Erzeugung 
der schönen und theuem Piroter Teppiche nur 30 bis 40 
Para (Centimes), somit nicht einmal einen halben Frank 
täglich. 

Diese Vorliebe für ein altnationales Gewerbe beruht 
jedenfalls in dem Gefühle des Patriotismus, doch zeigt die 
einfachste Rechnung, dass diese Industrie dem Wohlstande 
des Volkes keinen grossen Nutzen bringt. Es besteht in 
Serbien eine gewisse Furcht, dass die Grossindustrie das 
einheimische kleine Gewerbe bedrohe, doch diese Gefahr 
besteht auch bei der Einftihr ausländischer Industrieerzeug- 
nisse. Es hat sich aber auch gezeigt, dass einzelne Ge- 



J 



— 207 - 

werbe sich an der Seite der Grossindustrie besser ent- 
wickeln, und dass neue Gewerbe entstehen, — wie dies 
deutlich seit dem Bestände der Eisenbahn erkennbar ist, 
durch welche viele kleine Gewerbeindustrien lohnendere 
Beschäftigung gefunden haben. 

Der Entwicklungsgang der serbischen Grossindustrie 
soll, — so meint Prof. Lozanitsch, — sich in der Be- 
arbeitung der einheimischen Rohprodukte bewegen, denn 
es sei für Serbien zu früh, fremde Rohprodukte zu ver- 
arbeiten ; desshalb sollte man hauptsächlich die landwirth- 
schafbUchen und die bergbaulichen Industrieen pflegen. 

Es ist vielfach die Frage aufgeworfen worden, wess- 
halb die Grossindustrie in einheimischen Rohprodukten sich 
in Serbien so langsam entwickelt, trotzdem die daraus er- 
zeugten Industrieartikel im Lande begehrt und desshalb 
auch in grossen Mengen eingeführt werden. 

Man sagte oftmals, dass nicht genügend Kapital im 
Lande vorhanden sei, doch dies ist nicht richtig. 

Prof. Lozanitsch bezeichnet als den wahren Grund 
die technische Unwissenheit. — Dass es an Geld nicht 
fehlt, ist daraus zu ersehen, dass viele Kapitalien zum 
Zinsfasse von 4 bis 5 Prozent in den Geldinstituten an- 
gelegt oder Häuser mit nur 4 bis 6 Prozent Nutzwerth ge- 
baut worden. Es mangelt an einheimischen Fachmännern. 
— Die serbische Jugend studiert vielfach auf westeuro- 
päischen Hochschulen, aber meistens solche theoretische 
Fächer, welche sie nöthig hat, um eine Anstellung als 
Beamter zu erlangen. Das Gleiche ist der Fall mit dem 
Studium an der Belgrader Hochschule. Desshalb empfiehlt 
der Rektor Prof. Lozanitsch, dass sich die jungen Männer 
Serbiens mehr als bisher den technischen Studien zuwenden 
mögen, dann werde auch die serbische Grossindustrie rascher 
aufblühen. Es hat sich auch sehr häufig schon fremdes 
Kapital mit fremden technischen Arbeitskräften der ser- 
bischen Industrie zugewendet; solche Unternehmungen 
wurden aber mit Unrecht von der Bevölkerung, mit un- 



— 208 — 

verkennbarer Eifersucht und mit Misstrauen, angesehen. 
Auch die in Serbien von Fremden gegründeten Gross- 
industrieen nützen dem Lande und sind deshalb zu fördern. 
Durch hohe Schutzzölle ist somit die industrielle Ent- 
wicklung Serbiens in keinen höheren und lebenskräftigeren 
Zustand zu bringen, sondern vor allem durch Vermehrung 
des technischen Wissens und durch Betheiligung des 
Kapitals. 

Am Schlüsse dieses Abschnittes erübrigt nur noch, 
einige Worte über die, einem erspriesslichen Aufschwünge 
des Handels und der Industrie, ebenso wie den Zwecken 
des Krieges, dienenden Verkehrswege zu erwähnen. 

Da sind vor allem die Eisenbahnen. 

Es ist bekannt dass — mit alleiniger Ausnahme von 
Montenegro — Serbien das letzte Land Europas war, 
welches sich nach langem Zaudern endlich doch auch zum 
Baue von Schienenwegen entschlossen hatte. Dieses Zau- 
dern ist nicht so unbegreiflich, wenn man das in den vor- 
hergehenden Seiten geschilderte Misstrauen und die Eifer- 
sucht der Serben berücksichtigt, welches in jeder durch 
Ausländer begründeten Unternehmung nicht nur eine Be- 
drohung des einheimischen Gewerbes, sondern zugleich eine 
rücksichtslose Ausbeutung der Hilfsquellen des eigenen 
Landes befürchtet. 

Schon vor mehr als 30 Jahren befürwortete der be- 
kannte österreichische General-Konsul von Hahn mit den 
schlagendsten Beweisen den Bau der Eisenbahnlinien Bel- 
grad-Salonik und Belgrad-Konstantinopel, welche nicht nnr 
für Serbien und den Orient überhaupt, sondern auch für 
Oesterreich-Ungam und Deutschland von ausserordentlichem 
Vortheil seien. Schon im September 1876, als die franco- 
belgische Gesellschaft „Van der Eist freres et Com." üe 
Bewilligung zum Baue der Linien Nisch-Konstantinopel 
und Nisch-Salonik erhalten hatte, bemühte sich diese Gesell- 
schaft auch bei der serbischen Eegierung um die Conzession 



— 209 — 

zum Baue der Fortsetzung von Nisch über Alexinatz nach 
Belgrad; aber leider kam keine Einigung zu Stande. 

Erst durch den Berliner Vertrag (1878) wurde Serbien 
endlich kategorisch verpflichtet, Eisenbahnen zu bauen, 
welche die österreichisch- ungarischen Linien mit den noch 
zu vollendenden türkischen verbinden sollten. 

Am 9. April 1880 kam es nun zwischen dem ser* 
bischen Ministerpräsidenten Bistitsch und dem österreichisch- 
ungarischen Minister Grafen Andrassy zu einer Ueber- 
einkunft, laut welcher der Ausbau der serbischen Eisen- 
bahnen binnen drei Jahren stattfinden sollte. 

Ende 1879 hatte die Gesellschaft Van der Eist die 
serbischen Bahntracen nochmals genau untersucht und das 
für den Bau nöthige Kapital auf rund 80 Millionen Dinars 
veranschlagt. Bald darauf stellte der serbischen Begierung 
auch der belgische Deputirte Emest Boucqu^au günstige 
Anträge in der Angelegenheit des Bahnbaues. 

Leider konnte sich die serbische Begierung nicht 
entschliesen, das wichtige Unternehmen diesen soliden und 
sicheren Händen anzuvertrauen ; sie forderte nunmehr neue 
Mitbewerber auf und nun bekam die Baubewilligung der 
bekannte Eisenbahn-Bauunternehmer Bontoux, welcher am 
3. Februar 1881 im Namen der Pariser „Union gönörale" 
eine Uebereinkunft mit dem serbischen Staate unter- 
zeichnete, zufolge welcher jene verpflichtet wurde, die für 
den Bau der Linie Belgrad- Vranja nötigen Geldmittel durch 
eine Anleihe zu beschaflfen, dann den Bau der Linie durch- 
zuführen und schliesslich auch die zum Betriebe nöthige 
Gesellschaft zu bilden. 

Die Regierung übernahm sehr drückende Verpflich- 
tungen gegenüber dieser Gesellschaft, so z. B. sollten die 
200.000 Aktien ä 500 Franks zum Kurse von nur 357 
(70 Prozent des Nominalwerthes!) und bei einer Verzinsung 
von 5o/q des Nominalwerthes ausgegeben werden. 

Die serbische Regierung verpflichtete sich durch 50 

Anton Tama, Serbien. 14 



— 210 — 

Jahre zur Zahlung von Annuitäten im Betrage von 6 Milli- 
onen Franks (Dinars) in Gold; diese Anleihe sollte als 
erste Hypothek mit dem Nominalwerthe von 100 Millionen 
Franks die Bahn selbst belasten. 

Die Begierung hatte die Hälfte der Baukosten für 
die Save-Brücke zwischen Belgrad und Semlin zu tragen. 
Im IJebrigen sollte der Bau eines Bahnkilometers durch- 
schnittlich 198.000 Dinars kosten und besitzt die gewählte 
Bahnlinie eine Länge von 354 Kilometern. 

Bekanntlich ging die „Union gänärale^ im Jahre 1882 
zu Grunde, wodurch das Misstrauen des Landes gegen 
fremde Unternehmungen nur erhöht wurde. In Folge 
dessen wurde die Fertigstellung der Bahn um ein ganzes 
Jahr verzögert. 

Die neue Bauuntemehmung „Societe Vitalis" vermochte 
die Linie Belgrad-Nisch im September 1884 dem Verkehre 
zu übergeben. Die Verlängerung von Nisch bis an die 
türkische Grenze bei Vranja war bis zum Herbste 1886 
fertiggebaut , desgleichen die türkische Anschlussstrecke 
Skoplje-Grenze. Nun fanden noch längere Verhandlungen 
statt, wegen des Grenzverkehrs, des Zollamtes, dann wegen 
der Unterbrechung des Bahnverkehrs an der Grenzbrücke 
im Falle eines Krieges; so dass der durchlaufende Ver- 
kehr auf der Linie Belgräd-Nisch-Skoplje-Salonik that- 
sächlich Anfangs 1887 stattfinden konnte. Auf der zweiten 
Hauptlinie Belgrad-Nisch-Konstantinopel konnte der Ver- 
kehr auf der ganzen Strecke erst Ende 1887 erö&et 
werden, weil einerseits Bulgarien mit seiner Anschlusslinie 
Bellova-Caribrod im Bückstande geblieben war und anderer- 
seits auf serbischer Seite die Strecke Nisch-Bela Palanka 
mit ihren zwei langen Engpässen grosse technische Schwierig- 
keiten verursacht hatte. 

An fertigen Zweigbahnen waren bis zum Jahre 1891 
folgende vorhanden: Von Lapovo nach der zweiten Haupt- 
stadt Serbiens Kragujevac, etwa 28 Kilometer lang, dann 
die Linie Velika Plana - Smederevo (Semendria) , welch^ 



— 211 — 

noch vor Eröfl&iung der Linie Belgrad-Nisoh im Jahre 1883 
fertig gebaut, jedoch nur kurze Zeit im Betriebe war, 
welcher sodann nach hergestelltem Anschluss im Jahre 1887 
wieder aufgenommen wurde. Diese 45 Kilometer lange 
Flügelbahn ermöglicht die nach der unteren Donau be- 
stimmten Frachtgüter, mit einer Wegerspamis von 140 
Kilometer, im Hafen von Semendria auf Schiffe zu ver- 
laden. 

Ende 1887 machte die serbische Eisenbahn-Betriebs- 
Gresellschaft der Regierung den Vorschlag, es möge der 
auf die Dauer von 25 Jahren geschlossene Vertrag verlängert 
werden, wofür sie der serbischen Regierung (laut Mitthei- 
lung der sehr gut informirten „Politischen Correspondenz") 
die zum Bau mehrerer Flügelbahnen nöthigen Fonds in 
der Höhe von etwa 9 Millionen Dinars zur Verfügung 
stellen und den Biau und Betrieb dieser neuen Linien, 
ohne eine staatliche Zinsengarantie, übernehmen wollte. 
Dies war ein deutlicher Beweis, dass die Gesellschaft mit 
den Eisenbahnen in Serbien sehr gute Geschäfte machen 
müsse, während das Land die oben angedeuteten harten 
Bedingungen erfüUen und schwere Geldopfer bringen 
xnusste. 

Statt auf diese Vorschläge einzugehen, veröffentlichte 
die serbische Begierung am 3. Juni 1889 im Amtsblatte 
einen ükas, betreffend die Auflösung des Eisenbahn -Be- 
triebsvertrages. Hiemach übernahm der Staat sämtliche 
Linien der von der Gesellschaft ausgebeuteten Bahnen, ebenso 
auch das Inventar. Der Bauten- und der Finanz-Minister 
wnrden ermächtigt, mit den Vertretern der Gesellschaft, 
betreff Liquidirung der [Rechnungen und wegen der Ent- 
scliädigung für die Laventargegenstände Verhandlungen 
einzuleiten. 

Das Archiv und die Dokumente sollten in die Hände 
der serbischen Regierung übergehen und sämtliche Be- 
amten, — ausgenommen das höhere Personal des Direk- 
toriums, — hatte bis auf weiteres im Amte zu verbleiben. 

U* 



— 212 - 

Diese, durch einige von der Betriebsgesellschaft be- 
gangene, offenkundige üebertretungen des serbischen Eisen- 
bahngesetzes verursachte Massregel der ilegierung gab zu 
keinem diplomatischen Einschreiten seitens anderer Mächte 
Anlass ; nur in Frankreich, wo man sich durch diesen ganz 
plötzlich angekündigten Entschluss der serbischen Regie- 
rung am meisten betroffen fühlte, wurde diese Angelegen- 
heit am 4. Juni 1889 in der Kammer besprochen und ge- 
sagt, die serbische Begierung hätte von dem ihr vertrags- 
mässig zugestandenen Bechte, — den Betrieb der Bahnen 
zu jeder Zeit in eigene Regie zu übernehmen, — einen 
überstürzten und rücksichtslosen Gebrauch gemacht; indem 
sie die Gesellschaft wegen ihrer Gesetzesübertretungen 
vorerst hätte verwarnen sollen. 

Von den weiteren Bahnprojekten in Serbien ist das 
der Timok-Thal-Bahn am weitesten gediehen, so dass deren 
Bau im Frühjahr 1892 hätte begonnen werden können. 
Die Offerte für die Finanzirung und den Bau dieser Eisen- 
bahn waren ein Gegenstand der Verhandlungen während 
der Skuptschina-Herbstsession des Jahres 1891. Das Bau- 
tenministerium hatte behufs Verminderung der Baukosten, 
an dem Tracirungsplane der Firma Eiffel sehr wesentliche 
Aenderungen vornehmen lassen. Mitte Oktober 1891 war 
die neue Trace der Timokthal-Bahn fertig und der Gesetz- 
entwurf über die Ausführung derselben in Vorbereitung. 

Die Timokthal-Bahn, welche den untersten Donauhafen 
Serbiens bei Itadujevac, — der auch von Seeschiffen wieder- 
holt angelaufen wird, — mit Zajetschar — Ejijaschevatz 
und Nisch verbindet und sodann durch das Toplitza-Thal 
über Prokuplje und Kurschmulija bis an die türkische 
Bahnlinie Mitrowitza-Salonik verlängert werden soll, ist 
für den serbischen Handel von der grössten Wichtigkeit. 
Auch soll sich ßussland für den Bau dieser Linie sehr 
interessirt und eine namhafte Summe versprochen haben, 
damit derselbe um so früher durchgeführt werden könne. 



\ 



— 213 — 

Ein Belgrader Telegramm vom 3. September 1892 (der 
Münchener Allgemeinen Zeitung) besagt, dass die serbische 
Eegiemng die Ausfiihning der Timok-Bahn und neben- 
bei den Bau einer Eisenbahn von Stalac (nordwestlich 
von Alexinatz an der Hauptbahn gelegen) über Krusche- 
vatz, Kraljevo und Tschatschak nach üschitze beschlossen 
habe und dass die bezüglichen Gesetzvorlagen ungesäumt 
ausgearbeitet würden. Seither ist über den Stand dieser 
Angelegenheit nichts Wesentliches mehr bekannt geworden. 

Unzweifelhaft ist auch das letzterwähnte Bahnprojekt, 
wodurch das sehr reiche Thal der serbischen Morava mit 
dem Hauptbahnnetze verbunden würde, für den serbischen 
Handel von grösster Wichtigkeit. 

Es besteht weiter ein Projekt, bei Mitrovica die Save 
zu überbrücken und im breiten Drina-Thale eine Bahn von 
Mitrovitza nach Zwomik zu bauen. Empfehlenswerth wäre 
auch eine Linie, welche Valjevo und das reiche Thal der 
Kolubara mit einem Donauhafen verbinden würde. 

Für den übrigen Verkehr im Inneren des Landes ist 
durch im Allgemeinen gute, ja hie und da sogar sehr gute 
Fahrwege und Chausseen gesorgt. Nur in den schwer 
zugänglichen Gebirgen des Südens und Südwestens wird 
noch das Tragthier verwendet, welches zu Beginn des 
neunzehnten Jahrhunderts beinahe das ausschliessliche 
Transportmittel bildete. 

Sämtliche Kreis- und nahezu alle Bezirksstädte, dann 
Orte mit grösseren Industrie-Etablissements sind durch 
sogenannte Hauptstrassen miteinander verbunden. Ausser- 
dem fähren noch durch die flacheren Landestheile zahl- 
reiche Fahrwege für leichtere Gefährte. 

Schon Fürst Milosch zwang während seiner ersten 
Kegierungsperiode die unaufgeklärten Bauern zur Her- 
stellung der ersten Linien jenes Strassennetzes, wie es 
noch jetzt im grossen Ganzen vorhanden ist. 

Noch vor zwanzig Jahren galt in Serbien für die 
Landbewohner der Grundsatz: Nach beendeter Ernte 



— 214 — 

jnussten alle zu den Milizaufgeboten gehörigen Männer 
exerziren und von Mitte Oktober bis zum Eintritt der 
grossen Fröste — etwa zwei Monate lang — mussten Alle 
beim Strassenbau unentgeltlich Hand anlegen, und zwar 
in Ermangelung von Fachingenieuren, vorläufig unter der 
Leitung von Offizieren der Armee. 

Wenn nun auch in Folge dessen später mancher 
Strassenzug umgelegt und die Trace wesentlich berichtigt 
werden musste, so war doch der Anfang gemacht 
und der serbische Bauer aus jener stumpfen Apathie ge- 
rissen, in welche er durch das türkische Joch versunken 
gewesen war. 

Späterhin erhielt jede Kreisbehörde einen eigenen 
Ingenieur und wurden junge fähige Leute, mit reichen 
Staatsstipendien versehen, an die polyteciinischen Schulen 
nach Wien, Paris, Berlin und Brüssel gesandt. 

Die Kreis-Ingenieure führen die Aufsicht über den 
Zustand der Strassen. Sie entwerfen neue Strassenzüge, 
machen die Kostenüberschläge und leiten, — nach deren 
im Ministerium für öflfentliche Arbeiten erfolgten Gut- 
heissung, — auch die Bauausführung. 

In den letzten zehn Jahren sind auch schon einige 
wahrhafte Kunststrassen entstanden, welche in Felsengen 
eingesprengt werden mussten, so z. B. die Kunststrasse im 
Ibar-Thale von Kraljevo an dem antiken Kloster Stude- 
nitza vorbei nach Baschka, von welcher serbischen G-renz- 
stadt ein Fahrweg nach dem nahegelegenen Novibazax 
führt, femer die Strasse von Gj. Milanovac im Thale der 
Despotovica nach Tschatschak. 

Andere sind theils nur projektirt, theils schon im Baue 
begriflfen ; wie z. B. jene von Jvanjica über das Javor-Ge- 
birge nach Sjenica im Sandschak Novibazar, dann eine 
Kunststrasse von Njegotin über Majdanpek nach Kutschevo 
(Gomja Krusevica), an welcher auch ein 300 Meter lan^r 
Tunnel ausgeführt werden soll. 

Die gesetzliche Bauordnung in Serbien bestimmt die 



— 215 — 

Breite aller Hauptstrassen mit 9,15 Meter und jene der Ver- 
bindungsstrassen mit 8,6 Meter und bei allen sind 0,6 Meter 
breite Abzugsgräben zu beiden Seiten anzubringen. 

Aller zu Strassenbauten enteigneter Grund soll den 
Eigenthümem aus dem Grundbesitz der Gemeinden ersetzt 
werden. Jedes Gemeindemitglied ist verpflichtet, falls 
eine Strasse oder Brücke durch Naturereignisse irgend 
welcher Art unbrauchbar würde, zufolge AuflEbrderung der 
Behörde bei der Wiederherstellung sofort mitzuwirken. 

Nach den Landesgesetzen fallen die Kosten der An- 
lage und Erhaltung der Strassen jenen Gemeinden zur 
Last, durch deren Gebiet sie führen. Letztere sorgen für 
die Beschaffung des Baumateriales. Die Aufseher und Ar- 
beiter beim Strassenbaue erhalten aus Staatsmitteln einen 
angemessenen Tagelohn; jedoch sind auch die Bauern der 
angrenzenden Dörfer jährlich durch eine bestimmte Anzahl 
von Tagen zum Frohndienste bei der Strassenerhaltung 
verpflichtet. 

Für die Benützung der Strassen dürfen absolut keine 
Abgaben erhoben werden. 

lieber den durch fremde Unternehmungen betriebenen 
Schiffsverkehr auf der Donau und Save wurde schon 
im IL Kapitel (Hydrographie) ausführlich gesprochen. 

Es müssen aber noch einige Worte über die seit An- 
fang 1890 gegründete: „Erste serbische privilegirte 
S chif f ahrts-Gesellschaft** nachgetragen werden, welche 
dem Bestreben entspringt, Serbien wirthschaftlich in jeder 
Beziehung möglichst selbständig zu machen. 

Schon im Jahre 1889 hatte die Skuptschina einen 
Betrag von 30,000 Dinar in das Budget eingestellt, als 
Subvention oder vielmehr als Zinsengarantie für eine ins 
Leben zu rufende serbische Schiffahrts-Gesellschaft. Auch 
hatte man die Zusicherung erlangt, dass derselben eine 
ausgiebige Unterstützung seitens der Schiffahrts- Gesell- 
schaft des Fürsten Gagarin zu Theil werden würde. 

Das hierauf im Jahre 1890 votirte Gesetz bestimmte, 



— 216 — 

»dass die „Erste serbische privilegirte Scliiflfahrts-Gesell- 
schafb^ das unternehmen mit einem Aktienkapital von 
3 Millionen Franks beginne, wovon 1 Million mindestens 
sogleich eingezahlt - werden sollte. Der Staat garantirte 
der Gesellschaft eine 6 prozentige Verzinsung des ein- 
gezahlten Kapitals vom Tage des Beginnes des Dienstes an. 

Ausserdem wurden der Gesellschaft noch ganz ausser- 
gewöhnKche Begünstigungen zugestanden. Sie erhielt un- 
entgeltlich den Grund für ihre Baulichkeiten, weiter konnte 
sie ihren Holzbedarf ohne Bezahlung aus den Staatsforsten 
beziehen und das staatliche Kohlenwerk bei Brza Palanka 
wurde ihr ebenfalls xmentgeltlich überlassen. Ausserdem 
sollte diese Gesellschaft den Postdienst auf der Donau 
und Save besorgen. 

Alle diese Privilegien wurden für 30 Jahre verliehen. 

XJeberdiess sollte die Gesellschaft während der ersten 
10 Jahre Steuerfreiheit gemessen und ausserdem das ßecht 
haben, alle Bedürfhisse für den Betrieb zoUfrei einzufahren. 

Für all' diese Zugeständnisse behielt sich der Staat 
nur das Aufsichtsrecht und die Einflussnahme auf die 
Tarife vor. 

Am 6. August 1890 berichtete die „Politische Corres- 
pondenz", dass das Comite zur Ausarbeitung der Gesell- 
schafts-Statuten noch immer Sitzungen abhielt und dass 
eine grosse Schwierigkeit darin liege, dass dem von der 
Skuptschina beschlossenen Gesetze gemäss nur serbische 
Staatsbürger Aktionäre sein dürfen ; weshalb es sehr schwer 
werden dürfte im serbischen Publikum das erforderliche 
Aktienkapital aufzubringen. In Folge dessen wurde eine 
Abänderung dieses Gesetzes in dem Sinne bewirkt, dass 
auch Ausländer Aktionäre werden dürfen; wobei man 
jedoch hauptsächlich auf eine starke Betheiligung des 
russischen Publikums rechnete, aber dennoch sind auoli 
von anderer Seite Anmeldungen eingelaufen. Der Anfangs 
August 1890 in Belgrad gewesene Vertreter der Gagarin- 
schen Gesellschaft hatte der zuständigen serbischen Be- 



— 217 — 

hörde diesbezügliche Anträge gestellt ; es sollten Yerbands- 
tarife hergestellt und die Fahrpläne beider Gesellschaften 
in Einklang gebracht werden. 

Mittlerweile, nachdem die serbische Dampfschiffahrt 
noch immer nicht ins Leben getreten war, übernahm die 
russische Regierung Anfang 1891 von der Gagarin'schen 
Gesellschaft für 1,700000 Rubel Aktien, wogegen dieses 
Unternehmen verpflichtet wurde, 12 weitere Schiffe zu 
bauen und die Stromfahrten bis Belgrad auszudehnen« 
Sechs Monate später hatte die russische Regierung über- 
haupt die Hälfte der Aktien des Gagarin'schen Unter- 
nehmens von der Gesellschaft übernommen, dafür aber das 
Recht erlangt, den Direktor zu bestellen. Im Juli 1891 
wurde nun thatsächlich der kais. russische Staats- 
rath Rjäsanow zum Direktor der Gagarin'schen 
Schiffahrts-Gesellschaft ernannt. 

Nachdem die Aktien der serbischen Dampfschiffahrts- 
Gesellschaft bei der bis Ende Juni 1891 verlängerten 
ersten Emission nicht untergebracht werden konnten, so 
wurde der russische Beistand direkt angerufen; worauf 
die russische Regierung die Ootirung der Gesellschafts- 
Aktien in Russland zuliess. Nach den Berichten des 
„Garaschdanin" sollen nun die russischen Kapitalisten weit 
mehr als die Hälfte der Aktien gezeichnet und dadurch 
das Recht erworben haben, den Direktor der Gesellschaft 
zu wählen. Diese Thatsache, meinte ganz richtig der 
„Garaschdanin^ , bedeute , dass die serbische Dampf- 
schiffahrts-Gesellschaft schliesslich ganz in eine russische 
verwandelt werden dürfte. 

Etwa ein Jahr später meldete der „Pester Lloyd" 
aus Belgrad vom 1. Juli 1892 dass die russische Dampf- 
schiffahrts-Gesellschaft des Fürsten Gagarin, welche vor 
einigen Jahren in Belgrad eine Agentur errichtet hatte, 
diese wieder aufgelassen hatte und zwar wegen voll- 
kommenen Geschäftsmangels. Thatsächlich soll diese 
Agentur nichts anderes als ein Centralpunkt für russische 



— 218 — 

Agitatoren und insbesondere fiir bulgarische Emigranten 
gewesen sein. Das mit der Agentur verbundene Petroleum- 
geschäft wurde von einem einzigen russischen Beamten 
veiwaltet, der eine kleine Bretterbude beim Petroleum- 
Beservoir als Kanzlei benützte. 

Nach dem Vorstehenden ist es klar, dass weder die 

russische Gagarinsche noch die im Werden begriffene 

serbische Schiffahrts-Gesellschaft der solid fondirten k. k. 

^riv. Donau - Dampfschiffahrts - Gesellschaft irgendwelche 

Gonkurrenz machen könne 

Bezüglich des Postwesens scheint der erste Begie- 
rungserlass am 11. Juni 1838 ergangen zu sein, welcher 
bestimmte, dass den Posthaltem für jedes Pferd aus der 
Staatskasse jährlich 40 Maria Theresien-Thaler (5 Franks 
oder Dinars) bezahlt werden sollen. Damals gab es jedoch 
nur zu Belgrad und Kragujevac, dann zeitweilig (so lange 
Fürst Milosch dort residirte) auch in Poscharevac je eine 
Poststation. 

Im Jahre 1845 hatte man in Serbien schon auf vier 
Strassenzügen Postkurse eingerichtet, mit im Ganzen 36 
Stationen. Das Brie^orto war damals noch ziemlich hoch 
und betrug für einen einfachen Brief von kaum 10 Gramm 
Gewicht etwa einen halben Frank. 

Im Jahre 1852 wurde im Ministerium des Innern eine 
eigene Postabtheilung errichtet. 

Bis zum Jahre 1866 beförderte die serbische Post nur 
Briefe im Inlande. Briefe für das Ausland musste man 
durch die österreichische Konsulatspost in Belgrad be- 
fördern, Welche auch in Alexinatz und Nisch eine Post- 
expositur unterhielt. 

Für die Personenbeförderung war durch die serbische 
Post bis zur Thronbesteigung des Fürsten Milan im Jahre 
1871 so gut wie gar nicht gesorgt. Erst von diesem Zeit- 
punkte an bestehen zu diesem Zwecke vierrädrige Post- 
kutschen, die Briefsendungen erfolgten nunmehr täglich 
und die Zahl der Postämter wuchs nun, besonders seit 



— 219 — 

Serbien im Jahre 1878 politisch vollkommen selbständig 
geworden ist, — sehr rasch; so dass dieselbe Mitte der 
Achtziger schon nahezu 500 erreicht hatte. 

Die Briefmarken haben 5, 10, 20, 25, 50 und 100 Para 
(Gentimes) Werth ; ausserdem wurden Postkarten zu 5 und 
10 Para eingeführt. Serbien ist dem Weltpostvereine bei- 
getreten, weshalb dessen Bestimmungen auch daselbst An- 
wendung finden. So zahlen Briefe bis zu 15 Gramm 10 
Para im Inlande und nach Ungarn, hingegen 15 Para nach 
den sonstigen Österreich-ungarischen Ländern und 25 Para 
nach allen übrigen Yereinsstaaten. Postanweisungen bis 
zu 500 Dinars werden für das Inland angenommen und 
können auch telegraphisch avisirt werden. 

Die serbische Post befördert im Inlande die Druck- 
sachen portofrei. Postpakete bis zum G-ewichte von 5 Kilo, 
dann Iteisende, werden, wie in den anderen Ländern des 
Weltpostvereines, entweder mit Wägen, beziehungsweise 
Karren, oder im Gebirge mittelst Pferden befördert. 

Die heutige Passagirpost funktionirt gut und sind 
fremde Beisende voll des Lobes für dieselbe. Mit Post- 
pferden legt man durchschnittlich 13 bis 15 Kilometer in 
der Stunde zurück. 

Der Telegraph wurde in Serbien erst im Jahre 1854 
eingeführt. Die serbische Regierung hat sich dem deutsch- 
österreichischen Telegraphenvereine angeschlossen. 

Heute besitzt Serbien für den telegraphischen Ver- 
kehr mit dem Auslande sechs Linien; und zwar: die 
Kabelleitung (in der Save versenkt) Belgrad-Semlin für 
Nord- und West- Europa, dann Belgrad- Njegotin-Tum- 
Severin (Kabelleitung durch die Donau) für den Verkehr 
mit Rumänien und Bussland, dann Belgrad - üschitze- 
Vischegrad für Bosnien und Montenegro; die Linie: Bel- 
grad- Alexinatz-Prischtina für die Türkei, Griechenland 
und den Archipel; — Belgrad -Njegotin-Widdin für den 
Verkehr mit Bulgarien nördlich des Balkans und schliess- 



L 



— 220 — 

lieh Belgrad -Alexinatz- Sophia für den Verkehr mit Bul- 
garien südlich des Balkans. 

Die Depeschen werden in allen europäischen Sprachen 
zur Beförderung angenommen. 

Der telegraphische Verkehr ist ein rasch zunehmender; 
während beispielsweise im Jahre 1870 im Inlande nur 
66,425 Privatdepeschen befördert wurden, betrug deren 
Zahl im Jahre 1885 schon 320,160 somit nahezu das Fünf- 
fache. Noch reger hat sich der ausländische Telegrapben- 
verkehr gestaltet; es wurden im Jahre 1870 — 15,076 
und im Jahre 1885 schon 88,698 Depeschen nach dem 
Auslande befördert. 

Zum Schlüsse sind noch die in Serbien gebräuchlichen 
Masse, Gewichte und Münzen zu erwähnen. In Ser- 
bien ist das metrische Mass seit 1876 gesetzlich ein- 
geführt; jedoch findet man noch häufig — besonders auf 
dem Lande — alte Masse und Gewichte, und zwar theils 
türkische, theils österreichische, in Anwendung. 

Das serbische Münzsystem entspricht der lateinischen 
Münz-Convention und giebt es (ausser österr. Dukaten, 
dann Napoleons'd'or etc) Milansd'or zu 20 Dinars (Franks), 
Silbermünzen zu ^/2, 1, 2 und 5 Dinars und Nickelmünzen 
zu 5, 10 und 20 Para (Centimes). 



J 



IX. Kapitel. 

OefTentliehe C^esundheltspflege. 



Aus dem von Dr. Gjorgjevic, gelegentlich der euro- 
päischen Hygiene- Ausstellung, zu Berlin im Jahre 1883 
gehaltenen Vortrage ist zu ersehen, dass schon im zv^rölfben 
Jahrhunderte die gesetzliche Regelung der Krankenpflege in 
öffentlichen Heilanstalten aktenmässig nachgewiesen ist. 
Die ersten Krankenhäuser waren der damaligen Sitte ge- 
mäss in den Klöstern eingerichtet, wo eine gewisse An- 
zahl von Zellen mit Betten für fremde Kranke vorhanden 
waren. 

In einer vorgefundenen Elosterregel, welche vom Erz- 
bischof Sava, einem Sohne des ersten serbischen Königs 
Nemanja, herrührt, ist in einem eigenen Kapitel genau ge- 
sagt, wie der Wärter dienst im Kloster zu regeln, und 
die Speisen und (Jetränke für heftig fiebernde Kranke zu 
bereiten seien, femer wie oft der Abt des Klosters die 
Kranken zu besuchen habe, u. dgl. m. 

Von allen Nachfolgern der Nemanja's wurden solche 
Stiftungen gegründet. Einer derselben, König MilutiQ, er- 
richtete, ausser im eigenen Lande, auch in der Fremde 
solche Krankenhäuser. In dessen Lebensbeschreibung heisst 
es unter Anderem: „Und er errichtete in Konstantinopel 
ein Fremdenhaus, Krankenhaus genannt, stellte darin sehr 
viele Betten auf^ mit weichen Kissen zum Ausruhen der 



— 222 — 

Kranken und befahl, alle Kranken ohne unterschied darin 
aufzunehmen, — selbst die boffiiungslosen; auch kaufte 
er sehr viele griechische Dörfer, deren Einkünfte er dem 
Krankenhause schenkte, und er suchte und fand viele 
Aerzte und Heilkünstler, gab ihnen viel Geld und alles, 
was sie nothwendig hatten, unter der Bedingung, ununter- 
brochen bei den Kranken zu sein, ihnen Hilfe zu leisten 
und ernannte einige seiner Hofwürdenträger zu Aufsehern 
des Krankenhauses, damit sie oft die Kranken besuchen, 
ihnen alles Nützliche thun, alle ihre Wünsche erfüllen, 
damit kein Kranker über Vernachlässigung zu klagen habe. 

In der Beschreibung eines, vom Sohne Milutin's, dem 
Könige Detschanski, gegründeten Krankenhauses, sind so- 
gar die darin zur Behandlung gekommenen hauptsäch- 
lichsten Krankheiten verzeichnet; es waren dies: Paralyse 
der Extremitäten, Knochen- und Gelenkserkrankungen, 
Fäulniss der Weichtheile „wegen verdorbenen Blutes," 
dann Krankheiten der Atmungsorgane „wegen innerlicher 
Schärfe, u. dgl. m. Nach den Chroniken, sorgte der König 
dafür, dass die Krankenbetten weich waren und die un- 
angenehmen Ausdünstungen in den Krankenzellen durch 
die besten Wohlgerüche vertrieben wurden und nicht ge- 
nug, dass er seinen ersten Hof beamten mit der Leitung 
des Hospitals beauftragt hatte, ging er auch oft persönlich 
dahin, sprach mit allen Kranken, gab dem einen Qelä und 
allen spendete er liebreichen Trost. König Detschanski 
soll mitunter ganze Nächte an dem Schmerzenslager eines 
Kranken durchwacht haben. Dieser König scheint auch. 
gewisse gesetzliche Bestimmungen für die Krankenhäuser 
in Serbien erlassen zu haben, denn als sein Sohn der ser- 
bische Kaiser (Zar) Stephan Duschan ein Kloster in Prizrend 
stiftete, schrieb er in der betreffenden Schenkungsurkunde: 
„Das Krankenhaus des Klosters soll nach dem Gesetze 
Unseres Vaters des Königs eingerichtet werden und soll 
dasselbe zwölf Betten für Kranke haben. ^ 

Der letzte serbische Kaiser Lazar stiftete ein Kranken- 



— 223 — 

lians in SAyanica ^für emheimische und fremde Kranke, 
sowie ancli far körperlich Erschöpfte**. Er schenkte dem 
serbischen Kloster Hilendar auf dem Berge Athos die 
Einkünfte einiger Dörfer mit der Bedingung hiervon jähr- 
lich 100 Ongien (etwa 7000 Franks) für das Krankenhaus 
des Klosters zu verwenden. 

Nach der Schlacht auf dem Amselfelde wurde Serbien 
im Jahre 1389 ein Vasallen - Staat der Osmanen und 
durch sogenannte „Despoten** regiert. Während der Be- 
gierungszeit des ersten dieser Despoten, Stephan Yisoki, 
hat ein interessanter Briefwechsel zwischen der Wittwe 
Kaiser Lazar's, der Kaisern Milica, und dem regierenden 
Senate der Eepublik Bagusa im Jahre 1397 stattgefunden, 
durch welche die genannte Kaiserin ftir ihr Vaterland ge- 
schulte Aerzte aus Italien zu beschaffen bemüht war. Der 
erste italienische Arzt, der nach Serbien kam, war der 
gelehrte Magister „Geronimo di San Mignato^ aus Florenz, 
welcher als Leibarzt der Kaiserin Milica und ihres Sohnes 
Stephan Visoki bis zu seinem Tode in Serbien geblieben 
war. Dieser Despot gründete auch in .Belgrad ein selb- 
ständiges Krankenhaus mit einer Hauskapelle, welches von 
keinem Kloster mehr abhängig war. 

Nach dem Tode Stephans ging auch der letzte Schein 
der Selbständigkeit Serbiens verloren und das Land wurde 
eine einfache Provinz des damals sehr mächtigen Osmanen- 
ßeiches, in Folge dessen man in der serbischen G-eschichte 
der folgenden vier Jahrhunderte nur eine unabsehbare 
Reihe von stets blutig unterdrückten • Volkserhebungen 
verzeichnet findet, denen erst im zweiten Jahrzehnt des 
neunzehnten Jahrhunderts durch die Entstehung des neuen 
serbischen Staatslebens ein Ende gemacht wurde. 

Während der 400 jährigen Türkenherrschaft war es 
um die Krankenpflege bei der Bajah (Christen) sehr 
schlimm bestellt. Leute, welche über genügende Mittel 
verfügten, liessen sich Aerzte aus den Küstenländern und 
selbst aus Italien holen, während die grosse Masse des 



— 224 — 

Volkes in Krankheitsfällen ihre Zuflucht zu sogenannten 
Volksärzten nahm, welche die Kranken in empirisch-pri- 
mitiver Weise behandelten. Insbesondere die zahlreichen 
Verwundeten fanden von Seiten der serbischen Volks- 
wundärzte eine ganz genügende Pflege und Wartung. 

Das Wissen und die Kunstgriffe dieser Volksärzte 
waren Familiengeheimnisse und vererbten sich vom Vater 
auf den Sohn. Derlei Familien erkennt man heute noch 
an ihrem Namen; so z. B. sind die ,,Medigovici'' Abkömm- 
linge eines medico und die ,,Hecimovici" jene eines hekim 
oder türkischen Arztes. 

Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, nach der 
Befreiung vom türkischen Joche, begann selbstverständlich 
auch eine Regelung des öffentlichen G-esundheitsdienstes 
in Serbien. 

In der Landesverfassung vom Jahre 1838 ist im § 19 
die Bestimmung enthalten, dass der Minister des Innern 
alles, was auf das Militär Bezug hat, anzuordnen und alle 
Sanitätsangelegenheiten des Landes zu leiten hat. In Folge 
dessen wurde auch ini Ministerium des Innern eine eigene 
Quarantänen- und Sanitätsabtheilung gegründet. Die Auf- 
sicht über die Krankenhäuser wurde jedoch damals dem 
Unterrichtsministerium übertragen. Fürst Milosch verbot 
auch den weiteren Missbrauch von Arzneimitteln durch 
Nichtärzte, er befahl die nöthigen öffentlichen Apotheken 
zu errichten, dann gelehrte Aerzte und Hebammen anzu- 
stellen. 

Durch die Verlegung der Heeresverwaltung in das 
Ministerium des Innern blieb auch die Leitung des Civil- 
und Militär-Sanitätswesens vereinigt. 

In der folgenden 40jährigen Friedensepoche bekamen 
die öamisontruppen einige Militärärzte, welche anfangs 
die kleinen Q-arnisonlazarethe in Belgrad , Kragujevac, 
Poscharevac und Tschatschak leiteten, bis es in Folge 
der wachsenden Truppenzahl nothwendig wurde, grössere 
Militärspitäler in Belgrad und Kragujevac einzurichten, 



— 225 — 

die dann eigene Spitalsärzte bekamen. Die Stellang der 
Militärärzte war anfangs im Heere keine angenehme, bis 
im Jahre 1859 Fürst Milosch denselben den Bang und die 
Uniform der Infanterie-Offiziere gab. 

Im Jahre 1861 gründete Fürst Mihail, neben dem 
kleinen stehenden Heere, auch ein Yolksheer, eine MiUz, 
für welche jedoch besondere Sanitäts-Massregeln nicht für 
nothwendig befanden wurden. Der erste serbische Kriegs- 
minister, der französische Oberst Mondain, nahm den Mili- 
tärärzten wieder den bisherigen Offiziersrang und hob auch 
die selbständige Leitung des Militärsanitätswesens durch 
geschulte Aerzte auf. Die Verwaltung der Militärlazarethe 
ging au:s den Händen der Aerzte an minder brauchbare 
Truppenoffiziere über, welche mit dem Titel „Spitalskom- 
missäre" hierzu kommandirt wurden. 

Unter der Itegierung des Fürsten Mihail wurde ein 
besonderer thierärztlicher Dienst bei den Truppen ein- 
geführt. 

Seit dem Begierungsantritte des Fürsten Milan erhiel- 
ten die Militärärzte und Apotheker wieder den Offiziers - 
titel und die Chefärzte der Militärlazarethe wurden deren 
wirkliche Befehlshaber (1875). Sie erhielten demgemäss 
Auch die Strafbefugnisse, ähnlich jener der Kompagnie- 
und Bataillons-Kommandanten des Heeres, über das ihnen 
untergeordnete Personal. 

Bis zum Jahre 1875 wurde der Gesundheitsdienst 
speziell im serbischen stehenden Heere, das von 2000 
Mann nach und nach auf 5000 gestiegen war, mit recht un- 
günstigem Besultate geleitet. Im Jahre 1864 war in dieser 
kleinen Armee sogar der Skorbut epidemisch geworden. 
Theils die unzweckmässige Bauart und häufige üeberföllung 
^er Kasernen, dann die vielen kirchlich gebotenen Fast- 
tage, endlich das Bestreben, Ersparnisse zu erzielen, waren 
die nächsten Ursachen dieser Erscheinung. Alle Vor- 
schläge der Militärärzte zur Verbesserung der Q-esundheits- 
^erhältnisse blieben vergebens und nur eine einzige hy- 

Anton Tnras, Serbien. 1& 



— 226 — 

gienische Massregel wurde im Heere regelmässig ange- 
wendet, nämlicli die Impfung der Soldaten mit Kulipocken. 

Es ist statistisch nachgewiesen, dass im Zeiträume 
von vierzig Jahren d. i. von 1835 bis 1875 von dem kleinen 
serbischen Heere 104,154 ernstlich kranke Soldaten zur 
Spitalsbehandlung gelangten (durchschnittlich 2,600 Mann 
in jedem Jahr), von denen 3.189, oder rund 3 Prozent, 
starben. Die meisten Todesfalle ergaben die Krankheiten 
der Athmungsorgane, dann Ansteckungskrankheiten etc. 

Schon im Jahre 1875 begann man in Serbien die Kriegs- 
vorbereitungen für zu erwartende Türkenkriege zu treflfen. 
Infolge dessen erhielten auch zwei Sanitäts- und ein 
Generalstabsoffizier die Aufgabe, eine zeitgemässe Organi- 
sation des Feldsanitätsdienstes auszuarbeiten. Sie legten 
ihrem Entwürfe die bezügliche deutsche Vorschrift zu 
G-runde und trugen selbstverständlich der besonderen 
Organisation des serbischen Yolksheeres Kechnung. 

Für die 17 Milizbrigaden wurden ebenso viele Sanitäts- 
abtheilungen errichtet, von denen jede unmittelbar hinter 
dem Bücken der kämpfenden Brigade einen Nothverband- 
platz einzurichten hatte. 

Die fünf Divisionen hatten je eine Divisions-Sanitäts- 
abtheilung, welche hinter dem Rücken der fechtenden 
Division einen Hauptverbandplatz aufstellen sollte, wo- 
selbst die unaufschiebbaren chirurgischen Operationen vor- 
genommen und die Verwundeten für den Transport in die 
Feldhospitäler vorbereitet werden mussten. 

Ausserdem sollte jede der fünf Heeresabtheilungen. 
(Divisionen) je drei Feldlazarete zu 100 Betten bekommen. 

Kurz es war dies alles recht schön ausgedacht, aber 
es fehlte beim thatsächlichen Beginne des Krieges im 
Spätsommer 1876 an einem genügend geschulten niederen 
Sanitätspersonal; auch wurden die taktischen Einheiten 
höherer und niederer Ordnung während der durch russ^che 
Offiziere geleiteten Operationen meist vielfach zerrissen ; 
so dass die ideale preussische Organisation des serbischen 



- 327 — 

Feldsanitätsdienstes nur zum geringsten Theile wirklich 
zur Ausführung kam. 

Die zu diesem Kriege ins Land gekommenen fremden 
Aerzte und die Privathilfe kamen bei den vorderen Linien 
der operirenden Armee nicht zur Geltung, dagegen leisteten 
sie sehr viel Gutes in den zahlreichen Reservehospitälern 
im Rücken der Armee und im Linem des Landes. 

Nur eine russische, eine englische und eine rumänische 
Ambulanz haben thatsächlich auch bei den Kämpfen um 
Alexinatz und Djunis erfolgreiche Hilfe geleistet. 

Ueber den Feldsanitätsdienst beim serbischen Heere 
im Feldzuge 1876 liegen bisher nur ungenaue statistische 
Daten vor. Es sollen jedoch in allen 39 Etappen- und 
Reserve-Lazarethen , hinter dem Rücken des operirenden 
Heeres, gegen 13,400 Verwundete und über 20,000 Kranke 
behandelt worden sein, von denen 428 Verwundete und 
356 Kranke gestorben sind. 

Lm zweiten serbisch-türkischen Kriege (Winter 1877 
bis 1878) war Serbien hinsichtlich des Militär-Sanitäts- 
dienstes ganz auf sich selbst angewiesen und wurde der- 
selbe, frei von allen fremden Einflüssen, viel besser ge- 
handhabt. Es gab zwar bei dem ganzen Truppenstand 
des mobilisirten Heeres von 188.000 Mann 64 wirkliche 
Aerzte, dann 41 Hilfsärzte und 25 Militär- Apotheker ; wenn 
man jedoch hiervon die in Belgrad und bei den Reserve- 
Lazarethen verbliebenen, dann jene Aerzte abrechnet, 
welche bei den in der Defensive verbliebenen Heerestheilen 
standen, so entfielen bei den 85.000 Mann Operations- 
truppen, welche am 1./13. Dezember 1877 die türkische 
Grenze überschritten, auf je 2.500 Mann doch nur ein Arzt. 
Aber trotzdem war in diesem Feldzuge schon ein wesent- 
licher Fortschritt zu verzeichnen, indem der Abschub der 
Verwundeten aus der vordersten Schützenkette auf die 
Verbandplätze und von dort, nach angelegtem Verbände 
und stattgehabter Labung, auf mit Stroh und warmen 
Decken versehenen Schlitten nach den nächsten Feld- 

15* 



— 228 — 

hospitälern ziemlicli regelrecht vor sich ging. Auch war 
in diesem Feldztige gar nichts mehr von der früher ge- 
bräuchlichen barbarischen Krieirfuhrunfi: zwischen Serben 
nnd Türken wahrzunehmen; im Geg Jheile wurden die 
gefangenen türkischen Verwundeten und Kranken^ sowohl 
Offiziere als Soldaten, ebenso wie die serbischen, in den 
Militär- und Civil -Heilanstalten gepflegt und gewartet; 
weshalb auch die 4000 türkischen Gefangenen, bei ihrer 
Bückkehr in die Heimath, ihrem Danke für die menschen- 
freundliche Behandlung nicht genug Worte zu leihen ver- 
mochten. Serbien war eben kurze Zeit vorher der „Genfer 
Convention^ beigetreten und nahm es mit deren Be- 
stimmungen sehr ernst. 

Der Gesamtverlust des serbischen Volksheeres in 
diesem Winterfeldzuge betrug 6,8 Prozent des Truppen- 
standes und auf jeden auf dem Schlachtfelde Gefallenen 
entfielen 4,16 Verwundete. Nachdem häufig bei einem 
Froste von — 11 ^ R. kampirt werden musste und selten 
genügend viel Brennmaterial za finden war, so wuchs der 
Krankenstand bei der Operationsarmee sehr rasch und hatte 
das aufgebotene serbische Volksheer bis zur Entlassung 
der Milizen in die Heimath, nicht weniger als 50,798 
Kranke (davon 35,189 leichtere und 15,609 schwere Fälle) 
und 2,781 Verwundete, somit zusammen: 53,579 Pflege- 
bedürftige. 

Diese wurden behandelt auf den 22 Verbandplätzen, 
6 ständigen Ambulatorien, 18 Feldlazarethen, 3 Gamison- 
spiiälem und in den 23 ILeservelazarethen. 

Es starben im Ganzen 228 Verwundete und 1488 
Kranke; somit von den Verwundeten 8,19 Prozent und von 
den Kranken 2,62 Prozent. 

Während zur selben Zeit im russischen Operations- 
heere der „Typhus exanthematicus" stark grassirte, blieb 
diese verheerende Krankheit im serbischen Heere auf 12 
Fälle beschränkt und wurde glücklicher Weise gleich im 
Entstehen erstickt. 



- 229 — 

Im serbiscli-bulgarisclien Kriege 1885 wurden wieder 
grosse Anfordemngen an das serbische Sanitätswesen ge- 
stellt, zu dessen oberstem Leiter abermals Dr. Wladan 
Gjorgjevic ernannt wurde. 

Er fand, dass damals im ganzen serbischen Heere nur 
23 Aerzte, 20 ärztliche Gehilfen und 11 Apotheker vor- 
handen waren und dass es ausserdem im ganzen Lande 
82 Aerzte, 11 Gehilfen und 38 Apotheker gab. Der Ge- 
sxmdheitszustand der mobilisirten Truppen im Oktober 1885 
war ein befriedigender, da von 43,400 Mann nur etwa 500 
ernstlich erkrankten. "Während des Feldzuges im November 
war für die Verwundeten und Kranken nicht genügend 
gesorgt und, ohne die Fürsorge der Königin Natalie, wären 
noch viele Hunderte mehr erlegen. 

In diesem 14 tägigen Feldzuge belief sich der Verlust 
auf 746 Tote, 4570 Verwundete und etwa 1700 Vermisste. 
Wie sehr die wenigen Aerzte, besonders in den ersten 
Tagen nach den blutigen Kämpfen um Slivnitza and bei 
Pirot, angestrengt waren; lässt sich am besten daraus er- 
messen, wenn man vernimmt, dass im Spitale zu Nisch 
anfangs nur 3 und später erst 6 Aerzte vorhanden waren, 
welche 3000 Verwundete möglichst rasch verbinden und 
deren Verband alle sechs Stunden wechseln mussten. 

An die Begelung des Landes-Sanitätsdienstes selbst 
ging die serbische Kegierung erst dann, als das Land 
im Jahre 1878 und 1879 vollkommen frei und selbständig 
geworden war. 

Es ist zwar im Zeiträume von 1838 bis 1878 im Civil- 
sanitätswesen Serbiens ebenfalls manches Gute geschaffen 
worden, so z. B. die Einrichtung der staatlichen Kreisärzte, 
die Zwangsimpfung, Quarantaine-Anstalten an der Grenze, 
durch welche manche Epidemie und hauptsächlich die 
Rinderpest von Serbien abgewendet wurde, obwohl sie 
zeitweise in den Grenzländern stark gewüthet hatte. Auch 
die Cholera wurde möglichst femgehalten, obwohl sie in 



— 230 — 

diesen 40 Jahren doch einige Male über den Pfahlzaun der 
Grenze gedrungen ist. 

Aus diesem ersten Zeiträume giebt es noch Ver- 
fügungen über die Pflege der Irrsinnigen, eine Yorschrift 
für die Friedhöfe und das Begräbnisswesen, eine andere 
für die öffentlichen Apotheken und die Arzneitaxe; das 
Institut der Staatszöglinge zum Studium der Arzneikunde; 
die Kreisspitäler, von denen zwei in eigens dazu erbauten 
Gebäuden, die andern in gemietheten Privathäusem eröffnet 
wurden; die Einsetzung einer ständigen ärztlichen Com- 
mission; die an der Belgrader Hochschule errichtete Lehr- 
kanzel für gerichtliche Arzneikunde und öffentliche Ge- 
sundheitspflege ; endlich die Einführung eines Steuerzu- 
schlages von 1,60 Dinar fär jeden steuerpflichtigen Ein- 
wohner zur Erhaltung der Kreisspitäler; und zwar musste 
bei jeder Kreisbehörde aus diesem Spitalssteuerzuschlage 
ein Fonds geschaffen werden. 

An diese 40 jährige Entwicklungsperiode schlössen 
sich nun die neuen Beformen des Landes - Sanitäts- 
wesens an. 

Da die kleinen Kreisspitäler bisher zu ihrem Betriebe 
nicht viel gebraucht hatten , so sammelten sich diese 
Spitals-Steuerzuschläge immer mehr an, so zwar, dass, als 
am 28. December 1879 ein Gesetz erlassen wurde, wonach 
sämtliche Kreis-Sanitätsfonds zu einem einzigen „National- 
Sanitätsfond" vereinigt werden sollten, dieser sofort ein 
Kapital von 7,5 Millionen Dinars ergab. Dessen Jahres- 
zinsen und der fortlaufende jährliche Spitals-Steuerzuschlag 
geben zusammen rund 1 Million Dinar jährlicher Staats- 
einkünfte, welche ausschliesslich nur zu sanitären Zwecken 
verwendet werden dürfen. Dieser National-Sanitätsfonds 
hat einen eigenen vom allgemeinen Staatshaushalte ganz 
unabhängigen Sanitätshaushalt, der von der Skuptschina 
bewilligt wird. Hiermit ist der Landes-Sanitätsdienst von 
der Politik und ihren natürlichen Schwankungen voll- 



— 231 — 

kommen unabhängig und in materieller Hinsicht selb- 
ständig. 

Der vom dritten hygienischen Oongress in Turin aus- 
gesprochene, sehnliche Wunsch, wegen Q-ründung solcher 
Sanitätsfonds in allen Culturstaaten, ist in Serbien zuerst 
in Erfüllung gegangen.*) 

Gestützt auf diese reichlichen Mittel wurde nun das 
ganze Civil-Sanitätswesen im Lande gründlich umgestaltet. 

Die Regierung schloss eine Veterinär-Uebereinkunft 
mit Oesterreich- Ungarn ab und brachte in der Skupt- 
schina drei wichtige Gesetzvorlagen ein, welche insgesamt 
angenommen wurden. Das eine dieser Gesetze betrifft das 
Sanitätswesen und die öffentliche Gesundheitspflege, das 
zweite bezweckt den Schutz vor Viehseuchen im allgemeinen 
und die Bekämpfung derselben und das dritte dieser Ge- 
setze betrifft speziell die Massregeln gegen die Binderpest. 

Der Chef der Sanitäts-Abtheilung im Ministerium des 



*) Im Budgetjahre 1887 wies der Haushalt des National-Sani- 
tätsfonds nachstehende Ziffern auf: „Einnahmen:" Zinsen des Fonds 
471,607,22 Dinars und Spitalsteuer (von 365.000 Steuerzahlern k 1,60 
Dinars) 620,663,21; zusammen: 1,092.270.43 Dinars. 
Ausgaben: Sanitäts-Abtheilung im Ministerium 

des Innern 35.598,80 Dinars 

Haupt - Sanitätsrath und staatliches 

chemisches Laboratorium .... 11.966,72 ,, 

22 Kreis-Aerzte 68,278,60 „ 

24 Kreis-Thier&rzte 37,700 „ 

34 Bezirks-Aerzte 77,991,80 „ 

Spital für Geisteskranke 85,000 

Allgemeines Staatsspital in Belgrad 100,000 

20 Landes-Spitäler 280,000 

Staatsstipendisten für das Studium 

der Medizin im Auslande 88,000 

schliesslich für Quarantainen , allge- 
meine Kredite und unvorhergesehene 
Auslagen . . 195,128,66 „ 

Sämtliche Auslagen 981,659,58 Dinars 
Verblieb somit im Jahre 1887 eine Ersparnis von 110,610,85 „ 






— 232 — 

Innern ist so selbständig in seinen Verfügungen, dass er 
beinahe dieselben Machtbefugnisse besitzt, wie ein Ministes 
Der grosse unterschied zwischen dem serbischen Landes- 
Sanitäts-Chef und einem Staatsminister liegt jedoch darin, 
dass £rsterer nicht bei jedem Wechsel des Kabinets seinen 
Posten an einen Andern abzugeben braucht, dass somit 
die Sanitätsleitung viele politische Systemwechsel zum 
Wohle des Landes überleben kann. 

Die durch die „serbische Gesellschaft der Aerzte" ge- 
wählten Aerzte wurden mittelst königlichen Dekretes zu 
„obersten Sanitäts-Säthen^ ernannt und bilden eine, der 
Sanitäts-Leitung beigegebene berathende Körperschaft, 
welche auch das E»echt der Initiative besitzt. 

Die Sanitäts-Abtheilung im Ministerium des Innern 
umfasst, nebst dem Chef, noch einen General-Inspektor, 
einen Sekretär, zwei Chemiker und einen Ober-Thierarzt ; 
alle diese Personen sind Doktoren der Medizin. Der Macht- 
bereich dieser Sanitätsleitung erstreckt sich auf das ganze 
Gebiet der Gesundheitspflege und selbst auf die Nahrungs- 
mittel des Volkes; indem gegen alle Gewerbe, die sich 
mit der Beschaffung derselben befassen, gesetzeskräitige 
Verfügungen erlassen werden können. 

Im Hinblick auf die Verwaltung und die medizinische 
Thätigkeit, ist der Ausbau des Ganzen ein gleich voll- 
ständiger. 

Neben dem Kreishauptmann steht der fast ebenso 
gut besoldete Kreisarzt, neben dem Bezirksvorsteher der 
Bezirksarzt mit gleichem Gehalt wie der letztere. Jede 
einigermassen bedeutendere Gemeinde hat einen besonderen 
Arzt, welcher von Rechtswegen zum Gemeinderath gehört, 
was eine vorzügliche Massregel genannt werden muss. 

Der schon erwähnte , der Sanitätsleitung im Mini- 
sterium beigegebene, „Sanitäts-B>ath^ besteht aus sieben, 
und zwar den anerkannt tüchtigsten, Aerzten des Landes. 

Das ganze Königreich wird also gleichsam von einem 
ganzen Heer von Medizinalbeamten besetzt gehalten, und 



— 283 — 

diese sind berechtigt, sich um alles zu kümmern, was die 
Gesundheitspflege von Menschen und Thieren betriflfc. 

Um die Zahl der Aerzte und Thierärzte im Lande 
rasch durch Landeskinder zu ergänzen, wurde die Zahl 
der Staatsstipendisten an den medizinischen Fakultäten 
in Wien und Paris auf 30 erhöht und überdies wurden 
20 Stipendisten an das k. k. Thierarznei-Institut nach 
Wien gesendet. 

Um die sanitären Verordnungen, statistischen Berichte 
und Studien in den weitesten Kreisen der Bevölkerung 
bekannt zu machen und gleichzeitig durch volksthümliche 
Aufsätze über alle hygienischen Fragen das Interesse des 
Volkes hiefür zu erwecken und rege zu erhalten, wurde 
ein amtliches Wochenblatt „Die Volksgesundheit" ge- 
gründet, welches sehr zahlreiche Abonnenten hat. 

Einige Bestimmungen des G-esundheitsgesetzes sind 
sehr interessant. 

Jedes Kind muss zwischen dem dritten und zwölften 
Monate nach seiner Geburt geimpfb und beim Abgange 
aus der Gemeindeschule wieder geimpft werden. 

Die männliche Bevölkerung unterliegt noch einer 
dritten Impfung bei der Einberufung zum Militärdienste. 
Die Impfung ist obligatorisch und unentgeltlich; sie findet 
in dem Zeitraum vom 1. Mai bis 30. September eines 
jeden Jahres statt. Sie erfolgt, unter der Aufsicht des 
Bezirksvorstehers und Gemeindevorstandes durch den Be- 
zirksarzt. 

Jedes Haus, in dem eine ansteckende Krankheit 
herrscht, muss in genau vorgeschriebener Weise mit einem 
über die Krankheit berichtenden Mauer- Anschlage versehen 
sein. Eine ebensolche Verordnung besteht auch in Holland. 

So sah man einmal sogar an dem vom Kronerben 
bewohnten Palaste eine Tafel mit der verhängnissvollen 
Aufschrift: „Typhus** ausgehängt. 

Die Aerzte müssen die Sauberkeit in den bewohnten 
Häusern überwachen und haben darauf zu sehen, dass den 



— 234 — 

Brunnen keine Düngerhaufen oder Aborte zu nahe liegen; 
sie haben sich von der Beschaffenheit des Trinkwassers 
zu überzeugen und alle schädlichen Einflüsse hintanza- 
halten, welche aus schlechter Nahrung oder aus altherge- 
brachten Gebräuchen beim Wochenbett und bei Begräb- 
nissen entspringen könnten. Die Forschungen des staatlich 
angestellten Arztes betreffen auch einen sehr heiklen Punkt, 
nämlich die Verhältnisse des ehelichen Lebens, er muss 
erkunden, ob dadurch erbliche Krankheiten entstehen 
u. s. w. 

Die Zahl der Apotheker ist eine beschränkte und der 
Preis für die Arzneien ein fest bestimmter. Auch für die 
ärztlichen Hilfeleistungen giebt es eine ganz genaue Taxe. 
Ein gewöhnlicher Besuch wird in Belgrad mit 1 bis 4 
und in den übrigen Theilen des Landes mit 1 bis 2 Dinars 
bezahlt. 

Der Gypsverband für einen Knochenbruch kostet 6 
Franken und die Abnahme eines Gliedes 40 Franken. 

Der Gesundheitsdienst hat sich auch nicht gescheut, 
eine uralte und fast zum religiösen Brauche gewordene 
Sitte anzutasten, nämlich jene, die Todten in einem offenen 
Sarge zu Grabe zu tragen. Jetzt müssen sich auch die 
Serben eines geschlossenen Sarges bedienen und Zuwider- 
handelnde werden mit empfindlichen Geld- und Gefängnis- 
strafen geahndet. 

Laveleye sagt, dass wohl kaum in einem zweiten 
Lande ein so genau und dabei so vorzüglich ausgebautes 
Gesundheits-Gesetz zu finden sein dürfte, und es frage 
sich nur, ob man nicht über das Mass hinausgegangen 
sei? Dieser hochgelehrte Autor meint, ein Staat könne 
nur im Heere, nicht aber der ganzen Bevölkerung solche 
genaue, bis in das kleinste Detail gehende Yorschrifben 
gleichsam anbefehlen. Der Staat verfolgt allerdings den 
Zweck eine möglichst kräftige und widerstandsfähige Be- 
völkerung heranzuziehen, jedoch liegen nach der Ansicht 
Laveleye's diesen Vortheilen auch schwerwiegende Nach- 



— 235 - 

theile gegenüber. Eine solche Bevormundung müsse, — 
wie es die Jesuiten- Niederlassungen in Paraguay gezeigt 
haben, — der persönlichen Verantwortung des Einzelnen, 
seinem Selbstdenken und seiner Thatkraft jede Spannkraft 
rauben und ihn zu dauernder Minderjährigkeit verdammen, 
während gleichzeitig dem von den Kadikaien ohnehin so 
sehr gefürchteten Anwachsen der Bureaukratie, damit ein 
weiterer Vorschub geleistet werde. 

Trotzdem meint aber Laveleye, dass die Aerzte aller 
Länder jene Einrichtungen mit Freuden bewillkommnen 
würden. 

Serbien hat ein gemässigtes, mildes und gesundes 
Klima, nur herrschen in einigen Sumpfgegenden des nörd- 
lichen und insbesondere des nordwestlichen Theiles, näm- 
lich in der „ Matsch va", bösartige Wechselfieber, welche 
mit ihren Folgekrankheiten eine wahre Landplage bildeten. 
Gegen diese, in zwei von den 80 Landbezirken endemisch 
herrschende, konstitutionelle Krankheit wurden vom Landes- 
Sanitätsrath energische Massregeln ergriffen. Vor allem 
wurde ein Preis ausgesetzt, für die beste Studie über die 
Austrooknung dieser Sümpfe; sodann wurden zwei ambu- 
lante Civil-Feldspitäler errichtet, welche in Gegenden, wo 
endemische Wechselfieber herrschen, von Dorf zu Dorf 
zogen. In diesen Feldspitälern wurden im Jahre 1883 von 
den 1906 Kranken 1078 gründlich geheilt. 

Ein Preis für eine sehr populäre Bauem-Hygiene 
wurde ebenfalls ausgeschrieben und von einem serbischen 
Arzte errungen, der in Pettenkofers hygienischem Institute 
gearbeitet hatte und sodann zur weiteren Ausbildung in 
das deutsche ßeichs-Gesundheitsamt gesandt worden war. 

Auch wurde ein einheitlicher Typ für die Anlagen 
der neuen Schulgebäude in den Landgemeinden und die 
Umgestaltung der älteren Dorfschulen auf Staatskosten 
verordnet. Desgleichen wurde bestimmt, dass die staat- 
lichen Krankenhäuser der Kreise tmd Bezirke nach dem 
Pavillonsysteme zu erbauen seien und wurde im Jahre 



— 236 - 

1884 die sofortige Herstellung von drei solchen Kranken- 
häusern angeordnet, mit deren Bau die Wiener Fach- 
männer F. von Grruber und Ingenieur C. Völckner betraut 
wurden. 

Schliesslich kann hier nicht unerwähnt bleiben, dass 
Serbien auffallend reich an Mineral- und Heilquellen ist, 
von denen manche bald berühmt und auch von Ausländem 
besucht werden könnten , wenn es die Bewohner ver- 
stünden, fiir die Bequemlichkeit der Badegäste besser vor- 
zusorgen und etwas mehr Reklame zu machen. Es bleiben 
jedoch die meisten dieser Quellen selbst von den Einhei- 
mischen unbenutzt. 

Vor zwanzig Jahren waren hiervon nur etwa sechs 
thatsächlich benützt. 

Am meisten benützt ist das besonders für Magen- 
kranke sehr heilkräftige Bukovnitschka-Bitterwasser, bei 
Arandjelovac, woselbst sich seit mehr als 25 Jahren ein 
recht schönes, von der Regierung erbautes Kurhaus be- 
findet, und vom 1. Mai bis Ende September von Serben, 
Rumänen und theilweise auch von Süd-Ungaren stark be- 
sucht wird. 

Ferner werden noch aufgesucht: im Drina- Kreise 
die, gegen veraltete Wunden und Hautkrankheiten sehr 
wirksame, schwefelhaltige Heilquelle Smrdan Bara (unweit 
von Loznitza), wohin nur eine Eisenbahn längs der Drina 
fuhren müsste, um sie auch in Oesterreich-Ungam beliebt 
zu machen. 

Die Sauerwasser-Quelle bei Prilike unweit Ivanitza ist 
sehr wenig benützt. 

Dann sind im Kruschevatzer Kreise neun Heilquellen, 
von denen die vorzüglichsten drei folgende sind: 

Die Joschanitschka-Banja (Bad), eine der heissesten 
Quellen Europas, welche auf unserem Thermometer 79 ® 
Celsius gezeigt hat und von Anderen mit 76 ® bis 78 ^ 
Temperatur angegeben wird. Diese auf einer Wiese aus 
zwei, mehr als einen Meter oberen Durchmesser hal- 



— 237 — 

tenden Trichtern gewalteam hervorsprudelnde, geradezu 
siedend heisse Quelle mag gewiss in der Zukunft eine 
grosse Berühmtheit erlangen, wird aber jetzt noch sehr 
wenig gebraucht. 

Die Ymjatschka-ßanja hat eine Temperatur von 27 • 
C. und wird deren Heilkraft von Fachmännern mit jener 
der Quellen von Carlsbad und Ems gleichgeachtet. 

Femer, die Bibarska-Banja ist 35 —37 0. heiss und 
enthält Schwefeläther, kohlensaures Natron, Salzsäure, 
etwas Eisen u. s. w. Dieselbe ist sehr besucht. Dann 
besteht die Alexinnatschka-Banja unweit der gleichnamigen 
Kreisstadt. Dieselbe war schon den ßömem bekannt 
und hat eine Temperatur von 46 ® C. Sie enthält Kohlen- 
säure in Verbindung mit Natron, dann etwas Eisen und 
Bittererde; bei etwas mehr Bequemlichkeit für die Bade- 
gäste könnte dieses Bad, nach Gopcevic, Ansicht, ein ser- 
bisches Gastein werden. 

Es giebt noch zahlreiche Mineralquellen in Serbien, 
welche entweder gar nicht oder nur sehr wenig benützt 
werden; so z. B. im Kreise Smederevo bei Palanka ein 
lange schon bekanntes Bitterwasser, bei Bela Voda im 
Kreise Jagodina ein eisenhaltiges Bitterwasser, in der 
Morava-Flussenge zwischen den Bergen Kablar und Ovt- 
schar bis zu 36 ^ 0. heisse Quellen, im Kreise Valjevo ein 
sehr gelobter Sauerbrunnen in Friplev, im Tschatschaker 
Kreise sechs Quellen minderen Werthes, desgleichen im 
Kreise Knjazevatz drei imbedeutende Mineralquellen, im 
Kreise Nisch eine 36 ^ 0. heisse Quelle, im Kreise Vranja 
eine über 80^ C. heisse Quelle; schliesslich die Q-amzigrad- 
Banjica im Kreise Gma Beka, welche nach ihrem Gehalte 
den Karlsbader-Quellen gleichkommen soll. 



X. Kapitel. 

Das Heerwesen. 



Die Geschichte der serbischen Wehrmacht im Mittel- 
alter weist ganz ähnliche Verhältnisse auf, wie in allen 
anderen europäischen Staaten mit einem Feudaladel. Jeder 
Wojevode (Heerführer) und Bannerträger, sowie die übrigen 
Adeligen brachten jeder einen entsprechenden Theil des 
Heerbannes auf. Der vielen Gebirge halber, bestand der 
grösste Theil der serbischen Heere, ebenso wie noch heut- 
zutage, aus Fussvolk, welches sich insbesondere im kleinen 
Kriege stets vorzüglich bewährt hatte. Auch fremde 
Soldtruppen hielten manche der mächtigsten serbischen 
Herrscher, als das Seich noch in seinem Zenithe stand; so 
gab es eine Zeit lang türkische und tartarische Söldlinge. 

König Stephan Detschanski hielt Italiener, welche 
durch Sagusaner Agenten angeworben, und der Zar 
Duschan hielt sogar Deutsche in seinem Solde, welche von 
ihrem Befehlshaber Palmann angeführt wurden. 

Mit dem Falle des Serbenreiches, ging auch dessen 
Adel zu Grunde. Nach der Eroberung des Landes durch 
die Türken wanderte ein grosser Theil der am Leben ge- 
bliebenen Grundherrn aus, der im Lande verbliebene Eest 
derselben verschwand mit den Bürgerständen spurlos in 
der Bajah (Christenheerde). Nur ein ganz geringer Theil 
ahmte das Beispiel des bosnischen Adels nach, trat zum 



— 239 — 

Islam über und erwarb in den türkischen Heeren, woselbst 
sie durch einen ganz besonderen Fanatismus glänzten, 
Stellung und Eeichthümer. 

Aus ihnen sollen mehrere der berühmtesten ottoma- 
nischen Heerführer hervorgegangen sein. Aus der Bajah 
rekrutirte jedoch die türkische Regierung, durch den all- 
jährlich mit Gewalt ausgehobenen, sogenannten „Knaben- 
zins", den Nachwuchs für die gefürchteten Janitschareu. 

Als Prinz Eugen das türkische Heer zum ersten Male 
über die Save verfolgte, rief Kaiser Leopold die Rajah 
gegen ihren Zwingherm mit grossem Erfolge auf. Es 
bildeten sich damals, ebenso wie in allen späteren öster- 
reichisch-türkischen Kriegen, stets serbische Freischaaren, 
unter denen sich jene unter dem Obersten Mihailjevic 
(1737) und die unter Kotscha (zur Zeit, als Marschall 
Laudon österreichischer Oberbefehlshaber war), durch die 
von ihnen geleisteten sehr guten Dienste, besonders aus- 
gezeichnet haben. 

Im österreichischen Heere dienten allezeit mehrere 
tapfere Führer und Soldaten aus Serbien. Auch der Held 
der ersten serbischen Erhebung, Kara Djordje, hatte sich 
seine militärischen Kenntnisse als Unteroffizier in der 
österreichischen Armee erworben. 

Als im Jahre 1804 die Serben durch Kara Djordje 
(Petrovitsch) zum Kampfe um die Freiheit aufgerufen 
wurden, besassen die Bauern, welche sich ihm anschlössen, 
nur wenige und schlechte Waffen, welche sie sich meist 
selbst angefertigt hatten. Trotzdem erfochten sie, unter 
ihres Anführers genialer Führung, Sieg auf Sieg ; nahmen 
den gefangenen oder getöteten Türken ihre Waffen ab, 
eroberten hierauf sogar auch sieben befestigte Punkte, 
wodurch sie selbst in den Besitz von Kanonen gelangten. 
Hiedurch war es möglich geworden, dass Kara Djordje 
nach neunjährigen Kämpfen schliesslich über 30.000 ziem- 
lich gut bewaffnete Freischärler, 150 G-eschütze, dann 



— 240 — 

über 7 permanente Befestigungen und etwa 40 Schanzen 
verfügte. 

Die im Jahre 1813, in Folge von Zwistigkeiten und 
Eifersüchteleien zwischen den serbischen Führern, erfolgte 
Wiedereroberung des Landes durch die Türken machte 
allerdings diese schönen Erfolge wieder zu nichte und Kara 
Djordje flüchtete über die Save nach Ungarn. 

Der einzige serbische Führer, welcher sein Land nicht 
verlassen hatte, war Milosch Obrenovich, welcher zwei 
Jahre später, im Jahre 1815, wieder die Fahne der Frei- 
heit entrollte und dem es gelang, nicht nur die Türken 
abermals zu vertreiben, sondern auch für Serbien eine ge- 
wisse Selbständigkeit und für sich den Titel eines „Fürsten 
des tributpflichtigen Serbien" zu erlangen. 

Der Hattischerif vom 8. August 1830, welcher die 
Verhältnisse des neuen Fürstenthums regelte, enthielt auch 
die Bestimmung, „dass zur Vorbeugung von Eükestörungen, 
^die sich in Serbien ereignen könnten, sowie, damit die 
„Verbrecher verfolgt und bestraft werden können , der 
„Fürst Milosch das Becht haben solle, in seinem Dienste 
„die nothwendige Anzahl von Kriegstruppen zu halten.« 
Dies war eine Verfugung, deren grosse Tragweite von der 
hohen Pforte kaum vorhergesehen worden sein dürfte. 
Auf Grund derselben schritt nim Fürst Milosch mit aller 
ihm innewohnenden Energie zur Errichtung eines serbischen 
Heeres. Zuerst bildete er eine Abtheilung Fussvolk, die 
er „ Garde ^ nannte und von einem russischen OfiQzier ein- 
exerzieren liess. Bald darauf errichtete er eine zweite Ab* 
theilung, welche den Namen „II. Garde*' erhielt. 

Im Jahre 1836 kehrten die ersten, zur militärischen 
Ausbildung nach Bussland entsendeten serbischen Offiziere 
in die Heimath zurück und wurden nun bei dem, aus den 
beiden Garde-Abtheilungen zu vier Compagnien formirten 
Bataillon eingetheilt. 

Bis zum Sohluss seiner ersten Begierungsperiode, 
nämlich in der Zeit von 1836 — 1839 , errichtete Fürst 



— 241 — 

Milosch noch ein zweites Bataillon (jedes derselben 1010 
Mann stark), eine Eskadron von 208 Pferden und eine 
Feldbatterie. Nach „Thal" sollen unter Milosch auch fünf 
Miliz-Eegimenter zu 3500 Mann gebildet wordeD sein. Die 
Ausbildung, Bewaffnung und TJniformirung war ganz 
russisch. Die Verwaltung des Heeres war nach dem 
„Ustav" vom Jahre 1838 dem Ministerium des Innern über- 
tragen, welchem auch alle Militär-Behörden unterstanden. 
Der Fürst war der oberste Kriegsherr. Die Dienstzeit 
dauerte 4 Jahre, die Militärpflicht erstreckte sich vom 
18. bis zum 30., hingegen die Eeservepflicht bis zum 60. 
Lebensjahre. 

Fürst Alexander Karadjordjevitsch änderte nichts an der 
Organisation des kleinen Heeres. Er Hess nur die in Bel- 
grad und Kragujevatz begonnenen Militär-Bauten vollenden. 
Er gründete im Jahre 1850 die heutige Kriegsschule, 
welche damals „Artillerie-Schule" genannt wurde. 

Diese Schule wurde durch den damaUgen Major (spä- 
teren Q-eneral) Zach vorzüglich organisirt und erhalten 
noch jetzt Offiziere aller Waffengattungen daselbst ihre 
Ausbildung. Fürst Alexander sandte auch mehrere ser- 
bische Offiziere auf ausländische Militärschulen zur höheren 
Ausbildung. 

Im Jahre 1848 sandte Fürst Alexander 7000 serbische 
Freiwillige , unter Anführung des Generals Knitschanin, 
nach Ungarn, wo sie die Kämpfe gegen die Magyaren mit- 
machten. 

Als Fürst Milosch im Jahre 1858 aus der Verbannung 
zurückberufen wurde, begann er sofort wieder die serbische 
Heeresmacht zu heben. Er erbat sich vom Kaiser Napo- 
lon ni. den französischen Genie-Obersten Mondain, welcher 
mit dem Titel eines Kriegsministers ausgestattet, die Reor- 
ganisation des serbischen Heereswesens durchführte. 

Bei dem Tode des Fürsten Milosch im Jahre 1860 
bestand schon das stehende Heer aus 4 Bataillonen Infan- 
terie, einschliesslich eines Jägerbataillons, 2 Eskadronen 

Anton Toma , Serbien. 16 



— 242 — 

Beiter, 2 Batterien, 1 Pionier und 1 Arbeiter - Compagnie, 
nebst Generalstab nnd Verwaltungsorganen; zusammen 
gegen 6000 Mann. 

unter dem Fürsten Mihail wurde die National -Miliz 
gegründet (1861) und hatte jeder Serbe vom 20. bis zum 
60. Lebensjahre heeresdienstpilichtig zu sein. 

Nach dem damaligen Milizgesetze hatte jeder der 17 
Kreise je eine Infsmterie-Brigade 1. Klasse und eine solche 
2. Klasse aufzustellen. Jede Brigade sollte so viele Ba- 
taillone enthalten, als der Kreis Bezirke zählte. Die Miliz 
sollte jährlich durch 15 Tage Uebungen abhalten. Ausser- 
dem erhielt jede Brigade der 1. Klasse eine leichte Bat- 
terie zu 6 G-eschützen zugewiesen. Nachdem damals Ser- 
bien 66 Bezirke zählte, so bestand eine jede der beiden 
Miliz-Klassen aus 66 Bataillonen, mit ungefähr 60,000 Mann. 
Regimenter gab es nicht. 

Fürst Mihail hatte es verstanden, sein Volk für das 
Milizsystem zu begeistern, so dass dasselbe bald sehr volks- 
thümlich geworden war und die Milizen an Sonn- und 
Feiertagen freiwillig zum Exerzieren zusammenkamen. 

Sämtliche 17 Brigaden standen unter den Befehlen 
von fünf höheren Commanden, ohne nähere Bezeichnung. 

Das vom Fürsten Milosch gegründete stehende Heer 
bildete die Oadres für die National-Miliz. Dasselbe hatte 
sich um einige Batterien und technische Gompagnien ver- 
mehrt und zählte im Jahre 1868 beim Tode Mihail's im 
Ganzen nahezu 5000 Manu. Ausserdem besass Serbien einen 
Kriegsdampfer „Deligrad^, eine Kanonengiesserei in Kra- 
gujevac mit einer Feuerwerker - Gompagnie , dann eine 
grosse Pulverfabrik in Stragari und jeder zweite Kreis 
hatte sein eigenes Munitionsmagazin. 

Auch eine militärische Zeitschrift der „Vojin" war 
entstanden, welche recht tüchtige Aufsätze und Mittel- 
lungen über das Militärwesen des In- und Auslandes 
enthielt. 

Die Dienstpflicht im stehenden Heere betrug 3 Jahre; 



— 243 — 

jene in der National-Miliz, welche in zwei Aufgebote zer- 
fiel, dauerte bis zum 45. Lebensjahre. 

Im Jahre 1867 beschloss auch die Skuptschina dem 
ersten Aufgebote eine einfache aber zweckmässige Uniform 
zu geben, während das zweite Aufgebot in eigenen Kleidern 
einrückte. 

Im Jahre 1866 beliefen sich schon die gesamten 
Heeresausgaben in Serbien auf rund 3 Millionen Dinars. 

Die während der Minderjährigkeit des Fürsten Milan 
eingesetzte Regentschaft arbeitete im Geiste der Reformen 
des Fürsten Mihail weiter. 

Fürst Mihail hatte in weniger als zehn Jahren die 
serbische Kriegsmacht von den kaum 3000 Mann stehenden 
Truppen, welche bei der Abdankung des Fürst Alexander 
Karadjordjevitsch vorhanden waren, auf die Höhe von 
rund 80.000 Mann Feldtruppen gebracht. 

Grosse Umwälzungen standen auf der Balkanhalbinsel 
bevor und mussten wohl auch von der serbischen [Regie- 
rung vorhergesehen werden. Deshalb wurde mit fieber- 
hafter Hast an der Vermehrung der serbischen Elriegs- 
mittel weitergearbeitet, so dass Fürst Milan, nachdem er 
die Begierung bei erlangter Grossjährigkeit selbst über- 
nommen hatte, zu Anfang des Jahres 1872 schon über 
eine stehende Armee von 6.650 Mann und über ein Miliz- 
heer von im Ganzen etwa 124.000 Mann verfügen konnte. 
Bei der damaligen Bevölkerungszifier von rund 1,350.000 
Seelen, war somit jeder zehnte Einwohner Soldat. Die 
Miliz, in welche die stehende Armee vertheilt wurde, 
formirte: 10 Infanterie-Brigaden ä 8 Bataillone zu je vier 
Kompagnien (jede 200 Mann stark) der 1. Milizklasse 
dann 8 Infanterie-Brigaden von gleicher Zusammensetzung 
der 2. Milizklasse, ferner 20 Eskadronen der 1. und 13 
Eskadronen der 2. Milizklasse ; schliesslich 14 Batterien 
des stehenden Heeres und 18 leichte Milizbatterien nebst 
technischen Truppen und Trains. 

Fürst Milan schenkte ebenfalls dem Heerwesen seine 

16* 



— 244 — 

vollste Aufmerksamkeit, konnte sicli aber doch nicht der 
Ansicht verschliessen, dass das kaum 12 Jahre bestehende 
serbische Milizheer noch viele schwerwiegende Mängel 
hatte, die es noch lange nicht fähig machten, einen E[rieg 
mit der Türkei mit einiger Aussicht auf Erfolg zu beginnen. 

Deshalb wehrte sich auch der junge Fürst, so lange 
er konnte, gegen diesen Krieg; er überraschte alle jene, 
welche dies dem jungen Milan nicht zugetraut hatten, 
durch sein selbstbewusstes Auftreten in der stürmisch 
einen Krieg gegen die Türkei verlangenden Skuptschina 
indem er sich entschieden gegen denselben erklärte und 
sogar das Kabinet Kistitsch entliess. 

Schliesslich musste aber der Fürst einige Zeit später, 
der Kriegspartei leider doch nachgeben, und zwar haupt- 
sächlich deshalb, weil man ihm bestimmt versichert hatte, 
dass Serbiens Losschlagen unverzüglich auch ßussland in 
Krieg verwickeln werde. 

In dieser Ueberzeugung nahm der Fürst auch den 
russischen General TschemajefF als serbischen Armee- 
Commandanten an , welchem bald über 3000 russische 
Freiwillige (Offiziere und Unteroffiziere) nach Serbien 
folgten. 

Auch stellte der serbische Kriegsminister dem Fürsten 
Milan die Kampfbereitschaft des Heeres viel günstiger 
dar, als sie wirklich war und so erklärte er der Pforte 
am 1. Juli 1876 jenen Krieg, welcher in den Oktober- 
Schlachten bei Djunis ein so übles Ende nahm. 

Anerkennen muss man jedoch immerhin, dass sich 
das serbische Milizheer gegen reguläre Truppen, welche 
ihm an Zahl, Ausbildung, Bewaffnung und Disziplin über- 
legen waren, dennoch 4 Monate lang hatte halten können; 
obwohl das Milizheer kaum ein Zehntel gedienter Soldaten 
enthielt und der Best nur eine sehr mangelhafte Aas- 
bildung genossen hatte. Denn unter der Regierung des 
Fürsten Mihail wurde die Miliz allerdings jährlich zu 
einer 14 tägigen Waffenübung einberufen , jedoch nach 



— 245 — 

seinem Tode wurden diese Waffenübungen beinahe ganz 
unterlassen. 

Ausserdem litt die serbische Miliz einen grossen 
Mangel an Offizieren, so dass Armeekorps von Obersten, 
Divisionen und Brigaden nur von Majoren und Haupt- 
leuten der stehenden Armee befehligt werden konnten. 

Zum Gommandanten einer Milizkompagnie berief man 
gewöhnlich den Angesehensten eines Dorfes. 

Es gab wohl mitunter auch Milizoffiziere, welche sich 
sogar im bürgerlichen Leben mit dem Studium der Dienst- 
vorschriften und selbst mit Taktik beschäftigten, — wie 
wir selbst im Jahre 1874 den Wirth derMehana (Strassen- 
Einkehrhaus) von Arilije bei der Lektüre der Taktik von 
Perizonius überraschten; — es dürfte dies jedoch nur eine 
seltene Ausnahme gewesen sein. 

Auch die Infanterie-BewaflBiung (Peabody- und schlechte 
Grreen-Gewehre) stand weit hinter den türkischen Henry- 
Martini- Gewehren der Infanterie und den Winchestör- 
Brcpetier - Gar abinern der Beiterei zurück; desgleichen 
konnten sich die damaligen La Hitte- Geschütze Serbiens 
absolut nicht mit den vorzüglichen türkischen Klrupp- 
Kanonen messen. Ueberdies soll die Beweglichkeit der 
serbischen Geschütze eine sehr schwerfällige gewesen sein. 

Ein bedeutendes Hindernis bildete in diesem Kriege 
auch der fühlbare Geldmangel. Die Soldaten erhielten 
bald nichts als die dürftige Feldkost und die Offiziere, 
ohne Unterschied des Grades je 10 Dukaten (etwa 60 Frank) 
monatlich. 

Nach geschlossenem Frieden befahl Milan die Errich- 
tung von weiteren fünf Bataillonen des stehenden Heeres. 
Alle 9 stehenden Bataillone wurden dann bei Ausbruch 
des Krieges 1877 in verschiedene Miliz-Brigaden vertheilt, 
-wobei die Soldaten des stehenden Heeres mit den weniger 
geschulten Milizen vermengt wurden. 

Bis zum Sommer 1877 hatte man die Eintheilung des 
Heeres in 4 Territorial-Oorps durchgeführt und sollte in 



— 246 — 

jedem derselben aas den milizpfliohtigen Leuten ein aktives 
und ein B>eserye-Gorps gebildet werden. 

Die Eintheilung der Miliz in zwei Klassen oder Auf- 
gebote war hiermit abgescha£Fb und die Eintbeilung des 
Heeres in „aktive" und „Eeserve-Truppen angenommen. 
Die aktive Miliz umfasste die frühere Miliz des ersten, 
die Reserve jene des zweiten und dritten Aufgebotes. 

Die vier TerritoriaLCorps waren: Das Drinlcorps mit 
4 Brigaden, das Schumadija- Corps mit 4 Brigaden, das 
Morava-Gorps mit 5 Brigaden und das Timok-Corps mit 

4 Brigaden. 

Mit dieser Organisation eröffiiete Serbien seinen zweiten 
Krieg gegen die Türkei im December 1877 und erhielt 
nach dem Friedensschlüsse einen bedeutenden Gebiets- 
zuwachs in der Bichtung gegen Altserbien. 

Am 18. Oktober 1878 erschien ein forstlicher Befehl 
(ITkas) mit folgenden Bestimmungen: 

„Das serbische Heer wird auch fernerhin aus der 
stehenden Armee und der Nationalmiliz bestellen. Die 
stehende Armee formirt eine Infanterie-Brigade, bestehend 
aus zwei Infanterie-Segimentern, jedes zu 5 Bataillonen; 
dann eine Artillerie-Brigade, bestehend aus 4 Begimentem, 
von denen jedes 7 schwere und 1 Q-ebirgsbatterie hat und 
in zwei Divisionen eingetheilt wird; femer 1 Eeiter-ßegi- 
ment zu 4 Eskadronen; endlich 1 Genie-Eegiment, be- 
stehend aus dem Pionier- und dem Pontonnier-ßataillon." 

Die ganze stehende Armee stand unter dem „Divisions- 
Commando des stehenden Heeres.** 

Die National-Miliz wurde in Brigaden 1. und 2. Klasse» 
und in Divisionen und Armeekorps eingetheilt. Es blieben 
dieselben Territorial-Oommanden, welche nunmehr „Kreis- 
Gommanden "benannt wurden; nur wurde deren Abgrenzung, 
mit Bücksicht auf den Gebietszuwachs, neu durchgeführt. 

Jedes Territorial-Gorps umfasste nur 2 Divisionen, zu 
je 2 bis 3 Brigaden. Das Schumadija - Gorps hatte jetzt 

5 Brigaden, das Timok-Gorps hatte deren 6, das Morava- 



— 247 — 

Corps ebenfalls 6 und das Drina-Corps hatte 5 Brigaden; 
zusammen 22 Miliz - Infanterie - Brigaden , mit einer ver- 
schiedenen Anzahl (4 bis 6) von Bataillonen. 

Jedes Corps erhielt ein Artillerie-Begiment des stehen- 
den Heeres und hiezu noch die Milizartillerie (per Brigade 
eine leichte Batterie), dann eine Brücken-Equipage, sowie 
die nöthigen Sanitäts-Anstalten, Trains u. dgl. m. 

Die Miliz-Iteiterei 1. Klasse einer Infanterie-Division 
bildete ein Miliz-Eeiter- Regiment und die Beiter-Begi- 
menter beider Divisionen eines Corps formirten zusammen 
eine Beiterei-Brigade. 

Die Miliz-Beiterei 2. Klasse bildete bei jedem Corps 
ein "Regiment. 

Im Ganzen umfasste das serbische Milizheer nach dem 
Ukas vom Oktober 1878, und zwar in der 1. Klasse 100 
Bataillone, 22 Eskadronen und 22 Batterien, hingegen in 
der 2. Klasse 100 Bataillone und 13 Eskadronen, ohne 
Artillerie. 

Die Summe der ganzen Steitmacht Serbiens sollte 
180.000 Mann betragen, welche von der damaligen Ein- 
wohnerzahl gleichfalls etwa 10 Prozent darstellt. 

Im Verlaufe von ungefähr 16 Jahren hatte die ser- 
bische Wehrmacht schon drei Reorganisationen und auch 
sonstige tief einschneidende Veränderungen erfahren; ein 
deutlicher Beweis, dass sowohl der Fürst selbst, als seine 
Regierung und die Volksvertretung unablässig bemüht 
waren, das Heer auf eine möglichst hohe Stufe der Elriegs- 
tüchtigkeit zu bringen. 

Im Jahre 1882 entwarf nun der damalige Exiegs- 
minister General Nikolitsch abermals einen Entwurf zu 
einer gänzlichen Umgestaltung des serbischen Heerwesens, 
welcher am 15. Jänner 1883 G-esetzeskraft erhielt und 
dessen Durchführung am 12. Februar 1883 begann. 

Von den wichtigsten Bestimmungen dieses Gesetzes 
verdienen folgende besonders hervorgehoben zu werden. 

Das Heer theüte sicl^ von nun an in 3 Aufgebote. 



— 248 — 

Das erste Aufgebot bestand aus dem „stehenden Cadre'' 
und dessen ßeserve, wobei unter dem stehenden Cadre 
jener Theil des ersten Aufgebotes verstanden wurde, welcher 
im Frieden thatsächlich aktiv bei der Fahne diente, während 
dessen ^Reserve jene Soldaten um&sste, welche schon zwei 
Jahre beim stehenden Cadre gedient hatten und bis zum 
30. Lebensjahre im nichtaktiven Dienste zu Hause lebten. 

Vom 31. bis zum 37. Lebensjahre reichte das 2. und 
weiter bis zum 50. Jahre das 3. Aufgebot. 

Der stehende Oadre war normal im Frieden in ge- 
sonderte taktische Einheiten gegliedert ; bei den Hebungen 
der Beservisten, oder bei einer Mobilisirung vereinigten sich 
der Cadre mit den Beservisten zu taktischen Einheiten, 
welche „aktive^' hiessen und zusammen das „aktive Heer^ 
bildeten. 

Das zweite Aufgebot bestand aus allen jenen Soldaten, 
welche schon 2 Jahre aktiv und bis zum 30. Lebensjahre 
in der Reserve des stehenden Cadres gedient hatten. 

Dieses Aufgebot war ebenfalls vollständig bewafi&iet 
und gerüstet und sollte im Bücken des ersten Aufgebotes, 
im Bedarfsfalle aber auch zur Verstärkung desselben dienen. 

Das dritte Aufgebot war nur eingeschrieben und bildete 
eine Art von Landsturm. 

Der König war der oberste Kriegsherr. Er allein konnte, 
auf Vorschlag des Kriegsministers und nach Anhörung 
des Ministerrathes, die Mobilisirung des Heeres mittelst 
TJkas anbefehlen. 

Vom persönlichen Dienste im Heere waren nur die 
Untauglichen und solche Personen ausgeschlossen, welche 
durch richterlichen Spruch ihre bürgerliche Ehre verloren 
hatten. 

Theilweise befreit vom aktiven Dienste waren die ein- 
zigen Ernährer erwerbsunfähiger oder 60 Jahre alter 
Familienangehöriger, dann die Studirenden, welche nur 
einen Präsenzdienst von fünf Monaten beim stehenden 
Cadre ableisten mussten. 



i 



— 249 — 

Die wegen üntaugliclikeit vom Heeresdienste Befreiten 
zahlten eine jährliche Militär-Taxe, welche 10 Prozent der 
auf sie entfallenden sonstigen Staatssteuem betrag. 

Wenn eine aussergewöhnliche Anspannung der Streit- 
kräfte des Landes es erfordern sollte, so konnten auch 
alle mehr als 50 Jahre alten Männer zu Garnison-, Maga- 
zins- und ähnlichen Diensten einberufen und verwendet 
werden. 

Bekrutirungsflüchtige mussten statt 2, 3 Jahre im 
stehenden Cadre aktiv dienen und für die Zeit ihrer Ab- 
wesenheit die Militär-Taxe zahlen. Wer sich selbst ver- 
stümmelte, zahlte eine Strafe von 2000 Dinars oder musste 
eine zweijährige Haft in einem Militär-Gefängnisse abbüssen. 

Kein serbischer Staatsbürger konnte Beamter, Lehrer 
oder Geistlicher werden, der nicht vorher im stehenden 
Cadre ausgedient hatte. Derlei Personen durften daher auch 
vor erreichtem 20. Lebensjahre ihren aktiven Dienst an- 
treten. 

Die Vorschriften über die Beförderung im Heere, über 
Pensionirungen und Entlassungen von Offizieren, dann be- 
treffend die Anstellung im Oivildienste von Unteroffizieren, 
welche zwölf Jahre aktiv gedient hatten, waren durchweg 
sehr wohl durchdacht, zeitgemäss und gerecht. 

SämtHche Offlziersgrade verHeh der König. 

Für die Reserve des stehenden Oadres, dann für das 
2. und 3. Aufgebot bestanden Reserveoffiziere, welche zur 
Erlangung dieses Grades im stehenden Cadre die gesetz- 
mässig vorgeschriebene Zeit gedient und während ihrer 
Ferien die Reserveoffiziers-Prüfang praktisch abgelegt 
haben mussten. 

Zur Erleichterung derReserveoffiziers-Prüfungen wurden 
in den Mittelschulen Gymnastik und militärische Exerzier- 
übungen eingeführt und in der Hochschule auch die Theorie 
der militärischen Hauptgegenstände gelehrt. 

Die Reserve wurde jährlich zu einer 30 tägigen "Waffen- 
übung beim stehenden Oadre einberufen. 



~ 250 — 

Das zweite Aufgebot wurde jährlich zu einer 8 tägigen 
Waffenübung, und das dritte Aufgebot gar nicht einberufen. 

Das Land wurde in f[inf Divisionsbezirke eingetheilt, 
von denen jeder eine Division des ersten und eine Divi- 
sion des zweiten Aufgebotes aufzustellen hatte. Ausser- 
dem sollten die wehrfähigen Männer des dritten Auijgebotes 
60 Bataillone bilden. 

Jeder Divisions-Distrikt zerfiel in drei Begimentskreise 
von denen jeder 4 Bataillonsbezirke umfasste. 

Die Divisionen hiessen: Morava-, Drina-, Donau-, 
Schumadija- und Timok-Division. 

Jede aktive Division umfasste somit 3 Regimenter 
Infanterie zu 3 Bataillonen, daher zusammen 12 Bataillone, 
ferner ein Regiment Ileiterei zu 4 Eskadronen, 1 Eegi- 
ment Artillerie zu 8 Batterien, 1 Compagnie Pioniere mit 
1 Brücken -Halbequipage, 1 Compagnie Sanität und vier 
Feldspitäler, 1 Divisions-Munitions-Colonne mit fliegender 
Artilleriewerkstätte, femer 1 Train-Eegiment und 1 Feld- 
post. 

Ausserdem musste fiir jedes Infanterie-!Regiment ein 
Ergänzungs-Bataillon, för ein Eeiter-Eegiment 1 Ergän- 
zungs-Eskadron, für das Artillerie-Begiment eine Ergän- 
zungs-Batterie und für jede Pionier-Compagnie 1 Ergän- 
zungszug aufgestellt werden. 

Ausserhalb des Divisions Verbandes waren folgende 
Abtheilungen gestellt. 

1 Grebirgs- Artillerie -Eegiment, mit seiner Q-ebirgs- 
Munitions-Golonne und Ergänzungs-Batterie, dann ein 
Festungsartillerie-Bataillon, 1 Mineur-, 1 Eisenbahn - Com- 
pagnie, 2 Telegraphisten -Abtheilungen u. s. w. 

Der stehende Cadre hatte : 15 Infanterie-Bataillone (von 
jedem Kegimentskreise ein Bataillon) zu 4 Compagnien 
6 Eskadronen, 20 Feld- und 3 Gebirgs-Batterien, 1 Festungs- 
Artillerie-Halbbataillon zu 2 Compagnien, femer 1 Pionier- 
bataillon zu 5 Compagnien, 1 ppfttgnier-Halbb^tailloji m 



i 



/ 



— 251 — 

2 Compagnien, 5 Sanitätsabtheilongen, 5 Train -Eskadronen 
und 1 Feuerwerks-Compagnie. 

Von den 6 Beiter-Eskadronen bildete eine die könig- 
liche Leibgarde. 

Eine jede Division des zweiten Aufgebotes hatte eben- 
falls 8 Regimenter mit zusammen 12 Bataillonen Infan- 
terie, jedoch nur halb so viel Reiterei und Artillerie, näm- 
lich nur 2 Eskadronen, beziehungsweise 4 Batterien, wah- 
rend Pioniere, Sanität und Train in ungefähr gleicher 
Stärke vorhanden waren. 

Zum dritten Aufgebot stellte jeder Divisionsdistrikt 
nur 12 Bataillone, ohne sonstige Hilfswaffen. 

Jede Division hätte auf dem Kriegsfusse etwa 13 bis 
bis 14.000 Mann zählen müssen^ thatsächlich betrugen 
jedoch die Stände beim Ausbruche des Krieges mit Bul- 
garien im Jahre 1885 bei jeder Division durchschnittlich 
nur 8.500 bis 9.000 Mann; somit um dreissig Prozent 
weniger. 

Das jährliche Bekruten-Oontingent wurde auf Grund 
der damaligen Bewohnerzahl von rund 1,700,000 Seelen, 
auf 7.870 Mann festgesetzt, was mit Bücksicht auf den 
zweijährigen aktiven Diejast beim stehenden Oadre, für 
diesen eine Standesziffer von 15.740 Mann ergab. Von 
diesen Soldaten diente jedoch mehr als ein Fünftel nur 
5 Monate aktiv. 

Ohne auf die genaue Anführung der Sollbestände an 
Personen, Pferden u. dgl näher einzugehen, ersieht man 
aus dem Vorgesagten, dass die 5 Divisionen des 1. Aufge- 
botes, einschliesslich des Ober-Commandos ungefähr 70.000 
Mann, jene des 2. Aufgebotes etwa 60.000 Maun und die 
60 Bataillone des 3. Aufgebotes höchstens 50.000 Mann, 
somit alle zusammen 180.000 Mann stark waren. 

Auf dem Papiere sollten die serbischen Streitkräfte 
nach der Verordnung vom 31. Januar 1883 allerdings 
215.401 Mann, worunter 2.900 Offiziere; — dann 6.080 



— 252 — 

Eeit-, 22.551 Zugpferde, 1607 Lastthiere und 7,289 Wägen 
umfassen. 

Nach den offiziellen Angaben über den Staatshaushalt 
für das Jahr 1887 waren auf den Bedarf von 2.900 Ofd- 
zieren vorläufig nur etwa 1.500 vorhanden; seither mag 
sich die Zahl der Eeserve-Offiziere wesentlich erhöht 
haben; da nun diese Einrichtung schon volle zehn Jahre 
in "Wirksamkeit ist. 



Im Jahre 1889 wurde abermals eine neue Organisation 
des serbischen Heeres entworfen und der bezügliche Ge- 
setzentwurf im Frühjahr 1890 von der Skuptschina ange- 
nommen. 

Die wesentlichsten Bestimmungen des neuen Heeres- 
Organisationsgesetzes und insbesondere diejenigen, welche 
die Heeresorganisation vom Jahre J883 wesentlich ab- 
ändern, werden im Folgenden angeführt. 

Der König ist der oberste Befehlshaber der Armee. 
Er bestimmt mittelst Ukas, auf Antrag des Kriegsministers 
die Zusammenstellung, Eintheilung und überhaupt die 
ganze Formation der Armee; er erlässt alle Anordnungen, 
betreffend die Dislozierung der Commanden, die Bewaff- 
nung, den Unterricht und bezüglich aller sonstigen militär- 
dienstlichen Beziehungen; er befiehlt femer die Mobili- 
sirung und Demobilisirung des Heeres. 

In Friedenszeiten wird das Heer im Namen des Königs 
von dem Kriegsminister, als verantwortlichem Mitglied der 
Regierung, befehligt und verwaltet. Im Kriege steht das 
Commando und die Administration der operierenden Trup- 
pen, falls der König den obersten Befehl selbst übernimmt 
oder ihn auf Antrag des Ministerrathes einer anderen Per- 
sönlichkeit überträgt, dem obersten Generalkommando zu. 

Das Kriegsministerium besteht aus folgenden Abthei- 
lungen: Generalstabs-, Artillerie-, Genie-, Administrativ-, 
Adjutantur-, Sanitäts- und Justiz- Abtheilung. An der Spitze 



— 253 — 

einer jeden Abtheilung steht ein Sektions-Ohef. Ausser- 
dem wird dem Kriegsministerium ein Kriegsrath mit con- 
sultativer Stimme beigegeben. 

An die Stöllung der bisherigen Eintheilung des Heeres 
in ein erstes, zweites und drittes Aufgebot treten die Be- 
zeichnungen: reguläres Heer, erstes und zweites 
Aufgebot der Nationalmiliz. 

Die taktische Eintheilung und die Organisation der 
einzelnen Kategorien bleiben vorderhand unberührt. 

Die reguläre Armee besteht aus dem „stehenden 
Cadre" und dessen Reserve. Das erste Aufgebot erhält 
Offiziere und Unteroffiziere von der regulären Armee, dann 
gehören hierzu die ausgedienten Reservisten derselben. In 
das zweite Aufgebot sind alle Diejenigen eingereiht, welche 
ihrer Militärpflicht im ersten Aufgebote schon entsprochen 
haben; auch werden diesem Aufgebote die unumgänglich 
nothwendigste Anzahl von Offizieren und Unteroffizieren 
vom regulären Heer zugewiesen. 

Das erste und zweite Aufgebot der Nationalmiliz wird 
auch Tl. und III. Linie genannt. 

In jeder der drei Linien beträgt die Dienstpflicht zehn 
Jahre, somit im Ganzen 30 Jahre ; nämlich vom vollen- 
deten 20. bis einschliesslich 50. Lebensjahr. 

Die Eintheilung in 5 Divisions-, 15 Regiments- und 
60 Bataillonsbezirke und deren Benennungen, z. B. Donau- 
Division (III.) oder Belgrader Regimentsbezirk Nr. 7, sind 
gleichfalls geblieben. 

Die n. Linie (Erstes Aufgebot) wird im Kriegsfalle 
nach Bedarf in Einheiten höherer oder niederer Ordnung, 
wie die reguläre Armee formiert und kann auch zur Ver- 
stärkung derselben verwendet werden. Die HI. Linie ist 
nur zur Versehung des Besatzungs- und Etappendienstes 
sowie zur unmittelbaren Vertheidigung des Landes be- 
rufen. 

Die normale Präsenz-Dienstpflicht beträgt 2 Jahre, 
es giebt aber auch verschiedene Arten von abgekürzter 



— 254 — 

Dienstpflicht und zwar von 1 Jahr, von 5 Monaten und 
selbst von nur 1 Monat. — 

Alle Wehrpflichtigen, die nicht aktiv bei der Fahne 
dienen, sollen alljährlich zu Waflfenübungen einberufen 
werden, nämlich die Reservisten der I. Linie (reguläres 
Heer) für 30, die Wehrpflichtigen des ersten Aufgebotes 
des Yolksheeres auf 15 und jene des zweiten Angebotes 
für 5 Tage. 

Für jede der 3 Linien ist aus jedem Bataillonsbezirke 
im Kriegsfalle 1 Bataillon aufzubringen. Im Frieden stellt 
jeder Bataillons bezirk nur 1 Compagnie auf dem Friedens- 
fasse auf. 

Eigenartig ist die Bestimmung des neuen Heeres- 
Organisations-Gesetzes, dass der grösste Theil des Unter- 
halts der Nationalmiliz, während ihrer jährlichen Waffen- 
übungen, den Gemeinden zur Last fallt, falls die Ein- 
berufenen hiefür nicht selbst zu sorgen im Stande sind. 

Ausser diesen vorgeschriebenen Waffenübungen sollen 
auch, auf Anordnung des Kriegsministers, an Sonn- und 
Feiertagen in jeder Gemeinde alle Wehrpflichtigen, behufs 
Vornahme von üebungen versammelt werden. 

Die Gemeinden müssen auch den ganzen Train, samt 
den Zug- beziehungsweise Tragpferden, im Kriege auf- 
stellen, femer die Wägen, Zug-, Last- und Beitpferde 
schon im Frieden in jener vom Kriegsminister bekannt 
gegebenen Anzahl in gutem Zustande bereithalten. 

Nur die Wägen för spezielle Zweige des militärischen 
Dienstes, als: Munitions-, Sanitäts- und Pontons- Wägen 
werden vom Staate selbst beschafft. 

Die Friedens-Cadres der 1. Linie sind folgende: 
In jedem der 5 Divisionsbezirke: 1 Segiment Li- 
fanterie zu 3 Bataillonen, jedes zu 4 Compagnien. Hiezu 
stellt jeder Begimentsbezirk ein Bataillon und jeder Batail- 
lonsbezirk 1 Compagnie. Die 3 Bataillone des Cadres 
werden im Kriege 3 B«gimenter zu 4 Bataillonen, indem 



j 



- 255 — 

aus jeder Friedenskompagnie ein Bataillon zu 4 Compagnien 
formirt wird. Ausserdem stellt noch jeder Begiments- 
bezirk im Kriege 1 Ersatzbataillon zu 4 Ersatzkompagnien 
auf. y 

Die Infanterie wird somit im Kriege um mehr als 
das Vierfache ihres Friedenstandes vermehrt. 

Ausserdem besteht in Belgrad noch ein G-arde-Infanterie- 
Bataillon zu 4 Kompagnien, welches die gleiche Formation 
auch im Kriege behält. 

An Gavallerie besteht im Frieden 1 Cavallerie-Brigade 
zu 3 Regimentern mit je 3 Eskadronen und überdies die 
königliche Garde-Eskadron. 

Im Kriege stellt jedes Cavallerie - Regiment eine 4. 
Eskadron auf; dann formirt jeder Divisionsbezirk 2 Es- 
kadronen Divisions-Cavallerie für die Divisionen des regu- 
lären Heeres und der 2. Linie, dann 1 Eskadron für die 
3. Linie und nebstbei 1 Ersatz-Eskadron. 

Im Frieden besteht in jedem Divisionsbezirk 1 Feld- 
Artillerie-Regiment zu 6 Feldbatterien k 4 Q-eschütze. Im 
Kriege formirt jedes Regiment 8 Feld-Batterien zu 6 Ge- 
schützen und eine ebenso starke Ersatz - Batterie. Im 
Frieden besteht auch schon eine selbständige reitende 
Batterie mit 6 Geschützen, welche im Kriege der Gavallerie. 
Brigade beigegeben wird. Dieselbe steUt noch im Kriege 
einen Ersatz-Batteriezug auf. 

Ausserdem besteht noch 1 Gebirgs- Artillerie-Regiment 
im Frieden mit 5, im Kriege mit 9 Batterien zu 4 Ge- 
birgsgeschützen und 1 Ersatz -Gebirgs -Batterie zu 6 Ge- 
schützen. 

Femer besteht ein Festungs- Artillerie -Bataillon mit 
4 Compagnien, 1 Park-Gompagnie mit dem Belagerungs- 
parke und 1 pyrotechnische Gompagnie. 

An technischen Truppen bestehen im Frieden 2 Pio- 
nier-Bataillone, wovon das erste aus 5 Compagnien Pioniere, 
das zweite aus 1 Eisenbahn, 1 Mineur- und 1 Telegraphen- 
Compagnie besteht; ausserdem ist 1 Pontonnier-Halb- 



— 256 — 

bataillon zu 2 Compagnien vorhanden. Im Kriege stellt 
jede dieser technischen Compagnien 1 £rsatzziig und das 
Pontonnier-Halbbataillon 5 Ersatzzüge auf. 

Ans den überzähligen Reservisten ist femer 1 ßeserve- 
Pionnier-Compagnie in jedem Divisionsbezirke (somit zu- 
sammen 1 Bataillon von 5 solchen Compagnien) zu formiren 
und die Eisenbahn-Compagnie auf 1 Bataillon zu verstärken, 

In jedem Divisionsbezirk besteht im Frieden 1 Sani- 
täts-Compagnie, welche im Kriege IFeld-Sanitäts-Compagnie, 
1 Reserve - Sanitäts - Compagnie, 1 Etappen-Feldspital und 
1 Sanitäts-Colonne zu formiren hat. 

Vom Train befindet sich in jedem Divisionsbezirk 
1 Eskadron, welche im Kriege durch überzählige Artillerie- 
Reservisten vermehrt wird. Im Uebrigen wird der grösste 
Theil des mobilen Trains, wie schon erwähnt wurde, von 
den Gemeinden gestellt. 

Ausserdem bestehen im Kriege eigene Arbeiter, -Fleisch- 
hauer- und Bäcker - Abtheilungen , für welche in jedem 
Divisionsbezirk schon im Frieden entsprechende Cadre- 
Abtheiluugen vorhanden sind. 

Die im Frieden bestehende Gendarmerie besteht aus 
1 Bataillon zu 4 Compagnien Gendarmen zu Fuss und 
aus 1 Zug Gendarmen zu Pferd. 

Die Regimentsstäbe der Infanterie haben im Kriege 4, 
die Bataillonsstäbe je 2, zum Stande des Regimentes ge- 
hörige, berittene Ordonnanzen. 

Eine Feldkonipagnie besteht aus 5 Offizieren (der 
Compagnie-Commandant ist beritten) und 227 Soldaten, 
worunter sich 4 Blessierten- und 4 Munitionsträger be- 
finden, dann 1 Reit- und 6 Tragpferde, von denen 5 zum 
Tragen der Compagnie-Kanzlei und des Offiziersgepäckes 
und eines zum Zutragen von Trinkwasser bestimmt ist. 

Der Gefechtstzusand beträgt bei einer Feld-Compagnie 
216, bei einer Ersatzkompagnie 284 Feuergewehre. 

Die serbische Infanterie des regulären Heeres (I. Linie) 
ist mit dem Koka-Milovanovitsch-Mauser-Hinterladerge- 



— 267 — 

wehre (Caliber 10,15 mm) und mit einem Säbelbajonnett 
bewaffnet. Ünter-Feldwebel, Feldwebel, Fahnenfährer und 
die sämtlichen Offiziere haben Säbel und Bevolver. Der 
Infanterie-Soldat trägt 100 scharfe Patronen in 2 Patron- 
taschen (die mit Bevolver bewaffneten Unteroffiziere haben 
30 Stück Patronen bei sich) für jeden Mann sind 64 Ge- 
wehrpatronen auf den Munitions-Tragthieren, 100 Stück 
in der Divisions-Munitions-Colonne und überdies 100 Pa- 
tronen per Gewehr in der Keserve-Munitions-Golonne ver- 
laden. 

Jeder ^ann trägt einen 4tägigen Proviantvorrath (da- 
von für 3 Tage Oonserven und Zwieback) bei sich und auf 
den Regiments -Proviant-Fuhrwerken ist ein zweitägiger 
Vorrath verladen. 

Jede Gompagnie hat auch 30 Stück Linnemann'sche 
Spaten. 

Im Felde marschirt der serbische Soldat in der Begel 
in Opanken, hat jedoch auch ein Paar Halbstiefel auf dem 
Tornister befestigt. 

Die Garde-Infanterie formirt aus dem im Frieden be- 
stehenden Bataillon 5 selbständige Garde-Bataillone, welche 
die Nummern 1 bis 5 führen und je 1 Ersatz-Garde-Com- 
pagnie aufstellen. 

Die numerische Stärke der Compagnien, deren Be- 
waffnung und Ausrüstung ist gleich jener der Infanterie. 
Die Garde unterscheidet sich von der Infanterie nur durch 
die grünen Achselklappen. 

Die 15 Regimenter Infanterie zu 4 Bataillonen der 
II. Linie (1. Aufgebot der Nationalmiliz) haben eine ganz 
ähnliche Organisation, Gliederung und Ausrüstung, wie die 
I. Linie nur sind sie, statt mit dem Koka-Milovanovitsch- 
Mauser-Gewehre , mit von Bussland gelieferten Berdan 
II-Ge wehren (Caliber 10,6 mm) bewaffnet. Bekleidet ist 
die Mannschaft dieses Aufgebotes mit einer selbstbeschafften, 
dem Schnitte nach vom Kriegsministerium einheitlich vor- 
geschriebenen, Landestracht und erhält nur den Mantel, 

Anton Tnma, S«rbien. 17 



— 258 — 

die Feldkappe sowie die Ausrüstung und Bewaffiiung vom 
Staate gestellt. Auch hat die IL Linie all diese Aus- 
rüstungs-Gegenstände zu Hause in eigener Verwahrung 
und ist für deren Erhaltung im brauchbaren Stande ver- 
antwortlich. Die Chargen-Grade haben in der National- 
miliz andere Benennungen, und als Abzeichen, statt der bei 
der I. Linie eingeführten Sterne, Litzen.— In der Miliz giebt 
es beispielsweise nicht den Grad eines Hauptmanns oder 
Biittmeisters (Capitan), sondern er heisst dienstlich immer 
nur „Tschetovodja" (Compagnie-, Eskadrons- oder Batterie- 
Gommandant), der Lieutenant heisst nur „Yodnik^ (deutsch 
der „Führer** eines Zuges); desgleichen wird der Batail- 
lons-Commandant nicht Major etc., sondern einfach „Ko- 
mandir** (Commandant) geheissen. Alle Offiziere der Miliz 
heissen im allgemeinen „Stareschini** (Aelteste), ähnlich wie 
in den Gemeinden die Dorf- oder Gemeinde-Aeltesten. 

Die III. Linie (2. Aufgebot der Nationalmiliz) formirt 
60 selbständige Bataillone, und zwar in jedem Divisions- 
bezirke 12. Die beabsichtigte Formirung von Eegimentem, 
ähnlich wie bei der I. und II. Linie, dürfte bei diesem 
Aufgebote kaum stattfinden. 

Dieses Aufgebot erhält vom Staate nur Munition, 
Büstung und das zu einem Hinterladergewehr umgestaltete 
Peabody-Gewehr (Oaliber 11 mm). 

Die Kriegsstände der Beiterei sind folgende: jede 
Eskadron 5 Offiziere und 180 Mann, 193 Pferde (ein- 
schliesslich Trag- und Wagenpferde). Der Gefechtsstand 
einer Feld-Eskadron beträgt: 172 Beiter, je einer Ersatz- 
Eskadron: 177 Beiter. 

Die Beiterei ist mit Säbeln und Mauser-Carabinem 
mit 100 Stück Patronen, die Unteroffiziere auch mit Bevol- 
vem nebst dreissig Patronen bewafinet; in der Divisions- 
Munitions-Colonne sind noch 60 Patronen per Carabiner 
und 18 Stück per Bevolver vorhanden. 

Die Beservisten müssen ihr eigenes Pferd und Beit- 
zetig bei ihrem Einrücken mitbringen. 



J 



— 259 — 

Die Aufbringimg der Beiterei 11. Linie, nämlicli per 
Infanterie -Division 2, daher zusammen 10 Eskadronen, 
dürfte mit bedeutenden Schwierigkeiten verbunden sein, 
jedenfalls werden diese Miliz-Eskadronen die vorgeschrie- 
bene Kriegsstärke von 5 Offizieren und 175 Mann (G-e- 
fechtsstand 170 Reiter) bei weitem nicht erreichen. 

Für die III. Linie soll in jedem Divisions-Bezirke je 
1 Eskadron aufgestellt werden, deren Aufbringung eben- 
falls zweifelhaft ist. 

Besonders hervorzuheben ist, dass sämtliche Of&ziere 
der Eskadronen der II. und III. Linie Reserve- Offiziere 
sein müssen. Die taktischen Vorschriften für die Infanterie 
und Reiterei gleichen den in Oesterreich - Ungarn ein- 
geführten. 

Jede der regulären 5 Divisionen der regulären Armee 
hat folgende Feld- Anstalten; und zwar: Artillerie- Anstalten, 
die Divisions- Munitions-Colonne und die mobile-Artillerie- 
Werkstätte. Ausser dieser Munitions-Colonne stellt noch 
jeder Divisionsbezirk eine Reserve - Munitions - Colonnen- 
Abtheilung auf. Die fünf derlei Abtheilungen des Heeres 
werden vereinigt und bilden die dem Ober - Commando- 
unterstehende Reserve-Munitions-Colonne. 

Dann folgen die Sanitäts-Anstalten, von denen bei 
jeder Division eine Sanitäts-Colonne (3 Aerzte, 1 Apotheker, 
1 Commissär und 68 Mann, nebst der entsprechenden Zahl 
von Pferden und 25 Wägen, wovon 15 für den Ver- 
wundetentransport), dann 1 Feld-Etappen-Spital und 1 Feld- 
Thierspital vorhanden sind. 

Femer ist bei jeder Division eine Divisions-Schanzzeug- 
Colonne, eine Divisions- Feldpost und die Verpflegs -An- 
stalten, nebst zugehörigen Abtheilungen (von Fleischern, 
Bäckern und sonstigen Handwerkern) vorhanden. 

Die Proviant-Colonne der Division führt einen vier- 
tägigen Verpfiegsvorrath für Mann und Pferd nach, wäh- 
rend die Regiments -Proviantwägen, wie schon erwähnt 
wurde, einen 2tägigen Yorrath mitfuhren. 

17* 



_ 260 — 

Es ist somit bei jeder mobüen Division, samt den 
vom Manne getragenen 4 Mundportionen, ein lOtägiger 
Proviantvorrath vorhanden. 

Dem Ober-Gommando sind folgende Feld-Anstalten 
direkt unterstellt: Die Öebirgs-Munitions-Oolonne (4 Offi- 
ziere, 628 Mann, 53 Reit- und 478 Tragthiere, von denen 
388 mit Geschütz-Munition beladen sind), dann eine Reserve- 
Munitions-Colonne (19 Offiziere und 2.282 Mann, 188 Reit-, 
24 Zugpferde, 3200 Ochsen und 1612 Wagen), femer die 
Haupt -Etappen -Spitäler, 1 mobiles Pferde -Depot, 1 theil- 
bare Telegraphen-Gompagnie, 1 Feld-Hauptpost, dann das 
Haupt -Intendanz -Fuhrwerk, welches auf 538 mit Ochsen 
bespannten Wägen Proviant- Vorräthe mitführt. 

In Serbien giebt es keine Infanterie-Brigaden, sondern 
jeder Divisions-Commandant verfügt direkt mit den ihm 
unterstehenden 3 Infanterie-Regimentern. Es besteht nur 
eine Cavallerie-Brigade zu 3 Reiter-Regimentern. 

Die 5 Divisionen der regulären Armee werden im 
Kriege dem Armee- Ober -Oommando unterstellt, welches 
auch über die Oavallerie-Brigade, das Gebirgs-Art.illerie- 
Regiment, Festungs- Artillerie-Bataillon, ein Reserve-Pionier- 
Bataillon, 2 ganze Brücken - Equipagen , 1 Eisenbahn- 1 
Mineur-, 1 Telegraphen-Gompagnie, die Reserve-Munitions-, 
die Gebirgs-Munitions-Golonne , die Reserve-Sanitäts-Com- 
pagnie, die Haupt -Etappen -Spitäler, das Haupt-Intendanz- 
Fuhrwerk, die Feld-Hauptpost und das Pferde-Depot direkt 
verfugt. 

Eine Infanterie-Division der regulären Armee ist im 
Kriege folgendermassen zusammengesetzt: 

Das Divisions-Gommando, 1 Garde-Infanterie-Bataillon, 
3 Infanterie-Regimenter zu 4, somit zusammen 12 Bataillone^ 
2 Eskadronen Divisions-Reiterei, 8 Feldbatterien zu 6 Ge- 
schützen, 1 Pionier-Gompagnie, 1 halbe Brücken-Equipage, 
1 Telegraphen- und Signal- Abtheilung, 1 Munitions-Golonne, 
1 mobile Artillerie -Werkstätte, 1 Sanitäts-Gompagnie, 1 



- 261 — 

Sanitäts-Colonne, 1 Feld-Etappen-Spital, 1 Feld-Thierspital, 
1 Feldpost, 1 Sohanzzeug-Colonne, 1 Handwerker-, 1 Fleisch- 
hauer-Compagnie mit dem lebenden Schlachtvieh- Vorrathe 
und 1 Bäcker-Oompagnie mit Feldbacköfen; endlich eine 
Proviant-Colonne. 

Alle diese Abtheilungen, Anstalten u. dgl. führen den 
Namen des Divisionsbezirkes aus dem sie sich ergänzen. 

Der Gesamtstand einer jeden der 5 Divisionen (ohne 
Ersatz -Truppen) soll bestehen aus 439 Offizieren 18.053 
Mann 3.976 Pferde, 2.066 Ochsen und 1.346 Wägen. 

Der eigentliche Gefechtsstand einer Infanterie-Divi- 
sion beträgt dagegen nur rund 12.000 Feuergewehre (in 
13 Bataillonen) 340 Eeiter (2 Eskadronen) und 48 Ge- 
schütze (in 8 Batterien). 

Die Oavallerie -Brigade hat einen vorgeschriebenen 
Gesamt- (Verpflegs-) Stand von 75 Offizieren, 2.600 Mann 
und 2.800 Pferde ; der Gefechtsstand derselben beträgt 2064 
Reiter und 6 Geschütze. 

Die gesamte I. Linie oder reguläre Armee, samt dem 
Armee-Ober-Commando und den von ihm direkt abhängigen 
Truppen und Anstalten, hätte einen Gefechtsstand von 
65 Infanterie- und Garde-Bataillonen, 26 technischen Com- 
pagnien, 22 Eskadronen (nebstbei 1 Garde-Eskadron)' und 
50 Batterien, mit rund 60.000 Feuergewehren, 4060 Reitern 
und 282 Geschützen. 

Die Gesamtsumme der regulären Armee (Verpflegs- 
stand) beläuft sich jedoch auf nahezu 105.000 Mann 
(worunter 2,474 Offiziere, Aerzte u. dgl.), 26.486 Pferde, 
15.052 Ochsen und 9.281 Wägen (ohne die 282 Kanonen). 

Die II. Linie enthält die aus den Wehrpflichtigen des 
1. Miliz- Aufgebotes formirten 5 Divisionen, von ähnlicher 
Gliederung und Zusammensetzung, wie jene der regulären 
Armee; nur haben sie geringere Stände. 

Die Gesamtsumme einer jeden Division 11. Linie soll 
344 Offiziere, 15.401 Mann, 2461 Pferde, 1382 Ochsen und 
833 Wägen betragen; während der Gefechtsstand einer 



— 262 — 

Division 11. Linie normal aus 12 Bataillonen (in 3 Begi- 
mentem), 4 technisclie Compagnien, 2 Eskadionen und 
4 Feld-Batterien mit rund 10.940 Feuergewehren , 350 
Beitern und 24 G-escliützen bestehen soll. 

Die gesamte IL Linie d. Aufgebot der Nationalmiliz) 
soll im Kriege aus 1720 Offizieren, 77.005 Mann, 12.305 
Pferden, 6910 Ochsen und 4165 Wägen bestehen. Ihr 
Gefechtsstand soll betragen: 60 Bataillone, 20 technische 
Compagnien, tO Eskadronen und 20 Batterien, oder etwa 
54.700 Feuergewehre, 1.750 Reiter und 120 Geschütze. 

Die m. Linie soll aus dem 2. Miliz-Aufgebote 60 
Bataillone, 10 technische Compagnien, 5 Eskadronen mit 
im Ganzen 1.506 Offizieren, 60.712 Mann, etwa 600 Reit- 
und einer unbestimmten Zahl von Zugpferden, nebst 
Ochsen bestehen. 

Der Gefechtsstand der III. Linie kann mit 51.000 Feuer- 
gewehren und 790 Reitern angenommen werden. 

Das gesamte serbische Heer zählt somit in allen 3 
Linien 5.700 Offiziere, 239.950 Mann, etwa 40.000 Pferde, 
bei 22.000 Ochsen, 14.000 Wägen, und nebstbei 402 Ge- 
schütze. 

Der wirkliche Gefechtsstand der gesamten serbischen 
Heeresmacht beträgt: 185 Bataillone Infanterie, 56 tech- 
nische Compagnien, 38 Eskadronen (einschliesslich der 
Garde-Eskadron) und 70 Batterien mit 166.000 Feuei> 
gewehren, 6.600 Reiter und 402 Geschütze. 

Das neue Heeres-Organisationsgesetz bringt auch Be- 
stimmungen, betreffend die Ergänzung des Offiziers-Corps 
in der regulären Armee und in den beiden Au%eboten 
der Nationalmiliz. 

Den Rang eines ünterlieutenants in der regulären 
Armee erlangt derjenige, welcher 4 Jahre als Feldwebel 
gedient hat und die Offiziers-Prüfung besteht; ausserdem 
muss er den Nachweis liefern, dass er entweder 4 Real- 
beziehungsweise Gymnasialklassen absolvirt, oder eine dem 
entsprechende allgemeine Bildung an einer anderen Mittel- 



i 



— 263 — 

schule genossen hat. Die mit Erfolg absolvirten Zöglinge 
der Kriegs -Akademie zu Belgrad erhalten den Unter- 
lieutenantsrang bei ihrem Austritte aus dieser Anstalt. 

Zur höheren militärischen Ausbildung werden die 
intelligentesten der jüngeren Offiziere, auf Kosten der Re- 
gierung, theils an militärische Fachanstalten des Auslandes 
entsendet, theils bei fremden Armeen zur Dienstleistung 
zugetheilt. 

In der National-Miliz werden die Commanden nur zum 
Theile durch Berufs- und Reserve-Offiziere der regulären 
Armee besetzt. Beim ersten Miliz- Aufgebote oder bei der 
zweiten Linie des Heeres sind die Divisions-, Regiments- 
und Bataillons-Oommandanten in der Regel Berufsoffiziere, 
hingegen in der dritten Linie nur einige der Bataillons- 
und höheren Oommandanten. Alle übrigen Commandanten 
und Offiziere überhaupt werden den Reihen der National- 
Miliz selbst entnommen. 

"Wie schon erwähnt, sind die Chargenbezeichnungen 
in beiden Aufgeboten der Miliz andere als die der regu- 
lären Armee. In der Miliz werden die Zugs-Oommandanten 
durch den Divisions-Commandanten, die Oompagnie- Com- 
mandanten durch den Kriegsminister und nur die Bataillons- 
Gommandanten (Komandire) vom Könige ernannt. 



XL Kapitel. 

Finanzyervraltnng In Serbien. 



Das Finanzministerium ist zur Besorgung der Finanz- 
waltung in folgende Geschäftsgruppen eingetheilt. 

Die Yerwaltungsabtheilung umfasst die Verwaltung 
der unbeweglichen Staatsgüter, und der Staats-Steuem 1 
nämlich: jene vom G-rund und Boden, von Kapitalien, 
dann die Hauszins-, die Arbeits- und die Personal-Steuer; 
auch obliegt dieser Abtheilung die üeberwachung der Zoll- 
ämter. 

Der Hauptkassen - Abtheilung obliegt die Verwaltung 
des jährlichen Staatshaushaltes, der Pensionsdienst, alle 
Auszahlungen auf besondere Kredite des Finanzdienstes 
und die Buchhaltung, an welche jede Kreiskasse monatlich 
ihre Rechnungen einzusenden hat; damit die B.egierung zu 
jeder Zeit von dem Stande der Baarvorräthe in den Kreis- 
kassen Kenntnis habe. 

Die Abtheilung für den Staatsrechtsschutz hat alle 
Bechtsstreitigkeiten zwischen dem Staate, den Gemeinden 
und Privaten, betreffend die Gemeindebesitzungen oder 
Staatswaldungen zu regeln. 

Die Staatsschulden - Abtheilung versieht den Dienst 
für die äusseren und inneren Anleihen und deren Zinsen. 

Die den Kreisämtem gegebenen Finanz-Abtheilungen 



^ 265 — 

unterstellen im Wege der betreffenden Kreisvorstelier dem 
Finanz-Ministerimn. 

Ebenso die Grenz-ZoUämter, deren 31 vorhanden sind. 
Von diesen sind 12 mit Quarantaine- Anstalten, zur Wahr- 
nehmung des sanitäts- und Veterinär- polizeilichen Grenz- 
dienstes verbunden. 

Nach der Befreiung Serbiens von der türkischen Herr- 
schaft, war es dem ersten Fürsten Milosch recht schwer, 
seinem im Freiheitstaumel schwelgenden , unwissenden 
Volke begreiflich zu machen, dass kein Staat ohne jede 
Steuerabgabe in erspriesslicher Weise verwaltet und regiert 
werden könne. Auch verdächtigte das unter der früheren 
Paschawirthschaft grossgezogene Misstrauen jeden mit der 
Verwaltung öffentlicher Gelder betrauten Beamten; und 
selbst der Fürst blieb von derlei laut ausgesprochenen Ver- 
dächtigungen nicht verschont. 

Derlei Klagen gelangten bis an die hohe Pforte nach 
Eonstantinopel und verlangten vor allem, dass das alleinige 
Verfügungsrecht des Fürsten über die Staatseinnahmen 
scharf begrenzt werden möge. 

Nach der von der hohen Pforte im Jahre 1838 er- 
lassenen Verfassung (Ustav) fiel nun dem damaligen Senate, 
im Vereine mit dem im selben Jahre gegründeten Finanz- 
Ministerium, die Aufgabe zu, die Verwaltung des Ver- 
mögens und der Einnahmen des Staates zu besorgen. 

Somit hatte Serbien die erste Eegelung seiner Finanz- 
wirthschaft thatsächlich dem Einschreiten der, in ihrer 
eigenen Verwaltung mit despotischer Willkür herrschenden, 
Pforte zu danken. 

Serbiens Staatshaushalt wurde für die damaligen ein- 
fachen Verhältnisse so gut geregelt und die Ueberwachung 
war eine so strenge, dass jeder europäische Staat das bis 
zum Jahre 1874 von keiner Staatsschuld belastete Serbien, 
in finanzieller Beziehung hätte beneiden können. 

Die serbische Finanzverwaltung beruht auf dem Grund- 
satze, dass die V^i'WP'Hung aller öffentlichen Einnahmen 



- 266 — 

und Ausgaben im Finanzministerium voUkommen vereinigt 
ist. Es hat zwar jeder Minister den ihm fiir seinen Wir- 
kungskreis vom Gesetze eröflEneten Kredit zu seiner Ver- 
fügung, doch darf einzig und allein nur der Finanzminister, 
mit jedesmaliger Genehmigung des Staatsoberhauptes (früher 
auch mit Einwilligung des Senats), seinen Minister-Gollegen 
die erforderlichen Summen anweisen. 

Das Finanzjahr beginnt mit dem 1. (13) November 
eines jeden Jahres. 

"Wie in andern Staaten, entwirft auch in Serbien der 
Finanzminister einen Voranschlag der muthmasslichen 
Staatseinnahmen und Ausgaben für das kommende Finanz- 
jahr und legt ihn, samt den nöthigen Erläuterungen, der 
Skuptschina (bis zum Jahre 1859 auch dem Senate) zur 
Prüfung und Annahme vor. Sodann wird der Staatshaus- 
halt dem Monarchen zur Genehmigung vorgelegt, wodurch 
er erst Gesetzeskraft erlangt. 

Erst Fürst Mihail ordnete die jährliche Veröffent- 
lichung des Staatsvoranschlages in der serbischen Amts- 
zeitung „Srpske Novine" an, was in den früheren Zeiten 
nicht gebräuchlich gewesen war. 

Ueber den Staatshaushalt Serbiens in den verschiedenen 
Eegierungsepochen mögen einige Zahlen Aufschluss geben. 

1853 betrugen die Einnahmen rund 5,600000 Dinars, 
die Ausgaben bei 6,400000 D., somit ergab sich ein Defizit 
von 800.000 D. 

1864 wurden 9,740.131 D. eingenommen, 10,308.517 D. 
ausgegeben; in folge dessen das Defizit 568.386 D. betrug. 

1865 waren 10,744.298 D. Einnahmen und 10,745.861 D. 
Ausgaben; somit war das Defizit auf 1.563 D. vermindert 
worden. 

1867 hatte der Staatshaushalt schon einen Ueber- 
schuss von 178.313 D., bei einer Einnahmesumme von 
12,292.041 D. gegen 12,013.728 D. Ausgaben. 

1868 betrugen die Einnahmen 12,839.463 D. dagegen 






— 267 — 

die Ausgaben 10,902 692 D., woraus sich ein Ueberscliuss 
von 1,936.771 D. ergab. 

Die serbische Staatskasse hatte Ende 1863 einen Baar- 
bestand von 6,222.831 Dinars. Durch die in den Jahren 
1867 und 1 868 erzielten Ueberschüsse wuchs dieselbe, trotz 
der erfolgten Deckung der Defizite aus den Jahren 1864 
und 1865, auf 7,767.866 Dinars an. 

Dies war der beneidenswerthe Stand der serbischen 
Finanzen als die gesegnete Begierungsepoche des Fürsten 
Mihail, durch seine Ermordung im Topsohider-Parke, ein 
so plötzliches Ende fand. 

Keine Staatsschuld und noch ein baares Staatsver- 
mögen von nahezu 8 Millionen Franks; so glänzende 
Finanzzustände konnte damals, ausser etwa der Schweiz 
und Norwegen, kein anderer Staat aufweisen. 

Diese günstige Finanzlage dauerte auch noch einige Jahre 
nach dem Tode des Fürsten Mihail an, so z. B. betrugen 
im Jahre 1869 die Einnahmen 11,838.400 D. und die Aus- 
gaben 11,830.493 D., wodurch ein Ueberschuss von 7.907 D. 
erübrigte. Im Jahre 1872 gab es 14,281.600 D. Einnahmen 
und 14,276.903 D. Ausgaben, somit einen Ueberschuss von 
4.697 D.; 1874 betrugen die Einnahmen 14,749,735 D., die 
Ausgaben nur 14,748.465 D.; woraus sich ebenfalls ein 
Ueberschuss von 1.270 D. ergab. 

Im Jahre 1875 bricht der Aufstand der christlichen 
Kajah in der Herzegowina gegen die Pforte aus und Serbien 
fühlt sich moralisch gezwungen, rasch seine Rüstungen 
für den im nächsten Jahre stattfindenden Türkenkrieg zu 
betreiben. 

In Folge dessen steigern sich die Zahlen des Staats- 
haushaltes ganz bedeutend, und zwar: 

1875: Einnahmen 20,610.928 D., Ausgaben 21,483.583 D., 
Defizit 872.655 D. 

1876: Einnahmen 24,946.935 D., Ausgaben 24,558.676 D. ; 
daher Ueberschuss 388.259 D. 



— 268 — 

1879: Einnahmen 28,014.798 D., Ausgaben 26,580.363 D. 
daher Ueberschuss 1,434.435 D. 

1880: Einnahmen 27,023,254 D., Ausgaben 26,948.066 D. 
daher Ueberschuss 75,188 D. 

1882 : Einnahmen 32,695.000 D., Ausgaben 32,61 6.192 D. 
daher Ueberschuss 18.808 D. 

1883: Einnahmen 34,930.000 D., Ausgaben 34,469.919 D. 
daher ueberschuss 460.081 D. 

1885: Einnahmen 46,000.000 D., Ausgaben 45,995.643 D. 
daher Ueberschuss 4.357 D. 

1887 : Einnahmen 42,760.000 D., Ausgaben 44,460.000 D. 
daher Defizit 1,700.000 D. 

"Wegen der unsicheren politischen Verhältnisse im 
Innern des Landes blieb der Staatsvoranschlag fiir das 
Jahr 1887 auch für die folgenden Jahre 1888 und 1889 
in Giltigkeit. 

Nach der hierauf erfolgten Abdankung König Milan's 
kamen die Radikalen zur ^Regierung und hatten somit 
auch den massgebendsten Einfluss auf die Siegelung des 
Staatshaushaltes gewonnen. 

So entnehmen wir dem Staatsvoranschlage für das 
Jahr 1892 folgende Ziffern: Die Einnahmen betrugen 
60,135.839 D., dagegen die Ausgaben 60,110.595 D.; woraus 
sich ein Ueberschuss von 25.244 D. ergiebt. 

Unter den Ausgaben des Jahres 1892 sind die wich- 
tichsten: die Abzahlungsraten samt Zinsen för die öffent- 
liche Schuld mit 20,466.188 D. und die Budgets der 
Ministerien mit 34,695.110 D. 

Die Einnahmen vertheilen sich auf die direkten Steuern 
mit einem Gesamterträgnis von 22,186,46i9 D., auf die in- 
direkten Steuern mit 19,126.000 D. (hievon entfallen auf 
Zolleinnahmen 3,700.000 D., auf die Verzehrungssteuer 
3,000.000 D., auf das Tabak-Monopol 9,100.000 D., auf das 
Salz-Monopol 3,000.000 D.) 

Die Stempelgebühren ergaben 2,395.000 D. ; das Erträg- 
nis aus den St^-ß-tseisenbajineft b^li^f sich auf 6,000.000^ 



— 269 - 

aus den Bergwerken auf 1,166.000 D. und die Posten und 
Telegraphen ergaben eine reine Einnahme von 957.000 D. 

Dieser Staatsvoranschlag wurde im Februar 1892 
durch die radikale Skuptschina, bei namentlicher Ab- 
stimmung, mit 73 gegen 12 Stimmen angenommen. 

Aus der angeführten Reibe der Staatsanschläge ersieht 
man deutlich, das die Epoche von 1875 bis einschliesslich 
1878, nämlich die Zeit der Türkenkriege samt ihren Nach- 
wirkungen, die Ziffern des Staatshaushaltes nach und nach 
von 14 Millionen (1874) auf 28 Millionen D. (im Jahre 1879), 
somit auf das Doppelte gesteigert hatte. Auf eine solche 
enorme Vermehrung konnte natürlich die Steuermaschine 
nicht eingerichtet sein, weshalb die erste Staatsschuld auf- 
genommen werden musste. 

1880 und 1881 blieb der Staatshaushalt, wegen der 
Rückzahlung und Verzinsung der Staatsschuld, ungefähr 
auf der gleichen Höhe wie 1879. 

Nun musste aber Serbien 1882 und 1883 seiner auf 
dem Berliner Vertrage übernommenen Verpflichtung nach- 
kommen und kostspielige Eisenbahnen bauen, zu welchem 
Behufe neue Schulden gemacht werden mussten. 

Die Folge davon ist die Steigerung der Einnahmen 
und Ausgaben des Budgets um rund 5 Millionen Dinars 
im Jahre 1882 gegen das Vorjahr und um weitere 2 Mil- 
lionen Dinars im folgenden Jahre 1883. 

Der Krieg mit den Bulgaren im Jahre 1885 macht 
die Budgetziffem neuerdings um etwa 11 MiUionen empor- 
schnellen (auf rund 4ö Millionen Dinars), auf welcher Höhe 
dasselbe bis zur Durchführung des jüngsten Heeres-Organi- 
sations-Gesetzes, nämlich bis zum Jahre 1890 ungefähr ge- 
blieben ist Durch dieses Letztere wurde eine neue Anleihe 
zum Zwecke der Bewaffnung und Ausrüstung des Heeres 
(Ankauf von 80.000 Stück Berdan - Q-ewehren und von 
!Festungsschützen von der russischen Regierung), aufge- 
nommen und betragen nunmehr die Ziffern des serbischen 
Staatshaushaltes mehr als das ^Vierfache^^ vom Budget des 



— 270 — 

letzten schaldenfreien Jahres 1874 (14 Millionen im Jahre 
1874 gegen 60 Millionen im Jahre 1892). 

Den langen Zifferreihen des serbischen Staatshaushaltes 
in der Zeit von 1868 — 1887 sind manche interessante That- 
sachen zu entnehmen. 

Im Jahre 1867 betrugen die Ausgaben des Kriegs- 
ministeriums 3,920.000 Dinars hingegen jene des Unter- 
richtsministeriums 1,391.000 D.; diese beiden Posten ver- 
hielten sich somit zueinander, wie 3 : 1. 1872 war dieses 
Verhältnis 11:1 (nämlich 5,525.000 Dinars Heeresausgaben 
gegen 495.000 D. der Unterrichtsverwaltung.) 

1879 gestaltete sich das Verhältnis wie 4 : 1 (7,031.882 D. 
gegen 1,976.147 D.); 1883 abermals wie 4:1 (10,385.327 D. 
gegen 2,700.866 D. ), hingegen im Kriegsjahre 1885 änderte 
sich dieses Verhältnis zu Ungunsten des Unterrichtes und 
wurde 6 : 1 (Heeresbudget: 19,211.276 D ; — Unterrichtsbudget 
3,050.697 D.). Im Jahre 1887 findet wieder eine Besserung 
insofern statt, als das Kriegsbudget um ungefähr 5^4 
Millionen vermindert, hingegen das Unterrichts-Budget um 
25.000 Dinars erhöht wurde; das Verhältnis betrug somit 
1887 — 4,6 : 1. Bei diesem Verhältnisse ist es auch seit- 
her mehr oder weniger geblieben. Wie überall, entfallt 
auch in Serbien der weitaus grösste Theil der Staats- 
ausgaben auf die Heeresbedür&isse, dann folgt aber un- 
mittelbar die für den öffentlichen Unterricht verausgabte 
Summe; hierauf kommen die Ausgaben für die innere Ver- 
waltung und den Landes-Gesundheitsdienst, welcher Posten 
bis zum Jahre 1885 zeitweise auch höher war, als jener 
für den öffentlichen Unterricht. 

Von den gesamten Staatsausgaben entfielen im Jahre 
1868 auf die Heeresauslagen 25 Prozent; 1872 hingegen 
schon etwa 30 Prozent; 1879 sogar 38 Prozent; 1883 wieder 
nur 30 Prozent; 1885 steigerte sich in Folge des Bulgaren- 
krieges dieser Prozentsatz sogar auf 42% ^^^uid seit 1887 
beträgt er ungefähr 31 bis 34®/^> 

Seit den letzten zehn Jahren, nämlich seit der Er- 



- 271 — 

bauung der serbischen Eisenbahnen, weist unter den Staats- 
ausgaben nicht allein das Heeresbudget die höchste Ziffer 
auf; sondern die Auslagen für die öffentliche Schuld 
kommen ihr meist ziemlich nahe. 

Im Jahre 1883 betrugen dieselben 7,911.354 D. (Heeres- 
auslagen noch 10,385.327 D.); 1385 stiegen die Ausgaben 
für die Staatsschuld auf 11,583.824 D., während die Heeres- 
auslagen, wegen des bulgarischen Krieges, bis auf 19 21 1.276 
Dinars gesteigert worden sind ; im Jahre 1887 erforderte 
die Staatsschuld schon 1 5^303,173 D. und die Heeresver- 
waltung nur 14,000.092 D. und von nun an blieb der 
Posten „Staatsschuld** stets der höchste im serbischen Aus- 
gaben-Budget. So entfielen im Staatsvoranschlage für das 
Jahr 1892 von den G-esamtausgaben im Betrage von 
60,110.595 D. mehr als ein Drittel, nämlich 20,466.188 D. 
auf die öffentliche Schuld, was auch in den Budgetjahren 
1887, 1888 und 1889 der Fall gewesen war. 

Eine unparteiische Beurtheilung der Finanzlage Serbiens 
zeigt, dass Serbien kurz vor Ausbruch des Türkenkrieges 
im Jahre 1876 nicht nur kein Defizit, sondern sogar eine 
Mehreinnahme zu Gunsten der Staatskasse von 189.361 D. 
gehabt habe, dass daher Serbien zu jener Zeit ein sehr 
gut stehender Staat gewesen ist, der keine Schulden hatte 
und noch Ueberschüsse in der Staatskasse ansammelte. 

Erst der serbisch-türkische Krieg (Herbst 1876) und 
die durch den Berliner Frieden übernommene Verpflichtung 
zum Eisenbahnbau (von 1881 bis 1883) wirkten auf die 
Finanzlage Serbiens fühlbar ändernd ein; hiezu kam auch 
noch die wegen der neuen Heeresorganisation nöthig ge- 
wordene Anschaffung von Waffen und Ausrüstungsgegen- 
ständen im Jahre 1890, wofür die Geldmittel ebenfalls 
durch eine Anleihe beschafft werden mussten. 

Noch im Staatsvoranschlage för das Jahr 1880, bei 
welchem die Einnahmen 19,560.500 D. und die Ausgaben 
19,520.477 D. betrugen, war in der Staatskasse ein Ueber- 
schuss von rund 40.000 D. verblieben. Das letzte Jahr, 



— 272 — 

in welchem sich im Staatshaushalte gar kein Defizit her- 
ausstellte, war 1885; aber es wurde doch schon 1882 die 
Nothwendigkeit erkannt, die zwangsweise Einhebung der 
Steuern durchzuführen, eine Massregel, die bis dahin in 
Serbien nicht bekannt war. 

Vom Jahre 1877 an gab es zwar schon Staatsschulden 
und waren auch für die Rückzahlung im Budget von 1880 
7,462.754 D. eingestellt worden, welche Summe noch voll- 
ständig gedeckt wurde. 

Yom Jahre 1881 an wächst die serbische Staatsschuld 
sehr rasch. Für die Bückzahlungsraten und Verzinsung 
derselben wurden im Jahre 1885 in das Budget 11,583,824 
D. eingestellt und ein Jahr später, im Jahre 1886 waren 
zu dem gleichen Zwecke schon etwa 15 Millionen D. er- 
forderlich ; somit ebenso viel, als zwölf Jahre früher die 
gesamten Ausgaben Serbiens betragen hatten! Dabei war 
aber das Heereserfordemis schon vor Beginn des serbisch- 
bulgarischen Krieges auf 19,211.276 D. gestiegen. 

Bis zum Jahre 1886 wurden in kurzem Zeiträume 
nacheinander Anlehen aufgenommen, ohne dass die Pro- 
duktivität des Landes entsprechend gestiegen wäre. Nach 
dem serbisch-bulgarischen Kriege kam eine trübe Zeit für 
Serbiens Finanzen. Die fortschrittliche Begierung wollte 
die Ausgaben, besonders für das Heerwesen, nicht be- 
schränken und kämpfte schwer mit dem fortwährend an- 
wachsenden Defizit. 

Das ausländische Kapital war misstrauisch geworden 
und es gelang damals nicht, trotz mehrmaliger Versuche, 
ein Anlehen abzuschliessen. 

Durch ein neues Steuergesetz (1885) sollten die direkten 
Steuern von 12 auf 20 Millionen D. erhöht und durch eine 
ertragreichere Grundsteuer, auch der Bauernstand zur 
Steuerleistung mehr herangezogen werden, wodurch aber 
ein grosser Theil der Landbevölkerung in das Lager der 
Badikalen gedrängt wurde. 

Durch das neue Steuergesetz sollte das Defizit gedeckt 



— 273 — 

werden, vermochte es aber nicht und im Jahre 1887 stand 
Serbien nahe dem Staatsbankerott. Diese ansichere Situa- 
tion dauerte bis zum Jahre 1889. 

Wie sich die Lage nach und nach gestaltete, zeigen 
die Eingänge an direkten Steuern: 

1877—6,919.627 D.,1878— 7,221.308 D., 1879—9,524.012 D., 
1880-8,646.873 D., 1881— 9,397.045 D., 1882—10,321.678 D., 
1883-10,811.229D.,1884— 11,210.849 D.,1885—15,064.562D., 
1886— 15,770.903D.,1887-16,354.511D.,1888— 20,306.864D., 
1889— 19,792.294D.,1890— 22,780.680D., 1891—25,372.331 D. 

Die Summe der im Jahre 1891 thatsächlich eingeho- 
benen direkten Steuern betrug somit nahezu das Vierfache 
von jener des Jahres 1877 ! 

Im Jahre 1887 beliei sich der Voranschlag der direk- 
ten Steuern sogar auf 23,280.000D., wovon jedoch thatsäch- 
lich nur 16,354.511 D. eingelaufen sind. 

Wegen der politischen Unsicherheit im Innern Ser- 
biens, welche eine Einberufung und Zustimmung der 
Skuptschina nicht ermöglichte, wurde das Budget von 
1887 auf die Jahre 1888 und 1889 ausgedehnt. Nach der 
1889 erfolgten Abdankung König Milans wurde das Bud- 
get von den an das Staatsruder gelangten Radikalen fest- 
gesetzt und sollen dieselben eine genauere Vertheilung der 
direkten Steuern bewirkt haben. 

In den letzten Jahren sind auch manche der Steuer- 
rückstände eingelaufen, so z. B. 1890 — 3,395.650 D. und 
1891—5,060.310 D., wodurch sich die in den Jahren 1887 
bis 1889 eingetretene sehr missliche Finanzlage Serbiens 
wieder bedeutend gebessert hat. Das Steuererträgnis ist 
im Steigen begriffen und entspricht so viel als möglich 
den Voranschlägen für den Staatshaushalt. Im Jahre 1891 
ergab sich in dieser Beziehung nur ein Ausfall von drei 
Prozent vom Voranschlage, während noch in den Jahren 
.1886 — 1887 an direkten Steuern zwischen 30 bis 40 Pro- 
zent zu wenig eingegangen waren. 

Bei dem nun günstiger gewordenen Stande der ser- 

Anton Tnma, Serbien. 18 



— 274 — 

bischen Finanzen scheut sich nunmehr die Finanzverwal- 
tung seit drei Jahren auch gar nicht, die Einnahmen all- 
monatlich zu veröffentlichen und der Skuptschina nach- 
träglich die Abrechnung des Staatshaushaltes vorzulegen; 
was früher nie geschehen ist. 

Wenn auch die Mittel des Staates für seine verschie- 
denen Zwecke knapp bemessen sind, manchmal sogar eine 
gewisse Kargheit zu fühlen sein mag; so beginnt doch in 
der serbischen Finanzverwaltung wieder Ordnung und 
öarheit zu herrschen und man bringt die Ausgaben mit 
den Einnahmen in Einklang. Serbien kommt seinen finan- 
ziellen Verpflichtungen gegen das Ausland pünktlichst 
nach und dieses ist der deutlichste Beweis einer guten 
Finanzgebahrung. 

Die Staatsschulden Serbiens betrugen beim Abschluss 
derselben im Nominale 347,189.500 Dinars; davon wurden 
bis Ende des Jahres 1892 zurückgezahlt 22,142.135 Dinars; 
so dass noch 325,047.365 Dinars verblieben sind. Die 
Tilgung ist eine ziemlich rasche und die steigenden Staats- 
einnahmen, begründet durch die Zunahme der Produktion, 
besonders der Landwirthschaft, lassen bei ruhigen Zeiten 
und einer soliden Verwaltung zuversichtlich erwarten, dass 
auch die weitere Zahlung der Staatsschulden ruhig und 
ohne Störung vor sich gehen wird. 

Banken im Sinne jener der grossen Weltmärkte 
Westeuropas kann man in Serbien wohl nicht finden, aber 
nichtsdestoweniger hatte man schon unter der Regierung 
des Fürsten Mihail daran gedacht, Banken und Sparkassen 
zu gründen; ist jedoch damit nur sehr langsam vorge- 
gangen. 

Das älteste und wichtigste Kreditinstitut Serbiens ist 
die „Uprava fondova.** Das Q-esetz vom 16. August 1862 
verordnete die Vereinigung der Gemeinde-, Waisen-, 
Wittwenpensions- und Kirchenfonds zu einer Art von Hy- 
pothekenbank, welche den Namen „Uprava fondova"^ 
(deutsch etwa: Fondsdirektion) erhielt. 



— 275 — 

» 

Dieselbe ist ein unter staatlicher Aufsicht stehendes 
Geld-Institut, welches Darlehen auf Grundbesitz, gegen 
hypothekarische Sicherheit, zu 6 Prozent Zinsen bewilligt 
und die ihr anvertrauten Kapitalien mit fiinf Prozent ver- 
zinst. 

Wegen der Gründung einer „serbischen Nationalbank^ 
wurde schon im Jahre 1861 ein Projekt ausgearbeitet, aber 
weiter geschah nichts. 

Im Jahre 1879 schloss der belgische Abgeordnete 
Boucquöau mit dem Finanzminister ein Uebereinkommen, 
wegen Gründung einer Nationalbank, und selbst der Fürst 
wies am 16. November 1879 in seiner Thronrede der 
Skuptschina die ungeheure Bedeutung nach, welche eine 
Nationalbank für den nationalen Wohlstand des Landes 
haben müsste; trotz alledem wurde aber der bezügliche 
Gesetzentwurf in der Skuptschina dennoch mit sehr grosser 
Mehrheit verworfen. Die von den Abgeordneten vorge- 
brachten Einwände und Bedenken lieferten nur den Be- 
weis, dass das serbische Volk noch zu wenig Verständnis 
habe für derlei gemeinnützige Unternehmungen. 

Im Jahre 1881 versuchte auch Bontoux vergebens in 
Serbien eine Nationalbank zu gründen. 

Ende 1882 arbeitete der Finanzminister Mijatovitsch 
einen neuen Entwurf zur Errichtung einer Nationalbank 
aus, welcher sich im Allgemeinen an den Plan Boucqueau^s 
anschloss. Derselbe wurde endlich von der Skuptschina 
angenommen und am 6. Januar 1883 vom Könige geneh- 
migt. Sie verfügt über 20 Millionen Dinars und fuhrt 
den Namen „privilegierte Nationalbank des Königreichs 
Serbien." 

In Folge des Gesetzes vom 23. September 1885 gab 

diese Nationalbank auch Papiergeld mit 40 prozentiger 

Fundation aus, nämlich Banknoten zu 50, 100 und 500 

Dinars, welche in Gold und solche zu 10 Dinars, welche 

in Silber zahlbar sind. 

Andere Geldinstitute sind die „Belgrader Kreditanstalt." 

IS* 



— 276 — 

Sie wurde 1871 von einigen unternehmenden Handelsleuten 
gegründet und sollte ein Kapital von 12 Millionen Dinars 
haben. Zehn Jahre später, im Jahre 1881 waren jedoch erst 
720.000 Dinars gezeichnet. Aber dennoch macht diese 
Kreditanstalt sehr gute Geschäfte, weil sie Geldeinlagen 
nur mit 5 Prozent verzinst, während ihr Zinsfiiss für Dar- 
lehen auf Werthsachen 11 bis 12 Prozent beträgt. Im 
Jahre 1879 betrug der Umsatz 14,064.300 Dinars, 1880— 
15,180.105 D. und 1881 schon 23,524.154 D., wobei die 
Aktionäre eine lO^t prozentige Dividende erhielten. 

Ebenfalls im Jahre 1871 wurde auch die „Kreditbank 
in Smederevo^ gegründet, mit einem Kapital von 1,2 Mil- 
lionen Dinars, welche ebenfalls sehr gut besteht. 

Eine ähnliche Unternehmung ist die 1883 gegründete 
„Schabatzer Bank^. 

Im selben Jahre wurde durch ein Privilegium der 
serbischen Begierung und unter dem Schutze der Länder- 
bank und des Gomptoir d'Escompte die „Serbische Kredit- 
anstalt" mit 1,200.000 D. Grundkapital gegründet. 

Endlich besteht noch eine Belgrader Filiale der nVu- 
garischen Kreditbank,^ welche Darlehen zu 8 — 9 Prozent 
Zinsen auf Pfänder giebt. 

Yen den in Serbien bestehenden Sparkassen wären 
besonders zu erwähnen: Der „Belgrader Spar- und Aus- 
hilfsverein", welcher 1882 gegründet wurde. Sein Elapital 
wird durch Beiträge gebildet, welche mindestens 50 Para 
(Centimes) betragen müssen. Diese Einlagen werden mit 
5 Prozent verzinst. Dieser Verein wurde so schnell be- 
liebt, dass er schon drei Monate nach seiner Gründung 
über 71,343 und sieben Monate später über 582,678 Dinars 
verfügte. 

Eine besondere Einrichtung sind in Serbien die In- 
nungskassen oder „Esnaf", welche von Handwerkern und 
Arbeitern derselben Profession gegründet wurden. Sie 
sind zugleich Kranken-Unterstützungskassen. Die kleinen 
Darlehen werden massig verzinst. 



— 277 — 

Eigentliche Sparkassen wurden erst durch das Gesetz 
vom 21. Oktober 1871 eingeführt und zunächst in Smede- 
revo, Kragujevac, Kruschevac, Tsohatschak und Uschitze 
eröfi&tet. Im Jahre 1881 wurde noch eine zu Nisch und 
1883 eine solche zu Yranja gegründet. Die Einlagen werden 
mit 3 bis 5 Prozent verzinst und für Darlehen werden 
7 Prozent Zinsen eingehoben. 



Schlusswort. 



Der Tod des Fürsten Milosoh sohliesst den ersten Ab- 
schnitt der neueren Geschichte Serbiens, Während dieses 
Zeitraumes von mehr als 50 Jahren (1804 bis 1860) kämpft 
Serbien vorerst, um seine Unabhängigkeit zu erringen und 
dann, um sie zu behaupten. 

"Während dieses ersten Zeitabschnittes wird das alte 
Paschalik Belgrad nach und nach zu einem autonomen 
Staate umgewandelt, welcher nur dem Namen nach, durch 
ein schwaches Band mit der Pforte verbunden ist. 

Im Innern wird endlich die zwischen den rivalisirenden 
Hospodaren und militärischen Anführern getheilte Macht 
in einer einzigen Familie, in jener des Hauses Obrenovich. 
vereinigt Aus dem Feudalismus geht Serbien zum monar- 
chischen Prinzip über und auffallend genug, dass sich, 
diese für die Zukunft der Balkanstaaten hochwichtigen Ver- 
änderungen nicht nur ohne Zuthun, sondern gewisser- 
massen sogar gegen den Willen der übrigen europäischen 
Begierungen vollziehen. 

Während Frankreich, England und Eussland gemein- 
sam die türkische Flotte bei Navarin verbrennen und 
durch das Protokoll von London das neue Königreich 
Griechenland begründen, sehen sie gleichzeitig dem blu- 
tigen Schauspiele an der unteren Donau ganz gleichmüthig; 
zu. Nur Russland tritt zeitweise bald zu Gunsten Serbiens, 



— 279 — 

bald zu jenem der Wallache! und Moldau auf, und benutzt 
seine zeitweiligen Siege über die Türkei dazu, um seinen 
Einfluss in den unteren Donauländem zu begründen. 

Der zweite Abschnitt der neueren serbischen Q-e- 
schichte ist von dem ersten wesentlich verschieden. Jetzt 
hat auch Europa einen Einfluss, welchen es bei den ver- 
schiedenen Entwicklungsphasen in Serbien, mehr oder 
weniger entschieden, zum Ausdruck bringt. Das russische 
Protektorat wird im Pariser Vertrage vom Jahre 1856 
aufgehoben und die serbische Autonomie ist nicht mehr 
ein jeder anderen Anerkennung ermangelnder Zufall der 
russischen Politik. 

Die serbische Autonomie ist von da an garantirt und 
allgemein anerkannt ; sie bildet einen Theil des europäischen 
öffentlichen Eechts. 

Im Innern des Landes wurde, durch die Zurückberufung 
des Fürsten Milosch und die Anerkennung seines Sohnes 
Mihail als Thronfolger, das Prinzip der erblichen Monarchie 
verwirklicht. Nachdem dies geregelt war , gelangte eine 
neue Idee zum Durchbruche, nämlich jene der Wieder- 
herstellung der historischen Grenzen des alten Serben- 
reiches. Die Wiedergeburt des „Fürstenthums Serbien" 
war verwirklicht; nun sollte jene des gesamten serbischen 
Volkes beginnen. 

Der zweite Abschnitt der neueren serbischen Geschichte 
hatte seine Glanzepoche unter dem Fürsten Mihail. 

Er hatte sein achtzehnjähriges Exil besser angewandt, 
als Milosch. Während sich dieser auf seinen Landgütern 
in der Wallachei mehr und mehr in die Betrachtung seiner 
Erinnerungen und Zukunftsträume vertiefte, besuchte Fürst 
Mihail die meisten Hauptstädte Europas, lernte Sprachen 
und sass als einfacher Student auf den Bänken der Heidel- 
berger Universität. 

Als beim Sturze des Fürsten Alexander Karadjordjevitsch 
und bei dem vorgerückten Alter seines Vaters Milosch, 
seine Aussicht wieder auf den serbischen Thron zu gö- 



— 280 — 

langen einer nahen Verwirklichung entgegenging; da fühlte 
er sich hiezu vollkommen vorbereitet. 

Die achtzehn Monate, welche Mihail als Thronfolger 
Serbiens (vom Februar 1859 bis September 1860) ver- 
lebte, benützte er beinahe gänzlich dazu, um das Innere 
des Fürstenthums durch Beisen und Studien gründlich 
kennen zu lernen. Er erneuerte hiemit die Bekanntschaft 
mit dem Lande, welches er durch eine Beihe von Jahren 
aus den Augen verloren hatte; gleichzeitig mied er auch 
den wenig beneidenswerthen Aufenthalt in Belgrad, wo 
neuerdings die politischen Gegner gegen seinen Vater und 
auch gegen ihn den Kampf eröffnet hatten. 

Milosch und Mihail waren ihrem ganzen Wesen und 
Charakter nach, von einander grundverschieden. Der Unter- 
schied zwischen beiden war der gleiche, wie jener zwischen 
Mittelalter und Neuzeit. 

Milosch war bis zu seinem Lebensende despotisch und 
mitunter auch barbarisch geblieben, wie ein echter Führer 
von Palikaren oder Haiduken. Mihail hingegen war im 
vollsten Sinne des Wortes ein europäischer Fürst, welcher 
gleichzeitig hochgebildet und durchdrungen war, von den 
neuesten Q-rundsätzen über die Bechte der Völker und 
die Verantwortlichkeit der Herrscher. 

Sein Verstand und sein gesunder Sinn nahmen öfter 
Anstoss an verschiedenen Handlungen seines Vaters, deren 
Zeuge er gewesen war, und mehr als ein Mal versuchte 
er demselben vernünftige , aber stets vergebliche Vor- 
stellungen zu machen. Milosch wollte nichts anhören. Er 
bestand hartnäckig auf seinen Irrthümem, mit jener Zähig- 
keit eines Greises, der nicht zu begreifen vermag, dass 
sich ringsum alles geändert habe, und nur er selbst der- 
selbe geblieben sei. 

Durch diese harte Lehrperiode schärfte sich jedoch 
das ürtheil und das Bechtsgefuhl des Fürsten Mihail, und 
er hatte früh genug darüber nachgedacht, nach welchen 



— 281 — 

Grundsätzen er zu handeln und welche Gefahren er zu 
meiden habe. 

Im Jahre 1851 veröffentlichte Mihail selbst in Wien 
eine bemerkenswerthe Schrift über „Milosch Obrenovich^ 
oder Ueberblick der serbischen Geschichte von 1830 bis 
1840". Wenn er auch seinem Vater volle Gerechtigkeit 
widerfahren lässt; so ist er dennoch selbst überzeugt, dass 
Milosch im Jahre 1839 nicht einzig und allein den Intri- 
guen seiner Feinde zum Opfer gefallen, sondern dass er 
an seinem Sturze bis zu einer gewissen Grenze selbst 
schuldig gewesen sei. 

M. Blanqui sagt: „Selten wird ein Herrscher entthront, 
ohne Fehler begangen zu haben." Und Milosch hatte deren 
mitunter recht schwere begangen. Milosch starb am 26. Sep- 
tember 1860 und am selben Tage gab die vom neuen Fürsten 
an das serbische Volk erlassene Proklamation den Wahl- 
spruch aus, dass das Gesetz die einzige Autorität 
in Serbien sein solle. 

Ein solcher Wahlspruch im Munde des Sohnes und 
Erben Milosch' bezeichnete deutlich den Unterschied 
zwischen dem Regierungssysteme, welches soeben beendet 
wurde, und jenem, das beginnen sollte. 

Mit diesem Wahlspruche hatte Fürst Mihail aus eigenem 
freien Willen das Prinzip der konstitutionellen Monarchie 
an die Stelle der bisherigen absoluten Regierung gesetzt. 

Sehr bemerkt wurde die damalige Antwort des Fürsten 
Mihail an den türkischen Obersten, welcher ihm den In- 
vestiturs-Berat (Bestätigungs-Schreiben) des Sultans über- 
bracht hatte; er sagte: „Indem ich aus Ihren Händen den 
„hohen kaiserlichen Berat übernehme, bitte ich Sie, Herr 
„Oberst, Se. Majestät zu versichern, dass ich getreu der 
„zweifachen Ueberlieferung meiner Dynastie, stets be- 
„seelt sein werde von den Gefühlen der Treue und Er- 
„gebenheit für den hohen Souverain Serbiens, dass ich 
^jedoch auch stets als Fürst zu regieren und alle Rechte 



— 282 — 

„und Einrichtungen meiner Nation aufrechtzuerhalten be- 
„ absichtige." 

Er ging auch sofort ans Werk und begann den von 
der Pforte im Jahre 1838 erlassenen Ustav (Verfassungs- 
urkunde) den geänderten Zeitverhältnissen gemäss abzu- 
ändern. Im Sommer 1861 Hess er einer ausserordentlichen 
Skuptschina eine Beihe höchst wichtiger Gesetzentwürfe 
zur Genehmigung vorlegen und bestätigte dieselben sofort. 

Hierdurch wurde im Laufe von wenigen Wochen die 
politische und wirthschaftliche Lage im Fürstenthum Ser- 
bien gründlich verändert. So wurde der allzu mächtig 
gewordene Senat reorganisirt , die Thronfolge geregelt 
und für den Fall vorgesorgt, falls der regierende Fürst 
ohne direkten Erben sterben sollte, femer wurde das 
Nationalheer gegründet, in welchem jeder Serbe dienst- 
pflichtig sein sollte und schliesslich die bisherige gleich- 
massige Kopfsteuer, durch eine nach dem Vermögen in 
Abstufungen getheilte direkte Steuer ersetzt, welche dem 
Staate eine beträchtliche Vermehrung der Einnahmen 
sicherte. 

Diese Neuerungen, deren Tragweite Jedermann klar 
war, wurden in Constantinopel sehr übel aufgenommen. 

Bisher war der Divan durch die Schwäche des Fürsten 
Alexander Karadjordjewitsch daran gewöhnt worden, die 
Verfassung vom Jahre 1838 (Ustav) nur als einen Akt an- 
zusehen, an welchem weder gerührt noch gerüttelt werden 
dürfe, ausser mit Einwilligung der Süzeränen Macht. 

Nachdem Alexander Karadjordjevitsch, ohne Brücksicht 
auf das Becht und die Würde seiner Nation, gewohnt war, 
in zahlreichen Fällen in Constantinopel um Bath und Ent- 
scheidung zu bitten, welche in Belgrad hätten nicht nur 
entschieden werden können, sondern logischer Weise da- 
selbst hätten entschieden werden sollen, femer weil er 
gegen die Türken stets schwach auftrat; so waren diese 
nach und nach zu der Ueberzeugung gelangt, dass sie die 
absoluten Herren von Serbien seien. In diesem Sinne 



— 283 — 

sprach sich auch das halboffizielle „Journal de Constan- 
tinople" in seiner Nummer vom 14. November 1851 mit 
folgenden Worten aus: „La Serbie n'est ni un Etat tribu- 
taire, ni un Etat vassal; eile est simplement une province 
de TEmpire ottoman." 

Beinahe wäre es damals zu einem Kriege gekommen; 
denn die Pforte wollte schon eine Armee gegen Serbien 
senden, um dort die gesetzliche Ordnung wieder herzu- 
stellen. Nach reiflicher Ueberlegung begnügte sich aber 
die Pforte mit einer schriftlichen MissbiUigung, welche 
von Serbien in beruhigender Weise beantwortet wurde, 
und dabei blieb es. 

Auf diese Weise hatte Fürst Mihail durch seine kühne 
Initiative mit einem Schlage eine Beliebtheit errungen, die 
sein gefürchteter Vater nur in sehr bescheidenem Maasse 
besessen hatte, und wurde gleichzeitig auch der natürliche 
Vertreter der gesamten serbischen Nation inner- und ausser- 
halb des Fürstenthums. 

Das Volk war dem Fürsten Mihail unbedingt ergeben, 
weil es an dessen Patriotismus glaubte und weil es die 
TJeberzeugung hatte, dass der Fürst selbst sich nur als der 
erste Diener des Gesetzes betrachte. In diesem Ideengange 
kommt jedoch der Charakter und die Sitten der Serben so 
recht zum Ausdruck. In Serbien wird naturgemäss Jeder- 
mann, der irgend ein öffentliches Amt bekleidet für un- 
verletzlich gehalten. 

Die Gesetze werden überall ohne Schwierigkeit be- 
folgt, vorausgesetzt, dass dieselben von Jenen angenommen 
worden sind, welche sie befolgen sollen. Das Volk ist folg- 
sam, jedoch liebt es Alles zu besprechen, um nicht zu 
sagen: zu bekriteln. ^Verstehen, ist gehorchen" sagten 
die Griechen des Oströmischen Reiches. Und der Serbe 
will nicht nur verstehen (hören), sondern auch begreifen. 
Es ist somit nicht genug, dass ein Gesetz durch die Skupt- 
sohina genehmigt, vom Herrscher sanktionirt und sodann 
durch die Kreis- und Bezirks-Behörden veröffentlicht worden 



— 284 — 

sei; es muss noch von jedem Individuum für sich durch- 
dacht und schliesslich auch gutgeheissen werden. Ist dies 
der Fall gewesen, so wird das betreffende Q-esetz mit 
Freude und Genugthuung befolgt. Der Serbe will ins- 
besondere keine neuen Lasten auf sich nehmen, bevor ihm 
deren Nützlichkeit nicht vollkommen klar geworden ist. 
So kann man die in den letzten 6 bis 8 Jahren vorge- 
kommenen Steuerrückstände sich am besten dadurch er- 
klären, dass die Bevölkerung jener Gegenden, deren Ab- 
geordnete der allzu rasch vorgenommenen Steigerung der 
direkten Steuern nicht beigestimmt hatten, einfach die 
Steuern ganz oder theilweise schuldig blieben; denn von 
einer Verarmung des serbischen Volkes bis zu dem Punkte, 
dass es selbst die Steuern nicht zahlen könnte, ist das 
Land glücklicher Weise noch sehr weit entfernt. 

Nun wurde allerdings die bisher noch nie angewandte 
Zwangseinhebung der Steuern eingeführt, was aber dem 
auf seine Freiheit so stolzen Volke wieder als" eine sehr 
harte Massregel erscheinen musste. 

Unter dem Fürsten Mihail fühlte sich das Volk voll- 
kommen gleich und ebenbürtig einer dem Andern, und in 
dem Fürsten sah man nur den Vater der Nation, vor 
welchem man nicht zu zittern brauchte; er war für die 
ganze Nation dasjenige, was der Stareschina für die Mit- 
glieder seiner Zadruga ist. 

Wenn der Fürst Mihail die versammelte Skuptschina 
ansprach, so nannte er sie immer; „Meine Brüder!" „Wie 
befindet Ihr Euch?" — „Seid Ihr gesund?" Hierauf ant- 
wertete die ganze Versammlung: „Gott sei Dank, gut! — 
Und Du Q-ospodar, wie befindest Du Dich?" 

Heute ist der Verkehr zwischen dem Herrscher Ser- 
biens und seinem Volke schon gezierter, dafür aber auch 
weniger herzlich und gar nicht mehr patriarchalisch. Trotz- 
dem hängt aber die grosse Masse der Bevölkerung, näm- 
lich die Landbewohner, welche neun Zehntel der gesamten 
Einwohnerzahl ausmachen, noch immer an den aitherge- 



— 285 — 

brachten Sitten und Gebräuchen und ist ihr jede Neuerung 
ein Greuel, besonders wenn durch dieselbe eine Erhöhung 
der Abgaben nothwendig wird und deren materielle Vor- 
theile dem einfachen Verstände des Bauern nicht sofort 
klar werden. 

Dies ist auch der einzige Grund, warum sich der Serbe 
im Allgemeinen so schwer entschliesst, an grösseren In- 
dustrie-Unternehmungen oder an umfangreichen Handels- 
spekulationen theilzunehmen. Er zieht eben den Sperling 
in der Hand, der Taube auf dem Dache vor! 

Der Bau der Eisenbahnen und verschiedene Einführ- 
ungen in der Verwaltung, verbunden mit einer bedeuten- 
den Vermehrung der Staatsbeamten, brachten dem ser- 
bischen Bauer vorläufig nichts als eine bedeutende Erhöhung 
der direkten Steuern. Die Unlust hierüber erzeugte den 
Badikalismus unter der Landbevölkerung. 

Der vorzügliche Kenner südslavischer Verhältnisse, 
Professor Cyprien Robert, schrieb schon im Jahre 1852 in 
seinem Werke: „Les Slaves de Turquie" (Paris 1852 bei 
Passard) nachstehende höchst beachtenswerte Worte, be- 
treffend die Bildung von politischen Parteien im Fürsten- 
thum Serbien, welche noch heute zum grossen Theile ihre 
volle Richtigkeit haben. 

„Drei Parteien machen sich im Fürstenthume Serbien 
geltend: in erster Linie ist die nationale Partei, bestehend 
aus Landbewohnern mit slavisch - orientalischen Sitten, 
welche gestützt durch die ganz unverfälschte Gebirgsbe- 
völkerung, den Cultus der alten Erinnerungen, der herge- 
brachten Sitten und Gebräuche mit ebenso autrichtiger 
als zäher Hingebung pflegen. Als zweite Partei gilt die 
zu Oesterreich hinneigende Bevölkerung an den Ufern der 
Donau und Save, welche die Handelsbeziehungen zwischen 
Serbien und Oesterreich vermittelt. Diese Partei bekämpft 
im Namen der westeuropäischen Civilisation die orienta- 
lischen Tendenzen der Nation. Als dritte gilt eine ge- 
mischte Partei, welche hauptsächlich aus Beamten besteht, 



— 286 — 

denen nur ihr Sold am Herzen liegt, und die jede Neuer- 
ung mit Freuden begrüsst, wodurch die Zahl der Beamten 
erhöht und besser bezahlte Posten geschaffer werden. Es 
ist klar, dass diese letztere Partei keine Lebensfähigkeit 
besitzt in einem Lande wie Serbien, und dass sie nur im 
Anschlüsse an die eine oder die andere der beiden erstge- 
nannten Parteien fortbestehen kann. 

Es handelt sich daher nur um die österreichische 
(jetzt Fortschrittspartei genannt) und um die altnationale 
Partei (die jetzigen Bauem-Radikalen), welche sich in alt- 
hergebrachter Sitte, bei möglichst erweiterter Gemeinde- 
Autonomie, selbst verwalten wollen; um nicht ein so grosses 
Heer von Beamten zahlen zu müssen. Wer in den Volks- 
geist der Slaven aller Stämme eingedrungen ist, muss zu- 
geben, dass alle germanischen Einrichtungen bei den Sla- 
ven zumeist sehr wenig beliebt sind; daher hatte auch 
die damalige österreichische (jetzt Fortschritts-) Partei 
einen sehr schweren Stand bei der serbischen Nation und 
konnte niemals auf die Dauer mit ihren Ideen festen Fuss 
fassen. Es blieb daher immer nur die Partei der Kmeten 
und Landwirthe, welche sich thatsächlich des vollen 
Genusses der Sympathien ihrer Nation erfreute. Diese 
Partei, obwohl eine geschworene I'eindin der absoluten 
Monarchie, verlangte nichtsdestoweniger eine starke und 
geregelte Regierung; nur wünschte sie, dass sich die Macht 
nicht auf eine ausländische Vormundschaft, sondern auf 
die patriarchalischen Einrichtungen des Landes stütze. 

Und diese Einrichtungen enthalten, ebenso wie die 
Sitten des serbischen Volkes, viel Edles und Einfaches. 
Jedes Dorf wird durch seine Kmeten verwaltet u. s. w." 

Dieses einfache und vollkommen unverdorbene Volk, 
welches unter dem Fürsten Mihail so glücklich und zu- 
frieden gelebt hatte, erhielt nach dem gewaltsamen Tode 
dieses edlen Herrschers, den Ne£Fen des Letzteren, den 
Fürsten Milan zum Nachfolger. Man kann dreist behaup- 
ten, dass der verstorbene Mihail durch seine auf deut- 



— 287 — 

sehen Universitäten genossene Bildung und durch die vor 
seiner Thronbesteigung unternommenen Reisestudien im 
Innern Serbiens viel besser vorbereitet sein Herrscheramt 
angetreten hat, als nach ihm der in Paris erzogene Milan. 

Dieser war trotz seiner Jugend, in dem Augenblicke 
als er den serbischen Fürstenthron bestieg, nicht mehr im 
Stande, sich in den Geist und die Ideen seines Volkes 
völlig einzuleben; er wurde als Pariser erzogen und hat 
viel von den Vorzügen aber auch von den Fehlern der 
Franzosen angenommen. Mit echt französischem Elan er- 
klärte er wenige Jahre nach erlangter Grossjährigkeit der 
stark unterschätzten Ptorte den Krieg, ohne sich hierfür 
genügend vorbereitet zu haben, und legte dadurch seinem 
Lande grosse Opfer an Geld und Blut auf, ohne einen 
Erfolg erringen zu können ; denn nicht dieser, sondern der, 
im darauffolgenden Jahre 1877 ausgebrochene russisch- tür- 
kische Krieg brachte dem Lande die beträchtliche Gebiets- 
erweiterung im Süden. 

Auch die gänzlich verschiedenen Lebensanschauungen 
zwischen einem modernen, genusssüchtigen Franzosen und 
dem patriarchalischen ßauernvolke in Serbien, welches noch 
ein Stück des Orients ist, mussten allerlei Reibungen und 
Misshelligkeiten hervorrufen. Diese Gegensätze führten be- 
sonders zu bedenklichen Aergemissen, als Milan durch die 
Zerwürfnisse in seinem ehelichen Leben nicht bloss die 
Anschauungen und Sitten seines Volkes schwer verletzte 
und damit auch die Sympathien desselben grossentheils 
einbüsste, sondern sich zugleich in seiner schwer gekränk- 
ten und geschiedenen Gattin einen ernsten politischen 
Gegner schuf, und weil dieser Bruch zwischen den Eltern 
auf das Gemüth des Sohnes und Thronerben schon in 
dessen Kindheit einen betrübenden Einfluss üben musste. 

Ebenso wie das Privatleben des Königs beim Volke 
vielfach Anstoss erregte, so brachte ihn dasselbe auch mit 
den kirchlichen Gewalten in V7iderstreit, und König Milan 
liess sich verleiten, in die Kreise der hierarchischen Or- 



— 288 — 

ganisation mit gewaltth&tiger Hand einzugreifen. Er ver- 
mehrte hierdurch nur die Zahl seiner Gegner und schwächte 
seine eigene Stellung, welche nunmehr von jedem Dorf- 
geistlichen angefochten und bekämpft wurde. Was das 
bei einem südslavischen Volke zu bedeuten hat kann Jeder, 
dem die orientalischen Verhältnisse bekannt sind, leicht 
ermessen, es bedarf daher keiner näheren Erklärung. 

Ebensowenig lächelte dem heutigen Exkönig das Glück 
auf politischem und volkswirtschaftlichem Gebiete. Die bei- 
den unglücklichen Kriege von 1876 und 1885 schadeten un- 
gemein dem militärischen und politischen Ansehen Serbiens ; 
auch brachten sie das Land in grosse finanzielle Verlegen- 
heiten. In politischer Hinsicht ist das hohe Ansehen, 
welches Serbien bis dahin bei den Südslaven, als Kristal- 
lisationspunkt ihrer angehoffl^en einstigen Vereinigung, ge- 
nossen hatte, wohl auf lange Zeit, besonders durch den 
serbisch-bulgarischen Krieg 1885, erschüttert uud stehen 
Serbien und Bulgarien in dieser Hinsicht nunmehr voll- 
kommen gleichberechtigt da. 

Die sogenannte austrophile Politik hätte an und für 
sich bei den Serben kein so grosses Missfallen und keinen 
Widerstand gefunden; sie wurde erst verhasst durch jene 
Finanzmächte, die des Königs Geldverlegenheiten benützten, 
um das Land in ihrer ausbeutenden Gewalt zu erhalten. 
Was diese Leute am serbischen Volke gesündigt hatten, 
das wurde Oesterreich- Ungarn zur Last gelegt, und so 
übertrug sich die Abneigung von jenen auf dieses. 

Schon im Jahre 1890 schrieb die wohlunterrichtete 
„Münchener Allgemeine Zeitung,^' dass die Dinge in Serbien 
auf einem Punkte angelangt seien, wo die entscheidende 
Katastrophe nicht mehr lange ausbleiben könne. Der JEUidi- 
kalismus am Staatsruder hätte seine Unfinichtbarkeit aber- 
mals erwiesen; die Unzufriedenheit im Lande sei grösser 
geworden, als in den letzten Zeiten des Milan'schen Begi- 
mentes, und sogar in der Armee, diesem Schoosskinde der 



- 289 — 

ganzen Nation, herrsche Unwillen gegen die Radikalen, 
welche den Offizieren ihre Bezüge schmälern wollten. 

Nach seiner Abdankung war König Milan noch län- 
gere Zeit in Serbien verblieben und trieb Partei -Politik, 
indem er die Wahlen und die öffentliche Meinung beein- 
flusste. In der radikalen Partei, welcher Milan durch seine 
Verfassungsänderung (Ende 1888) an das Staatsruder ver- 
helfen hatte, war eine tiefgehende Gährung eingetreten 
und drohte im Jahre 1890 ein Zerfall der Partei in ver- 
schiedene sich gegenseitig befehdende Gruppen einzutreten. 
In der Armee herrschte eine Unzufriedenheit, die einen 
bedenklichen Umfang angenommen hatte, und ein Theil 
des Offizierkorps befand sich in einer Stimmung, die einem 
kühnen Gegner der bestehenden radikalen Regierung — 
selbst über die Köpfe der drei Regenten hinweg — leicht 
<iie Möglichkeit geboten hätte, einen ernsten Handstreich 
gegen jene, mit grosser Aussicht auf Erfolg zu unter- 
nehmen. Auch die Geschäftswelt und die, durch die 
Grenzsperre gegen Ungarn schwer geschädigte Landbevöl- 
kerung waren ebenfalls in erbitterter Stimmung, in wel- 
eher sie alle eine Aenderung der bestehenden Verhältnisse 
nicht nur ohne Widerstand hingenommen, sondern sogar 
freudig begrüsst haben würden. 

In dieser allgemeinen Missstimmung und Unzufrieden- 
heit hatte sich Exkönig Milan mit den beiden anderen 
Parteien, den Fortschrittlern und Liberalen, in Verbindung 
gesetzt und trug sich mit dem Plane, diese Elemente zu einer 
starken, festgefügten Opposition gegen die Radikalen zu 
vereinigen. Er beabsichtigte den antidynastischen Ab- 
sichten der Radikalen eine dynastische Partei entgegenzu- 
stellen. Da er gleichzeitig auf einen Theil der Armee 
rechnen durfte, so waren alle Vorbedingungen für eine 
sehr wichtige Aktion gegeben. 

Thatsächlich machte Exkönig Milan den Regenten den 
Vorschlag, das radikale Ministerium zu stürzen und ein 

Anton Tuma, Serbien. 19 



— 290 — 

neues Eabinet ans der von Milan zu bildenden dynas* 
tischen Bechten zu bilden. 

Die B>egenten gingen zwar auf diesen Vorschlag nicht 
ein, dass aber Milan einen derartigen Antrag überhaupt 
stellen durfte, zeigt deutlich, wie weit die Dinge damals 
schpn gediehen waren, und dass die damalige Krisis von 
hohem Ernste war. Nun glaubte man, dass es Milan an 
einer kühnen Aktion mit Hilfe der Armee nicht fehlen 
lassen werde; jedoch geschah nichts, obwohl speziell die 
Liberalen sich sehr bemüht haben sollen, den Exkönig zu 
ein*ir entscheidenden That zu bewegen. 

Nun sagten sich vor allem die Fortschrittler unter 
Garaschanin von Milan los und beschlossen ein selbständiges 
Vorgehen bei den Neuwahlen für die Skuptschina im Sep- 
tember J 890. Diese Haltung der Fortschrittspartei brachte 
aber auch die Liberalen unter Avakumovitsch ins Wanken 
und die Folge davon war nicht allein die missglückte 
Vereinigung dieser beiden oppositionellen Parteien, sondern 
deren Abfall vom Exkönig Milan überhaupt. Dasselbe ge- 
schah bei den Offizieren, welche die Unentschlossenheit 
Milans, dem sie gerne mit einem Pronunciamento beige- 
standen hätten, aufs peinlichste berührte, und die sich von 
diesem Augenblicke an von Milan gänzlich abwendeten. 
So sah sich der Exkönig plötzlich von Allen verlassen, die 
er als seine Anhänger angesehen hatte, und durch sein 
eigenes Verschulden stand er wieder vollständig isolirt da. 
In dieser Verlegenheit fand Milan den Ausweg — mit den 
Radikalen Frieden zu schliesseu. 

Den Radikalen konnten selbstverständlich alle diese 
Vorgänge kein Geheimnis geblieben sein. Nachdem ihre 
eigene Partei selbst zerrüttet war, so hatten sie das Hervor- 
treten der beiden Oppositionsparteien, sowie die wachsende 
Missstimmung in der Armee und Landbevölkerung, mit 
grosser Besorgnis beobachtet, zugleich aber die dringende 
Noth wendigkeit erkannt, diesen Gefahren rasch und ent- 
schieden entgegenzuwirken. Schneller, als man vermuthet 



— 291 — 

hätte, rafften sich die Radikalen auf und es gelang ihnen, 
binnen sehr kurzer Frist die zwischen ihnen bestehenden 
Zwistigkeiten zu beseitigen und sich wieder fest zu ver- 
einigen. Als dies gelungen war, übernahm deren be- 
deutendster Führer Pasitsch die Vermittlung zwischen den 
Radikalen und dem Exkönig. Diese Vermittlung war er- 
folgreich ; die Radikalen verpflichteten sich, für Milan 
eine bedeutende Apanage in der Skuptschina 
zu bewilligen und — bis zur Grossjährigkeit des jungen 
Königs — alle antidynastischen Handlungen oder auch 
nur Kundgebungen zu vermeiden ! 

Milan hingegen gab für diese Zugeständnisse die Ab- 
sicht auf, die Radikalen weiter noch zu bekämpfen. Dass 
die beiden Theile diesen Frieden nur fär so lange Zeit 
halten würden, als es für ihre Zwecke passte, war vor- 
auszusehen und die in den nächsten drei Jahren statt- 
gehabten politischen Krisen haben dies auch bestätigt. 

Ueber die Charakteristik der drei Hauptparteien des 
Landes, die Liberalen, die Fortschrittsmänner und die 
Radikalen, giebt der Redakteur Komartschitsch des fort- 
schrittlich gefärbten Blattes „Videlo" — nachstehende Auf- 
schlüsse. 

Ristitsch, der bedeutendste Politiker, des Landes, 
welcher während der Minderjährigkeit der jungen Könige 
Milan und Alexander Mitglied der Regentschaft und wieder- 
holt Minister des Aeussern, nebstbei Präsident des Minister- 
rathes war, repräsentirt das liberal-konservative Prinzip in 
Serbien. Er wünschte Serbien möglichst stark und selb- 
ständig zu machen, indem er erklärte: „Mit allen freundlich, 
aber keinem unterthänigl" sei des Serben Wahlspruch. 
Im Hinblicke auf die inneren Angelegenheiten ist Ristitsch 
ein Feind überstürzter Neuerungen, dagegen der Freund 
eines kräftigen Regimentes. 

Zu dieser Partei gehörten femer Kristitsch, der wieder- 
holt Ministerpräsident war, dann Marinowitsch u. A. 

Die Fortschrittspartei stimmt ihrem "Wesen nach mit 

19* 



— 292 — 

den Freisinnigen West-Europas überein. Sie klebt keines- 
falls an althergebrachten Einrichtungen und betrachtet 
dieselben vielmehr als Ueberreste barbarischer Zustände. 
Ebensowenig liegt ihr die Landeskirche besonders am Herzen, 
was sie auch durch ihr Verhalten gegenüber den ortho- 
doxen Bischöfen des Landes, gelegentlich des Kirchen- 
streites unter König Milan, bewiesen hat. Hingegen möchte 
die Fortschrittspartei möglichst rasch alle Errungenschaften 
des Westens in Serbien verwirklicht sehen; eine grossartig 
entwickelte Industrie, Eisenbahnen, finanzielle Unter- 
nehmungen, Banken, Unterrichtsanstalten aller Art, schöne 
öffentliche Gebäude, gut gepflasterte und schön beleuchtete 
Städte, Entfaltung des Beichthums und eine wohlhabende, 
auf grossem Fusse lebende Bürgerschaft, dies ist das an- 
gestrebte Ideal der Fortschrittsmänner. Um nun all dieses 
recht schnell durchführen zu können, will diese Partei der 
Regierung erweiterte Machtbefugnisse und vermehrte Geld- 
mittel geben und befindet sich somit auf dem Wege zur 
Zentralisation. — Milan, der sein Land ebenfalls gerne zu 
einem rasch fortschreitenden machen wollte, hält sich daher 
mit Vorliebe zur Fortschrittspartei. Ueberdies ist er aber 
auch stets bemüht gewesen , in erster Linie sein Heer zu 
stärken und dessen Organisation zu befestigen. 

Die Radikalen zerfallen in zwei von einander ganz 
verschiedene Gruppen. Die eine derselben umfasst die 
Bauern mit ihren Dorfpopen. Diese Gruppe will die alten 
Gerechtsame des Volkes, — Selbstverwaltung ihrer Ge- 
meinden und Theilnahme an der Regierung, — unangetastet 
aufrecht erhalten und möchte möglichst niedrige Steuern 
zahlen. 

Den kostspieligen Neuerungen und den Centralisations- 
Bestrebungen der Fortschrittspartei steht man somit in 
dieser Gruppe von Radikalen feindlich gegenüber, und 
man könnte behaupten, dass Serbiens Landbevölkerung 
hierin derjenigen der Schweiz, Dänemarks und Norwegens 
gleicht. 



— 293 — 

Die andere Gruppe der Radikalen besteht aus jungen 
Leuten, welche im Auslande studirt und von dort republi- 
kanische und sozialistische Ideen mitgebracht haben. Bei 
Einzelnen von ihnen ist die Vorliebe zu altslavischem Sein 
und Wesen seltsam verquickt mit einer feurigen Be- 
geisterung für die Pariser Commune. In ihren Zeitungen 
„Borba** (d. h. Kampf) und ,,Samouprava" (oder Selbst- 
verwaltung) finden sich ihre Forderungen aufgestellt. Die 
Verfassung soll eine Umgestaltung erfahren und man ver- 
langt: die Abschaffung des Staatsrathes , die Eintheilung 
des Landes in föderalistische Kantone, durch Wahlen ins 
Amt berufene Richter, die Umwandlung sämtlicher Ab- 
gaben in eine dem Einkommen entsprechende Steuer und, 
an Stelle des stehenden und regulären Heeres, die Ein- 
führung einer reinen Volksmiliz. 

Die Bauernpartei der Radikalen will vor allem eine 
ausgiebige Verminderung der Beamtenzahl durchführen 
und hat damit nicht so unrecht. Professor Emil von 
Laveleye sagt hierüber: „Warum will man die Bureaukratie, 
eine von den Plagen modemer Staaten da, wo sie nicht 
vorhanden ist, einfahren ? Ein Beispiel soll zeigen, was ich 
meine. Während Belgien mit seinen nahezu 6 Millionen 
Einwohnern nur 9 Provinzial-Öouverneure hat, ist Serbien 
bei einer Bevölkerungsziffer von kaum 2^8 Millionen Seelen 
in 15 Kreise mit je einem „Natsohalnik" und in so und so 
viele Bezirke mit ihren Bezirksvorstehem getheilt; dabei 
giebt es noch bei jeder Kreis- und Bezirksbehörde eine 
Schaar von Sekretären, Kanzlisten und Hilfsarbeitern. 
Sollte das nicht zu viel sein?** 

In Folge der festen Centralisation der Radikalen er- 
langten dieselben, nach dem gelungenen Ausgleiche mit 
Milan, auch eine überwältigende Mehrheit bei den Neu- 
wahlen für die Skuptschina im Herbst 1890 und gelangten 
neuerdings an das Staatsruder. 

Gelegentlich der im Jahre 1892 stattgehabten Lösung 
einer Cabinetskrisis in Serbien besprach die „Münchener 



— 294 — 

Allgemeine Zeitung^ in ihrem Blatte vom 6. April ihre 
Auffassung der dortigen Verhältnisse mit folgenden 
Worten : 

„Nach ungewöhnlich langen, vielwöchentlichen Wehen 
ist endlich das serbische Ministerium unter seinem früheren 
Präsidenten zur Neubildung gelangt. In Serbien bildet, 
genau wie sich dies zuletzt auch in Griechenland erwies, 
die Armee den Eckstein der staatlichen Ordnung und 
Macht; sie fest in der Hand zu behalten, ist der Wunsch 
der um die Herrschaft ringenden Parteien, um das Amt 
des Kriegsministers entspann sich denn das eifersüchtige 
Werben der liberalen Begentschaft unter Bistitsch und 
des radikalen Ministeriums. Es scheint, dass in den zer- 
fahrenen Verhältnissen des Königreichs die Armee noch 
am meisten einheitlich und fest gegliedert ist; sie könnte, 
wenn die Wirren fortdauern, zuletzt den Ausschlag zu 
geben berufen sein. (Dies ist bekanntlich schon beim 
Staatsstreiche des jungen Königs am 1./13. April 1893 und 
neuestens bei den Ereignissen am 21. Januar 1894 der 
Fall gewesen). Die Radikalen haben es mit ihr gründlich 
verdorben, da sie seinerzeit aus Ersparungsrücksichten die 
Einschränkung der Offiziersbesoldungen geplant hatten ; 
sie mussten jedoch zuletzt vor dem Widerstände der Armee 
zurückweichen. Damals — im Jahre 1891 — schien es 
ebenfalls einen Augenblick lang, als ob der in Paris 
lebende Milan, auf die Missstimmung der Armee bauend, 
die Absicht habe, mit ihrer Hilfe wieder in das Land 
zurückzukehren. 

Nach längerem JEtingen zwischen der Regentschaft und 
dem Ministerium ist endlich eine Art Oompromiss zu 
Stande gekommen, bei welchem jedoch Bistitsch den 
grösseren Vortheil davon getragen hat; denn der neue 
Kriegsminister Djuritsch musste doch eher zu seinen 
Parteigängern gerechnet werden, als zu einem Radikalen. 

Im allgemeinen hat man den Eindruck, dass die radi- 
kale Regierung, welche sich an&ngs sehr stark gefühlt 



— 295 — 

hatte, durch ihre grossen parlamentarischen Anstrengungen^ 
anlässlich der Entfernung der Königin NataHe und be- 
treffend den Vertrag wegen Rückkaufes der Güter Milans, 
zum guten Theile verbraucht sei. Der ehemalige König 
ist augenblicklich (1892) ohne politischen Einfluss in 
Serbien." 

Dies war jedoch nicht ganz richtig ; denn es ist kaum 
zu zweifeln, dass im Sommer L892, als König Alexander 
in Begleitung seines Erziehers des Professors Dokitsch bei 
seinem Vater Milan in Paris zum Besuche weilte, die Frage 
genau erwogen wurde, in welcher Weise sich der junge 
König der ihm lästigen Regentschaft entledigen und gleich- 
zeitig ein neues Ministerium ans Ruder setzen könnte. 

Bekanntlich wurde am 1.(13) April 1893 die Demission 
der Regenten und bisherigen radikalen Minister vom König 
Alexander, unter Androhung von Waffengewalt, erzwungen. 
(Siehe Seite 42). 

Dies hinderte jedoch nicht, dass die Radikalen bei 
den Neuwahlen für die Skuptschina im Herbste 1893 wieder 
eine erdrückende Majorität erlangten, mit welcher die 
Regierung zu rechnen gezwungen war. 

Als nun gleichzeitig Alexanders treuester Berather und 
damalige Ministerpräsident seinem schweren Leiden erlag, 
da berief der junge König den General Sava Grujitsch 
zur Bildung eines der Skuptschina-Mehrheit entsprechenden 
radikalen Ministeriums; während das eigentliche Haupt 
der radikalen Partei, Pasitsch zum Gesandten Serbiens in 
Petersburg ernannt wurde. 

Dass König Alexander mit diesem Ministerium auch 
nicht lange zu regiren vermochte und dass sich derselbe 
durch die zunehmende Anmassung der radikalen Partei, — 
welche schliesslich mehr über, als neben dem Ministerium 
noch ein politisches Central-Comite gründete, — sehr beengt 
fühlte, wurde schon auf Seite 45 besprochen ; auch wurden 
daselbst die seit der, am 21. Januar 1894 erfolgten, Ankunft 
des königlichen Vaters Milan in Belgrad bis zum 5. Februar 



— 296 — 

1894 stattgehabten wichtigeren politischen Ereignisse, nach 
ojEQziösen Blättermeldungen angeführt. 

Zur besseren Orientierung über die augenblickliche 
politische Lage in Serbien, werden nun die, bis zum Augen- 
l^licke der Fertigstellung dieser Studie, noch weiter ver- 
öffentlichten offiziösen Telegramme mitgetheilt. 

Ein Telegramm der Kölnischen Zeitung vom 14. Februar 
1894 besagt: „Belgrader Privatnachrichten bezeichnen die 
Zustände als sehr düster. Die radikale Opposition wachse, 
geschürt durch den russischen Vertreter in Belgrad und 
den serbischen Vertreter Pasitsch in St. Petersburg. Viele 
Behörden halten zur Opposition. Die Begierung sei über- 
zeugt, dass dies alles nur durch einen Gewaltakt sein 
Ende finden könne " 

Am 15. Februar 1894 meldet ein Belgrader Telegramm 
der „Kölnischen Zeitung^, dass schon seit längerer Zeit 
ein Gymnasiallehrer aus Cetinje, Namens Popovitsch, 
welcher ein Vertrauter des Prinzen Karadjordjevitsch ist, 
in Belgrad verweile und mit den radikalen, dann mit den 
fortschrittlichen Spitzen vertrauliche Berathungen gehabt 
habe. 

Die Petersburger „Nowoje Wremja** schrieb am 13. 
März 1894: falls der „gesetzwidrige^^ Aufenthalt des früheren 
Königs in Belgrad noch lange dauern sollte, so würde die 
Abberufung des russischen Gesandten aus Belgrad er- 
folgen müssen.^ Gleichzeitig besagt ein Belgrader Tele- 
gramm vom 13. März 1894 des Wiener Tageblatt: „Bot*- 
schafber Fürst Lobanow erklärte dem Ministerpräsidenten 
Simitsch, die russische Regierung habe gegen die heutige 
serbische Kegierung nichts einzuwenden; bestehe jedoch 
entschieden auf der Abreise Milans aus Belgrad, da es 
sich hierbei um die Nichteinhaltung eines dem russischen 
Kaiser feierlich gegebenen Wortes handle." 

Am 18. März 1894 veröflfentlichten die Belgrader 
Blätter einen Akt der Bischofs-Synode, „durch welchen 
die vom verstorbenen Metropoliten Theodosius ausge- 



i 



— 297 — 

sprochene Scheidung der Ehe zwischen dem Vater und 
der Mutter des Königs Alexander annullirt und die am 
5. Oktober 1875 zwischen den Eltern des Königs ge- 
schlossene Ehe als zu Recht bestehend erklärt wird. Gleich- 
zeitig wurde gemeldet, dass anlässUoh der serbischen Oster- 
feiertage die Rückkehr der Mutter des Königs nach Belgrad 
erwartet werde." 

Ein Belgrader Telegramm vom 19. März 1894 meldete, 
dass der Divisions -Commandant von Belgrad, in Folge 
eines Zwistes mit dem Kriegsminister, um seinen Abschied 
gebeten habe." (Es ist dies der bekannte Oberst Koka 
Milowano witsch, der am 13. April 1893 und in den Januar- 
tagen 1894 mit der Belgrader G-arnison dem Könige zur 
Verfügung gestanden hatte). 

Die „Kölnische Zeitung" meldete am 20. März 1894 
aus Belgrad, dass nach der Rückkehr des Ministerpräsi- 
denten Simitsch von Wien und Rom, der Finanz-, Cultus- 
und Handels-Minister aus dem Oabinete scheiden würden. 
Auch soll der Gesandte in Petersburg Pasitsch nach Bel- 
grad zur Berichterstattung berufen werden und falls er 
sich weiter weigern sollte, zurückzukehren; dürfte er im 
Disziplinarwege entlassen werden." 

Am 22. März 1894 meldete die „Kölnische Zeitung" 
aus Belgrad: „Die Verhaftung des radikalen Bauemtribuns 
Taschitsch erregt grosses Aufsehen. Die Verhaftung er- 
folgte, wegen Aufreizung der Bauern zum bewaflEheten 
Widerstände und zu antidynastischen Umtrieben. Taschitsch 
unterhielt mit Haiduken Beziehungen, welche im Früh- 
jahre eine Revolution anzetteln sollten. Die Radikalen 
erklären, diese Verhaftung sei für sie das Zeichen zu ent- 
schiedenem Einschreiten. Die Königin Natalie soll einer 
Belgrader Freundin geschrieben haben, sie sei nicht ge- 
willt, jetzt nach Serbien zu kommen, obwohl der König 
den Besuch seiner Mutter wünsche." 

Am. 1./13. März verletzten einige bulgarische Bauern 
die serbische Grenze, indem sie auf serbischem Gebiete 



— 298 — 

Holz fällten. Hierbei wendeten die serbischen Zollwächter 
Gewalt an und verwundeten fünf bulgarische Bauern auf 
ausdrücklichen Befehl des Commandanten der serbischen 
Zollwache. Die üntersuchungsakten hat die bulgarische 
Regierung mit einer Note nach Belgrad geschickt. 

Ein in den wichtigsten Wiener Tagesblättern ver- 
öffentlichtes Belgrader Telegramm vom 3. April 1894 
meldet: „Das Kabinet Simitsch hat heute Nachts seine 
Demission gegeben, welche vom Könige angenommen 
wurde. Die Cabinetskrise wurde durch die im ^Odjek^ 
erfolgte Veröffentlichung eines Schreibens verursacht, 
welches der bisherige Finanzminister Mijatovitsch am 
9./21. März an den zur Zeit in Petersburg weilenden Pariser 
Bankier Hoskin richtete. Das neue Cabinet ist folgender- . 
massen zusammengesetzt: Der bisherige Minister des Innern 
Nikolajevitsch übernahm, unter Beibehaltung dieses Por- 
tefeuilles, das Präsidium; der bisherige Handelsminister 
Lozanitsch wurde Minister des Aeussern; der bisherige 
Kriegsminister General Milovan Pavlovitsch und der 
Bautenminister Zdravkovitsch verblieben auf ihren 
Posten; zum Finanzminister wurde Vukasin Petrovitsch 
ernannt; das Ministerium för Oultus und Unterricht über- 
nahm der bisherige Justizminister Andra Djordjev it seh; 
der bisherige Richter am Cassationshofe Andonovitsch 
wurde an die Spitze des Justizministeriums und Lazar 
Jovanovitsch an jene des Handelsministeriums berufen. 
Das neue Ministerium hat den Charakter eines liberal- 
fortschrittlichen Coalitions-Cabinets, in welchem der Justia- 
minister Andonovitsch und der Eb^ndelsminister Jovano- 
vitsch der liberalen und die übrigen Cabinetsmitglieder der 
Fortschrittspartei angehören. 

Der Hauptgrund dieses Ministersturzes liegt in einem 
vom Hauptorgane der Radikalen, dem „Odjek" veröffent- 
lichten Briefe des bisherigen Finanzministers Mijatovitsch 
an den Bankier Hoskin, welcher Brief diesem bei seinem 
Aufenthalte in Petersburg entwendet worden sein solL Die 



j 



— 299 — 

Echtheit des veröffentlichten Briefinhaltes wird von keiner 
Seite bestritten, selbst von denen nicht, denen die Ver- 
sicherung des „Odjek" nicht genügen würde, dass die 
Uebersetzung des Schreibens aus dem französischen Text 
ins Serbische sich eng an den Wortlaut des Originals an- 
schliesse. 

Dieser Brief vom 9./21. März 1894 enthält unter An- 
derem folgende besonders bemerkenswerthe Stellen: 

,,Ich bitte Sie somit, in Russland überall, wo Sie Ge- 
legenheit haben, von den serbischen Verhältnissen zu 
sprechen, kategorisch zu erklären, dass die letzten Ereig- 
nisse absolut keinen Zusammenhang haben mit der äusseren 
Politik. Diese Veränderung ist die Folge rein interner 
Verhältnisse gewesen und es wäre ein grosser Fehler eine 
andere Erklärung dafür zu suchen. 

Ich bedauere persönlich unendlich, dass die Radikalen 
nicht im Stande gewesen sind, die berechtigte Empfind- 
lichkeit des jungen Königs zu schonen und dass ihr Ver- 
halten ihnen sehr oft von einer kleinlichen Rücksicht- 
nahme auf die Partei-Interessen diktirt war; so dass zu- 
letzt in dem jungen König die Ueberzeugung wachgerufen 
wurde, es sei seine heiligste Pflicht, dieser Missregierung 
ein Ende zu machen. 

Die heutige Regierung ist tief erfällt von dem Ge- 
danken, dass es gegenüber dieser Ueberzeugung des Königs 
und angesichts der heutigen Verhältnisse, sowohl für den 
König, als für Serbien mehr als je nöthig ist, auf die voll- 
kommene gnädige Unterstützung Sr. Majestät des Zaren 
rechnen zu können. Deshalb wird die jetzige Regierung 
immer bestrebt sein, jede Gelegenheit zu ergreifen, um zu 
zeigen, wie sehr es ihr am Herzen liegt, dem König Alexander 
die Geneigtheit Sr. Majestät des Zaren und Serbien den 
erhabenen und freundlichen Schutz des mächtigen Russ- 
land zu bewahren. Wir sind thatsächlich tief betrübt, 
dass der Zar es für nöthig befunden hat, den Empfang des 
Herrn Simitsoh in Petersburg an Bedingungen zu knüpfen. 



— 300 — 

welche wir, die serbischen Minister, nicht im Stande waren 
zu erfüllen. Und dies umsoweniger, als sämtliche radikalen 
Blätter im Allgemeinen in so revolutionärem Sinne schreiben^ 
dass der junge König unwillkürlich auf den Gedanken 
kommen musste, die Radikalen würden sich in dem Augen- 
blicke gegen ihn auflehnen, als Milan das Land ver- 
liesse u. s. w." 

Ein andere Stelle des Briefes lautet: „Die radikalen 
Bauern fühlen instinktiv und ganz spontan, dass der Vater 
Milan nur seine Pflicht erfüllt, wenn er in einer schwierigen 
Lage an die Seite seines Sohnes geeilt ist. Sie werden, 
wie ich überzeugt bin, mit öenugthuung die Mittheilung 
vernehmen, dass die Ordnung in Serbien wieder vollständig 
hergestellt und dass absolut kein Grund vorhanden ist, 
eine Veränderung der Verhältnisse zu befürchten. 

Sie würden die königliche Regierung ausserordentlich 
verbinden, wenn Sie bei einer passenden Gelegenheit die 
Aufinerksamkeit der massgebenden Persönlichkeiten in 
Petersburg auf die Thatsache lenken würden, dass es sehr 
nützlich wäre, wenn dei junge König nicht auf den Ge- 
danken gebracht würde, Herr Pasitsch gelte in Russ- 
land mehr als der König von Serbien. Eine solche 
Aenderung in den Ansichten des Königs wäre schädlich, 
sowohl den Interessen Serbiens, als auch den Interessen 
Russlands in diesen Ländern u. s. w.^ 

Eine weitere Erklärung zu diesem Briefe ist wohl 
überflüssig. Die Thatsache ist nun ganz sicher, dass dem 
ehemaligen Ministerpräsidenten Simitsch von Petersburg 
auf seine Anfrage der Bescheid wurde: „Der Zar werde 
ihn so lange nicht empfangen, als König Milan in Belgrad 
weile!" 

Der Minister des Innern Nikolajevitsch machte dem 
Schreiber des veröffentlichten Briefes Mijatovitsch heftige 
Vorwürfe darüber; indem er erklärte: es müsse die Auto- 
rität der Regierung den Radikalen gegenüber vollständig 
untergraben, wenn sie zu der Meinung gebracht würden, 



— 301 — 

die Haltung des Ministeriums werde bezüglich der inneren 
Politik von Petersburg aus diktirt. Hierauf gaben sowohl 
Mijatovitsch, als auch der Ministerpräsident Simitsch so- 
fort ihre Entlassung. Der König nahm dieselbe an und 
betraute mit der Neubildung des Cabinets den bisherigen 
Minister des Innern Nikolajevitsch. 

Das neue Cabinet bedeutet seiner Zusammensetzung 
und seinem Programme nach ein'en energischen Kampf 
gegen die Radikalen und den Radikalismus. 

Der neue Ministerpräsident Svetomir Nikolajevitsch 
und die meisten der übrigen Cabinetsmitglieder sind treue 
Anhänger der Dynastie Obrenovitsch. Alle jetzigen Minister 
sind durchwegs energische, entschlossene Männer, welche 
auch vor den schärfsten Massregeln gegen die Radikalen 
nicht zurückschrecken, dem König Alexander unbedingt 
gehorchen werden, und auf welche auch Milan, dem sie 
alle sehr ergeben sind, einen mächtigen Einfluss haben 
wird.** 

Der Bericht schliesst mit den Worten; „Die Richtig- 
keit dieser angeführten Thatsachen wird schon die nächste 
Zukunft bestätigen." 

Einige Tage später brachten die Tagesblätter nähere 
Nachrichten über die jüngsten politischen Morde in Ser- 
bien, welche ohne Zweifel bei der Krise vom 3. April und 
beim Uebergang zu scharfen Massregeln mitgewirkt hatten. 
„Am 1. April wurden in Batotschina der hervorragende 
Liberale Cvetko Zwetanovitsch und in Öoratschitsch der 
angesehene Fortschrittler Dragitsch Druskovitsch meuch- 
lings ermordet und am 2. April wurde der Q-astwirth Jovan 
Djordjevitsch in Poscharevac in seiner "Wohnung grässlich 
verstümmelt todt aufgefunden, endlich am 3. April hatte 
man den Liberalen Tschosa ebenfalls mörderisch überfallen. 
Da in keinem dieser Fälle ein Raub ausgeführt wurde^ so 
erscheint die Annahme, dass es sich um politische Ver- 
brechen handle, wohl sehr glaubwürdig. 

Im Falle von Goratschitsch soll man diesmal schon 



— 302 — 

Spuren der Urheberschaft gefunden haben. Die vom Minister 
Nikolajevitsch eingeleitete strenge Untersuchung wird wohl 
bald den Sachverhalt klarstellen. 

Laut eines Telegrammes aus Belgrad vom 10. April 
1894 (im Wiener Tagblatt) soll Ministerpräsident Nikola- 
jevitsch in einem Gespräche mit einigen radikalen Führern 
ausdrücklich erklärt haben: „Jeder Versuch seitens der 
radikalen Partei, die Ordnung im Lande zu stören, würde 
rücksichtslos mit allen der Staatsgewalt zu Grebote stehenden 
Mitteln niedergeschlagen werden. Ein Ukas, mit welchem 
zahlreiche der radikalen Partei angehörende Beamte theils 
entlassen, theils pensionirt werden sollen, ist vorbereitet 
und dürfte demnächst verlautbart werden. Nach Berichten 
aus Uschitze soll in diesem Bezirke von Montenegro her 
eine starke Agitation betrieben werden, an welcher der 
bekannte Radikale, Erzpriester Milan Djuritsch hervor- 
ragend betheiligt ist." 

Ein Belgrader Telegramm vom 16. April 1894 lautet: 

„Zwischen der liberalen und fortschrittlichen Partei 
ist ein Konflikt entstanden, welcher in den Hauptorganen 
dieser beiden Parteien, der liberalen „Srpska Zastava" und 
dem fortschrittlichen „Videlo" seinen Ausdruck findet. 

Die Liberalen beklagen sich heftig, dass bei der Be- 
setzung der Beamtenposten und der hervorragenden Staats- 
ämter die Fortschrittler unverhältnismässig bevorzugt 
werden, und nehmen Stellung gegen das jetzige Cabinet. 
Sollte es dem König, welcher bereits vermittelnd einge- 
grijffen hat, nicht gelingen, eine Beilegung der Differenzen 
herbeizuführen, so wäre eine neue Ministerkrise, bei welcher 
die liberalen Cabinetsmitglieder ausscheiden würden, sehr 
wahrscheinlich. 

Das serbische Amtsblatt veröffentlichte am 15. April 
zahlreiche Ukase, durch welche radikal gesinnte Beamte 
entlassen und meist durch Fortschrittler ersetzt wurden. 

Die Ernennung des gewesenen Ministerpräsidenten 



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Simitsch zum serbischen Gesandten in "Wien scheint ge- 
sichert." (Ist seither thatsächlich vollzogen worden). 

Am 17. April 1894 meldete ein Telegramm aus Belgrad 
das Q-erücht, „dass an Stelle des bisherigen Gesandten in 
Petersburg Nikola Pasitsch, dessen Demission vom Könige 
angenommen wurde, der Staatsrath Olympie Vasiljevitsch 
zum 6es€öidten am kaiserlich russischen Hofe ernannt 
werden soll.** 

Hiedurch stände der Rückkehr des obersten Führers 
der radikalen Partei, Herrn Pasitsch nichts mehr im Wege 
und er dürfte nun in der Heimath die weitere Aktion gegen 
die Regierung selbst in die Hand nehmen. 

Alles in Allem genommen, scheint Serbien das höchste 
Stadium der jetzigen Krise noch nicht überstanden zu 
haben; jedoch dürfte es binnen Kurzem zu einer Ent- 
scheidung kommen. — Etwa zu dem altslavischen Georgs- 
feste (5. Mai) oder gar schon zu Ostern (29. und 30. April) 
werden bei den in herkömmlicher Weise stattfindenden 
zahlreichen Versammlungen im Freien von Seite der Land- 
bevölkerung ebenso die wirthschaftlichen, als die politischen 
Verhältnisse besprochen und bei Wein und Sliwowitza 
heftig bekritelt werden. 

Am Ende dieser Betrachtungen mögen noch einige 
Stellen aus dem Werke: „Die Balkanländer von Emil von 
Laveleye" (bei C.Reissner in Leipzig 1888) angelührt werden, 
mit denen dieser Autor den Abschnitt über Serbien ab- 
schliesst. 

Er sagt : „Die gewonnenen Eindrücke zusammenfassend^ 
komme ich zu dem Schlüsse, dass Serbien eines der glück- 
lichsten Länder ist. Es besitzt alles, was eine glänzende 
Zukunft verheisst, und umschliesst die Grundbedingungen 
jener wahren Civilisation, welche sittliche, freie, aufgeklärte 
und in behaglichen Verhältnissen lebende Menschen schafft. 
Hier besteht noch die fest mit der Vergangenheit ver- 
knüpfte Gemeindefreiheit, während man dieselbe im Westen 
Europas erst wieder hervorsuchen und neu beleben muss. 



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Das Wachsen des Beichthums ist zwar noch beschränkt ; 
aber alle Familien leben auf ihrem eigenen Grund und 
Boden, auch besitzt ein Jeder einen gewissen Wohlstand. 
Die so schmerzlich berührenden Gegensätze zwischen 
höchstem Wohlleben und äusserstem Mangel prallen hier 
nicht so unvermittelt aufeinander. 

Allerdings ist die Bildung noch nicht allgemein genug 
verbreitet; jedoch hat es die Regierung wohl begriffen, 
dass sie auf diesem Felde mit Einsetzung aller Kräfte 
weiter schaffen muss. Die Geschichte und die Dichtkunst 
finden aber in den Volksliedern eine freundliche Stätte am 
häuslichen Herde. Das Volk regiert sich, durch die von 
allen Steuerzahlern gewählten Abgeordneten , gewisser- 
massen selbst, und die Demokratie, welche man anderswo 
oft um den Preis blutiger Umwälzungen, ins Leben zu 
rufen bemüht ist, besteht hier als etwas Althergebrachtes 
und gleichsam Ererbtes. Ueberdies hat Serbien, um dem 
Fortschritte die Wege zu bahnen, den Gesetzen des Abend- 
landes das Beste entlehnt." 

„Nur ist zu befürchten, dass man in Serbien bei dem 
Bestreben , den äussern und in jeder Beziehung so 
theuer bezahlten Glanz westeuropäischer Hauptstädte nach- 
zuahmen, unvermittelt mit der Vergangenheit bricht und 
dadurch die Freiheit aufs Spiel setzt. 

Durch die Zentralisation, durch das thatkräftige Ein- 
treten der Behörden wird dem Weiterschreiten eines Volkes 
allerdings eine schnellere, regelmässigere und gleichförmigere 
Gangart gegeben. Allein an ihrem Schaffensdmnge, an 
ihrer angeborenen Willenskraft erleiden diejenigen eine 
sehr bedenkUche Schwächung, welche man von ihrem 
Wege fortzerrt und auf einen andern, fremden hindrängt. 

Die Gestaltung westeuropäischer Verhältnisse ist 
keineswegs in allen Punkten beneidenswerth genug, um 
auf der Balkanhalbinsel als Vorbild zu dienen, und man 
kann nicht wünschen, hier genau dieselben Schwierigkeiten 



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emporwachsen zu lassen, die anderswo der Menschheit so 
unendlich viel zu schaffen geben." 

^Durch seine ungemein zahlreichen und meistens auf 
imfruchtbaren Boden fallenden Ausgaben wird Serbien zu 
fortwährenden Anleihen gezwungen. Hieraus könnte eine 
grosse, das Land bedrohende Gefahr heraufbeschworen 
werden, welche alle serbischen Staatsmänner, welcher Partei 
sie auch angehören mögen, wohl im Auge behalten sollten. 
Als Bürgschaft verpfändet man den Gläubigem gewisse 
Steuererträge und giebt ihnen damit ein Kecht, sich in 
die inneren Angelegenheiten des Landes einzumengen. 
Was kann es Bedauerlicheres geben, als einen jungen Staat, 
dem die Zukunft gehört und der sich dabei in die Hände 
unbarmherziger Gläubiger liefert! Die egyptischen Verhält- 
nisse könnten hier eine Wiederholung erfahren! Eine 
Finanzwirthschaft wie die serbische, gehört eben in einem 
westeuropäischen Staatswesen zu den Unmöglichkeiten. 

Die beständig anwachsende Steuerlast muss aber die 
Unzufriedenheit, insbesondere des einfachen serbischen 
Landvolkes wachrufen, und solche Biegungen möchte man 
doch um jeden Preis ersticken. Alsdann würde man die 
bisherige Press- und Eedefreiheit unterdrücken, weil auf 
diesem Wege der Geist des Widerspruches sich in auf- 
brausender und mitunter auch in aufrührerischer Weise 
Bahn zu brechen vermöchte. 

Schliesslich arten jedoch solche strenge Massregeln zur 
Gewaltherrschaft aus. Serbien ist aber auf eine solche, 
nur mit Hilfe der Waffen mögliche Regierungsform nicht 
eingerichtet und auch nicht vorbereitet. Es gilt hier 
mehr als anderswo das Wort: 

„„Die Bajonette gewähren wohl eine Stütze, aber 
keinen friedlichen Ruheplatz I**^ 

„In einem von der Liebe zur Freiheit so vollständig 
durchdrungenen Lande kann ein Herrscher nicht lange 
durch Gewaltmittel bestehen und seiner Unbeliebtheit 

Anton Tnma, Serbien. 20 



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trotzig die Stime bieten. Er wird sonst bald in eine ähn- 
liche Lage kommen, wie jene war, in der sich Napoleon IIL 
am Ende seiner Regierung befand; er wird dann zu Bünd- 
nissen mit anderen Mächten, ziu Kriegen und Abenteuern 
greifen müssen. Wie sieht es aber bei einem, von seinem 
Volke nur lässig unterstützten Fürsten mit dem Siege 
aus?" 



Nachtrag. 

Die jüngsten Nachrichten über die Lage in Serbien 
besagen, dass die Radikalen eine lebhafte Agitation ent- 
wickeln und dass deren Blätter von Beleidigungen gegen 
den König Alexander und dessen Vater strotzen. Die 
am 28. April 1894 erschienene Nummer der radikalen 
„ Samostalnost " (Selbständigkeit) brachte einen Artikel 
gegen den König, welcher nicht wiederzugebende Schmäh- 
hungen und Ausdrücke enthielt. Der Minister des Innern 
Nikolajevitsch liess den Verfasser des betreffenden Artikels 
sofort verhaften. Auch im Innern des Landes fanden zahl- 
reiche Verhaftungen statt und wurden energische Mass- 
regeln gegen die Radikalen und deren Agitation ergriffen. 
Die zahlreichen radikalen Beamten werden durch Fort- 
schrittler und Liberale ersetzt. 

Das diesjährige serbische Osterfest (29. April 1894) 
brachte die überraschende Nachricht aus Belgrad, dass 
König Alexander mittelst Ukas seinen Vater in alle seine 
firüheren Ehren und Würden wiedereingesetzt habe. 

Das. betreffende Belgrader Telegramm vom 1. Mai 1894 
lautet: „Anlässlich der Veröffentlichung der königlichen 
„Ukase, betreffend König Milan, langen aus allen Theilen 



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„des Landes Beglückwünsohungs-Telegramme an den König 
^Alexander und dessen Vater ein. König Milan besuchte 
„den Ministerpräsidenten Nikolajevitsch, um ihm für die 
„Durchführung dieser Angelegenheit zu danken. Auch 
„ Metropolit Michael beglückwünschte sofort beideKönige, 
„worauf dieselben gemeinsam dem Kirchenförsten einen 
„Besuch abstatteten. Die fortschrittliche und liberale 
„Presse feiert in schwungvoUen Artikehi das Ereignis. 
„In der Armee herrscht die gehobenste Stimmung." 

Diese Drahtnachricht verschweigt aber, wie sich die 
sehr mächtige radikale Partei zu diesem plötzlichen 
Wechsel der politischen Lage verhält? 



Inhalt. 



Seite 

Vorwort III 

Einleitnng 1 

I. Kapitel. Kurzgefasste, geschichtliche Uebersicht, — Be- 
freiung vom Türkenjoche, — Fürst Milosch, — 

Karadjordjevitsch, — Mihail, — Milan u. Alexander 1 5 

U. Kapitel. Geographische und statistische Notizen ... 54 

III. Kapitel. Regierung und Verfassung 84 

IV. Kapitel. Innere Verwaltung. Eintheilung, Kreise, Be- 

zirke, Gemein den, Zadruga oder Hauskommunion. 1 00 

V. Kapitel. Justizpflege ■ . 108 

VI. Kapitel. Kirchliche Angelegenheiten 126 

VII. Kapitel. Oeffentlicher Unterricht und geistige Kultur 144 
Vm. Kapitel. Wirth schaftliche Verhältnisse : Bodenkultur , 

Bergbau, Industrie, Handel und Mittel des Ver- 
kehrs 163 

IX. Kapitel. Oeffentliche Gesundheitspflesce 221 

X. Kapitel. Das Heerwesen 288 

XI. Kapitel. Finanzverwaltung in Serbien 264 

Schlusswort 278 

Nachtrag 306 



Druck von Gottft*. PStz in Nanmbnrg a. 8. 



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